Die Darfelder Liederhandschrift 1546-1565
(1976)–Katharina van Bronckhorst en Batenborch– Auteursrechtelijk beschermd
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8. Die Darfelder Liederhandschrift als Liederstammbuch: Wappenbuch - Devisen - Schreibverse - ZeichnungenIm Voranstehenden ist die Darfelder Handschrift bereits verschiedentlich als Stammbuch bzw. als Liederstammbuch bezeichnet worden. Da wir mit diesem Begriff die eigentliche Gebrauchsbestimmung der Handschrift fassen, gilt es im folgenden, diese Funktion unter Einbeziehung des verschiedenen bildlichen und sprachlichen Beiwerkes der Handschrift noch etwas genauer zu umreißen. Wir hörten, daß der Band keineswegs unbeschrieben war, als er dem jungen Adelsfräulein auf Hönnepel zum Geschenk gemacht wurde. Vielmehr war eine Anzahl von Blättern, jeweils im vorderen und hinteren Teil des Bandes, mit kolorierten Wappentafeln ausgemalt. Auf Bl. 2 ro - 5 ro zunächst 14 Wappen auf 7 Seiten, auf Bl. 57 vo - 63 ro nochmals 24 Wappen auf 12 Seiten. Diesen Wappentafeln kam zweifellos die Aufgabe zu, der Besitzerin Katharina von Bronckhorst und Battenburg die weitläufigen verwandtschaftlichen Beziehungen ihrer Familie zur mitteleuropäischen Adelswelt vor Augen zu führen. Der Band war somit ursprünglich als ein Stammenbuch angelegt, was terminologisch etwas anderes darstellt als das im Wortlaut ähnliche ‘Stammbuch’. ‘Im 15. und 16. Jahrhundert, zur Zeit der Renaissance, entwickelte sich... das Stammenbuch - das Wappenbuch als familiengeschichtliche Quelle, wie es uns vor allem auch in den süddeutschen Reichsstädten beim Patriziat begegnet. Das Stammenbuch befaßte sich mit der Abfolge eines Geschlechtes von einem gemeinsamen Ahnen; es war also eine Stammtafel, keine Ahnentafel. Weit im 16. Jahrhundert, ja bis ins 17. Jahrhundert ist die Stammtafel noch ein geistiges Produkt des Mittelalters, ein Fundament des Ständestaates...’Ga naar voetnoot54. Das Stamm- oder Geschlechterbuch diente während des Mittelalters vor allem dem Nachweis der Turnierfähigkeit. Das Wappenbuch Katharinas ist bereits eine spielerisch anmutende Spätform, Ausdruck des Selbstbewußtseins und des Repräsentationsbedürfnisses der adligen Familie von Bronckhorst-Battenburg. Mit diesem Teil unserer Liederhandschrift befaßt sich ein Hauptteil der Dissertation von A.-E. Beckmann. Die von ihr unternommenen genealogischen Forschungen liegen zugegebenermaßen etwas abseits der Interessen des Herausgebers. Sie dürften jedoch für die niederrheinisch-westfälische Adelsgeschichte von einigem Interesse sein, weshalb wir die Ergebnisse Beckmanns, die der Forschung bisher nicht zugänglich waren, hier leicht gekürzt wiedergeben. ‘Die einzelnen Wappentafeln sind mit den Namen der betreffenden Adelsgeschlechter versehen; ihre Folge scheint mit einer Ausnahme willkürlich zu sein, so daß die genealogischen Hintergründe für den heutigen Betrachter nicht immer ganz durchsichtig werden. Bl. 2 ro enthält die Wappen der Familien WyckedeGa naar voetnoot55 und LickervelleGa naar voetnoot56, Bl. 2 vo [Abb. 2] | |||||||||||||
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AlpenGa naar voetnoot57 und Culenburch, Bl. 3 ro WylichGa naar voetnoot58 und BourgongeGa naar voetnoot59, Bl. 3 vo BotzelerGa naar voetnoot60 und MaillyGa naar voetnoot61, Bl. 4 ro HessenGa naar voetnoot62 und HarchiesGa naar voetnoot63, Bl. 4 vo Sollenhardt und Lauisuile, Bl. 5 ro BentemGa naar voetnoot64 und BureGa naar voetnoot65. | |||||||||||||
