Beide Fassungen erweisen sich, besonders auch im Hinblick auf A 74, als Ergebnis eines längeren Traditionsprozesses, in dessen Verlauf zahlreiche Formbestandteile und Wanderstrophen (IV-V) in das Lied hineingeraten sind, während andererseits wichtige Liedteile verlorengingen. So fehlt in D 27 = A 72 nach Str. II der Inhalt des Wächterliedes, der in A 74 als Str. VII erhalten ist. A 74 ist aber zu Vergleichszwecken wiederum nur bedingt heranzuziehen, da hier eine Kontamination mit dem Mailied Der Winter ist vergangen (vgl. D 17) eingetreten ist. Weiteres zur Genesis dieses Liedes siehe bei Thoma S. 109 f. im Anschluß an Uhland Nr. 82.
Zum Formelgut in D 27 läßt sich im einzelnen noch folgendes bemerken: Z 1-2 Natureingang, vgl. Wulffen; diese Form ist bei ihr allerdings nicht belegt, da sie das Antw. Ldb. und damit auch unser Lied nicht herangezogen hat.
Z. 7 vgl. Daur S. 58. Im Antw. Ldb. meist mit der formelhaften Reimbindung: sie hout myn herte bevanghen / na haer staet myn verlangen Nr. 165, Str. II, Z. 12-13.
Z. 8 vgl. Daur S. 62/64
Z. 9-14 Diese Zeilen variieren eine in dt. und ndl. Balladen und Liebesliedern häufig vorkommende Szene, vgl. Ldb. Ambr. 1584, Nr. 184, Str. IV; Antw. Ldb. Nr. 97, Str. II; Nr. 102, Str. III u. ö.
Z. 15 vgl. D 17, Z. 27 ff.
Z. 21 vgl. Daur S. 59
Z. 27 vgl. D 31, Z. 41
Z. 28 Den Vergleich der Geliebten mit dem Morgenstern kennt schon Morungen (M.F. 134, 35), doch erst im 16. Jh. ist das Bild zum formelhaften Gebrauch abgesunken; vgl. Antw. Ldb. Nr. 75, Str. VIII: Ic en weet van ghenen dage / noch van geenen manen schijn / ghi zijt mijn morghen sterre / ghi verhuecht dat herte mijn. Z. 31/32 Ähnlich Antw. Ldb. Nr. 187, Str. IV, Z. 28: God wil v in duechden sparen u. ö.
Z. 33-40 Zur Verbreitung dieser markanten Wanderstrophe s. z.B. Antw. Ldb. Nr. 97, Str. VIII-IX, E.-B. Nr. 679.