Brieven van Julius Röntgen
(1934)–Julius Röntgen– Auteursrecht onbekend
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VII Brieven aan Heinrich von HerzogenbergGa naar voetnoot1
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Alle im höchsten Grade - den letzten Satz wollte man durchaus wiederholt haben. Ihr seht, dasz unser Amsterdammer Publicum gar nicht zu verachten ist, denkt nur, dasz dieses Jahr die Soiréeën überfüllt sind, für mich als ‘Gründer’ eine grosze Freude und Belohnung für letzten Winter, wo nur einige Freunde kamen. Jetzt kommen schon die unmusikalischten Menschen hin und finden es ‘wunderschön’. In der letzten Soirée sollen meine RispettiGa naar voetnoot1 gemacht werden, man hat es mir auf sehr freundliche Weise angeboten und ich kann mir ad libitum die besten Sänger dafür kommen lassen. Neulich hatten wir eine ausgezeichnete Aufführung der Missa SolemnisGa naar voetnoot2, die erste in Amsterdam - die Chöre habe ich selten so klangschön und mühelos gehört, die FillungerGa naar voetnoot3 sang ganz vorzüglich, ihre Stimme klang herrlich, ich dachte nicht dasz sie so sicher und fest sein würde. Wie freut es mich immer wenn Jemand hieher kommt, mit dem ich über Euch sprechen kann. Gestern überraschte mich Frau EngelmannGa naar voetnoot4. Sie spielte mir ein paar Stücke von Dir vor, die mir sehr gefallen. Wie kommt es dasz ich gar nichts davon kenne? Doch ich habe heute keinen Grund auf Dich zu raisonniren, da ich eben etwas so Hübsches von Dir bekommen habe. Die Lehmannsgärtner haben Dir wohl schon gesagt, wieviel Vergnügen mir die beiden Stücke bereitet haben. Das Praeludium ist so zart und fein, das Amselthema klingt so hübsch hinein und man fühlt sich nachher in der Fuge schon ganz zu Hause. Der ‘pfiffige’ Schlusz amusiert mich zu sehr, nachdem die Amsel erst ziemlich ernsthaft gesungen, wird sie nun so lustig und wild und fliegt auf und davon. Mir fielen gleich eine ganze Menge ‘ornithologische’ Fugenthema's ein; habe übrigens vor langer Zeit selbst einmal einen PyrolGa naar voetnoot5 in Lehmannsgarten ‘fugirt’..... Zum ersten Mal kann ich dies Jahr die PassionGa naar voetnoot6 in Leipzig nicht | |
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mitmachen; das ‘Blutgeld’ müszt Ihr diesmal ohne meine Bratschenbegleitung singen, vielleicht ‘taugt es’ deszhalb noch weniger. | |
Amsterdam, 6 März 1883....Ich habe mir gleich die PartiturGa naar voetnoot1 vorgenommen und in den letzten Tagen tüchtig darin studirt. Du nimmst an, dasz ich in der Begleitungsfrage anderer als Deiner Ansicht bin. Möglich, da wir ja nie genauer über diesen Punkt mit einander geredet haben. Da ich die Volkland'scheGa naar voetnoot2 Orgelstimme nicht kenne, weisz ich natürlich nicht, was Dich darin nicht befriedigt. Da ja aber durch das ganze Werk der Continuo (der doch wohl zugleich Instrumental - wie Orgelbass ist?) auf's Genaueste beziffert ist, so sehe ich nicht recht ein, wie man sich im Groszen und Ganzen bei dem Anfertigen einer Orgelstimme arg vergreifen könnte. Dasz die Orgel unbedingt notwendig ist, um das Werk im Bach'schen Sinne auf zu führen, das sind wohl Alle überzeugt, und ich verstehe eigentlich nicht recht was Du mit dem ‘dickeren Clavierauszug in dem man Bach jetzt mache’, meinst. Haben wir denn nicht immer Orgel zur Ausfüllung der Kluft zwischen Continuo, Solostimme und des etwaigen Solo-Instrumentes gehabt? Und warum auch nicht, wenn sie von Bach eigens vorgeschrieben und auf's Genaueste beziffert worden ist? Ich glaube dasz wir darin ganz einig sind. Jemehr ich mich in die ganze Recitativ-Partie hineindenke, um so weniger will mir der HarmoniumklangGa naar voetnoot3 für die kurzen Accorde behagen. Das hat Bach gewisz auch empfunden, als er das Cembalo (und den Contrabass??) dazu verwendete und nicht die Orgel! Würde nicht Clavier immer noch dem Cembalo im Klange näher kommen als das weichliche Harmonium? Oder könntest Du Dich nicht entschlieszen wenigstens Basz und Cello für die Grundtöne dazu zu nehmen? | |
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Ob Bach aber überall wo er ‘Organo e Continuo’ schreibt, die Orgel benutzt hat, oder nur wo die Zwischenstimmen nicht ausgefüllt sind, darüber bin ich mir nicht recht klar! Die Christus-Recitative sind doch jedenfalls stets ohne Orgel begleitet worden, trotz der fortlaufenden beziff. Orgelstimme. So steht wohl bisweilen die Bezifferung nur als harmonischer Wegweiser unter den Continuo ohne dasz an Ausfüllung gedacht werden musz, z.B. beim Eintritt des ‘Sind Blitze, sind Donner’, wo es doch wohl Niemanden einfallen wird, das Fugenthema harmonisiren zu wollen? Für das Gegentheil aber spricht wieder der Fall bei dem Recitativ ‘Am Abend da es kühle ward’, wo die Bezifferung fehlt und ‘eigens’ Tasto solo vorgeschrieben ist. Nach gründlichem Nachstudiren der ganzen Evangelisten- und sog: ‘Bösewichter’-Partie habe ich das Gefühl bekommen, alsob Bach auch hier nicht ausschlieszlich an eine Cembalobegleitung gedacht hat, sondern die ganze Baszstimme vom ‘Continuo’, worunter ich mir hier Contrabass und Cello denke, hat mitgespielt haben wollen. Wie beneide ich Dich um Deine herrliche Aufgabe, ich kann mir keine schönere denken, als die Matthaeuspassion auf zu führen! Ich freue mich, dasz ich dabei sein kann, nach jahrelanger Entbehrung, Du machst doch wohl die Arie nach: ‘Golgotha’, für mich eins der wunderbarsten Stücke, nach dem ich mich schon lange sehne, es einmal zu hören. Es schlieszt sich gar so herrlich an das Golgotha-Stück an. Leb wohl und geniesze Deine jetzige Passionszeit mit allen Proben, innerlichen und äuszerlichen! Morgen werde ich mich zum ersten Male etwas ‘eintreten’Ga naar voetnoot1; kam bis jetzt noch nicht dazu.