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genealogische Feststellungen sind mit erheblichen Schwierigkeiten verknüpft, da die Überlieferung für den älteren Adel dieser Länder zum Teil abseits liegt, zum Teil ziemlich lückenhaft ist. Der Name Noyelle taucht einmal in der Familiengeschichte Katharinas auf: ein Vetter ihres Vaters, ebenfalls ein Dietrich von Bronckhorst-Battenburg, Sohn von Giselbert, heiratete Elisabeth-Margarethe von Noyelle, Tochter von Gislar. Diese Eheverbindung spielt noch weiter in unsere Handschrift hinein, denn Elisabeth, beider Tochter, wird mit Johann von Raesfeld zu Ostendorf vermählt, demselben J. von Raisfelt, der die Lieder 74-78 auf Bl. 80 vo - 82 ro in D einzeichnete. Nach der Angabe der Wappentafel auf Bl. 61 vo stammt Elisabeth-Margarethe mütterlicherseits aus dem alten niederländischen Grafengeschlecht der Culenburg, deren Wappen dreimal in der Handschrift abgeschildert istGa naar voetnoot77. Gislar, der Schwiegervater Dietrichs, gehörte der Linie Noyelle-Artois an, demselben Zweig der Familie, aus dem später die Grafen von Croix und Marle sowie die Marquis von Lisbourg hervorgegangen sind (vgl. die Beschreibung des Wappens bei Rietstap 2, 329 und die genau mit der Darfelder Handschrift übereinstimmende Wiedergabe bei Rolland 4, CCXCVIII). Ob die verwandtschaftlichen Beziehungen zu den übrigen südniederländischen und französischen Adelsfamilien, den Genter Grafen von Lichtervelde, den Nouveaux ducs de Bourgogne, den Grafen Mailly aus der Picardie und dem flandrischen Grafengeschlecht Harchies de Vlamertinghe usw. ausschließlich auf diese eine Verbindung zurückgehen, läßt sich nach dem Stammbaum bei Joh. Hübner (Genealogische Tabellen 2. Teil, Leipzig 1727, Tafel 444 ‘Bronckhorst’ und Fahne III, Tafel II) nicht entscheiden, da keiner von diesen Namen dort genannt wird. Hingegen besteht die Verwandtschaft mit dem niederländischen Geschlecht von Culenburg schon seit der Mitte des 15. Jahrhunderts. 1450 vermählte sich Katharinas Urgroßvater, Henrik von Bronckhorst zu Battenburg, mit Catharina von Alpen, einer Erbtochter, deren Vater, Johann von Alpen, Herr auf Hönnepel, sich in zweiter Ehe mit Catharina von Bronckhorst-Battenburg, einer Schwester Henriks, 1470 verheiratete. Da er der letzte seines Geschlechts war, fiel die Herrschaft Hönnepel nach seinem Tode an die Familie Bronckhorst. Weil nun die Häuser Alpen und Culenburg durch die Eheschließung eines gewissen Ecbert von Alpen, der derselben Zeit angehörte, mit Mettildis, Tochter des Dynasten von Culenburg, eng verschwägert waren, hat es durchaus seine Berechtigung, wenn in dem Stammbuch der ‘Tochter von Hönnepel’ zwei Blätter die Wappen von Alpen und Culenburg tragen (Bl. 2 vo und 58 vo); auch die Namen Boetselaar und Garstorp (= Grastorp), deren Wappen in der Handschrift erscheinen (jene auf Bl. 3 vo und 59 ro oben, diese auf Bl. 61 ro unten), sind in der Ahnenliste des kölnischen Geschlechtes von Alpen vertretenGa naar voetnoot78. | |||||||||||||
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Großmutter Katharinas, die Mutter ihres Vaters und Gemahlin Dietrichs von Bronckhorst-Battenburg (gest. 1506 oder 1508). Sie lebte von 1484-1523. Das Freiherrn-, später Grafengeschlecht von Wilich stammte vom Niederrhein und führte einen roten Sparren mit eingeschlossenem roten Ring im silbernen FeldGa naar voetnoot80. | |||||||||||||
