Nederduytsche poemata 1616
(1983)–Daniël Heinsius– Auteursrechtelijk beschermdIV Die holländischen GedichteDie 29 Gedichte der Nederduytschen Poemata wurden - höchstwahrscheinlich - vom Herausgeber Scriverius zusammengestellt. Dabei wurde motivisch und stilistisch Verwandtes vereint; dem Anfang und den beiden Schlußgedichten kommt eine besondere Bedeutung zu. Sie umrahmen das Ganze und zeigen die beiden Pole der Sammlung: patriotische Dichtung und Neuanfang der holländischen Dichtkunst im Kreise Dousas. Frühe Gedichte sind weiter ans Ende der Sammlung geschoben, genau wie Heinsius' Jugendelegien später an das Ende | |
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der lateinischen Gedichtsammlungen wanderten. Der um etwa 1600-1601 enstandene Austausch mit Dousa beschließt den Band, obwohl er eigentlich thematisch und chronologisch an den Anfang gehört. Doch 1616 hat die patriotische Dichtung mehr Gewicht und Nachfolge. Sammlung und Auswahl weisen nicht in die Richtung der Sonett- oder Gedichtzyklen der Pléïade, wo meistens Gedichte derselben Thematik oder Gattung zusammengefaßt sind, vielmehr stellen sie eine repräsentative Auswahl verschiedener Gedichttypen dar. Die verstreuten oder dem Heinsius zugeschriebenen holländischen Gedichte bringen nichts wesentlich anderes, als was in den Nederduytschen Poemata enthalten ist. Liebesgedichte nehmen einen breiten Raum ein, jedoch erscheinen von Anfang an Gedichte oder Verse, die der Gelegenheitsund Gedankenlyrik nahe stehen. Dousa's Gedicht ‘Ionckheer Iohan van der Does, Heere van Noortwijk aen Daniel Heins, eerst gekomen sijnde om te studeren tot Leyden’ (S. 62-63) muß, wie der Titel besagt, aus Heinsius' früher Studentenzeit stammen; der Hinweis auf Prinz Moritz' Sieg ‘niet verre van Westende’ (S. 63, die entscheidende Schlacht bei Nieuwpoort 1601) ermöglicht eine Datierung nach 1601. Ein Lobgedicht Heinsius' auf die Expeditionen nach Übersee und auf den Sieg von Prinz Moritz sind jedoch nicht bekannt; von den lateinischen Jugendwerken, den heroischen Briefen im Stile von Ovids Heroiden, blieben ‘Deidamia an Achill’ und ‘Andromache an Hector’ erhalten.Ga naar voetnoot41 Wichtig ist die Eingangsmetapher ‘O Heyns | |
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die van den Heynst dijn naem voert, door wiens hoef | Ontsprongen is geweest uyt 't grasig Helicone | De Caballijnsche vloet.’ Sie bezeichnet den in Dousas Kreis gebräuchlichen Dichternamen von Heinsius, der mit ‘Hengst’ in Verbindung gebracht das geflügelte Pferd Pegasus bedeuten sollte. Daher zeigt auch das Titelblatt der Nederduytschen Poemata in der linken unteren Ecke den Pegasus, wie er mit den Hufen gerade die Quelle Hippocrene, das Symbol dichterischer Inspiration, geschlagen hat. Dieses Gedicht und die darauf folgende Erwiderung von Heinsius wurden schon 1608 in Den Bloemhof und 1610 auch in den Nederduytschen Helicon mit aufgenommen. Heinsius' Huldigungsgedicht an Dousa, ‘Daniel Heins aen Ioncker Ian van der Does, Heere van Noortwijk’ (S. 64-66) steht einer Gruppe von (lateinischen) Widmungsgedichten an Dousa nahe, die nach dessen Tod 1604 mit einem poetischen Zyklus von Gedenkgedichten, ‘Manes Dousici,’Ga naar voetnoot42 abgerundet wurden. Neben den Elegien, die Dousa gewidmet sind (1603: I, 6, und II, 14), ist die Ekloge ‘Nordowicum sive infelix amor,’Ga naar voetnoot43 eine Imitation von Vergils 10. Ekloge, wichtig. Während in der Ekloge Dousa und Heinsius sich gemeinsam als Schäfer mit ihrer Dichtung im ländlichen Noordwijk (Dousas Herrensitz) von den Mühen des Alltags erholen, | |