Gestern las ich bei AmbrosGa naar voetnoot2 eine gute Stelle über Bach's Orgelspiel, von dem ein Zeitgenosse schrieb: ‘Wer das Delicate im Generalbasz und was sehr wohl accompagniren heiszt, recht vernehmen will, musz den groszen J.S. Bach hören, welcher einen jeden Generalbasz zu einem Solo so accompagnirt, dasz man denkt, | |
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es sei ein Concert und wäre die Melodie, so er mit der ersten Hand machet, schon vorhero gesetzt worden!’ | |
März 1883....Ich bin jetzt so in der Orgelstimme der Passion hineingekommen, dasz ich zu gerne wüszte, ob die Art wie ich die Begleitung behandelt habe in eurem Sinne ist. Die Arien finde ich viel schwerer und verantwortlicher als die bereits von Bach instrumentirten Stücke. Eine schöne Arbeit ist es aber. Dasz Du die Christus-Recitative auszer den Streichern auch mit Orgel machst, leuchtet mir sehr ein, wenn ich auch sagen musz dasz ich bis jetzt nie ein Gefühl von Klang-Leerheit dabei gehabt habe. Ob diese Recitative mit oder ohne Orgel gemacht wurden, ist fraglich. In der Partitur steht bei allen Recitativen nur Continuo und nicht Continuo u. Organo. In der Vorrede der Original-Ausgabe steht, dasz dies nur zufällig ist und in der Originalpartitur wohl dabei stand. Zu meiner Freude las ich auch, dasz Bach die Secco-Recitative, auszer dem Cembalo, mit dem Instrumentalbasz hat begleiten lassen, wie ich Dir vorschlug.... | |
Amsterdam, 13 Sept. 1883....Ihr habt sie ja wohl schon gehört, die grosze Nachricht, dasz Brahms die dritte Symphonie vollendet hat und zum ersten Mal am 26. Oct. in Wiesbaden aufführt. Engelmann's brachten uns diese Freudennachricht vor einigen Tagen. Brahms hatte an Engelmann geschrieben und ganz beiläufig erwähnt, dasz EhlertGa naar voetnoot1 eine Symphonie gemacht habe u.s.w. Thut das Eurige dazu, dasz Sie zu Neujahr im Gewandhaus gemacht wird. Das ist aber doch eine gute Zeit, die wir uns als Musiker ausgesucht haben, wo so Jahr für Jahr entweder ein Violin- oder Clavier-Concert oder eine Symphonie, oder wer weisz was noch, kommt..., Unser Concertsaal fängt nun auch an aus dem Schlamme sich zu erheben. Die Bäume für's Fundament sind schon eingerammt. Es | |
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fehlen zwar noch über 100,000 Gulden, doch die sind zu bekommen. Bald werden einige von unsern Leuten nach Leipzig kommen um sich Alles dort im Gewandhaus an zu schauen.... | |
Amsterdam, 30 Dec. 1883....Dieser sollte ein recht ausführlicher Passionsbrief geworden sein und Dir gleich nach der Aufführung Alles berichten. Wie habe ich Dich dabei gewünscht! Ich glaube Du hättest Dich gefreut!Ga naar voetnoot1 Die Orgel hat nämlich hier einen groszen Sieg erfochten, und die allerunbetheiligtesten Menschen haben sie gemerkt und sind davon gepackt worden. Ich habe sie aber auch gründlich durchgesetzt und nicht geruht bis Alles hübsch rein und wirkungsvoll klang. Zum Glück hatten wir einen ausserordentlich guten und intelligenten Organisten, der wirklich durch sein festes Spiel die ganze Aufführung gestützt und gehoben hat. Nun hatte ich fast durchgehend die Orgel stärker registriren lassen als das letzte Mal und ich glaube auch, dasz man dies getrost kann. Von wunderbarster Wirkung waren die Christus Recitative, die wirklich ganz fabelhaft klangen. Dabei die Orgel nicht etwa aufdringlich, nein, aber dem hohen Klange der Streicher etwas so Feierliches hinzufügend, dasz man nur das Gefühl hatte: so musz es klingen! - Es waren an die 4000 Menschen da! Von der Aufführung nichts weiter, als dasz unser Sänger Messchaert den Christus so wunderschön gesungen hat, wie es eben nicht schöner sein kann. Den müszt Ihr doch einmal kommen lassen, z.B. für ein Bach-Concert wäre er herrlich. Wir haben jetzt hübsche Zeit mit unsern lieben Gast Grieg, dessen anfänglich kaum 24 stündiger Aufenthalt sich auf mehrere Wochen hinaus ausgedehnt hat. Da Du ihn kennst und lieb hast, brauche ich nichts von ihm zu schreiben. Das Herumbummeln in Amsterdam macht ihm viel Spasz, er ist auch für Alles so empfänglich und ich gucke mir bei der Gelegenheit Amsterdam auch einmal wieder mit frischen ‘Fremdenaugen’ an. Grieg spielt in unserer nächsten Kammermusiksoirée. Wir machen zu Hause viel Musik und er hat schon manchen Brahms kennen gelernt, von dem er bis jetzt | |
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höchstens den Titel wuszte. Das g-moll Klavierquartett haben wir ihm neulich zum ersten Male vorgespielt. Es hat ihm groszen Eindruck gemacht! Brahms kommt Ende Februar hierher mit der 3ten Symphonie. Dazu Parzenlied, Nänie und 2tes Concert, das ich spielen soll. Ich möchte, Du könntest die Leute hier, ich meine unsre Leute, unser Musiker-Kreis, sehen, wie sie sich freuen und wie sie Alles so hübsch vorbereiten und nur dafür Gedanken haben, Brahms es gemütlich zu machen und wie sein Kommen als ein wahres Fest empfunden wird. Wir sind hier wirklich wie eine grosze Familie, die heute hier, dann dort zusammen kommt, aber immer ganz wie zu Hause ist. Könnten wir Euch doch einmal so recht gründlich dabei haben! Aus der Ferne spielt Ihr freilich immer mit hinein, so neulich in Utrecht, als wir Frau Schumann vier Tage dort hatten, und nun durch Grieg und dann durch Brahms!.... | |
