Verzamelde werken. Deel 4. Cultuurgeschiedenis 2
(1949)–Johan Huizinga– Auteursrecht onbekendI. Die Figur des Alanus und seine WerkeEs wäre für unsere Fragestellung wichtig, wenn man sich von der Person des Alanus überhaupt, von seinem Leben und Wirken, eine einigermassen klare Vorstellung machen könnte. Leider erlaubt dies die höchst spärliche Überlieferung nicht. Die Dürftigkeit zuverlässiger Daten für sein Leben steht in einem auffallenden Gegensatz zu dem grossen Ruhm, der dem Magister Alanus schon bei seinen Lebzeiten zuteil wurde, und bis am Ende des Mittelalters erhalten blieb. Als Alanus Magnus und Doctor Universalis war er bald weltberühmt und zur Legende geworden. Weder seine Herkunft, noch die Zeit seines Lebens, ja nicht einmal die Trennung seiner Person von anderen Schriftstellern desselben Namens stand mehr fest. Schon im Jahre 1482 haben die Autoritäten in Citeaux, als sie ihm ein neues Grabmal und eine neue Grabschrift setzten, sich in Bezug auf seine Lebenszeit um ein ganzes Jahrhundert geirrt, indem sie ihn 1294 sterben liessen. Schon damals hat man ihm deutsche Herkunft zugeschrieben, während doch Johannes de Garlandia noch gewusst hatte, dass er aus Flandern stammte, und Otto von St. Blasien und Alberich von Trois-Fontaines, wann er gelebt hatte. Es steht heute durchaus fest, dass er um 1128 in Lille, von dem er den Namen trägtGa naar voetnoot1, geboren sein muss, und dass das Französische seine Muttersprache warGa naar voetnoot2. Auch sein Todesjahr 1202 | |
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ist gesichert. Von seiner Lebensgeschichte sind die Lehrtätigkeit in Paris, ein längerer Aufenthalt in Montpellier, die Anwesenheit auf dem Laterankonzil 1179, und das Lebensende in Citeaux nicht zu bezweifeln. Man hat ihn bald nach seinem Tode mit wenigstens zwei anderen Schriftstellern des Namens Alanus vermengt. Unter den ihm zugeschriebenen Schriften ist die endgültige Trennung des Authentischen vom Verdächtigen oder Falschen noch nicht vollzogen. Sein hoher Ruhm wird ausser durch seine Beinamen durch die Stelle bezeugt, die eine Miniatur aus dem Jahre 1418 (erwähnt von M. GrabmannGa naar voetnoot1) ihm neben Thomas von Aquino als Vertreter der Theologie einräumt, und nicht zuletzt durch die Legendenbildung, die schon im XIII. Jahrhundert sein Bild umrankt hatte. Dem Magister Alanus gilt ursprünglich die schöne Legende von dem grossen Theologen, der, während er an einem Fluss oder am Meer spaziert und eine Erklärung der Trinität, die er versprochen hat, meditiert, einem Knaben begegnet, der in ein kleines Loch mit einer Nussschale oder einem Löffel Wasser schöpft, und auf die Frage, was er damit vorhabe, antwortet: ‘Eher werde ich diesen Fluss in dieses Loch ausschöpfen, als dass du in einer Predigt die Dreieinigkeit erklären kannst’Ga naar voetnoot2. - In der Überlieferung wird dieser Begebenheit unmittelbar eine zweite beigefügt: Alanus geht ganz verwirrt nach Hause, und wie er am nächsten Tage vor der übergrossen Schar steht, die sich versammelt hat, um seine Predigt zu hören, spricht er bloss die Worte: Sufficiat vobis vidisse Alanum, und steigt von der Kanzel herab. Vor dem 1482 errichteten Grabmal in Citeaux befand sich noch | |
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im XVIII. Jahrhundert im Boden eine einfache Grabplatte mit der älteren Inschrift:
Alanum brevis hora brevi tumulo sepelivit
Qui duo, qui septem, qui totum scibile scivit.
Wichtiger als diese Zeugnisse einer staunenden Bewunderung durch die Nachwelt ist uns ein Zeugnis, - das einzige, kann man sagen -, das Alanus selbst über seine Person hinterlassen hat. Zu seinen beglaubigten Schriften gehört das Gedicht, das in den Ausgaben die Überschrift trägt Liber Parabolarum oder Doctrinale minus, und das in 321 Distichen eine Anzahl von sprichwörtlichen Redensartens aufzählt und ausführt. Hier heisst es im vierten AbschnittGa naar voetnoot1:
Simpliciter caecus prohibetur ducere caecum,
Ne caecus caecum ducat in antra suum.
Sed tamen insanum prohibere nequimus Alanum
Quin dubio caecos ducere calle velit.
Non queritur quod turpe pedes offendat eundo,
Sed quod tam pauci nocte sequuntur eum.
Miror et admiror quod iter ducis arripit ille,
Quem constat nunquam scisse vel isse viam.
