Verzamelde werken. Deel 4. Cultuurgeschiedenis 2
(1949)–Johan Huizinga– Auteursrecht onbekendVI. Der dichterische Ausdruck für die Beziehung von Idee und FormWeder das moralische Thema seiner beiden Dichtungen, noch die bunte, schwerfällige und nicht ganz schlüssige Einkleidung desselben in den Apparat der Allegorie, enthält eigentlich dasjenige, was Alanus zum Dichter des mittelalterlichen Realismus stempelt. Wie vorhin schon angedeutet wurde, findet man dieses Dichterische in seinem Sprachgebrauch, in den Mitteln, die er anwendet, um den Grundgedanken, der ihn nicht loslässt, auszudrücken. Dieser Grundgedanke gilt der genauen Wiedergabe des Prozesses, der von den ewigen Urbildern zu den einzelnen Formen führt. Dazu genügt ihm der philosophische Wortschatz nicht. Er muss diesen unbegreiflichen Akt, diese mystische Beziehung immer wieder durch eine Fülle lebendiger und prägnanter Bilder ausdrücken. Das Poetische ist hier unmittelbar mit dem Theologischen verknüpft, das Bild vom Begriff bestimmt, die dichterische Phantasie fliesst mit der Glaubenskraft zusammenGa naar voetnoot2. | |
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Die überwiegende Präokkupation durch die Beziehung zwischen Form und Idee bedingt bei Alanus das völlige Fehlen der eigentlich symbolischen Einstellung, von dem früher schon die Rede war. Der Symbolismus, in welchem die Dinge, als Vergegenwärtigungen anderer und anders gestalteter Dinge immer auf ihr Höheres hinweisen, entspricht einer ganz anderen Art der Hingabe des Geistes an das Absolute. In einem Satz, der ein symbolisches Verhältnis ausdrückt, - zum Beispiel: der Löwe ist Christus - weicht die primäre Beschaffenheit des Subjekts von derjenigen des Prädikats weit ab, das Verbum aber, das beide verbindet, ist belanglos, es hat nur eine Korrespondenz, ein Bedeuten oder Gleichsein zu besagen. Gilt es aber, wie für Alanus, die Beziehung zwischen Idee und Form auszudrücken, so handelt es sich allerdings ebenfalls um zwei Wesenheiten, eine höhere und eine niedrigere; diese sind aber ihrer Bedeutung nach schon identisch, der Schwerpunkt der Aussage, deren Subjekt stets die Gottheit oder ihre Vertretung ist, liegt auf der Handlung, die von der Idee zur Form führt; das Verbum ist also äusserst prägnant und sinnvoll. Wir werden jetzt die verschiedenen Handlungen, unter deren Bilde Alanus sich die ewige Erzeugung der Formen vorstellt, der Reihe nach ins Auge fassen. In der Invokation, Anticlaudianus V c. 5, die ich obenGa naar voetnoot1 ganz anführte, findet man die meisten dieser Ausdrücke schon beisammen. Als allgemeinste, und am wenigsten bildhafte Darstellung des Vorganges möchte ich folgende Begriffe auffassen:
Omnia sub numero claudens, sub pondere sistens,
Singula sub stabili mensura cuncta coercens.