Amsterdam, 18 Oct. 1884....Ich habe Anfang December meine erste Choraufführung und stecke jetzt schon tief in allen möglichen Proben. Welche Freude ist das! Der Chor ist gut, zahlreich und dabei von groszer Geduld und Ausdauer, läszt es sich gefallen drei Stunden hintereinander nur den Orgelpunkt aus dem RequiemGa naar voetnoot1 zu studiren und wird hoffentlich seine Sache gut machen. Das Requiem ist hier beinahe ganz unbekannt, was mir um so mehr Lust macht es aufzuführen. Orchester habe ich sicher, auch zwei gute Solisten (Messchaert das Bass Solo). Nun fehlt mir aber ein Anfangsstück, und gerade darum möchte ich Dich fragen. Ich möchte am Liebsten mit Bach anfangen. Es dürfte aber kein zu schweres Stück sein, da ich dem Chor ausser dem Requiem nicht noch zu viel zumuthen darf. Zu welcher Cantate würdest Du mir rathen? Habt Ihr einmal ‘Du Hirte Israel’ gemacht und was dächtest Du wenn ich das machte? Der erste Chor ist doch gar so herrlich und würde sich gerade im Gegensatz zum Requiem in seiner Freudigkeit sehr schön machen. Eine Orgel habe ich leider nicht, wohl aber ein groszes 2 clavieriges Harmonium was, wie ich glaube, für die Arien Begleitung ausreicht. | |
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Ich bin jetzt mit der Bass-Cantate ‘Ich will den Kreuzstab gerne tragen’ beschäftigt und schwelge in dem ganz wundervollen Stücke. Messchaert singt es sehr schön und wir machen es jedenfalls noch diesen Winter. Ich kenne kein ähnliches Stück für einen Sänger. Der Schlusz, wo es noch einmal in den Anfang geht, ist doch von der ergreifendsten Wirkung - da ist wirklich alle Schönheit und Tiefe der Matthaeuspassion concentrirt. Auszer meinem Chor habe ich jetzt sehr viel mit dem neuen ConservatoriumGa naar voetnoot1 zu thun. Es hat jetzt ‘laufen gelernt’ und ist sehr gut in Gange. Wir haben 34 sehr eifrige Schüler, wovon ich ungefähr die Hälfte bekommen habe.... Meine Norwegische Reise war ganz herrlich. Ich ging direct mit Schiff von hier herauf nach Bergen und brauchte dazu nur zwei Tage. Es war eine wahre Lustfahrt, das Meer wie ein Spiegel; den Eindruck, als nach allem Wasser plötzlich die Gletscher aus dem Meere aufstiegen, werde ich nie vergessen. Ich war dann über eine Woche mit dem lieben Grieg in Hardanger zusammen und reiste dann noch 14 Tage lang nach Norden bis Throndhjem..... | |
Amsterdam, 6 Nov. 1884....Ich sitze vergraben in Bach'schen Cantaten und weisz nicht zu was von all dem Herrlichen ich mich entschlieszen soll! Leider müszen ja so viel äusserliche Gründe bei der Wahl mitsprechen. ‘Lobet Gott in seinen Reichen’ ist freilich ein groszes Prachtstück, ich habe aber keine Zeit um die beiden groszen Chöre zu studiren und dann verfüge ich diesmal nur über Sopran und Bass. Ausserdem schrecken mich die Trompeten ab. Wie habt Ihr es damit gemacht? Gibt es bei Euch einen Trompeter der sich bis zum hohen d hinauf wagt? Hier wäre es - wenigstens vorläufig - ganz unmöglich! - Ich glaube ich entschliesze mich für die Cantate: ‘Sie werden aus Saba alle kommen’. Der erste Chor ist freilich für einen ganz Bach-ungewohnten Chor keine Kleinigkeit und gestern Abend erschraken meine Tenöre sehr, als sie ihn sahen. Die Armen | |
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haben freilich im Requiem grade genug Anstrengendes zu thun! - Ich fände es einen herrlichen Anfang und grade so schön in die Weihnachtszeit hineinpassend. Denke nur, dasz ausser der Matthaeus Passion (und einmal Johannes Passion) hier nichts von Bach gesungen ist. Wie beneide ich Dich um Deinen Bachverein!.... | |
Amsterdam, 6 Jan. 1885....Wie habe ich bei ‘Saba’Ga naar voetnoot1 an Dich gedacht! Der Chor würde Dich gefreut haben; er ist während den letzten Monaten sehr angewachsen und von überall her kamen gute Elemente dazu. Die Leute sangen mit gröszter Begeisterung und die neue Kost (leider musz man das ja sagen!) bekam ihnen sehr gut. Leicht haben wir es uns freilich nicht gemacht und Alles in Allem habe ich dicke 30 Proben zu Saba und dem Requiem gehalten. Das Orchester war auch sehr willig und obgleich die Leute nur für 2 Proben bezahlt waren, haben sie mir noch ganz umsonst eine Extra Orchesterprobe für 's Requiem angeboten, die sehr viel genützt hat. Die Bass-Cantate klang wundervoll und Messchaert hat sie unübertrefflich schön gesungen und uns Alle damit ergriffen. Jetzt geht's an's zweite Concert wo ich Händel und Bach - die 200 jährigen - machen will. Von Händel will ich einige Anthems, von Bach Magnificat und das Doppel Violinconcert machen.... | |
Amsterdam, 3 Febr. 1885....Wir sind jetzt mitten in den Magnificat und ich schwelge im Einüben der Chöre. Der Chor ist fruchtbar und mehret sich, in den zwei letzten Monaten sind schon 60 Stimmen dazu gekommen, die ich nun für Bach und Händel sehr gut brauchen kann. Mein kleiner JungenGa naar voetnoot2 singt noch immer ununterbrochen: ‘sie werden aus Saba Alle kommen’ und frägt Jedermann, ob er ‘Saba’ kennt. Nun fängt er wohl bald an: ‘omnes, omnes generationes’Ga naar voetnoot3.... | |