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ihr Bruder hatte sie, da er kinderlos starb, zur Alleinerbin aller seiner Güter eingesetzt, doch konnte sie die Erbschaft nicht antreten, solange Herzog Alba in den Niederlanden herrschte. Sie starb 1573 (Ferwerda 2,2); erst drei Jahre später; nach dem Genter Friedensschluß, wurden alle konfiszierten Güter wieder freigegeben, so daß wenigstens ihre eigene Tochter, Katharinas Nichte Gertrud, die im Jahre 1590 unvermählt starb, in den Besitz der Herrschaften Vianen, Ameide und Hönnepel gelangte (Hönnepel ubernahm sie von ihrem Vater Jodokus; vgl. Gouthoeven, D'Oude Chronijcke en Historien van Holland [1636], Bl. 123). Gemen selbst gehörte damals nicht mehr dem Hause, dessen Stammschloß es einmal gewesen war, sondern hatte am Ausgang des 15. Jahrhunderts durch Heirat der Erbtochter Cordula den Besitz gewechselt; es kam an die Grafen von Holstein-Schaumburg, in deren Händen es sich noch zur Zeit der Abfassung des Stammbuches befand. Die Enkel jener Cordula von Gemen waren es, die anno 1555 und 1556 die Lieder Nr. 3, Nr. 8 und Nr. 72 in die Handschrift einzeichnetenGa naar voetnoot82. Es bleibt nunmehr noch unsere Aufgabe, abschließend darzustellen, wie aus dem ursprünglichen Wappen- und Stammenbuch der Katharina von Bronckhorst und Battenburg nach 1546 allmählich ein Liederstammbuch wurde. Die Idee lag zwar nahe, zumal man sich seit dem späten Mittelalter Lieder, besonders Liebeslieder, in geschriebener oder gedruckter Form zum Jahreswechsel zu dedizieren pflegte. Aber nach all dem, was wir aus der Geschichte des Stammbuches wissen, darf Katharina von Bronckhorst auf Hönnepel als die erste Besitzerin eines solchen Liederstammbuches gelten. Das Stammbuch mit persönlichen Widmungen von Verwandten und Freunden entsteht im 16. Jahrhundert als Zeichen der Emanzipation der Persönlichkeit, und es ist vorzugsweise von jungen Leuten, besonders von Studenten gepflegt worden. Von Adelskreisen ausgehend, hat diese Sitte noch im gleichen Jahrhundert auch in | |||||||||||||
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bürgerlichen Kreisen Einzug gehaltenGa naar voetnoot85. Es war üblich, sich mit seinem Namen, Stand und Geburtsort, mit Devisen, Sinnsprüchen, Wappen oder sonstigen Zeichnungen zu verewigenGa naar voetnoot86. Westfalen nimmt in der Geschichte des deutschen Stammbuches einen besonderen Rang ein, da hier viele Frühzeugnisse, insbesondere aus dem Besitz adliger Damen, bekannt geworden sind. A.M. Hildebrandt bespricht in seinen ‘Stammbuchblättern des norddeutschen Adels’ (21884) die drei westfälischen Stammbücher von Leonhard von Wersabe, Franz von Domstorff und Johanna Elisabeth von Hake (1620-1628), zwei weitere sind bei J. Lütteken erwähnt: das Stammbuch der adligen Damen E. von Bevern (1571 ff.) und Gertrud von Bevern (1579 ff.)Ga naar voetnoot87. Am bekanntesten jedoch dürfte das westfälische Stammbuch von Katharina von Canstein (1578-1619) sein, das 1593 begonnen und nach dem Tode der Besitzerin bis 1672 weitergeführt worden ist. Es enthält 117 Porträts und verzeichnet 150 Namen von Angehörigen westfälischer und hessischer AdelsgeschlechterGa naar voetnoot88. Einer von 1712 bis zur Gegenwart reichenden Sammlung von Stammbüchern und Poesiealben hat Gertrud Angermann im Rahmen der vorliegenden Schriftenreihe eine umfassende Monographie gewidmetGa naar voetnoot89. Gegenüber dem Stammbuch stellt das mit der Darfelder Handschrift erstmals in Erscheinung tretende Liederstammbuch eine Neuerung dar. In den Eintragungen der frühen Stammbücher herrschte