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feiert das holländische Gedicht den Neubeginn holländischer Dichtung: Apollo wurde nicht auf Delos sondern in Holland geboren, er spricht nicht griechisch sondern holländisch. Die Übertragung der Apollo-Allegorie auf den Dousakreis ist zugleich eine Anspielung auf die Gründung der Universität Leiden (1575), an der Dousa maßgeblich beteiligt war und der Dousa als Kurator bis zu seinem Tod vorstand. Der allegorische Festzug am Gründungstag, dem 8. Februar 1575, zeigte die Ankunft der Sacra Scriptura gefolgt von den vier Aposteln, dahinter Apollo und die Musen, wie sie mit Neptuns Schiff landeten.Ga naar voetnoot44 Der Vergleich Dousas mit Apollo und mit Mars (Dousa verteidigte Leiden während der Belagerung) ist seitdem eine gängige Metapher.Ga naar voetnoot45 Das Eröffnungsgedicht der Nederduytschen Poemata ‘Op de doot ende treffelicke victorie van de mannelicken helt Iacob Heemskerck, Admirael, begraven binnen Amsterdam’ (S. 3-7) feiert den letzten entscheidenden Sieg vor dem Waffenstillstand, die Seeschlacht vor Gibraltar am 25. April 1607, in der Heemskerck, der Kommandant der Flotte, von einer der ersten feindlichen Kanonenkugeln tödlich verwundet wurde, als er in voller Rüstung auf Deck stand. Der Tod | |
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wurde den Mannschaften zunächst verheimlicht, um die schwierige Schlacht gegen eine Übermacht spanischer Schiffe und deren Feuerdeckung von der Festung Gibraltar nicht zu gefährden. Heemskerck erhielt ein Staatsbegräbnis am 8. Juni 1607 in der ‘Oude Kerk’ in Amsterdam, wo auch der prachtvolle Grabstein aufgestellt wurde, der in den Nederduytschen Poemata (S. 2) abgebildet ist. Hoofts berühmtes Distichon ist unter der lateinischen Vita (von Heinsius?) darauf zu erkennen: Heemskerck die dwars door 't ys en 't yser dorste streven
Liet d' eer aen 't land, hier 't lyf, voor Gibraltar het leven.
Diese in Hoofts Handschrift erhaltenen Verse sind dort vom 26.1.1609 datiert; so wird man auch Heinsius' Gedicht geraume Zeit nach dem Sommer 1607 ansetzen müssen, denn er hat sein Gedicht an das Grab gerichtet. Hooft schrieb am 29. Juni 1611 ein weiteres Epigramm, und es gab eine Reihe patriotischer Gedichte auf holländisch und lateinisch.Ga naar voetnoot46 Flüssigkeit, epische Breite und Anschaulichkeit zeichnen das Heinsius-Gedicht aus. Das als Epicedium beginnende Gedicht (Betrachtung des Grabes) geht im zweiten Teil mit der Laudatio des im Olymp aufgenommenen Helden Heemskerck in eine realistische, teil- | |
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weise barock anmutende Beschreibung der Seeschlacht über, um dann im dritten Teil in ein Lob der holländischen Freiheit und Tapferkeit zu münden. Der dreiteilige Bau des neulateinischen Epicediums ist in ein patriotisches Gedicht zum Preis der Tapferkeit des Helden und der jungen Nation umgewandelt worden. Das Schicksal des Einzelmenschen erhält damit universale Bedeutung. Das Pathos des Lobes ist weitgehend durch realistische Unmittelbarkeit in der Beschreibung ersetzt. Darin liegt wohl die Anziehungskraft dieses Heinsius-Gedichtes, weil es die abstrakte, erhabene Ebene der Laudatio verlassen hatte, die z.B. Hugo Grotius in seinem lateinischen an Tyrtaios orientiertem Epicedium für Heemskerck genutzt hatte. Grotius bringt zunächst eine Klage über den Tod des Admirals, dann dessen Aufruf zur Tapferkeit vor der Schlacht, worauf ein Lob auf den Sieg verbunden mit Trauer über seinen Tod folgt. Der wiederholte Abdruck des Heinsius-Gedichtes zeugt von der Beliebtheit dieser Verse. ‘Aen Leyden. Uytgegeven met zijn beschrijvinge door Ian Orlers, Borger der selver Stadt’ (S. 7-12) erschien schon 1614 als Widmungsgedicht in Orlers Geschichte der Stadt Leiden.Ga naar voetnoot47 Orlers Werk, das auf die Vorarbeiten seines Onkels Jan van Hout und auf Quellenmaterial von Dousa und Scriverius fußt, ist eine wichtige Darstellung für den Zeitraum vom frühen 13. Jahrhundert bis zur Belagerung von 1575. Heinsius verbindet hier die Form des Widmungsgedichtes mit einem Städtelob. Die hym- | |
