Die Darfelder Liederhandschrift 1546-1565
(1976)–Katharina van Bronckhorst en Batenborch– Auteursrechtelijk beschermd
[pagina 28]
| |
6. Die Darfelder Liederhandschrift im Umkreis anderer Liedquellen ihrer ZeitDie Darfelder Liederhandschrift ist das Ergebnis der Mitarbeit von 55 Schreibern, und entsprechend der Vielfalt von Beiträgen weist unsere Handschrift vielerlei Beziehungen zu den sonstigen Quellen handschriftlicher und gedruckter Liedüberlieferung des 16. Jahrhunderts auf. Die verschiedenen Kulturströmungen haben ihren Niederschlag in diesem Dokument gefunden, oberdeutscher Einfluß ist darin ebenso zu fassen wie der westliche Einfluß aus den Niederlanden und auch aus Frankreich. Am Niederrhein imd in Westfalen strömten zur Zeit der Entstehung unserer Liedhandschrift Texte aus vielen Gegenden Deutschlands zusammen. Und gerade in diesen Landschaften entstanden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Fülle von Liederhandschriften, die wir als Spiegel dieser Kulturströmungen ansehen und als eine eng zusammengehörige Gruppe von Dokumenten zur Geschichte des Liedes und seiner Traditionsprozesse begreifen können. Durch die Darfelder Liederhandschrift wird diese Gruppe von niederdeutschen Sammelhandschriften um die bisher früheste und zugleich wertvollste bereichert, denn sie führt nicht nur genau in den Schnittpunkt der Kulturstromungen Nord-Süd bzw. Ost-West, sondern sie bietet durch die Vielseitigkeit der Texteintragungen, durch ihre Sprüche, Wappen, Zeichnungen, Namen und Devisen zugleich den lebendigsten Eindruck aus dem Raum und der Zeit, der sie angehört. Gemeinsames Kennzeichen dieser Gruppe von Liederhandschriften ist es, daß sie ländlichen Adelskreisen entstammen und daß vor allem weibliche Angehörige dieses Junkertums für die Bewahrung des Liedgutes aristokratischer Prägung Sorge getragen haben. ‘Den alten Schlössern entstammen die meisten und besten Liedersammlungen’Ga naar voetnoot33. Zu den Adelsliederhandschriften treten einige weitere Sammlungen aus stadtbürgerlichen und studentischen Kreisen, während wir bei einigen wenigen Quellen des 16. Jahrhunderts keine soziale Zuweisung vorzunehmen vermögen. Eine Zusammenstellung der Quellen haben StephanGa naar voetnoot34 und neuerdings HoltorfGa naar voetnoot35 sowie SuppanGa naar voetnoot36 vorgenommen. Als das früheste Beispiel einer handschriftlichen Liedersammlung aus dem niederrheinischen Raum ist die sog. Zütphener Liederhandschrift aus dem Jahre 1537 in der Weimarer Landesbibliothek anzusehen, die zunächst überwiegend niederländisches Liedgut enthielt, bevor sie von ‘Hanns aus Kolstege 1540 ferandertt’ wurde, indem er eine Reihe hochdeutscher Texte hinzufügte. Mit dieser frühen Handschrift teilt die Darfelder Handschrift sieben Texte: Nr. 6 = D 29; Nr. 10 - D 17; Nr. 12 = D 18; Nr. 25 = D 25; Nr. 26 = D 22; Nr. 27 = D 65; Nr. 29 = D 30. Ebenfalls in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts und an den Niederrhein gehört die Liederhandschrift der Katharina von Hatzfeld, früher wegen einer Widmung | |
[pagina 29]
| |
