Het papieren gevaar. Verzamelde geschriften (1917-1947) (3 delen)
(2011)–Willem Pijper– Auteursrechtelijk beschermdHolländische Musik
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führen, müssen sie mit denselben Schwierigkeiten kämpfen, als die ‘Radikalen’ der andern Länder. Wenn ich nun versuchen soll, [Sie] mit unseren Modernen bekannt zu machen, muss ich etwa fünfzig Jahre früher anfangen. Denn die Jungen sind grösstenteils nicht Autodidakten, sondern waren einstmals ganz normale Schüler tüchtiger Pädagogen. Meist ist auch das Aufgeben der tonalen Schreibweise nicht so ganz frühzeitig zu bemerken. Ein französisches Scherzwort sagt: ‘Les jeunes ont toujours quarante ans.’ So klassisch verfahren wir hier augenblicklich nicht. Wir Holländer tun eben alles bedachtsamer, schüchterner. Ich möchte sagen: Ausgehend von Strauss, Mahler, Berlioz, gelegentlich sogar von Chopin oder Bizet haben alle unsere modernen Komponisten begonnen, ‘normale’ klassizistische Musik zu schreiben. Im Laufe der Jahre hat man sich frei gemacht, die eigene Persönlichkeit entdeckt. Viele waren der Verzweiflung nahe, bis sie bei etwas Neuem festen Grund spürten. Jetzt ist man seiner Sache gewiss; wir können im internationalen Musikleben hervortreten, mit wahrhafteren ‘Schönheiten’, als der unserer Klompendansen und Bauernlieder, die grösstenteils aus Frankreich und Deutschland herübergebracht wurden. Ich nenne vor allem vier Namen, von denen wenigstens drei Ausgangspunkte bilden: Dr. Alphons Diepenbrock, Dr. Johan Wagenaar, Bernard Zweers, Cornelis Dopper. Der letztere hat wohl keine Schüler gehabt, aber er ist eine markante Figur im Amsterdamer Musikleben, Komponist von sieben klassisch-romantischen Symphonien und zahlreichen kleineren Werken (Kammermusik und Lieder). Bleiben also: Diepenbrock, Wagenaar und Zweers. Alphons Diepenbrock, der im Frühling 1921 gestorben ist, war unzweifelhaft unser grösster Komponist. Im Rahmen dieses kurzen Aufsatzes möchte ich nur seinen Einfluss auf das Heute feststellen. Er hatte keinen direkten Schüler, aber Jünger seines Geistes waren der Dirigent Richard Heuckeroth und der Musikschriftsteller und Komponist Matthijs Vermeulen, letzterer allerdings nur anfänglich... Zwei richtige Komponistenlehrer waren der Utrechter Wagenaar und der Amsterdamer Zweers. Wagenaar ist jetzt Direktor des 's Gravenhager Konservatoriums, doch ist und bleibt er Utrechter. In diesem Städtchen geboren, hat er dort den grössten Teil seiner Lebensarbeit geleistet und ist ganz mit Utrecht verwachsen. Als Komponist war er, trotz der Höhe seines Könnens, auffallend Berlioz zugewandt. Er hat in dieser Meisterweis' seine persönlichsten Werke geschrieben, seine beiden Opern De Doge van Venetië und De Cid, ferner einige Ouvertüren für Orchester. Später kam er merklich unter Mahlers Einfluss, wie in seiner Sinfonietta und De fortuinlijke kist, einem Einakter mit Klavierbegleitung. Wagenaar hatte sehr viele Schüler, von denen ich nur die jüngeren hervorheben möchte: Bertie Gunning,Ga naar voetnoot54 der jetzt in der Neuen Welt weilt und den wir hier aus dem Auge verloren haben, und Jakob van Domselaer, der in seinen musiktheoretischen Philosophemen dem Wiener Josef Hauer ähnlich scheint. Van Domselaer hat nur kurze Zeit unter Wagenaar gearbeitet. Veröffentlicht sind von ihm bis jetzt nur Proeven van stijlkunst. Vorübergehend bei Wagenaar war auch der hochbegabte | |
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Alex Voormolen, dessen Meister eigentlich Ravel und Roussel waren. Voormolen lebt auch ständig in Paris. Zusammen mit mir arbeiteten unter Wagenaars Leitung: der Arnheimer Geiger und Pianist Bernard Wagenaar, der bis jetzt noch an den Grenzen der Tonalität stehen blieb (jüngst ist auch er nach Amerika übersiedelt) und Henri van Goudoever, ein famoser Cellist, der sich später zum Studium nach Paris zu Gérard Hekking begab. Von Van Goudoever wird ein nächstes Mal die Rede sein: er besitzt ein merkwürdiges Orchestertalent. Durch diese Namen habe ich wohl erwiesen, dass Wagenaars Schule eine sehr ergiebige war. Der Amsterdamer Lehrer war der alte Bernard Zweers (geb. 1854). Unter seinen Schülern möchte ich in erster Linie unseren Sem Dresden hervorheben. Bernard Zweers selbst hat unter anderem drei Symphonien geschrieben, von denen die dritte Aan mijn vaderland oftmals gespielt wurde. Er steht völlig unter dem Einflusse Richard Wagners. Mein heutiger Aufsatz ist eine Art Präludium. Das nächste Mal sei die Rede von dem jungen Holland selbst. Die Höflichkeit gebot, dass wir unsere Vorgänger würdigten, bevor wir zu unseren eigenen Gefährten übergehen. Für diesmal seien noch einige Musiker dieser vorigen Generation erwähnt, die halfen, eine Epoche zu bilden, die jetzt abgeschlossen ist; Jan van Gilse (geb. 1881), jetzt Kapellmeister des Utrechter Orchesters, Autor von vier Symphonien, einer Oper, eines Oratoriums,Ga naar voetnoot55 et cetera. Und der Meisterpianist Dirk Schäfer (geb. 1894), der schon frühzeitig Schönbergs Klavierstücke öffentlich spielte, Komponist einer vielgespielten Javanischen Rhapsodie und verschiedener Klaviersachen. Wenn ich noch die Namen Von Brucken Fock, Jan Ingenhoven, Koeberg, Cuypers nenne, haben Sie ein Bild des Holland von Gestern. Das nächste Mal will ich vom Heute sprechen und vielleicht: nicht nur was wir machen, sondern auch wie wir's machen.Ga naar voetnoot56 |
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