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nische Anrede an Leiden ist mit mythologischen Metaphern und Exkursen versehen und mit Vergleichen angereichert. Leiden ist das Athen der Niederlande, ein vielgebrauchter Vergleich, der auch (in der Ausgabe von 1625) den Titel von Johannes Meursius' Sammlung autobiographischer Viten der Leidener Professoren, Athenae Batavae, liefert. Das dritte patriotische Gedicht, ‘Op het belech van Oostende’ (S. 12-13), hat die dreijährige Belagerung der Stadt Ostende zum Thema, die etwa 10 000 Mann auf beiden Seiten das Leben gekostet hatte, als sie sich schließlich am 22. September 1604 ergab. Das berühmte Grotius-Gedicht ‘Ostenda loquitur’ (s. Anhang S. 89*) war wahrscheinlich Heinsius' Vorbild. Als es zunächst anonym veröffentlicht wurde, schrieb man es Joseph Scaliger zu, doch Grotius bekannte sich später zur Autorschaft.Ga naar voetnoot48 Nicht als Übersetzung, sondern als aemulatio muß das holländische Gedicht betrachtet werden, das ebenfalls die Bedeutung dieses spanischen Sieges in Frage stellt, das Schlachtfeld als ‘tooneel’ sieht, jedoch Einzelheiten ausweitet, den Endgedanken epigrammatisch formuliert und inhaltlich, verglichen mit der Skepsis des Grotius über den Nutzen des spanischen | |
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Sieges, den patriotischen Kampf der Niederlande stärker hervorhebt. Schon das in der Sammlung folgende Gedicht, ‘Aen den Leser, te weten zijn beminde, in zijn Latijnsche Rossa genaemt’ (S. 13-14), führt Liebe als das Hauptthema ein und stellt zugleich die Verbindung mit den lateinischen Elegien her. Rossa (vielleicht von lat. ‘rothaarig’ oder holländ. ‘rossig’, aschblond) ist der Name von Heinsius' Geliebter, die schon in den ersten Liebeselegien von 1603 erscheint. Damit wird sicher eine Liebe aus den frühen Jahren bezeichnet, jedoch ist Rossa bis jetzt nicht identifiziert worden. So beginnt Hugo Grotius mit: ‘Novem Dearum cultor Heinsi virginum, Rossaeque decimae[...]’ sein Gedicht für das Stammbuch des HeinsiusGa naar voetnoot49 und dann beschreibt Grotius den verliebten Dichter in humorvollen Versen. In den Elegien ist es immer wieder Rossa, die den Dichter zunächst vom trockenen Jurastudium zur Dichtung und Liebe führt, und in deren Gesellschaft er sich alle erdenklichen Situationen ausmalt. Das holländische Gedicht setzt mit einer über 18 Zeilen sich erstreckenden Anrede ein, in der die Vorzüge Rossas in petrarkistischen Vergleichen gepriesen werden, dann stellt sich der Dichter als ihr Diener vor und bittet sie wiederum um ihren Beistand für diese holländischen Gedichte, ähnlich wie in einer Musenanrufung. Die regelmäßigen gereimten Alexandrinerpaare (schon der Vergleich mit Scriverius' Widmung oder entsprechenden Gedichten aus Den Bloemhof zeigt die schein- | |
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bar mühelose Beherrschung dieses Versmaßes bei Heinsius) ersetzen das aus Hexameter und Pentameter bestehende elegische Distichon, welches die den römischen Elegikern verpflichtete neulateinische Elegie so musikalisch und geschmeidig macht. Heinsius' lateinische Elegien sind vielfach stilistisch und motivisch von Johannes Secundus, aber ebensosehr von Ovid, Properz und Catull beeinflußt. Seine holländischen Elegien wiederum übertragen die neulateinischen Charakteristika auf die Muttersprache. Der Vergleich mit dem Lateinischen wird geradezu herausgefordert mit ‘Uyt zijn eygen Latijn, in Hipponacte, Dulcis puella[...]’ (S. 43-44). Das lateinische Gedicht ‘Ad suavissimam puellam’ (s. Anhang S. 91*) ist das letzte in der Sammlung von Hinkjamben ‘Hipponax,’ die erst 1613 erscheint und die, abgesehen von Widmungs- oder Freundschaftsgedichten, zu Heinsius' letzten weltlichen lateinischen Versen gehört. Beide Gedichte enthalten den Abschied von dem Mädchen, welches das ‘laetste vier’ (ultimus ardor) genannt wird, und dürften zwischen 1610 und 1613 entstanden sein. Der Zusatz von Scriverius zum holländischen Gedicht ‘geschreven aen Thavmantis bereyt sijnde om met den gesant Bvzanval naer Vranckrijck te reysen’ (S. 43) beruht entweder auf einem Irrtum, oder soll den Anlaß dieses Gedichtes vertuschen, der erst wenige Jahre zurücklag. Buzanvallus war nämlich schon 1607 gestorben, und die Einladung nach Frankreich wurde 1603 ausgesprochen. Thaumantis (Iris) dürfte jedoch auf Lucretia Halling passen, die Schwägerin des Rochus Honerdus, mit der Heinsius durch Honerdus bekannt geworden war, und die er | |
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nachweislich im Februar 1611 in Dordrecht besuchte.Ga naar voetnoot50 Das holländische und das lateinische Gedicht sind ganz ähnlich gebaut: auf den endgültigen Abschied erklärt der Dichter seine feste, unerschütterliche Haltung mit der stoischen Tradition des Weisen verwandten Motiven und bestätigt am Ende seinen Eigenwert. Das holländische Gedicht wirkt durch persönliche Wendungen wie ‘int diepste van mijn hert’ (statt ‘mentis nostrae’) emotioneller und gegenständlicher; Heinsius' eigene Position ist viel klarer herausgestellt, das Ende epigrammatisch zugespitzt. Auch die ‘Elegie, ofte Nacht-klachte’ (S. 44-47) hat ein verwandtes lateinisches Gedicht in der 2. Elegie im ‘Monobiblos’ (dem nach Properz und Janus Secundus benannten ‘Einzelbuch’) von 1603.Ga naar voetnoot51 Das holländische Gedicht dürfte später entstanden sein, da es erstmals im Anhang an die Emblemata amatoria von 1607Ga naar voetnoot52 erschien. Einige Exemplare dieser frühen Ausgabe haben in Zeile 24 die Worte ‘Maer Heinsius alleen,’ die mit Tinte durchgestrichen und in anderen Exemplaren in das unpersönliche ‘Maer u dienaer alleen’ geändert worden sind. In den Nederduytschen Poemata lautet diese Zeile ‘Maer die u dient alleen’ (S. 45). Die französische Übersetzung ‘Plainte nocturne’ im Thronus | |
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Cupidinis (1616)Ga naar voetnoot53 folgt der holländischen Fassung. Eine anonyme deutsche Übertragung von 1614 und Martin Opitz' Nachdichtung in den Teutschen Poemata (1624) bezeugen ebenfalls die Beliebtheit dieser lyrischen Elegie.Ga naar voetnoot54 Motive des Petrarkismus und der klassischen Mythologie sind in der Klage anschaulich gestaltet, der Kontrast der ruhenden Natur zum ruhelosen Verlangen des Liebhabers ist wiederum im holländischen Gedicht entschieden erweitert. Unpersönliche mythologische Anspielungen sind durch persönliche Aussagen ersetzt. Die lateinische Elegie folgt dem strengeren dreiteiligen Aufbau und setzt mit der Beschreibung der Lage des Dichters gegenüber dem unschuldigen Schlaf der Geliebten ein, ein mythologischer Vergleich im Mittelteil bringt eine Spiegelung der Situation in Pans vergeblicher Suche nach Venus, die letzten sechs Zeilen kehren wieder zu des Dichters Verlangen zurück. Das dreimal so lange holländische Gedicht ist eine Erweiterung dieses Schemas, in dem der mythologische Mittelteil durch eine Reihe von meistens der Natur entnommenen Metaphern ersetzt worden ist. Die ‘Elegie’ (S. 20-25), die zum erstenmal in den Nederduytschen Poemata erscheint, enthält thematische Anklänge an Scriverius' Widmungsgedicht, das ebenfalls die Unabhängigkeit der neuen Dichtung ‘niet passend' op de Franssen’ (S. 24) hervorhebt. Es zeigt Heinsius | |