Der Anklang an Liber sapientiae XI 21: sed omnia in mensura et numero et pondere disposuisti ist offensichtlich; zu beachten ist, dass erst Alanus statt des neutralen disponere die prägnanteren Vorstellungen des Schliessens, des Festsetzens und des Einhegens einführt. Eine ganze religionswissenschaftliche Abhandlung liesse sich an das Bild des Bindens oder Knüpfens in ...excludis nexu mediante tumultumGa naar voetnoot2 anschliessen: wir erwähnen das Bild hier nur im Vorbeigehen. Den genannten Vorstellungen am nächsten verwandt ist die des | |
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Kleidens. Wir fanden sie in den Worten der Ode an die Natur: quae Noys puras recolens ideas... res togas formis, chlamidemque formae pollice formasGa naar voetnoot1, mit dem merkwürdigen Überspringen vom Bilde des Kleidens auf dasjenige des Töpfers. Ebenso wurde schon zitiert: Qui veterem massam de vultus sorde querentem, investis meliore toga...Ga naar voetnoot2 Auch hier liegt eine Tradition zu Grunde, die bis auf Plato zurückgeht; in orphischen und neuplatonischen Gedankenkreisen nimmt sie die verschiedensten Formen an; Claudian kann sie unserem Dichter vermittelt habenGa naar voetnoot3. Häufiger jedoch als diese Bilder und anscheinend seinem Bedürfnis nach starkem Sinngehalt besser entsprechend ist eine Gruppe von Ausdrücken, die Alanus der Handlung des Münzprägens oder Siegelns entlehnt. Wir fanden sie schon an denselben Stellen wie die behandelten: von der Natur singulas rerum species monetansGa naar voetnoot4, von Gott selbst formaeque sigillo signansGa naar voetnoot5. Oder statuit (Deus), ut expressae conformationis monetata sigillo, sub derivandae propagationis calle legitimo, ex similibus similia educerentur. Me (Naturam)... rerum generibus sigillandis monetariam destinavit, ut ego in propriis incudibus rerum effigies commonetans, ab incudis forma conformatum deviare non sineremGa naar voetnoot6. Das Wort monetare ist erst mittellateinisch, hier kann also ein antikes Vorbild nicht unmittelbar vorliegen. Was das Bild des Siegelns anbetrifft, handelt es sich hier um etwas ganz anderes als die horrenda similitudo de sigillo aereo, welche St. Bernard in den Schriften Abaelards fand, und vom Konzil zu Soissons verurteilen liess. Abaelard hatte das Bild des Siegelns auf das Verhältnis der drei Personen der Trinität angewandt, so dass der Vater aes ipsum, der Sohn das sigillabile, der Heilige Geist das sigillans darstellteGa naar voetnoot7. Zu bemerken ist, dass die Metaphern für den höchsten Schöpfungsakt ganz natürlich auch auf andere, niedere Beziehungen der Erzeugung oder der Ähnlichkeit übergehen. Die Verbindung Idee-Form beherrscht Alanus so stark, dass jedes ‘Entsprechen’, jedes ‘Ähnlichsein’ sozusagen in diesen Denkzusammenhang hineingerät. Der Beziehung Idee und Form entspricht diejenige von Fuss und Schuh: | |
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calcei... ita familiariter pedum sequebantur ideas, ut in ipsis pedibus nati, ipsisque mirabiliter viderentur inscripti, in quibus vix a vera degenerantibus essentia etc..Ga naar voetnoot1 Jedes Bekräftigen, Formen oder Nachahmen heisst münzen oder siegeln: Seneca mores ratione monetat, - ursa... ipsos (fetus) stylo linguae crebrius delambendo monetans (Vermischung der Bilder!) meliorem ducebat in formam, - illic psittacus cum sui gutturis incude vocis monetam fabricabat humanae (ein Falschmünzer also). Von Donatus: at emphasis ipsam grammaticam vocat hunc, signans sub nomine numenGa naar voetnoot2. Sogar die einfache Gleichheit von Farbe oder Geruch bei verschiedenen Gegenständen wird in dieses Schema des Erzeugens oder Darstellens hineingezogen: ...frons lilia, balsama naris,
Dens ebur, osque rosam parit, offert, reddit, adaequat.Ga naar voetnoot3
Zur Bildgruppe des Siegelns oder Münzens gehört auch der Amboss oder die Matrize: incus. Die incus trägt das Siegelbild, und steht also für das exemplar, das formgebende PrinzipGa naar voetnoot4. Zugleich aber wird incus auch als Bild für den Mutterschoss verwendetGa naar voetnoot5. In diesem Sinne gebraucht, passt das Bild, scheint mir, nicht in das allgemeine Schema hinein. Wo die Verbindung von Subjekt und Form connubium genannt wird, ist doch anscheinend die Bildvorstellung eine andereGa naar voetnoot6. Die sexuelle Vereinigung selbst ist als Bild bei Alanus kaum zu finden. Das Thema des De Planctu brachte es mit sich, dass für den Zeugungsakt hingegen vielerlei Bilder dienen mussten, vor allem die der Grammatik und Logik entlehntenGa naar voetnoot7, eine im mittelalterlichen Schulgebrauch bekanntlich beliebte Metapher.
