Höhepunkt von Hohelied-Exegesen in verschiedenen Sprachen kam. Ohly schließt seine Übersicht über die älteren Textzeugnisse - entstanden als Vorstudie zur Untersuchung des St. Trudperter Hohenliedes - mit dem Jahre 1200 ab. ‘Die Fülle des handschriftlichen unerschlossenen Materials ist so groß, daß seine Einbeziehung über eine, die Forschungslücken sichtbar machende Erwähnung... hinaus sich verbot’ (S. 3). Zu solchen unerschlossenen hs. Materialien gehören auch die zahllosen Eindeutschungsversuche, von denen unsere Hs. ein Bruchstück bietet. Bei der Entstehung nach 1550 mag der Umstand eine Rolle gespielt haben, daß sich Luthers Hoheliedkommentar diesem Buch gegenüber stark ablehnend verhielt, so daß dieser Text wegen seines erotischen Gehaltes auch für weltliche Funktionen wieder verfügbar geworden war. Wie wäre es anders zu erklären, daß diese Hohelied-Paraphrase mitten unter schmachtenden Liebesliedern auftaucht?
Die Sprache unseres Textes ist hd., doch lassen sich allenthalben nichtdiphthongierte Formen feststellen. Da diese Formen z.T. auch reimbildend waren (19/20 brun: Sonn; 57/59 frundin: syn), ist eine Entstehung in einem Gebiet anzusetzen, in dem bereits die Lautverschiebung, nicht jedoch die nhd. Diphthongierung stattgefunden hatte. Diese Voraussetzung trifft auf das Gebiet des nördlichen Niederrheins für die 2. H.d. 16. Jhs. zu.
Der Text ist - mit Ausnahme der beiden letzten Gesätze - strophisch angelegt, offenbar sangbar und durch die Melodieangabe auch als Lied erkennbar. Der angegebene Ton Ich habs gewacht ist der Beginn des berühmten Huttenschen Bekenntnisliedes von 1521 (Uhland Nr. 350, Brednich, Liedpublizistik 2, Nr. 252, Abb. 50), sein Metrum paßt allerdings nicht zu der siebenzeiligen Strophe unseres Textes.