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im Vollgefühl seines dichterischen Erfolges. Von der Ankunft in Leiden, dem wiederholten Besuch des Helicon (d.h. dichterischen Versuchen), nach dem Studium der Griechen und Römer hat er jetzt ‘ten lesten opgedaen | Den ongebaende padt daer Nederlandt mach gaen’ (S. 24). Ebenso selbstbewußt wie in ‘Dulcis Puella’ (S. 43-44) spielt Heinsius auf seine Wertschätzung an, während die erste Hälfte der ‘Elegie’ Motive der früheren petrarkistischen Liebesdichtung wieder aufnimmt. Sollte die ‘Elegie’ eine Überarbeitung eines frühen Gedichtes, vielleicht aus dem Jahre 1608-1609 sein, als Hugo Grotius geraten hatte, um Margareta Lyczx mit holländischen Versen zu werben?Ga naar voetnoot55 In der vorliegenden Form weisen jedoch die Verse der zweiten Hälfte in die Zeit von 1613-1614. Eine Gruppe von sieben Gedichten (S. 15-19) wurde als Erklärung eines lateinischen Mottos geschrieben. ‘Dominae servitium libertatis summa est’ (S. 15-16) ist das einzige Lied dieser Reihe mit zehn vierzeiligen Strophen von vierhebigen Trochäen; eine Melodie, wie so oft in Den Bloemhof, ist jedoch nicht angegeben. Die anderen sechs Gedichte mit je vierzehn Alexandrinern stehen Heinsius' Emblemgedichten sehr nahe. In jedem wird ein petrarkistisches Motto aufgenommen, erklärt und mit Endpointe abgeschlossen. Der Dienst an der Geliebten ist realistisch gestaltet, die Überschriften sind zu | |
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allgemein, um auf ein bestimmtes Vorbild hinzuweisen. Die leicht hingeworfenen Begleitverse in den lateinischen und französischen Ausgaben von Heinsius' Emblembüchern nach 1613 gehören in die Nähe dieser Überschriften. Waren diese Gedichte ursprünglich für eine neue oder erweiterte Emblemserie gedacht? Vielleicht sind sie mit den Emblemversen für ‘Het ambacht van Cupido’ 1613 entstanden. Zu ‘Tout amant estropiat’ findet sich ein Kupfer, das ähnlich wie Emblem 10 (S. 73) den gepeinigten Liebhaber darstellt. Motive daraus sind im Thronus Cupidinis wieder aufgenommen worden.Ga naar voetnoot56 Die anakreontischen und bukolischen Gedichte stehen Theokrit nahe. Heinsius' Beschäftigung mit Theokrit geht bis in die frühen Leidener Jahre zurück. Das Studium der Anakreontik und Bukolik, zunächst Theokrits dann aber auch Vergils, muß als entscheidender Anstoß für Heinsius' holländische Dichtung angesehen werden. Ein Jahr, nachdem er die Erlaubnis der Kuratoren bekommen hatte, über Horaz zu lesen, kündigte er in dem am 1. Mai 1603 gehaltenen öffentlichen Vortrag Oratio habita cum Theocritum auspicareturGa naar voetnoot57 seine bevorstehenden Theokritvorlesungen an. Noch in demselben Jahr wurde eine frühere Theokritausgabe, zu der | |
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Joseph Scaliger und Isaac Casaubon Anmerkungen und Emendationen beigetragen hatten, wieder aufgelegt und mit einem separat paginierten Anhang von Daniel Heinsius versehen: ‘Emendationes et notae in Theocriti idyllia bucolica. Accesserunt epigrammata ejusdem, et idyllia quaedam ab eodem et Hugone Grotio[...]translata.’Ga naar voetnoot58 Zu Heinsius' philologischen Anmerkungen kamen also ausgewählte Versübersetzungen ins Lateinische, außerdem eine Gemeinschaftsübersetzung mit Scaliger der 10. Ekloge Vergils ins Griechische. Die zweite Ausgabe von Heinsius' Poemata (1610) nahm diese Übersetzungen in den ‘Versa e Graecis’ wieder auf. In der 3. Ausgabe der Poemata von 1610 findet sich, nicht bei den ‘Graeca et e Graecis versa’ (S. 171-269) sondern erst gegen Ende des Bandes, der wichtige Vermerk: ‘Amice lector, schedas meas cum excutio, quaedam Theocriti in vernaculum a me sermonem conversa inveni, quae suo loco posuisse poteram nisi tanti esse non putassem. Nunc tamen unum hoc dare volui; partim ut linguae nostrae elegantiam aestimare discant eruditi, partim graeculorum quorundam causa, qui quotidie ineptire non desinunt; rerum inperiti et linguarum. Cetera lubenter prememus. Multa enim iis relinquimus, qui e sola hac poesi laudem sperant. Cum nos vix iam ulli vacemus. Alia enim nos vocant’ (S. 374). Darauf folgt der griechische Text der (pseudo)theokritischen Idylle Nr. XXX, ‘Adonis Tod,’ dann Heinsius' holländische Übersetzung, die auch in den Nederduytschen Poemata (S. 40-41) enthalten ist. | |