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Viele Grüsse! Wir denken oft an Euch und wünschen dasz es noch wie früher wäre, wo ich so oft mit meiner Bratsche nach der HumboldstraszeGa naar voetnoot1 wanderte.... | |
Amsterdam, 3 Nov. 1885....Heute komme ich mit einer ganz directen Einladung zu Euch und kann Euch als Lockspeise nichts Geringeres anbieten als die 4te Symphonie von Brahms, die er selbst mit den Meiningern am 13. Mai hier aufführt. Du wirst gewiss schon davon gehört haben, und dasz wir Amsterdammer diesmal zuerst daran kommen, worauf wir nicht wenig stolz sind! Wir dachten nun gleich an Euch und es wäre doch zu hübsch wenn Ihr bei dieser Gelegenheit Euren längst versprochenen Amsterdammer Besuch machtet. Ich glaube, dasz sich in den Brahmstagen Amsterdam von seiner besten Seite zeigt, besonders jetzt wo zu den netten Menschen auch noch ein gutes Orchester kommt, was ja leider bei der 3ten Symphonie nicht der Fall war und damals etwas die gute Stimmung verdarb. Auf dem ersten Concert werden die Tragische Ouverture und die 3e Symphonie ausserdem b-dur Symphonie von Beethoven und 1e und 3e Leonore Ouverture gemacht. Auf dem nächsten Concert dann die 4te! Kommen müszt Ihr, wenn's Euch irgend möglich ist!.... | |
Amsterdam, 16 Mai 1886....Jetzt aber zum DouglasGa naar voetnoot2, den ich mir bis jetzt nur zum Schrecken der näheren Umgebung selbst vorgesungen habe, denn Freund Messchaert, der 's gewiss herrlich singen wird, war dieser Tage nicht zu bekommen. Er ist soeben Vater von zwei ‘Meisjes’ geworden und hat vorläufig also genug mit der häuslichen Singerei zu thun. Das grosze Ereigniss fiel grade mit einem Concert seines Männergesangvereins zusammen, welches ich nun statt seiner dirigiren muszte. Das gab viel in den letzten Tagen zu thun und erst gestern fand ich ein ruhiges Stündchen, wo ich den Douglas vor- | |
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nehmen konnte. Heute Morgen wieder und nun kenne ich ihn und habe ihn schon sehr lieb gewonnen. Es scheint mir ein durchaus gelungenes Stück. Bei so viel Text ist es ja gewisz nicht leicht eine gute, befriedigende Form zu finden und dies ist Dir gerade, wie mir scheint ausserordentlich gelungen. Ich empfinde durchaus keine Länge und wie schön gesanglich ist Alles, sodasz man wirklich denkt, man könne es selber singen! Sind es Schottische Lieder, die Du benutzt hast? Wenn nicht, dann hast Du sie wenigstens sehr Schottisch componirt, sodasz jeder Kritiker das so beliebte ‘Lokalcolorit’ sich nicht entgehen lassen wird.... | |
Amsterdam, 22 Mai 1886....Eben hat Messchaert sein Douglas gesungen und wir haben Beide die gröszte Freude an dem Stück gehabt. Ich möchte, Du hättest es gehört, wie schön es klang und wie es gleich ganz von selbst ging und wirkte. Messchaert freut sich sehr darauf, das wird ein Stück für unsre Kammermusik-Abende und ich glaube, es wird auch nach aussen hin grosze Wirkung machen. Es passirt so viel darin, dasz man die grosze Länge gar nicht merkt. Ich freue mich schon auf die ‘Wüstenschlacht’, wo es wirklich heisz hergeht!.... | |
Amsterdam, 26 Mai 1887....Für nächsten Winter habe ich mein Programm für die 3 Chorconcerte schon veröffentlicht: Missa solemnis, Requiem v. Berlioz und Paradies und Peri. Diesen Winter muszte ich mich noch ohne Concertsaal behelfen und hatte deszhalb viel zu leiden. Das Requiem von Brahms, das wir drei Monate lang auf's Gründlichste studirt hatten, verlor viel durch die gräszliche Akustik des Saales, wo wir die Aufführung geben muszten. Josua mit Orgelbegleitung machte sich besser. Nun wird aber endlich der neue Saal fertig, es fehlen noch 100.000 Gulden um Alles in Gang zu bringen, - das Gebäude steht fertig da. Ein Orchester musz aber ganz neu gebildet werden. Ich habe mein neues Amt in keiner leichten Zeit angefangen! Groszes Vergnügen habe ich an den ‘Felix Meritis’-Concerten | |
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gehabt. Für jedes Concert hatte ich drei Orchesterproben und konnte mich deszhalb so recht mit dem Orchester vertraut machen. Diese Concerte, die eigentlich wegen Geldmangel nicht mehr stattfinden sollten, bleiben nun vorläufig doch bestehen, da die Theilnahme diesen Winter so gut war - eine grosze Freude für mich.... | |
Amsterdam, 13 Febr. 1889....Wie hab' ich Euch am Sonnabend hieher gewünscht und wie würdet Ihr Euch mit uns über den Douglas gefreut haben, über die wirklich sehr schöne Aufführung und den groszen, warmen Erfolg den er gehabt hat. Messchaert war herrlich bei Stimme, wir hatten viel zusammen studirt und konnten das Stück so ziemlich auswendig und bekämpften ‘das Heiden-Gezücht’, dasz es eine Lust war! Messchaert selbst war ganz begeistert davon und hat es wirklich unvergleichlich schön gesungen, ich kann es nur mit Stockhausen's schönsten Leistungen vergleichen. Während des ganzen Stückes hatten wir das schöne und sichere Gefühl dasz die Leute in vollster Spannung waren, wir fühlten, wie sie athemlos folgten und wuszten im Voraus, dasz der Eindruck am Schlusz grosz sein würde. Und das war es auch - erst einen Augenblick stille, dann aber langer und wiederholter Beifall, wie ich ihn hier nie wärmer bei einem neuen und ganz fremden Stück erlebt habe. Wie froh waren wir Beide!.... | |
