De waardering van Gerbrand Adriaenszoon Bredero
(1960)–J.P. Naeff– Auteursrechtelijk beschermd
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ZusammenfassungGerbrand Adriaenszoon Bredero wurde 1585 in Amsterdam geboren, wo er auch 1618 starb. Während seines Lebens erlangte er nicht unbeträchtliche Beliebtheit mit einigen Tragikomödien und mit ‘De Klucht van de Koe’, ‘De Klucht van den Molenaer’ und den Lustspielen ‘Het Moortje’ und ‘De Spaansche Brabander’. Auch seine Lieder, die nach seinem Tod in ‘Het Boertigh, Amoreus, en Aendachtigh Groot Lied-boeck’ gesammelt worden sind, wurden sehr bekannt. Bredero wandte sich in einfachem, manchmal derbem Stil an das grosse Publikum. Die damals unter Einfluss der Renaissance beliebten verfeinerten Formen fehlen zwar auch bei ihm nicht, aber im allgemeinen und sicher in seinen persönlichsten Werken meidet er sie. Dadurch kennzeichnet eine derbe und offenherzige Unkompliziertheit der Form, die mit einer gewissen Primitivität der Struktur sowohl in der lyrischen als auch in der dramatischen Dichtung verbunden ist, sein Werk. Brederos Volkstümlichkeit im siebzehnten Jahrhundert scheint auf seiner ungeniert realistischen und humoristischen Darstellung von Amsterdamer Volkstypen und Einfalt der Gesinnung zu beruhen. Seine Werke sind den Lustspielen seiner Zeitgenossen Hooft und Huygens und den Gemälden der Hals, Brouwer, Van Ostade und Steen verwandt.
Nach dem Tode Brederos blieb sein Werk denn auch bekannt. Die gesammelten Werke wurden 1638, 1644 und 1678 neu aufgelegt; von ‘De Spaansche Brabander’ erschienen 1618, 1619, 1621, 1632, 1633, 1647, 1662, 1669, 1696, 1705, 1720 und 1729 Einzelausgaben. ‘De Spaansche Brabander’, ‘Het Moortje’, ‘De Stomme Ridder’ und ‘Lucelle’ gehörten zum ständigen Theaterrepertoire und besonders die Lustspiele wurden häufig von andern Dichtern zum Vorbild genommen. In der Periode, in der der Klassizismus sich durchsetzt, also nach 1680, lässt das Interesse jedoch bald nach. Ein Jahrhundert später ist Bredero nahezu ganz in Vergessenheit geraten. Nach 1729 ist länger als ein Jahrhundert keines seiner Werke mehr gedruckt worden. Das verfeinerte Interesse an Form und Anstand stösst sich an Brederos unverblümter Offenheit und lehnt ihn ab. Von etwa 1780 an wird das aber langsam anders. Als Reaktion auf | |||||||||||||
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den überverfeinerten Klassizismus greift man auf die Periode von Hollands Grösse zurück, auf das ‘Goldene Zeitalter’. Anfangs zögernd, auf Anregung der bekannten Schriftstellerin E. Wolff-Bekker, aber nach 1830 mit mehr Ueberzeugung, wächst die Bewunderung für den Realismus in der dramatischen Dichtung Brederos, danach auch für den Realismus in seiner Lyrik. Bei den kräftigen Versuchen der Führer der niederländischen literarischen Kritik, dem niederländischen Volk den Spiegel der Vergangenheit vorzuhalten, benutzen Potgieter und Bakhuizen van den Brink auch das Werk Brederos. Ihre Beurteilung beruht allerdings nur selten auf künstlerischen Gründen, ihre Argumentation bezweckt an erster Stelle, den Leser des neunzehnten Jahrhunderts davon zu überzeugen, dass es ungerecht ist, Bredero von dem Standpunkt der Sittlichkeit aus zu verurteilen, da sein Werk tatsächlich kerngesund ist. 1859 veröffentlicht Ten Brink eine ausführliche Monographie, in demselben Jahr gibt Oudemans ‘Het Moortje’ heraus und 1869 Verwijs ‘De Spaansche Brabander’. Als 1885 das Geburtsjahr Brederos zum ersten Mal feierlich begangen wird, erscheint ein Bredero-Gedenkbuch mit Aufsätzen mehrerer Gelehrten und auch die erste Lieferung einer Neuauflage der gesammelten Werke, die mit einer Einleitung Kalffs 1890 vollständig vorliegt. Auch wird 1885 Brederos ‘Moortje’ wieder aufgeführt. Dann stellt sich auch heraus, dass es den Literaturhistorikern des neunzehnten Jahrhunderts nicht gelungen ist, ihre Begeisterung und Bewunderung auf ein grösseres Publikum zu übertragen; das Interesse ist nur gering und die Kritik vorwiegend negativ. Unter Einfluss der um 1880 auftretenden Dichtergeneration welche ‘die Bewegung von 1880’ genannt wird, ändern sich die Ansichten jedoch stark. Ihr Interesse am individualistischen Kunstwerk und ihr Sinn für