Ein Geist, der mit solcher Selbstironie von seinem Lebenswerk reden konnte, ist jedenfalls wert, etwas näher auf seinen allgemeinen Gehalt hin geprüft zu werdenGa naar voetnoot2. Eine Nachprüfung der Ergebnisse in Bezug auf die Unterscheidung des Echten und Unechten in den Alanus zugeschriebenen Schriften kommt hier nicht in Betracht. Das Wichtigste ist durch die Untersuchungen von Hauréau, Bäumker, Baumgartner und Grabmann gesichert, und bei Manitius zusammengestelltGa naar voetnoot3. Es genügt, neben den | |
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beiden Dichtungen, die für uns im Vordergrund stehen, auf die Hauptwerke theologischen oder moralischen Inhalts hinzuweisen. Von den letztern erwähnten wir schon die Parabolae. Salimbene zitiert einen Spruch darausGa naar voetnoot1. - De fide catholica contra haereticos libri IVGa naar voetnoot2 hängt mit dem Aufenthalt des Alanus in Südfrankreich zusammen. Das erste Buch richtet sich gegen die Albigenser, das zweite gegen die Waldenser, das dritte gegen die Juden, das vierte gegen die pagani, womit die Mohammedaner gemeint sind. Das Werk ist einem Grafen von Montpellier gewidmet. - De regulis sanctae theologiaeGa naar voetnoot3 enthält in drei Büchern 125 Grundsätze der Theologie. - Die in zahlreichen Handschriften unter den verschiedensten Titeln verbreiteten Distinctiones dictionum theologicarumGa naar voetnoot4 sind ein alphabetisch geordnetes Lexikon biblischer Wörter und Ausdrücke, in ihrer wörtlichen und allegorischen Bedeutung. Ein Traktat De arte catholicae fideiGa naar voetnoot5, von Baumgartner, M. de Wulf und Cl. Bäumker dem Alanus zugeschrieben, wird ihm von anderen, wie Hauréau, und in einer eingehenden Nachprüfung von M. Grabmann, abgesprochen. Neben den genannten Werken kommen noch in Betracht die Elucidatio in cantica canticorum, ein Liber sententiarum und die Summa de arte praedicatoriaGa naar voetnoot6, sowie zwei kleinere strophische GedichteGa naar voetnoot7 von denen das eine zum Inhalt hat, wie die Menschwerdung Christi gegen alle Regeln der sieben Artes liberales verstosse, das andere die Hinfälligkeit des menschlichen Lebens warnend darstellt. Die Autorschaft des Alanus wird für alle diese Schriften kaum bezweifelt. Ein kleiner Traktat De vitiis et virtutibus, in einer Pariser Handschrift überliefert, wird schon von Otto von St. Blasien als Werk des Alanus erwähntGa naar voetnoot8, und hier im Anhang herausgegeben. Die zwei grösseren Dichtungen des Alanus, De planctu Naturae und Anticlaudianus, wurden noch von Baumgartner, wohl wegen ihres halb weltlichen Charakters, in Bezug auf ihre Abfassungszeit allen theologischen Schriften des Meisters vorangestelltGa naar voetnoot9. Diese Frage der Reihenfolge ist für unser Thema von Bedeutung. Sicher ist zunächst, dass das De planctu Naturae bedeutend früher anzusetzen ist als der Anticlaudianus. Im letztern Werke nimmt der Dichter sein altes Thema | |
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von der Klage der Natur in veränderter Gestalt wieder auf. Er schreibe, sagt er, ne meus sermo contraheret de curae raritate rubiginem, und in Versmass übergehend:
Auctoris mendico stylum, phalerasque poetae,
Ne mea segnitie Clio dejecta senescat;
Ne jaceat calamus, scabra rubigine torpens.
Scribendi novitate vetus juvenescere charta
Gaudet, et antiquas cupiens exire latebras
Ridet, et in tenui modulatur arundine musa.Ga naar voetnoot1
Die Anhäufung von Altersworten verrät an sich schon einen älteren Schriftsteller. Nun liegt zwischen De planctu Naturae und dem Anticlaudianus die Alexandreis von Walter von ChatillonGa naar voetnoot2. Man nimmt allgemein an, dass dieser das Motiv der klagenden Natur, im zehnten Buch vs 1-167, mit welchem der Tod Alexanders eingeleitet wird, bei Alanus gefunden habeGa naar voetnoot3. Anderseits enthält der Anticlaudianus eine boshafte Anspielung auf Walters Gedicht, der mit Maevius gemeint ist:
Maevius in coelos audens os ponere mutum
Gesta ducis Macedum tenebrosi carminis umbra
Pingere dum tentat, in primo limine fessus
Haeret, et ignavam queritur torpescere musam.Ga naar voetnoot4
Walters Gedicht, von dem dieser sagt, er habe fünf Jahre daran gearbeitet, war 1182 fertig, und erblickte 1184 die Öffentlichkeit. Auch wenn man schliesst, die Anspielung des Alanus beweise eben | |
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nur eine Bekanntschaft mit der Alexandreis in unfertiger Gestalt, und wenn man die sonstigen Anspielungen auf Begebenheiten nach 1181, die C.M. Hutchings in dem selben Passus findet, für unbewiesen hält, kommt die Abfassungszeit des Anticlaudianus doch jedenfalls nicht viel vor 1180 zu liegenGa naar voetnoot1. Das heisst also in die Zeit, als Alanus seine Tätigkeit als berühmter Lehrer schon hinter sich hatte, in die Zeit auch, in der seine wichtigsten theologischen Traktate verfasst sein müssen. Der Liber Distinctionum ist dem Abte Ermengald von St. Gilles (1179-1195) gewidmetGa naar voetnoot2. De fide contra haereticos nimmt Bezug auf die Beschlüsse des Laterankonzils von 1179Ga naar voetnoot3. Fest steht also die Tatsache, dass der Dichter des Anticlaudianus nicht ein noch halb weltlich gesinnter junger Magister gewesen ist, sondern der bewährte Theologe, der sich mitten in seiner ernsteren Arbeit noch einmal der Dichtkunst zuwendet. |
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