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Diese Äußerung nun gibt Aufschluß über die Theokrit nahestehenden holländischen Gedichte und wirft dazu einen Seitenblick auf Heinsius' eigene Wertung dieser Produktion. Die holländischen Übersetzungen sollen die Geschmeidigkeit (elegantia) der Muttersprache bestätigen, doch werden sie nicht hoch genug geschätzt, um in die ‘Versa e Graecis’ mit aufgenommen zu werden. Heinsius ist nur daran interessiert, eine Stichprobe seiner holländischen Übersetzung zu geben; er überläßt denen das Feld, die nur in der Muttersprache dichten. Immerhin nennt er die Aufgaben auf diesem Gebiet ‘multa’. Seine eigenen Bestrebungen gehen in eine andere Richtung (alia nos vocant), sind auf seine lateinische Dichtung und philologischen Arbeiten konzentriert. 1610 wird nur eine Übersetzung als Probe gedruckt, von den anderen Arbeiten erscheint dann nur noch die Übersetzung des XII. Idylls, ‘Aites’, in den Nederduytschen Poemata als ‘Oversettinge van het XII. Idyllium Theocriti[...]’ (S. 38-40). Diese und ‘Adonis doot, uyt Theocritus’ (S. 40-41) dürften somit aus den Jahren 1603-1606 stammen: Heinsius kehrt zu seinen Übersetzungsversuchen aus Theokrit später nicht zurück. Es waren die bukolischen Gedichte und die Epigramme, die ihn (und Hugo Grotius) interessierten. In den Poemata von 1606 brachte Heinsius lateinische Übersetzungen ‘ut versus versui respondeat’ von Idyll I, VII, VIII, IX, XII (‘Aites’, s. Anhang S. 89*), XIII (‘Hylas’, die mythologische Fabel, die im ‘Monobiblos’ 1606 in eigener lateinischer Nachdichtung erschien), XXIII (‘Infelix Amator’), XVIII (‘Helenae Epithalamium’) und XXVII. | |
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Die holländischen Gedichte nun zeigen drei Stufen der Adaption, die translatio (‘Oversettinge’), die imitatio (‘uyt Theocritus’) und die aemulatio, wo der direkte Hinweis auf das Vorbild fehlt, Motive und Thematik selbständig fortgeführt sind. Die ‘Oversettinge van het XII. Idyllium Theocriti[...]’ (S. 38-40) ist erstaunlich eng an den griechischen und lateinischen Text angeschlossen, was Wortwahl und Syntax anbetrifft. Die 46 gereimten Alexandriner entsprechen den 35 Hexametern des griechischen (und lateinischen) Vorbildes. Die größere Länge wird durch geringe, immer erklärende Zusätze im Holländischen bewirkt, damit das Gedicht sich unabhängig von der Vorlage flüssig liest und verständlich ist. So ist z.B. die Substituierung von ‘alme puer’ mit ‘liefste kindt,’ der ‘puerilia agmina’ am Grabe des Diocles mit ‘minnaers’ eine Angleichung an die übrigen Liebesgedichte, da Theokrits Idyll ganz eindeutig Knabenliebe beschreibt. ‘Adonis doot, uyt Theokritus’ (S. 40-41) ist eine Wiedergabe des Gedichtes, das zu Heinsius' Zeiten noch als Theokrits XXX. Idyll bezeichnet wurde, jetzt aber als ein Werk Anakreons oder eines seiner Nachahmer betrachtet wird. Hiervon hat Heinsius keine lateinische Versübersetzung geliefert. Die holländische Version mit vierhebiger iambischer Zeile ist nur um eine Silbe länger als die griechische Zeile, der Inhalt und Verlauf des Gedichts wurde getreu beibehalten. Das Ende jedoch, für das schon Scaliger eine andere Lesart vorschlug, ist von Heinsius sinngemäß dem vorausgehenden entsprechend geändert worden: Der Bär brennt im Feuer (der Venus) seine Zähne ab, denen er die Schuld an seiner | |