Amsterdam, 16 April 1890....Ich bin einmal wieder recht stark im Nicht-Briefschreiben gewesen und bitte desshalb sehr um Deine Nachsicht. Seit meiner RückkehrGa naar voetnoot1 habe ich mich hier nicht recht gut befunden und eine recht unfrohe Zeit durchgemacht. Grund, äusserlich oder innerlich ist durchaus nicht dazu vorhanden, und ich hoffe, dasz der Zustand bald einem frischeren Platz machen wird. Das Amsterdammer Musikfest ist erst für folgenden Sommer 1891 geplant und wir müszen die nöthigen Geldmittel dazu in der alljährlich im Juni stattfindenden allgemeinen Versammlung an- | |
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JOHANNES BRAHMS met momentopnamen van Frau Fellinger
Prof. HEINRICH Freiherr VON HERZOGENBERG
ELISABETH VON HERZOGENBERG geb. VON STOCKHAUSEN
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JOH. MESSCHAERT 1857-1922
Prof. DONALD FRANCIS TOVEY
Dr OSCAR C. POSA
Prof. KARL BUDDE
Prof. CARL FLESCH
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fragen. Ich hoffe, dasz es gelingt, dann kann ich Deinen Psalm mit einem Chor wie es sich dazu gehört, aufführen und Orgel haben wir dann auch. Mit groszen Anstrengungen, Concerten, Gemälde-Lotterieën und allen möglichen Betteleien haben wir jetzt das Geld für die Orgel zusammen bekommen (20.000 Gulden) es ist ein reines Privatunternehmen und wir geben die Orgel der Concertgesellschaft zum Geschenke. Dieser Tage wird sie bestellt und zum Winter steht sie. Kommt also das Musikfest nicht zu Stande, so machen wir den Psalm mit unsern gewöhnlichen Kräften und mit der neuen Orgel.... | |
Amsterdam, 17 Jan. 1892....Wie soll ich Dir schreiben, wo jedes Wort so arm ist und doch nicht das ausdrücken kann, was man fühlt.Ga naar voetnoot1.... Und warum von unserm Schmerze reden, wo Du am Schwersten zu tragen und zu leiden hast. Nimm lieber einen stillen Händedruck aus tiefbetrübtem Herzen und lasz mich heute über Alles, was ich dabei empfinde, schweigen. Das aber will ich Dir sagen, dasz ich in meinem Leben nach dem Verlust meiner Mutter keinen so bittern Schmerz gefühlt habe, als da diese Nachricht zu uns kam. Wir sind beide ganz niedergedrückt - wie verlangen wir danach mit den Freunden, die Euch kennen, zusammen zu sein - heute haben sie ihr ja zum Gedächtnisz in Leipzig das gesungen, was ihre letzte grosze Freude im Leben gewesen ist. Ich kann nicht mehr schreiben und Du muszt ohne Worte fühlen, wie es mir zu Muthe ist. Willst Du uns die Freundschaft erhalten, mit der sie uns Beide so glücklich gemacht hat? Wieviel Liebes und Unvergeszliches haben auch wir ihr zu danken, das nur mit unserm eignen Leben aufhören kann! Nach dem Tode meiner Mutter schrieb sie mir: ‘die Guten wanken nicht, die Guten sterben nicht!’ Diese Worten haben wir uns in den letzten Trauertagen immer wieder gesagt. - Sei umarmt aus ganzer Seele und bleibe, was Du warst,
Deinem Julius. | |
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Amsterdam, 18 Juni 1892....Ich habe dieser Tage eine Besprechung für unsre Winteraufführungen gehabt und vorgeschlagen, nach Weihnachten Dein Requiem aufzuführen. Mein Chor ist jetzt so gut, dasz ich Dir eine schöne Aufführung versprechen kann. Die Orgel ist auch seit letztem Winter fertig. Wir haben sie eingeweiht mit einer Aufführung der h-moll MesseGa naar voetnoot1, der ersten in Holland. Sie hat einen groszen Eindruck gemacht, auch bei dem groszen Publicum, das nur die Grösze des Werkes ahnen und nicht begreifen konnte. Der Chor hat sich ganz dafür begeistert und es war eine schöne Zeit für mich. Ich habe mich ganz an die Bach'sche Partitur gehalten und brauchte keine Note modernen Ersatz dabei zu haben. Den hohen Trompeter bekam ich aus Berlin; die beiden Oboi d'Amore liesz ich mir von Mahillon in Brüssel bauen.... | |
Amsterdam, 2 Nov. 1892....Ich wollte warten mit Dir zu schreiben, bis ich Dir etwas Bestimmtes über unsere Winterpläne, unseren Choraufführungen betreffend, mittheilen konnte. Das Concert in welchem ich Dein Requiem aufführen möchte, kann erst um die Osterzeit stattfinden. Es ist vorläufig vom Vorstand beschloszen worden, auszer dem Requiem Schumann's Manfredmusik zu geben und dazu Possart einzuladen. Da Possart aber jetzt wieder einmal eine feste Stellung in München angenommen hat, ist es schwer ihn zu bekommen, und wir sind bis jetzt seiner noch nicht sicher. Kommt er nicht, so musz ich auf etwas Anderes sinnen. Da das Concert ausserhalb unserer verpflichteten Aufführungen steht, und sich selbst ‘beköstigen’ musz, musz ich irgend etwas Solistisches dabei haben, was das grosze bezahlende Publicum zieht. Und zu einem Requiem etwas nicht zu Aüsserliches zu finden, ist nicht leicht. Desshalb fand ich Manfred so passend - freilich gäbe es einen Abend so ziemlich ganz in schwarz. Wieviel hast Du wieder in letzter Zeit geschafft und wie musz Dich das Arbeiten über die traurige Gegenwart erheben - bei | |