Weitaus die häufigste jedoch von den bei Alanus gebräuchlichen Figuren ist diejenige des Malens oder Schilderns. Die Wörter pingere, pictura finden sich in seinen beiden dichterischen Werken sozusagen auf jeder Seite. Das hat natürlich seinen guten Grund schon in der allegorischen Darstellung selbst. Jede seiner Personifikationen trägt auf ihrem Kleide die ausführliche Verbildlichung des ganzen Begriffskreises, den sie vertritt; so zeigt das Kleid der Natur selbst die ganze Tierwelt u.s.w., die sieben freien Künste tragen jede ihren Stoff auf | |
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ihrem Kleide dargestellt. Dieses schon in der antiken Poesie beliebte Kunstmittel bringt es also mit sich, dass pingere, pictura fortwährend vorkommen, im einfachen und direktem Sinne, wobei es nicht deutlich wird, ob der Dichter sich des Unterschiedes zwischen Stickerei, acu pingere, und Malerei bewusst bleibt. Doch darum handelt es sich hier nicht. Die Funktion des Begriffes Malen selbst, seine metaphorische Anwendung, ist bei Alanus merkwürdig. Die Vorstellung des Malens präokkupirt ihn. Sie wird ihm zum beliebtesten und sinnreichsten Ausdruck für die Beziehung, die überhaupt, wie wir sahen, den cardo seiner Dichtung ausmacht: die Relation Idee-Form. Oben wurde schon bemerkt, wie das starke Gefühl des Alanus für Bildform und Farbe in den theologischen Traktaten kaum zu verspüren istGa naar voetnoot1. Der Predigt verbietet er die bunte Farbe. Versuchen wir, den metaphorischen Gebrauch von pingere, pictura bei Alanus dem Sinne nach genauer zu unterscheiden. Dem buchstäblichen Sinn folgt zunächst die direkte oder einfache Metapher, wo ein Sichtbares, wegen seiner bunten Schönheit oder seines Glanzes als gemalt gedacht wird.
Sic flores alii rident, varioque colore
Depingit terram florum primaeva juventusGa naar voetnoot2
Oder:
Quo coeli faciem depingunt sidera...Ga naar voetnoot3
Auch wo die Sichtbarkeit eine ideelle ist, bleibt der Sinn der gleiche:
Cur obliqua means declivi limite ducta
Linea Signiferi duodeno sidere coelum
Pingat...Ga naar voetnoot4
Sodann kann pictura heissen, was etwas anschaulich macht, bezeichnet oder lehrt:
Haec pictura suis loquitur mysteria signis.Ga naar voetnoot5
- hier ist ein wirklich Gemaltes Zeichensprache, im Folgenden aber nicht: | |
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Jetzt aber wird pingere das Wort für Formgeben überhaupt, zunächst im höchsten Sinne von der Gottheit selbst gebraucht. Wir zitierten schon in anderem Zusammenhang:
Efficiens causa, dum rem producis ad esse,
Formalis dum pingis eam...Ga naar voetnoot2
Ebenda:
Qui rerum species et mundi sensilis umbram
Ducis ab exemplo mundi mentalis, eumdem
Exterius pingens terrestris imagine formae...
Der selbe Sinn in: Deus ab ideali praeconceptionis thalamo mundialis palatii fabricam voluit enotare, etiam mentale verbum quod ab aeterno de mundi constitutione conceperat, reali ejusdem existentia velut materiali verbo depingere...Ga naar voetnoot3 Oder: ...animamque creare Nescia (i.e. Natura) quam sola pictoris dextra superni Format...Ga naar voetnoot4
BaumgartnerGa naar voetnoot5 sieht in dem Passus, welcher die beiden ersten dieser vier Stellen enthält, wohl mit Recht eine Nachahmung von Boethius, De consolatione l. III metr. 9; das Bild des Malens findet sich dort aber nichtGa naar voetnoot6. Gott und die Natur als Maler kennt auch Petrus Riga:
Haec est quam coeli pictor Deus intus et extra
Pinxit, et angelica dote polivit eam.Ga naar voetnoot7
Bei Hildebert findet man es im Gedicht De ornatu mundi:
Hic experta fuit natura quid ars sua posset,
Et quanto potuit pinxit honore locum.Ga naar voetnoot8
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Das Bild geht auf die Natur als vicaria Dei über:
Singula quae nostrae pinxit solertia dextrae.Ga naar voetnoot1
Pingere wird somit das Wort für jedes Ausdrücken, Formgeben, Darstellen, Repräsentieren. Am nächsten dem eben behandelten Sinn verwandt ist das Bild im Folgenden. Die Logik zeigt:
Quomodo res pingens descriptio claudit easdem,
Nec sinit in varios descriptum currere vultus.Ga naar voetnoot2
Der Akt des Einschliessens in den Begriff ist dem Fixieren eines Bildes gleichgestellt. Einfaches Ausdrücken bezeichnet das Wort pingere in: ...Sic mentis lingua fidelis
Fit manus et proprio mentem depingit in actu.Ga naar voetnoot3
Oder: pingit concepta loquela; suo mentem sermone figurans’.Ga naar voetnoot4 Für ‘einen Sinneseindruck geben’ steht es in: in mentali intellectu materialis vocis mihi depinxit imaginem.Ga naar voetnoot5 Jedes Ähnlichsein, Nachahmen, Wiedergeben kann durch pingere ausgedrückt werden. ...pubescens tenera lanugine florum
Sideribus stellata suis, succensa rosarum
Murice, terra novum contendit pingere coelumGa naar voetnoot6.