ursprünglich die Individualität vor. Der Einschreibende war aufgefordert, etwas für seine Person Bezeichnendes zu hinterlassen, er wählte zumeist seinen Wahlspruch (Devise oder Motto), da diese Sentenzen nicht als Gemeingut, sondern als persönlicher Besitz betrachtet wurden. Das Motto war oft mit einem Wappen gekoppelt und über das Wappen an die Familie des Betreffenden. Diese Wahlsprüche waren vielfach so bekannt, daß der ins Stammbuch Eintragende auf den vollen Wortlaut verzichten und sich mit Abkürzungen begnügen konnte. Solche Buchstabenfolgen tauchen auch in der Darfelder Handschrift auf Schritt und Tritt auf. Diese für den damaligen insider selbstverständlichen Bestandteile geben uns heutigen outsidern manche Rätsel auf. Meist ‘spotten sie jeder Bemühung, sie zu entziffern’Ga naar voetnoot90, nur in seltenen Fällen konnte bei kürzeren Folgen, teilweise auch unter Heranziehung der entsprechenden NachschlagewerkeGa naar voetnoot91, der Sinn erhellt werden: | |||||||||||||
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Der religiöse Grundcharakter dieser zum Bekenntnishaften neigenden Sprüche ist offenkundig. Eine große Zahl weiterer Buchstabenfolgen der Darfelder Handschrift harrt noch der Entschlüsselung. In diesen Liedunterschriften oder in den sonstigen Widmungen auf dem vorderen Spiegelblatt und einigen Blättern im Innern ohne zugehörigen Liedeintrag (z.B. Bl. 22 ro, 40 vo, 49 vo, 51 vo) gibt sich unsere Handschrift am ehesten wie ein Stammbuch. Die Verbindung aber zwischen einem Stammbuch und einem Liederbuch ist durchaus neu und originell. Konrad Ameln, der im Nachwort seiner Faksimileausgabe des Lochamer-Liederbuches 1925 diese Quelle noch als ‘eine Art Liederstammbuch einer jungen Dame’ (S. 14) bezeichnet hatte, ist in der Faksimile-Neuausgabe von 1972 (S. 9) aufgrund der Ausführungen von Chr. PetzschGa naar voetnoot92 von dieser Meinung abgerückt, so daß die Darfelder Liederhandschrift die Priorität für sich beanspruchen darf. Das Neue an einem Stammbuch dieser Art ist vor allem darin zu sehen, daß der um einen Eintrag Gebetene nun nicht mehr nur Persönliches, Individuelles niederschreibt, sondern von ihm gedächtnismäßig Tradiertes, intersubjektiv Vermitteltes festhält. So wird das Liederstammbuch, soweit die Texte nicht aus schriftlicher Quelle kopiert werden, zum wichtigen frühen Zeugnis für aktiven Liedbesitz, für die Aneignung von kollektivem Liedgut durch das Individuum und die dabei vor sich gehenden Veränderungsprozesse, wie sie bisher weitgehend nur an neueren Liedaufzeichnungen erforscht wurdenGa naar voetnoot93. Als Liederstammbuch ist die Darfelder Handschrift wohl das erste seiner Art, aber es ist keineswegs das einzige geblieben. Es scheint, als ob unsere Handschrift am Anfang einer Modewelle steht, in deren Gefolge in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts - wiederum im Nordwesten des deutschen Sprachgebietes - eine lange Reihe ähnlicher Quellen zutage treten, die als Vergleichsbeispiele für diese neue Überlieferungsform des ‘Liedes im Stammbuch’ angeführt werden sollen. Zunachst ist hier das Liederbuch der Katharina von Hatzfeld zu nennen. Die Besitzerin war die Gemahlin Werners von Hochsteden, der 1532-1558 Hofmeister des Herzogs von Jülich war. In diese Zeit fällt auch die Eintragung der Herzogin Amalia von Cleve-Jülich-Berg in dieses Liederbuch, was zu der falschen Annahme geführt hatte, | |||||||||||||