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manchen Stellen aus Deinen letzten Sachen möchte man so gern sagen: ‘Aber Linderung kommt einzig, Ihr Guten, von Euch!’ In diesem Geiste schlieszt auch dein letztes Quintett ab, meine ich. Nun hoffe ich nur, dasz wir Deine neuen Sachen im nächsten Jahr zusammen musicieren werden und Du zum Frühjahr hieher kommst. Wir haben einen sehr glücklichen Sommer gehabt, theils waren wir bei Freunden in einem herrlichen Schlosz auf der Insel LaalandGa naar voetnoot1, theils in Schweden und Norwegen. Amanda geht es sehr gut, so gut, dasz wir letzten Sonnabend ein Concert zusammen gegeben haben für eine arme unglückliche Sängerin, der dadurch geholfen wurde. Amanda hat ihre Sache mit der gröszten Ruhe und Sicherheit gemacht, alsob sie nie vom Concertsaal entwöhnt worden wäre. Welch eine Veränderung mit der Zeit vor 3-4 Jahren! Die Theilnahme und Freude über ihr Spielen war grosz und allgemein. Und ihr selbst hat es das gröszte Vergnügen gemacht!.... | |
Amsterdam, 20 Jan. 1893....Zu meiner groszen Betrübnisz habe ich die Requiem-AufführungGa naar voetnoot2 nicht durchsetzen können. Die Gründe des Vorstands sind folgende: der ursprüngliche Plan Dein Requiem zusammen mit Manfred zu geben ist unmöglich geworden durch Absage von Possart. Nun meint der Vorstand ein Werk wählen zu müszen, dessen Aufführung die Kosten des Concerts sicher decken wird, also ein bekanntes Oratorium mit ‘groszen’ Solisten. Da dieses Concert auszer dem Abonnement stattfindet, musz es sich selbst durch die direkte Einnahme bezahlen. Ich habe gestern Abend mit allen Kräften für's Requiem gestritten, so wie man es für eine Herzenssache thut - es war aber vergebens und ganz wider meinen Willen musz ich's für dieses Mal aufgeben und dafür den EliasGa naar voetnoot3 aufführen. Es wird mir doppelt schwer, da Du ja nun doch noch, trotz des späteren Datums Dein Kommen in Aussicht gestellt | |
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hattest. Wären nur die Kosten für eine Aufführung hier nicht so grosz (circa 1000 Gulden ohne Solisten!) dann machte ich's doch jetzt in der Charwoche auf eigne Faust. Doch das kann ich nicht thun - ich kann Dir nicht sagen, wie leid es mir thut. Ich bin aber leider gebunden! Sei davon bitte überzeugt, und zürne den augenblicklichen hiesigen Verhältnissen, aber nicht Deinem Julius. | |
Amsterdam, 26 März 1893....Gestern Abend war's sehr schön und wir haben Dich sehr hieher gewünscht. Der Saal bis zum allerletzten Platz gefüllt, die Zuhörer in andächtigster Stimmung, Messchaert hat herrlich gesungenGa naar voetnoot1 und noch ganz anders gegen ‘die Heiden’ gekämpft als neulich in Utrecht, wo er nicht über seine Waffen verfügte. Einige gewissenhafte Proben machten, dasz das Stück mehr aus einem Gusz ging und Alles viel wirkungsvoller herauskam - ich glaube, Du würdest Dich gefreut haben und zufrieden gewesen sein. Der äuszerliche Beifall war auch sehr grosz und warm! ....Doch genug für heute - es sollte eigentlich nur ein Grusz nach dem gestrigen schönen Abend sein, wo wir so mit Dir gewesen sind. Dieser Brief trifft Dich wohl in Italien; unsere Gedanken und unsere Liebe begleiten Dich dorthin, wo, wie in der Ballade, ja auch Dein Herz liegt.... | |
Amsterdam, 30 Mai '95....Heute hat das Schreiben einen bestimmten Grund, nämlich Dich und HeleneGa naar voetnoot2 zur Aufführung Deiner Messe einzuladen, die Anfang December vor sich gehen soll; so lange vorher klingt's freilich sehr feierlich, wir haben aber gestern unsere Winterprogramme gemacht und da wollt' ich Dir's doch gleich mittheilen. Dasz es mir eine grosze Freude ist endlich ein gröszeres Werk von | |
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Dir hier aufführen zu können, brauch' ich wohl nicht zu sagen - so oft kamen ja allerlei Dinge dazwischen, die gegen meinen Willen waren. Nun hoffe ich, dasz es recht hübsch wird und Du zufrieden mit uns sein wirst. Der Chor ist grosz und gut - die letzte Matthaeus-passion's Aufführung gelang besonders schön. Ich mache zur Messe noch die 9te SymphonieGa naar voetnoot1 - allerdings ein langes und schweres Programm. Das Publicum ist's aber gewöhnt und da wir nur zwei Aufführungen geben, kann's schon etwas viel sein. Viel mehr wie 1 Stunde dauert die Messe doch nicht? Für die Soli's hatte ich gedacht Frau Wilhelmy, Dierich und Messchaert zu fragen. Altistin noch unbestimmt. Willst Du dirigiren oder zuhören - mir ist Beides gleich lieb!....
....Diesen Sommer werden wir uns nicht sehen, falls Du nicht auch Absichten hast nach dem Nordcap zu gehen. Ich reise am 4. Juli dorthin, direkt mit Schiff von hier. Erst zu Grieg's. Durch den Winter habe ich mich tapfer durchgeschlagenGa naar voetnoot2 - so geht Alles weiter alsob nichts verändert wäre: wie gut dasz Einem die äusserlichen Dinge doch über die Tage hinweghelfen - sonst wär's nicht aus zu halten! Die Kinder sind auf's Beste versorgt....