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Leidenschaft gibt (mit den Zähnen hatte er lediglich Adonis' Haut berühren wollen und ihn dabei totgebissen). Das griechische Gedicht endet mit der verschiedentlich interpretierten Wendung ‘Nachdem er sich dem Feuer genähert hatte, verbrannte er dort seine Liebe.’ ‘Cupido Honich-dief, uyt Theokritus’ (S. 42) hat das anakreontische Idyll XIX (auch Moschus oder Bion zugeschrieben)Ga naar voetnoot59 zur Vorlage. Es ist aber in den Anfangsversen erweitert, um die Situation weiter auszumalen, am Ende etwa verkürzt, um ein epigrammatisches Ende zu bewirken, und nicht wie das Griechische ein breit erklärendes. ‘Het sterf-huys van Cupido’ (S. 53-54), das schon in den Emblemata amatoria von 1607 erschienen war, ist eine freie Nachahmung im anakreontischen Stil. In der strophischen Liedform wie im Ton ist es dem Honig-Dieb Gedicht ähnlich. Es wurde als ‘La Maison mortuaire de Cupidon’ in französicher Übersetzung im Thronus Cupidinis (ca. 1618) gebracht. Anspruchsvoller ist das ‘Pastorael’ (S. 26-33), das in der Liebesklage des Hirten Corydon sich an Theokrits XXIII. Idyll, mehr noch an Vergils 2. und 3. Ekloge orientiert. Die sechszeilige Strophe mit umfassendem Reim im Aufgesang und Paarreim im Abgesang (abbacc) findet sich häufig in niederländischen Liederbüchern der Zeit; sie wirkt viel gelockerter als der Paarreim des Alexandriners, der in den Nederduytschen Poemata dominiert. Das ‘Pastorael’ trägt deutlich autobiographische Züge, wie denn auch die Corydon-Lieder der | |
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Zeit zu einer beliebten Ausdrucksform für Liebesangelegenheiten werden. Heinsius spielt auf eine Hochzeit an, bei der er zwei Jahre zuvor das Mädchen kennengelernt hat, das ihn nun zurückweist. Damit ist Grotius' Hochzeit im Juni 1608 gemeint.Ga naar voetnoot60 Die Klage Corydons kommt ‘twee volle jaeren’ später; danach dürfte das ‘Pastorael’ etwa 1610 entstanden sein. Es wurde schon im Anhang an die Emblemserie von 1613, Afbeelding van Minne, veröffentlicht. Zwei Widmungsgedichte, deren Inhalt von den jeweiligen Ausgaben bestimmt ist, lassen sich ziemlich genau datieren. ‘Aen de Ioncvrouwen van Hollandt’ (S. 54-59) erschien schon 1601 als die mit Theocritus à Ganda gezeichnete Einleitung zu der Emblemserie Quaeris quid sit amor. Hier will Heinsius den Cupido ‘leeren onse spraeck’ im Stile Ovids und der antiken Mythologie. Eine französische Version findet sich im Thronus Cupidinis, die ‘Aux Dames de France’ betitelt ist. Die ‘Voor-reden aen de doorluchtige Vrouwen’ (S. 59-62) erschienen 1606 in dem Bändchen Spiegel van de doorluchtige Vrouwen. Der Text ist identisch mit der Erstausgabe von 1606; auch die zweite Ausgabe von 1606 und die von 1606-07 und 1615 weisen nur unbedeutende orthographische Varianten auf.Ga naar voetnoot61 Lediglich zwei holländische Epithalamien erscheinen in den Nederduytschen Poemata. Das ‘Troudicht Ter | |
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eeren van Daniel de Bvrchgrave, met Anna Oosterlincks’ (S. 51-52)Ga naar voetnoot62 ist schon 1603 entstanden und 1608 nur mit D.H. gezeichnet als erstes Gedicht in Den Bloemhof abgedruckt worden. Das ‘Bruylof-Liedt’ (S. 48-51) war 1611 in der Sammlung Verscheyden Bruyloft Dichten ende Liedekens (Leiden: Ian Paedt Iacobszoon), dann 1613 im Anschluß an die Emblemserie Afbeeldingen van Minne erschienen. Zwei weitere Gedichte dieser Leidener Sammlung wurden jedoch nicht aufgenommen. Heinsius' Gedicht zu seiner eigenen Hochzeit 1617 ‘Ex persona sponsi’ erschien 1619 zum erstenmal in Afbeelding van Minne (Leiden: Harman van Westerhuysen), dann 1622 in den Nederduytschen Poemata (siehe oben, S. 31*). Heinsius' lateinische Gedichte enthalten zahlreiche Epithalamien von dem metrisch und formell gekünstelten ‘Carmen nuptiale’Ga naar voetnoot63 für Dousas Sohn Stephanus von 1603 bis zu dem zweiten Buch der ‘Silvae,’ in dem in späteren Ausgaben die Epithalamien zusammengefaßt sind. Während das ‘Troudicht’ aus einer ausgedehnten Schiffsmetapher besteht, dann kurze Wünsche an den Bräutigam anschließt, ist das ‘Bruylof-Liedt’ nach dem bei Heinsius üblichen Schema gebaut: Eine mythologische Fabel oder Vergleich führen das | |