literarische Schönheit wenden sich begeistert der Lyrik Brederos zu. Verwey gibt 1893 eine Auswahl von Brederos Lyrik heraus und bewundert in seiner Einleitung vor allem die wehrlose Ehrlichkeit und Spontaneität der Liebesgedichte. Doch auch die Vorkämpfer des neuen Naturalismus, etwa Netscher, glauben, in Brederos Lustspielen und Schwänken ihre Theorien bestätigt zu finden, und dieses führt 1898 zu neuen Aufführungen von ‘De Spaansche Brabander’. Als die Ansichten der Bewegung von 1880 nach einiger Zeit in weiterem Kreise angenommen worden sind, erreicht die Anerkennung Brederos einen Höhepunkt. Brederos dramatische Dichtung gilt nunmehr als wesentlich tragisch, und in ekstatischen Worten spricht | |||||||||||||
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namentlich Professor Prinsen über die Weite und Tiefe von Brederos Dichterblick. Auch auf die Lyrik werden diese Betrachtungen angewandt, wobei das Interesse sich dann mit auf die religiöse Dichtung richtet. Nach dem ersten Weltkrieg finden auch in den Niederlanden Anschauungen über das Tragische im Menschen mehr Anklang. Als das Interesse für Baudelaire und Verlaine wächst, entwickelt sich die Beurteilung Brederos in neuer Richtung. Als poète maudit fesselt Bredero den Essayisten Coster, der auch Dostojewski sehr bewunderte. Und auch die Vitalisten, die sich in ihrer Reaktion entgegen den ‘Tachtigers’ von impressionistischer und individualistischer Formverfeinerung abwenden, fühlen sich Bredero verwandt, wie deutlich aus einem umfangreichen Gedicht ihres Führers Marsman hervorgeht.
In der Beurteilung Brederos - und anderer - haben nach 1880 die Dichter die Initiative von den Literaturhistorikern übernommen. Insofern sie nicht den herrschenden literarischen Strömungen dienen, wie Prinsen es in bezug auf die Bewegung von 1880 tat, scheint es, dass die Aufgabe der Literaturhistoriker mehr in der Relativierung der Ansichten über die ältere Literatur liegt als in deren Erneuerung. In bedächtigem Ton erheben Knuttel, Van Rijnbach und De Vooys Einspruch gegen allzu wilde Anschauungen. Andere wenden vorsichtig moderne Theorien auf Brederos weniger bekannte Werke an, wie Overdiep es in bezug auf die Tragikomödien tat. Um diese Kritik kümmern sich die Dichter kaum. Ohne Rücksicht auf Objektivität äussern sie ihre Ansicht über Bredero und erreichen damit ein viel grösseres und bunteres Publikum als die Literaturhistoriker. Marsmans hinreissendes Gedicht ‘Breero’ wurde sehr bekannt, der vielgelesene Romanschriftsteller De Jong spricht mit seinem Roman ‘De Dolle Vaandrig’ ein einfacheres Publikum an.
In den Kapiteln II bis einschliesslich IX wird so detailliert wie möglich die Entwicklung der wechselnden Beurteilung Brederos dargestellt. Ausgangspunkt war dabei die Erwägung, dass alle Urteile über Bredero zusammen nicht ein neues Licht auf Bredero werfen, sondern vor allem auf die Zeiten, in denen die Urteile ausgesprochen werden. Eine historische Uebersicht der Beurteilung eines Dichters kann zur Einsicht in die Anschauungen der behandelten Perioden besonders darin beitragen, wenn in bezug auf diesen Dichter Fragen Berücksichtigung finden, die auch für andere Perioden von Bedeutung sind. | |||||||||||||
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Im Hinblick auf Bredero ist dies ohne Zweifel der Fall. Es entspricht der Eigenart seiner Persönlichkeit und seines Werkes, dass ein Urteil über Bredero fast immer mitbestimmt wird durch das Urteil über die Grenzen des Statthaften in seinen Texten, über das Gleichgewicht zwischen der Unmittelbarkeit des Ausdrucks und der Nachlässigkeit der Form oder zwischen einer ‘schlechten’ Lebensführung und dem künstlerischen Wert der Werke. Ein Wandel der Ansichten in bezug auf Bredero tritt Ferner deutlich hervor im Vergleich mit Zeitgenossen Brederos oder mit Vertretern derselben Gattung, und gerade diese Vergleiche werfen ein Licht auf die Einsicht in die literarische Konstellation einer bestimmten Periode. Ausserdem verschafft eine historische Uebersicht des Wandels in der Beurteilung eines Dichters genauere Einsicht in die gesellschaftliche Funktion, welche dieser auch nach seinem Tod mit seinen Werken erfüllt. Um die gesellschaftliche Funktion in