....Zum Herbst schreibe ich mehr, dann haben wir ja über Tempi und andere vernünftige Dinge zu correspondiren.... | |
Amsterdam, 21 Oct. 1895....Dasz Du den Tag der Aufführung Deiner Messe durch Engelmann und nicht durch mich erfahren hast, macht mich, elender Briefschreiber, sehr erröthen. Dafür habe ich wenigstens den kleinen Trost, dasz Engelmann sich geïrrt hat und ich Dir nun ‘officiell’ mittheilen kann, dasz wir sie am 13/14 December aufführen. Als Solisten haben Frau Wilhemy (sehr musikalisch und tüchtig) Frau Minor, die Herrn Dierich und Messchaert zugesagt. | |
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Ich freue mich meiner Orgel, die ich vor Deiner Berliner Aufführung voraus habe. Der Chor ist schon mitten im Feuer und darüber hätte ich Dir dieser Tage geschrieben undDir endlich einmal gesagt, welche grosze Freude ich an der Messe habe und wie diese Freude mit jeder Probe wächst. Ich kenne kaum ein Werk, das so herrlich zum Einstudiren ist, wo Alles so gesanglich ist und man ohne Mühe die schönsten Chorwirkungen erreicht. Das fühlen die Sänger auch und es ist eine Freude zu sehen und zu hören, wie gerne sie es singen. Der Chor ist diesmal besonders stark - ich sage Dir, der erste Kyrie-Einsatz macht sich, und hat uns Alle am letzten Freitag gepackt, schon durch den mächtigen Klang. Und so könnte ich Dir Stelle auf Stelle nennen. Wir sind bis zum Sanctus gekommen. Das ganze Credo liebe ich besonders, wenn mir's auch beim ‘Dona’ am Allerweichsten um's Herz wird - doch was brauche ich Dir das Alles vor zu schwatzen - wie schön wird's wenn Du erst selbst hier bist und Alles hoffentlich recht gut geht. Engelmann hatte den Plan Dir Utrecht als Standquartier vorzuschlagen. Da ich Euch leider nicht in meinen paar Stuben unterbringen kann, ist's mir schlieszlich egal, wo Ihr bleibt und Utrecht gilt mir ja ganz als Amsterdam'sche Vorstadt. Sei nur zur Generalprobe da, damit wir uns noch etwas verständigen können und ich keine Dummheiten mache, an denen dann nichts mehr zu ändern ist. Deine letzten Zeilen bekam ich ungefähr am Nordcap! Von meiner groszen Reise erzähle ich Dir lieber einmal - es war höchst merkwürdig, wie sich blose geographische Begriffe, wie Lofoten, Hammerfest, Eismeer, u.s.w. zu Berg und See und Menschen gestalteten. Auf der langen Seefahrt habe ich VariationenGa naar voetnoot1 geschrieben über ein Thema vom alten HartmannGa naar voetnoot2. Das fortwährende Schaukeln bei Tag und Nacht war schlieszlich nicht aus zu halten und das Notenschreiben war ein heilsamer Contrast gegen die ‘unendliche’ Landschaft. Die Variationen habe ich eben in 9 Concerten mit Messchaert gespielt - sie machen sich gut als Concertstück - Heute fahre ich herüber zu Engelmanns mit meiner alten Bratsche. Wir wollen die | |
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Clarinettsonaten spielenGa naar voetnoot1. Mit Engelmanns bin ich in der letzten Zeit viel zusammen gewesen - um Den kannst Du uns beneiden! Den Jungens geht's gut. Ich bin froh dasz sie so wenig fühlen was ihnen fehlt! Konnte ich das auch von mir sagen! Die Arbeit füllt ja viel aus aber das Beste bleibt doch immer leer.... | |
Amsterdam, 28 Nov. 1895....Wann kommt Ihr? Hoffentlich können wir vor dem Concert noch etwas Zusammenseins genieszen, da Ihr ja gleich nachher reisen müszt. Gerne hätte ich Dich bei der letzten Chorprobe gehabt. Nun noch ein paar Messenfragen. Erstens: ist es Dein bitterer Ernst, dasz Du lieber zuhören als dirigiren willst? Ich richte mir hierin natürlich ganz nach Deinem innersten Wunsch, und wenn Du mir nur eine Andeutung gibst, lasze ich Dich natürlich auf's Officiellste mit Deinem Taktstock einladen. Zweitens: soll ich für HeleneGa naar voetnoot2 einen guten Chorplatz aufheben, oder wird sie auch lieber zuhören als mitsingen? Mir ist natürlich jede gute Verstärkung des Chors - besonders was Einsetzen betrifft - sehr willkommen, und ich habe sie noch als ‘Retterin des Gratias’Ga naar voetnoot3 in sehr werthvoller Erinnerung! Sonst habe ich augenblicklich nichts auf dem Herzen, die Proben gehen gut und ich hoffe dasz wir Dich zufrieden stellen können. Ich freue mich wieder 'mal mit Dir zusammen sein zu können, in so lieber Umgebung wie bei Engelmanns.... | |
Amsterdam, 19 Febr. 1896....Du hast mir eine grosze herzliche Freude gemacht mit dem schönen Benedictus-StückGa naar voetnoot4 und mit Deiner Widmung. Ich traute | |