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Amalia sei die Eigentümerin der Handschrift gewesen. Karl SchumacherGa naar voetnoot94 hat die Dinge richtiggestellt und vermerkt, daß das mit Amalias Unterschrift versehene Lied nichts anderes war als ‘eine erbetene spende der herzogin zu dem stammbuch einer freundin oder hofdame’. Was sich hier nur mit einem einzelnen Liedtext ankündigt, setzt sich in einer etwas späteren Handschrift verstärkt fort: Die Benckhäuser Liederhandschrift von 1573-1588 galt bisher als das früheste Zeugnis eines Liederstammbuches, worauf P. Alpers bereits mit Nachdruck hingewiesen hatte: ‘Unsere Liederhandschrift stellt ein Stammbuch dar, in das 34 Freunde und Freundinnen der Besitzerin [Anna Lüning] Lieder und Sprüche mit ihriem Namen eintrugen. Es treten viele bekannte Namen aus dem niederdeutschen, besonders westfälischen Adel auf’Ga naar voetnoot95. Die zur gleichen Zeit in Westfalen entstandene Quarthandschrift von 1579 geht ebenfalls nicht auf eine Schreiberpersönlichkeit zurück. In ihre Abfassung teilen sich mehrere Personen: dem Hauptschreiber Everwinus Droste haben Schreiber wie Anna von Kerckrinck, v. Heyden, I.V. Twickel u.a. ihre Lieder gewidmet, wobei vor allem das Beiwerk, bestehend aus Zeichnungen, Sprüchen usw. auf den Charakter als Stammbuch hindeutet. Zwei Abbildungen aus dieser auch räumlich eng zu D gehörenden Quelle sollen die typologische Verwandtschaft vor Augen führen. Fig. 1 Quarthandschrift 1579, S. 2
Fig. 2 Quarthandschrift 1579, S. 62
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In bezug auf die weiteren Liederstammbücher des 16. Jahrhunderts können wir uns kürzer fassen, zumal sie in der Forschung bekannt sind. Hier wäre vor allem die von Arthur Kopp ausgewertete Niederrheinische Liederhandschrift Mgq 612 von 1574 zu nennen, deren zweiter Teil stammbuchartige Liedeintragungen aus Adels- und Studentenkreisen enthält. Als Liederstammbuch ist auch die oberdeutsche Liederhandschrift des Freiherrn von Reiffenberg von 1589-1600 zu bezeichnen, in die sich adlige Damen und Herren außer mit Liedern auch mit Namen, Sinnsprüchen und Abkürzungen verewigt haben, ‘Liebhabern solcher Spielereien erwünschten Stoff zur Enträtselung bietend’Ga naar voetnoot96. Endlich ist Langebeks Quarthandschrift zu nennen, die vom Erscheinungsbild her gesehen starke Übereinstimmungen mit D erkennen läßt. Ein kurzes Wort muß auch noch dem Spruchgut der Darfelder Handschrift gewidmet werden. Ein Großteil der von Katharinas Freunden und Verwandten gewidmeten Lieder schließt mit einem Reim oder Spruch ab, bei manchen Eintragungen häufen sich diese Nachschriften sogar zu ganzen Sammlungen (vgl. z.B. D 14, 17, 45, 81). Auch in diesem Zug erkennen wir eine neue Entwicklung in der Liedüberlieferung des 16. Jahrhunderts: die Affinität zum Spruchgut, die dann etwa beim Liederbuch P. v.d. Aelst dazu geführt hat, daß ein großer Prozentsatz der Liedtexte mit einem nachgestellten Vers versehen ist. Diese Mode dringt schon vorher in die populären Flugblatteindrucke ein. Es scheint allerdings nicht so zu sein, als ob bestimmte Schreiberverse mit entsprechenden Liedern eine feste Verbindung eingegangen wären. Jedenfalls konnte kein Fall dieser Art in den Konkordanzen ausfindig gemacht werden. Die Annahme allerdings, in dem Spruchgut äußere sich der jeweilige Schreiber in seiner Individualität, erweist sich in der Mehrzahl der Fälle als unzutreffend. Ähnlich, ja vielleicht noch stärker als das Liedgut scheint die Spruchdichtung von der Vermittlung durch