Einzelheiten darzustellen, wäre es nötig, alle Leserurteile und alle Lesertypen zu kennen. Da dies unmöglich ist, hat die Untersuchung sich auf eine möglichst gewissenhafte Analyse von all dem beschränkt, was etwaigen Lesern unter die Augen kommen konnte. Ausgaben von Brederos Werk, Teile seines Werkes in Anthologien, Besprechungen seiner Werke in Aufsätzen und Handbüchern wurden dazu gesammelt und besprochen. Sie wurden in Perioden von fünfzig Jahren eingeteilt, die sowohl einer üblichen Einteilung der niederländischen Literaturgeschichte als auch den besondern Aspekten der Beurteilung Brederos entsprechen, und die durch die Jahreszahlen 1630 - 1680 - 1730 - 1780 - 1830 - 1880 - 1930 - 1950 begrenzt sind. Das auf diese Weise gesammelte Material zeigt deutlich, wie in wissenschaftlichen Kreisen wechselnde Ansichten in bezug auf Bredero zutage treten, aber selbstverständlich ist die gesellschaftliche Funktion des Dichters damit nur zum Teil dargestellt worden. Zunächst zeigte sich schon, dass es nicht nur die Literaturhistoriker sind, welche die herrschenden Ansichten bestimmen. Aber zudem ist die gesellschaftliche Funktion eines Schriftstellers nicht dadurch begrenzt, wie in Fachkreisen über ihn geurteilt wird, sie erstreckt sich auf all die, die über diesen Schriftsteller eine wenn auch nur sehr oberflächliche Meinung haben. Und darum ist es notwendig, sich ein Urteil zu bilden über alles, was in Schulbüchern, Zeitungen, Nachschlagewerken oder Romanen über Bredero geschrieben worden ist. Eine historische Uebersicht all dieser oft flüchtigen und oft identischen Urteile kann die Geschichte der Aussprachen der offiziellen | |||||||||||||
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Literaturgeschichte wesentlich ergänzen. Anderseits ist eine solche Uebersicht aus einer derartigen Anzahl kleiner und kleinster Urteile zusammengesetzt, dass sie entweder unlesbar und unübersichtlich oder allzu oberflächlich wäre. Die vorstehende Untersuchung ist denn auch kein Versuch, zweimal eine gleichartige historische Uebersicht zu geben; sie beschränkt sich auf eine Uebersicht über die offizielle Literaturgeschichte in bezug auf Bredero. Daraufhin sind beide Materialsammlungen zu einer statistischen Uebersicht verarbeitet und auf dieser Grundlage miteinander verglichen worden. Zu der Gruppe der offiziellen Beurteilung gehören: wissenschaftliche Aufsätzen, Monographien, wissenschaftliche Ausgaben und Handbücher der Literaturgeschichte. Zu der Gruppe der offiziösen Beurteilung: die volkstümlichen Ausgaben und Anthologien, Nachschlagewerke, Literaturgeschichten für die Schule, Besprechungen von Aufführungen, Aufsätze in Tages- und Wochenzeitungen und literarische Neuschöpfungen, Romane und Gedichte über Bredero. Von diesen beiden Gruppen wurde versucht, festzustellen, in wiefern sie sechs für die Entwicklung der Beurteilung Brederos wichtige Standpunkte vertreten. Die Standpunkte sind:
Jedem Standpunkt ist ein bestimmter Wert zuerkannt, gemäss dem Nachdruck, mit dem der Standpunkt vertreten wird. Eine Prozentumrechnung zeigt Tafel I (S. 148), in der die offizielle und offiziöse Beurteilung Brederos per Periode von fünfzig Jahren miteinander verglichen worden sind. Mit dieser MethodeGa naar voetnoot* kann nachgewiesen werden, dass der Unter- | |||||||||||||
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schied zwischen der offiziellen und der offiziösen Beurteilung Brederos fast immer bedeutend ist, dass in der offiziösen Beurteilung Aenderungen schneller und radikaler eintreten, und dass die offiziöse Beurteilung sensationellere Fassungen vorzieht.
In den Gedichten, die sich am meisten in Anthologien finden, spiegelt sich der Wandel in der Beurteilung. Tafel III (S. 153) zeigt, für welche der bekanntesten Gedichte das Interesse mehr in der Vergangenheit oder mehr in der Gegenwart liegt. Dabei zeigt es sich, dass die tragischen religiösen Gedichte in letzter Zeit am meisten Anklang finden, dass zuvor die schmerzlichen Liebesgedichte am meisten bewundert wurden, und dass die Bewunderung für die weniger persönlichen Liebesgedichte und die Schwankdichtung ihren Höhepunkt überschritten hat. |
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