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meinen Augen kaum, als ich die Rolle öffnete und mir das liebe Thema in dieser neuen Gestalt vor Augen kam. Es war wie ein Grusz und Nachklang der letzten schönen Tage, die wir zusammen hier gehabt haben und ich bin sehr glücklich, dasz diese für 's ganze Leben ein so schönes Nachspiel für mich bekommen haben. Statt vieler Worte will ich Dir aus vollem Herzen danken, Lieber! Ich hatte mit Messchaert hier im Lande mehrere Concerte, ich führe ein sehr unruhiges Leben seit Weihnachten, dazu kommt dasz ich mich gar nicht recht frisch fühle und Alles, was mir sonst leicht wird, mit Anstrengung leisten musz. Musikalisch habe ich sonst in den letzten Monaten viel erlebt und viel Erfreuliches! Erst eine schöne Aufführung vom SchicksalsliedGa naar voetnoot1 und ManfredGa naar voetnoot2 mit Possart, danach ein brillantes Concert mit Messchaert in Wien. So ein Publicum habe ich noch nicht kennen gelernt. Das ist ja eine ganz südliche Temperatur. ‘Feldeinsamkeit’Ga naar voetnoot3 wurde viermal da capo gefragt und überhaupt dauerte das Concert mit allen Zugaben beinahe doppelt so lang. Das Beste war, dasz Brahms bei uns im Künstlerzimmer war und sehr lieb war, wie ich ihn selten gesehen habe. Nach dem Concert waren wir mit ihm im ‘Rothen Igel’Ga naar voetnoot4 und den nächsten Tag bummelte er mit uns in Wien herum. Über 10 Tage sind wir wieder dort und im März noch einmal. Als ich zurück kam, war Joachim hier, er hat mit uns Kammermusik gemacht - wie schön es war, brauche ich Dir nicht zu sagen! Wer soll überhaupt noch Mozart spielen, wenn wir ihn einmal nicht mehr haben?.... Wie beneide ich Dich um Deine Arbeitszeit - und Kraft und wünschte mir einmal, ohne so viel Anders, ruhig schreiben zu können! Jetzt kann ich gar nicht einmal daran denken!.... | |
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Karte, Ich finde es unerhört, dasz WolffGa naar voetnoot1 uns am selben Abend mit Joachim concertiren laszen will, und es kann nicht geschehenGa naar voetnoot2, in Leipzig hat er 's ähnlich gemacht: wir muszten neulich unser Concert absagen, wegen ungünstigen Datums. ....In Wien war's ganz herrlich; wenn möglich noch eine Steigerung gegen die vor'gen Male. Wir gehen noch dreimal diesen Winter hin. Einem solchen Publicum vor zu musiciren ist wirklich ein Vergnügen! Aber Brahms! Das war ein trauriges Wiedershen. Ich war ja durch Engelmanns vorbereitet und hatte auch beim ersten Besuch einen verhältniszmäszig guten Eindruck: er war frisch und herzlich, wie immer, und sprach mit fester Hoffnung von Besserung. Es geht ihm auch seit einigen Wochen etwas besser: er nimmt zu und fühlt sich kräftiger. ‘Ich nähere mich schon wieder dem Rundbogenstil’, sagte er. Mein Eindruck ist aber doch, dasz der Angriff zu stark war, und dasz es der Anfang vom Ende ist. Jedenfalls musz bald eine Entscheidung kommen.... | |
Amsterdam, 12 Dec. 1896Ga naar voetnoot3....Wenn die Freude auch kurz war, so war's doch wieder 'mal eine grosze Freude für mich, diese paar Stunden bei Euch Lieben. Habt Dank dafür! Die Hetzfahrt nach dem Concert und zum Schlusz Dein Wettlauf mit meinem Schnellzug - diese Glanz- und Virtuosennummer - werde ich nicht vergessen! Als ich dann plötzlich so ruhig und bewegungslos auf meinem D-Platz sasz, freute ich mich, wie hübsch Alles geklappt hatte und dankte Euch im Stillen nochmals für Alles Gute! Dann schmeckte mir mein opulentes Souper wirklich ausgezeichnet, der Hetz schien sehr auf den Appetit gewirkt zu haben, eine Flasche Moselwein gab's auch noch, und so habe ich noch lange in eigner Gesellschaft, aber eigentlich mit Euch Beiden, zusammen gesessen. Später schlief ich sehr gut und erkannte, wie Odysseus, meinen eignen Bahnhof in Amsterdam nicht, | |
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sondern wäre beinahe weiter nach dem Hoek van Holland gerutscht. Gestern Abend eine sehr gute und sehr warme Missa solemnis Probe - Jetzt musz ich in den Concertsaal und mit dem Clarinettisten probiren und dann geht's nach Hamburg und wir gehen wieder unsre eignen Wege. Liefen sie doch etwas mehr zusammen! Nach so einem Tag fühle ich das besonders stark.... | |
Amsterdam, 12 April 1897....Du hast Recht: wir müssen noch enger zusammen halten! Ich komme um Dich zu sehen und Deine Passion zu hören - wenn's auch nur sehr kurz werden kann. Ich wollte Dir grade schreiben, da kam die Todesnachricht aus WienGa naar voetnoot1 die mich jeden andern Gedanken vergessen liesz. Ein Telegramm, das mir den Tag des Begräbnisses mittheilte, erhielt ich zu spät und konnte deszhalb nicht mehr zu rechter Zeit in Wien sein - ein groszer Kummer! Wie gerne hätte ich den letzten Gang mit Euch zum Grab gemacht. Zuletzt war ich mit Brahms Ende Januar zusammen und habe die rührendsten, schönsten Erinnerungen an diese Tage. Ich verlange danach, mit Dir über Alles zu sprechen. Von Anfang Februar bis vor kurzem hatte ich die lieben Griegs bei mir, es war eine erquickende Zeit, wenn auch das Beste zu Hause fehlte - in solchen Tagen fühlt man das noch stärker als im Alltagsleben. ....Am Liebsten hätte ich in Deiner Passion mitgebratscht; ohne Probe geht das aber wohl nicht? Geht's doch, so telegraphire mir noch ein Wort, dann bringe ich die alte Bratsche aus der Humboldstrasze mit! Grüsze Prof. SpittaGa naar voetnoot2 herzlichst von mir! | |
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und der ‘undirigirten’ ChorphantasieGa naar voetnoot1, die wie ‘aus der Pistole’ ging..... Als Beweis dasz wir hier nicht in China wohnen, wisse, dasz ich noch vor Deiner Sendung Deines neuen Quartetts das Stück schon zu Hause hatte!! Wären nur unsere Reiselinien nicht so gar divergirende!.... |
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