Nederduytsche poemata 1616
(1983)–Daniël Heinsius– Auteursrechtelijk beschermd
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III Die VorredenScriverius' an Jacob van Dyck gerichtete Vorrede und Empfehlungsgedicht sowie Heinsius' Antwort an Scriverius in der Form einer Prosaeinleitung zur Bacchushymne werden thematisch in der (hier nicht abgedruckten) Vorrede zur Christushymne fortgesetzt. Diese Vorreden vermitteln einen Einblick in das literarische Leben und die literarische Werteinschätzung im Leidener Späthumanistenkreis, der großen Einfluß auf die holländische und nordeuropäische Literatur ausgeübt hat. Der Adressat Jacob van Dyck (1564-1631),Ga naar voetnoot35 den Scriverius als ‘voesterheer ende vader der gheleertheyt’ (S. 10) bezeichnet, war ein wohlhabender Advokat im Dienste des schwedischen Königs in Den Haag, wo sein Haus der Mittelpunkt von literarisch interessierten Kreisen aus dem reichen Bügertum und Adel war. In van Dycks Haus las Heinsius am Neujahrstag 1616 seinen Lof-sanck van Jesus Christus vor. Das Gedicht wurde ebenfalls van Dyck gewidmet und erschien als Einzeldruck im Mai 1616,Ga naar voetnoot36 dann wurde es wiederholt aufgelegt, bis es 1621 und 1650 den anderen holländischen | |
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Gedichten vorangestellt und in den Titel einbezogen wurde. Auch darin wird die Akzentverlagerung von den weltlichen Gedichten der Nederduytschen Poemata zum religiösen Hymnus deutlich. Scriverius' Werben für die Muttersprache und muttersprachliche Literatur ausgerechnet im Zentrum der neulateinischen Literatur ist oft hervorgehoben worden. Indem Scriverius seinen Zeitgenossen einen Spiegel vorhält und sie geschickt mit den Römern vergleicht, die über die griechische Sprache und Literatur zunächst ihre eigene vergessen haben, plädiert er für die Schaffung einer Nationalliteratur, wie die Römer und die romanischen Völker sie besitzen. Der Blick ist auf die Klassik und mehr noch auf die Romania gerichtet, denn es werden Petrarca, Sannazaro, Ronsard und Du Bartas und sogar Spanien, dessen Literatur einen grossen, kaum erforschten Einfluß in den Niederlanden hatte, genannt, England jedoch nicht. Dabei ist Scriverius' Hinweis auf die neue Verskunst, auf ‘toon ende maate’ (S. 6, Akzent und Metrum), wichtig. Den regelmäßigen, nach romanischem Vorbild akzentuierenden Vers beherrschte zwar schon van der Noot. Dann gibt es Einzelproben aus dem Dousa-Kreis in den nicht zur Veröffentlichung bestimmten Stammbüchern und in den Liedersammlungen, die seit der Jahrhundertwende meistens anonym erscheinen, doch sind die Übergänge undeutlich und wenig erforscht.Ga naar voetnoot37 In Scriverius' knapper Charakteristik des | |
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Dichters dieser ‘Poësy,’ die ‘hemelsch ende vol viers’ (S. 7) sein soll, klingt das abgenutzte ‘divinus’ der Neulateiner und der Begriff des ‘furor poeticus’ nach. Erst in seinem Empfehlungsgedicht, dessen gereimte Alexandriner natürlich ein Beispiel für diese neue ‘Poësy’ sind, geht er näher auf die niederländische Dichtkunst ein. Diese Verse sind als das Programm einer nationalen Renaissance bezeichnet worden.Ga naar voetnoot38 Das hat insofern seine Berechtigung, als Scriverius im Vollgefühl der nationalen Selbständigkeit und Konsolidierung der jungen Republik das kulturelle Leben dieses neuen ‘Athen und Rom’ breit und selbstbewußt darstellt. Den Haag, Leiden, Amsterdam, Haarlem werden als neue Zentren genannt; die berühmten Verse auf die nunmehr unzeitgemäßen ‘Rederijkers’ und ‘Rijmers’ (S. 14) werden fortgesetzt mit dem Lob Hoofts, des Schauspiels in Amsterdam, Dousas, Heinsius und Brederos, der ‘noyt Latijnsche las | Ons Duytsche Mimos geeft, alleen van zijn gewas’ (S. 21). Nachfolge und Überwindung der Antike, Ablehnung der Abhängigkeit von französischen Mustern, das ist das nationale Programm einer ‘duytschen’ (d.h. eigenständigen, nicht-romanischen) Dichtung für die Niederlande, das ist der Sinn der Herausgabe der Nederduytschen Poemata. Heinsius' Vorrede zum ‘Lof-sanck van Bacchus’ nimmt ein Hauptthema des Scriverius wieder auf, den | |