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Liebesthema ein, dann wendet sich der Dichter an den Bräutigam und an die Braut und schließt darauf mit Wünschen für die Hochzeitsnacht und die Ehe ab. Trotz deutlicher Anspielungen auf die Verbindung bleibt Heinsius weit hinter der in neulateinischen Epithalamien (z.B. bei Johannes Secundus) üblichen Offenheit zurück. Die Verse, die Heinsius an Anna Roemer Visscher (1584-1651) richtete, sind ganz im Stile der überschwenglichen Freundschaftslyrik der Neulateiner gehalten. Cats und Hooft haben sie mit ähnlichen Versen gefeiert. Die Dichterin war die älteste Tochter des wohlhabenden und durch sein Patronat der Dichtung und Künste bekannten Amsterdamer Kaufmanns Roemer Visscher, an dessen Emblembuch Sinnepoppen (1614) sie mitgewirkt und holländische Verse und einige Prosaerklärungen hinzugefügt hatte. Cats verglich sie mit Aeneas, der seinen Vater aus dem brennenden Troja trug. Hooft nannte sie die holländische Sappho. Sie hatte eine für ihre Zeit für Frauen ganz ungewöhnliche Erziehung erhalten, denn sie war in Französisch, Italienisch, den klassischen Sprachen aber auch in Musik, Tanz und Kunst unterrichtet worden. Darauf und auf ihre dichterische Begabung spielt Heinsius in seinen Versen ‘Aen de eerbare ende konstrijcke Ionckvrou Anna Roemer Visschers’ (S. 33-36) an, wenn er sie ‘Minerva van ons landt’ (S. 33) nennt. In der Minerva-Allegorie, die sich über das ganze Gedicht hinzieht, werden die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Anna Roemer Visscher beschrieben, jedoch ohne konkrete Anspielung auf ein bestimmtes Werk. | |
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Die Dichterin antwortete mit dem Sonett ‘Aen Daniel Heins’ (S. 37), einer Gattung, in der Heinsius sich nicht versuchte. Die Eingangsmetapher, in der sie französischen und Rheinwein ablehnt, aber aus Pegasus' Quelle trinken möchte, spielt auf Heinsius' Dichternamen (‘Hengst’) an und stellt ein geschicktes Kompliment an Heinsius dar, dessen überschwengliches Lob sie für sich selbst zurückweist. ‘Aen Ionckvrou Anna Visschers op haer dicht te Leyden sijnde van haer gemaeckt, ende aen hem gesonden op het zijne’ (S. 37-38) feiert die Dichterin als die zehnte Muse. Diese drei Gedichte dürften aus dem Jahre 1614 stammen, als Anna Roemer Visscher sich in Leiden aufhielt. 1616 schrieb sie die Verse auf Heinsius' Christushymne, die ihre echte Begeisterung für die religiöse Thematik zum Ausdruck bringen: O prijser van mijn lief! O Heins! uw' soete sangen
Verwecken in mijn geest en innerlijk verlangen
Na Christus, mijnen Heer.Ga naar voetnoot64
Ihre Worte spiegeln die Empfänglichkeit der Zeitgenossen für die Christushymne, die nach vier Einzelausgaben seit 1616 von 1622 an den holländischen Gedichten | |
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vorangestellt wird. Die rasch aufeinander folgenden Ausgaben der Nederduytschen Poemata bezeugen die Beliebtheit dieser Gedichtsammlung in den Niederlanden zwischen 1616 und 1622, die als ein ‘Musterbuch der Gattungen und Motive’Ga naar voetnoot65 besonders auf die junge Dichtergeneration in Deutschland in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wirkte. |
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