Die Vögel pingunt ore lyram...Ga naar voetnoot7 Im oben schon zitierten Rhythmus über die Hinfälligkeit des Menschen heisst es:
Nostrum statum pingit rosa...Ga naar voetnoot8
Der Sinn der Metapher ist also wieder abgeschwächt zu einer blossen Gleichsetzung von Bild und Wort, so wie auch die modernen Sprachen die Metapher des Schilderns täglich und ohne Prägnanz gebrauchen. Die Schilderung ist loquens scripto clamansque figuris, muta amenGa naar voetnoot9. Rhetorica ist die beste Malerin, totam pictoris artem sub pectore tclaudensGa naar voetnoot10. | |
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Im Verhältnis jedes Dargestellten zu seinem Gegenstand fühlt man sich erinnert an die Beziehung der Formenwelt zur ewigen Idee, und pingere drückt den Akt aus, welcher den Formen diesen repräsentierenden Charakter gibt. Die Wesensart der Formen ist immer eine abgeleitete, die Spiegelung eines Höheren. Obwohl pingere in höchster Instanz die göttliche Aktivität selbst bedeutet, und es keine wahrere Art der Existenz als das Resultat dieser pictura geben kann, fühlt der Dichter darin immer doch den Schein, den Trug. Diese Existenz ist im Grunde nichts.
O nova picturae miracula, transit ad esse
Quod nihil esse potest! picturaque simia veri
Arte nova ludens in res umbracula rerum
Vertit et in verum mendacia singula mutat.Ga naar voetnoot1
All diese Malerei, um die es sich handelt, bezieht sich immer auf die Formenwelt als solche; die Formen selbst sind damit gemeint. Der Gedanke kreist hier ständig um das Mysterium des Universalien-problems. Was nichts sein kann, geht zum Sein über; dennoch ist diese Schilderung eines Seins nur der Affe des Wahren, sie spielt nur mit dem Schatten der Dinge, und verwandelt die einzelnen Lügen in Wahres!
Haec pictura suis loquitur mysteria signis
Nec res ipsa magis, nec lingua fidelius unquam
Talia depingit, talique sophismate visum
Decipiens oculis, rerum concludit in umbra.Ga naar voetnoot2
Dieses Bildsein aber kommt der Wahrheit näher als der logische Beweis.
Sic logicae vires artis subtiliter hujus
Argumenta premunt, logicaeque sophismata vincunt.
Haec probat, ista facit; haec disputat, impetrat ista
Omne quod esse potest: sic utraque vera videri
Falsa cupit; sed ad haec pictura fidelius instat.Ga naar voetnoot3
Das Gemalte, das heisst also im tieferen Sinne das Geschaffene, bekommt ein zweites Leben, ein Leben sui generis; dennoch sind es | |
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nur faceta mendacia, ein entlehntes, gebetteltes DaseinGa naar voetnoot1. Die picturae sind lascivia, der pictor ist ein histrio veriGa naar voetnoot2. Das Gemalte endlich ist ein TraumGa naar voetnoot3. Das bemalte Haus der Natur zeigt die somnia veri. Auf dem Kleid der Prudentia
Somniat hic rerum species pictura resultansGa naar voetnoot4.
In all diesem anscheinend nur bunten und rhetorischen Bildwerk sucht der Geist des Dichters poetisch auszusprechen, was seine Theologie ihm in ihrer begrifflichen Starrheit nicht vollkommen ausdrückt: das zentrale Wunder der Erschaffung der Formen. Das neuplatonische Gerüst fand er bei seinen Vorgängern, vor allem bei Bernardus Silvestris. Die bunte Ausmalung des Themas gehört AlanusGa naar voetnoot5. In diesem dichterischen Sprachgebrauch selbst liegt mit etwas vom Besten, das er zu sagen hatte. |
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