Geburtstägliche betrachtungen
(Meinem Freunde A.M. 23sten Oct. 1919 gewidmet)
Nicht heute oder morgen sollst du deinen Geburtstag feiern, sondern heute und morgen und jeden Tag, denn jeden Tag sollst du von neuem geboren werden und jeden Tag das Leben von neuem gebären: das heiszt mir Mensch und Künstler sein.
Sei Kind unserer Zeit damit du Kind aller Zeiten seiest, damit du Kind keiner Zeiten seiest, damit du Kind der Ewigkeit seiest. Denn nur der organisch gewachsene ist Mensch und nur der organisch wachsen läszt ist Künstler.
Denn wohl ist das Wesen des Lebens und der Kunst immer das selbe, aber die Erscheinung vom Leben und von der Kunst ist immer wechslend. Und wer nicht wechselt mit dem Leben, wird ausgerottet und ins Feuer geworfen.
Und das heiszt mir Künstler sein: Das Unfaszbare ins Faszbare unfaszbar machen.
Die Schönheit ist das Unpersönliche, denn die Schönheit ist das was keiner sagen kann. Die Schönheit ist das höchste worauf die Kunst hindeutet. Denn nur wer den Chaos zum Kosmos gestaltet ist, Künstler und Chaos und Kosmos sind unpersönlich.
Sei ursprünglich dadurch, dasz du den Ursprung suchst - um der Kunst willen!
(Eine Sammeljäche trägt man nicht der Kunst wegen, sondern nur der Gemütlichkeit wegen).
Ursprünglich sein, das heiszt: das Leben aus der Quelle schöpfen.
(Rotterdamsch studentenblad van 5 november 1920)