gedruckte Quellen abhängig zu sein, so daß sich viele der Schreiberverse als abgeleitet identifizieren ließen. Dabei spielt das sog. Niederdeutsche Reimbüchlein des 16. Jahrhunderts eine besondere Rolle, weshalb wir den Kommentar von W. Seelmann zu dieser wichtigen Spruchsammlung hier wiedergeben: ‘Zu keiner Zeit jedoch, weder vorher noch nachher, hat die Verbreitung der Sprüche solche Dimensionen angenommen als im sechzehnten Jahrhundert. Keine Dichtungsart, weder Drama noch Lied noch Volksbuch, konnte damals, was Verbreitung und Volkstümlichkeit betrifft, mit der Spruchdichtung wetteifern. Literaturgeschichte und Bibliographie lehren, wie zu jener Zeit Werke, deren wesentlicher Inhalt aus Sprüchen bestand, in schnell aufeinanderfolgenden Nachdrücken und Bearbeitungen sich über Deutschland verbreiten, aber mehr als sie lassen die monumentalen Überbleibsel die Freude jener Zeit am Spruche erkennen. In Rat- und Wohnhaus, in Kirche und Taverne bedeckten Bild und Spruch die Wände. Auf den Glocken auf den Türmen, den Geschützen auf den Wällen, den Krügen und Tellern, auf den Gesimsen, auf den Rändern der Bücher, überall, wo es nur anging, brachte man längere oder kürzere Sprüche an. Es schien, als wenn jede Stadt eine gnomische Anthologie, jedes Haus ein Blatt in derselben zu sein sich bestrebte’Ga naar voetnoot97. | |||||||||||||
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In die Reihe der Quellen zum Spruchgut fügt sich somit auch unsere Liederhandschrift mit manchen bekannten, aber auch einigen neuen und originellen Sprüchen anGa naar voetnoot97a. Allerdings ist in unserer Handschrift der sonst in Stammbüchern häufigere Fall, daß bereits vorhandene Eintragungen ergänzt oder abgeändert werden, nur an einer Stelle zu vermerken: s. Bl. 56 ro (zu D 61), wo in dem französischen Vers femme zweimal durch homme ersetzt ist (wohl von Frauenhand). Ein launiges Gegenstück dazu vermerkt Keil aus einem Stammbuch Jena 1759, wo im ursprünglichen Eintrag Non est mortale quod opto das Wort mortale durch morale ersetzt wurdeGa naar voetnoot98. Eine abschließende Bemerkung wollen wir den Zeichnungen unserer Handschrift widmen, die zwar an keiner Stelle den Rang von Kunstwerken erreichen, aber doch mit den Eindruck verstärken, daß es sich bei diesem Liederbuch um ein von jungen, unbekümmerten und lebensfrohen Menschen zusammengestelltes Dokument handelt. Entsprechend häufig kommen auch Zeichnungen mit verschiedenen Liebessymbolen vor. Bl. 16 vo hat Graf E. von Holstein-Schaumburg seinen Liedeintrag mit einer kleinen Zeichnung abgeschlossen: verschlungene Hände, darunter an einem Band ein Herz mit einer Säge; ähnlich bei Katharina (Abb. 7). Besonders häufig taucht an Strophen- und Liedenden in allen möglichen Variationen der Knoten oder Liebesknoten (laqueus amoris, vinculum Veneris, nld. minnestrickGa naar voetnoot99) auf (s. Abb. 3, 4, 6), der aufgrund seiner angeblichen magischen Wirkungen u.a. von Liebenden verwendet wurde, aber auch aus anderen magischen Praktiken als Hexenknoten usw. bekannt istGa naar voetnoot100. An weiteren Zeichnungen sind noch zwei Narrendarstellungen (Abb. 5, 9), mehrere Narrenkappen (Bl. 27 ro, Bl. 38 vo), ein trinkender Ritter (Bl. 95 vo) und eine Blumenvase (Bl. 98 ro) zu erwähnen. Dazu treten unter vielen Liedern Kronen, Bordüren und sonstige Ornamente, bei denen sich besonders die weiblichen Mitarbeiter der Handschrift hervorgetan haben. |
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