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Wettstreit mit der Antike. Heinsius umreißt die Tradition, aus der seine Bacchushymne erwachsen ist und die es zu überbieten galt. Aemulatio dieser Tradition von Nonnus' Dionysiaca, den Neulateinern Marcantonius Flaminius (1498-1550), Marullus (gest. 1500), Muretus (1526-1586), Julius Caesar Scaliger bis hin zu Ronsard, ist das erklärte Ziel dieser Hymne. Zugleich will Heinsius auch seine Gelehrtheit als klassischer Philologe bei der Darstellung dieses Mythos zum Ausdruck bringen und glänzend beweisen, daß die Muttersprache sich ebenso für diesen Stoff eignet, wie die für Gelehrsamkeit und Dichtung höher angesehenen klassischen und romanischen Sprachen. Diese Ausführungen des Heinsius als Eitelkeit oder Überheblichkeit zu bezeichnen, geht am Anliegen und Stil dieser Aussage vorbei. Sie ist vielmehr ein Stück zeitgenössischer Poetik, in der der literarische Stellenwert des Hymnus unrissen und das Gedicht verteidigt wird. Dasselbe gilt für das andere in dieser Vorrede behandelte Thema, die klassische Mythologie. Heinsius geht davon aus, daß die antiken Götter natürlich keinen Glaubensinhalt vorstellen können, sondern nur personifizierte menschliche Schwächen und keineswegs dem Christentum vergleichbar sind. Dieses scheinbar selbstverständliche Argument - es erfüllt die Funktion der captatio benevolentiae des literarisch interessierten LesersGa naar voetnoot39 - wird dann mit Heinsius' These der allegori- | |
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schen Mythenschau differenziert. Die antiken Götter sind als Ausdruck von Weisheit und Philosophie der antiken Welt zu verstehen, die darunter ‘begraven en bedeckt licht’ (S. A3a). Der Bacchusmythos ist in der Darstellung der Poeten wie auch der Maler eine Beschreibung von ‘het gebreck van dronckenschap, ende de nateur vanden dranck’ (A4a). Diese allegorische Mythenauffassung ist noch weitgehend Ronsard und der Pléïade verpflichtet, wie auch Heinsius' Bacchushymne formell und inhaltlich vielfach ein Echo und eine Erwiderung auf Ronsards ‘Hinne de Bacus’ (geschrieben 1554) ist. Während bei Ronsard der Synthese antiker Mythen und christlichen Glaubens die Auffassung eines animierten Universums zugrunde lag, und in der Mythologie sich die Wahrheit unter dem Schleier des Mysteriums verborgen hatte,Ga naar voetnoot40 fundiert Heinsius dieses poetische Konzept mit philologisch-historischen Argumenten, mit Hinweisen auf Aristoteles, die Kirchenväter und die gesamte literarische Tradition. Scriverius führt im Anschluß an die Chistushymne in gesonderten ‘Vytlegginge van sedere werreltsche historien, woorden, ende manieren van spreken, die in desen Lofsanck gebruyckt worden’ sogar noch sprachliche Beispiele aus Augustin und Ambrosius als Parallelen für den metonymischen Gebrauch antiker Götter an. Scriverius teilt also schon seine Anmerkungen dem Zeitgeschmack entsprechend in religiöse und weltliche, er differenziert | |
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zwischen christlichem Inhalt und antik-klassischer Gelehrsamkeit in der sprachlichen Ausformung. Der in Frankreich sich schon im Gefolge der Religionskriege anbahnende Geschmackswandel, in dem christlich-religiöser Thematik der Vorrang vor antik-mythologischer gegeben wird, vollzieht sich in den Niederlanden während der sich immer mehr zuspitzenden theologischen Debatte des Calvinismus am Vorabend der Synode von Dordrecht. Heinsius' eigene Abkehr von weltlich-renaissancehafter Thematik ist in dem Einleitungsgedicht zum Christushymnus wohl am eindrucksvollsten gestaltet: De vruchten van de jeucht, de soetheyt van het minnen
Een rechte tovery, van ons en onse sinnen,
Is nu met ons geweest. Ick late Venus gaen,
En met het blinde kint zijn blinde wercken staen.
Den hemel eyst het zijn.
(Bacchus en Christus, S. 199)
Damit wird dem weltlich-heidnischen Inhalt abgeschworen, nicht aber das gesamte Kulturgut der Antike abgelehnt. Im Aristarchus sacer (1627) versucht Heinsius mit ethymologischen Ableitungen eine Brücke zwischen griechischer Mythologie und alttestamentlichen Stoffen zu schlagen und liefert damit die ersten Ansätze zu einer vergleichenden Mythologie. Heinsius versucht also die antike Welt als eine Ausformung der gottgewillten Ordnung zu erklären und zu retten. In Herodes infanticida (1632) verkörpern Herodes und die Furien den historischen Ausdruck heidnisch-verdammter Lebensformen, Bethlehem und die Engel die auserwählte erlöste Welt. | |
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An dem Nebeneinander dieser zwei Welten soll der Gegensatz von verdammt und erlöst allegorisch dargestellt werden. Heidnisches als Präfiguration des Christentums ist Heinsius' Grundkonzept in der Epistola 1636, der Entgegnung auf Guez de Balzac, der Heinsius' Darstellung der Mariamne und der Furien der historischen Unwahrheit bezichtigt und als moralisches Vergehen gegen die Religion hingestellt hatte. Hier treffen poetisch-historische und religiös-dogmatische Gesichtspunkte aufeinander. Heinsius vertritt den Standpunkt der philosophischen, synthetischen Weltschau, die Antike und Christentum zu vereinigen sucht, wobei seit der Christushymne die Antike in ihrem Gehalt als verdammte Welt akzeptiert, in ihrer historischen Ausformung als maßgebliches Kulturgut jedoch gerettet werden muß. |
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