Nr. 22
Mit diesem Lied beginnt Katharina von Bronckhorst und Battenburg den von ihr bestrittenen Hauptteil des Liederstammbuches, der von Bl. 29 ro - 37 ro reicht und die Lieder Nr. 22-40 umfaßt, also 19 Stücke. Das letzte Lied ist 1546 datiert, die voranstehenden sind also eher noch etwas früher anzusetzen. Die einzelnen Texte sind fortlaufend hintereinander geschrieben, lediglich durch regelmäßige Zwischentitel Eyn Ander aufgelockert. So wertvoll dieser Teil im einzelnen sein mag, so entbehrt er doch etwas des Persönlichen und Originellen. Wir vermissen die Schreiberverse, Devisen und das sonstige Beiwerk, das die Darfelder Liederhs. in besonderem Maße auszeichnet und aus dem Kreise der übrigen Hss. der Zeit hervorhebt. In diesem Teil erinnert die Hs. am ehesten an die anderen nd. Berliner Hss. von 1568 und 1574, in denen professionelle Schreiber in ermüdender Einförmigkeit Lied für Lied aneinandergereiht haben. Ist man in solchen Fällen zunächst versucht, an das Wirken eines berufsmäßigen Kopisten zu denken, so ergibt der Schriftvergleich zwischen dem Titelblatt und diesem Hauptteil der Hs., daß es sich um die gleiche Hand der Besitzerin des Stammbuches handelt (vgl. Abb. 1, 5 und 7). Auch der parallele Gebrauch zweier französischer Devisen auf Bl. 1 ro (Je vis an esperance) und auf Bl. 37 ro (perdonne Jeunnesse) hätte auf diese Übereinstimmung hinlenken müssen, die aber auch Hübner I, S. 43, noch nicht erkannt hatte.
Das Repertoire der Schreiberin, und als ein solches werden wir die Versammlung von 19 Texten bezeichnen dürfen, wird gewissermaßen programmatisch eröffnet durch eines der berühmtesten Gesellschaftslieder des 16. Jhs.: Zart schoin Jonckfrouw. Es gehört in die geistige Nähe zweier anderer Lieder, die in mehreren Liederhss. und -büchern in enger Nachbarschaft zu ihm auftreten: Ungnad beger ich nicht von ihr (D 25) und Nach willen din (D 21). Diese drei Lieder finden sich häufig in Flugschriftendrucken vereint und haben deswegen auch ihren Weg an die Spitze des Ldb. Ambr. gefunden. Die Abhängigkeit mancher Hss. von den Einzeldrucken macht sich auch in der Rubrizierung dieser Lieder bemerkbar: vgl. Zütphener Ldhs. 1537, Nr. 25 und 26, Pal. 343 Nr. 63 und 65, Berl. Ldb. von 1582, Nr. 53, 54 und 55.
Die Überlieferung dieses ‘Hofeliedes’ reicht vom Ldb. Peter Schöffer (1513) bis Chr. Demantius (1608). Ausführliche Variantenlisten verdanken wir, wie so oft, A. Kopp, s. JbdVfndSprf 26 (1900) S. 29 und ZfdPh 35 (1903) S. 512, die nur unwesentlich zu erweitern sind, z.B. um zwei frühe Flugblattdrucke, s. Brednich, Liedpublizistik 2, Nr. 438 und 514. Zusammen mit der Zütphener Ldhs. von 1537, Nr. 26, und Pal. 343, Nr. 63 und 203, bietet D einen frühen Beleg für die Aneignung und Weitergabe des Liedes in adliger Lebenssphäre. Dabei nimmt der Text in D im Vergleich zur gesamten anderen Überlieferung eine Sonderstellung ein, da die Zeilen 17-26 nach vorne gestellt wurden, während sie in allen anderen Varianten in Str. III als Z. 1-10 figurieren, entsprechend Z. 33-42 als Str. II. Z. 1-10. Auch sonst steht D für sich. Einige wenige Lesarten aus der Parallelüberlieferung sollen zum Verständnis des stellenweise schwierigen und mißverstandenen, weil gedächtnismäßig tradierten und an kein bestimmtes Vorbild fixierten Textes in D beitragen.