fälschlich als das Liederbuch der Herzogin Amalia von Cleve bezeichnet. Von den 33 Liedern sind ein Teil geistliche; unter den weltlichen registrieren wir fünf Konkordanzen zum Darfelder Liederbuch: Nr. 8 = D 84; Nr. 17 = D 46; Nr. 22a = D 20; Nr. 25 = D 31; Nr. 27 = D 54. Über einen längeren Zeitraum hin erstreckt sich ähnlich wie bei D die Entstehung von Langebeks Quarthandschrift (København, Ny kgl. Saml. 816,4o) am Hofe des dänischen Königs Friedrich II. In diese von E. Kroman als ‘Hofherrenhandschrift’ bezeichnete dänische Quelle sind beginnend mit dem Jahre 1570 auch 70 deutsche Liedtexte eingeschrieben worden, die sich zu den Texten von D wie folgt verhalten (7 Konkordanzen): Nr. 94 = D 89; Nr. 122 = D 20; Nr. 148/151 = D 42/75; Nr. 116 = D 66; Nr. 99 = D 52; Nr. 129 = D 25; Nr. 136 = D 22. Langebeks Handschrift ist wie das Liederbuch des Fräuleins von Bronckhorst ein ausgesprochenes Liederstammbuch (s. unten Kap. 8). In das deutsch-niederländische Grenzgebiet gehört aufgrund des sprachlichen Befunds die Berliner Liederhandschrift vom Jahre 1568 (Mgf 752), die von A. Kopp beschrieben wurde. Sie enthält auf 78 Blättern 126 vollständige Lieder und ein Fragment. Darunter befindet sich mit insgesamt 25 Konkordanzen eine hohe Zahl von Paralleltexten, so daß die Handschrift Mgf 752 neben der von 1575 (s. unten) und der aus einer anderen Landschaft stammenden oberdeutschen Handschrift Pal. 343 in Bezug auf das Repertoire als am nächsten verwandt bezeichnet werden kann: Nr. 1 = D 57; Nr. 4 = D 48; Nr. 5 = D 21; Nr. 7 = D 24; Nr. 9 = D 13; Nr. 14 = D 22; Nr. 16 = D 46; Nr. 17 = D 68; Nr. 18/20 = D 81; Nr. 21 = D 66; Nr. 22 = D 65; Nr. 23 = D 62; Nr. 30 = D 25; Nr. 31 = D 15; Nr. 39/93 - D 60; Nr. 37 = D 98; Nr. 44 = D 67; Nr. 47/52 = D 18; Nr. 58 = D 28; Nr. 70 = D 42/75; Nr. 73 = D 38; Nr. 108 = D 52; Nr. 113 = D 86; Nr. 122 = D 35; Nr. 125 = D 63. Die noch unveröffentlichte Liederhandschrift der Brüder von Helmstorff 1569/75 (Berlin, Mgq 402) enthält im dritten Teil eine Sammlung von 44 Liebes- und Gesellschaftsliedern, worunter sich auch sieben Textkonkordanzen zum Darfelder Liederbuch befinden: III, Nr. 2 = D 46; Nr. 7 = D 30; Nr. 17 = D 42/75; Nr. 19 = D 81; Nr. 25 = D 16; Nr. 29 = D 21; Nr. 35 = D 89. Die Benckhäuser Liederhandschrift im Besitz der Baronin von der Busche-Münch in Göttingen wurde 1573-1588 in Benckhausen/Westfalen von einer Anna Lüning als Liederstammbuch angelegt. Die 125 Bll. enthalten 44 Lieder, darunter 14 Unicate. Außer einigen Stammbuchversen erweisen sich fünf Lieder als mit D identisch, bei einem sechsten Lied muß die Frage der Identität offen bleiben: Nr. 1 = D 14; Nr. 11 = D 46; Nr. 18 = D 96; Nr. 23 = D 44; Nr. 25 = D 28. Nr. 10 könnte zu D 9 gehören, was nur durch einen Textvergleich zu erhellen wäre. Die Texte dieser Handschrift sind jedoch bisher größtenteils unpubliziert. Die zeitlich nächste Quelle ist die ebenfalls von Arthur Kopp beschriebene Niederrheinische Liederhandschrift von 1574 (Berlin, Mgq 612). Das aus Studentenkreisen stammende Dokument enthält im ersten Teil 69 mit peinlicher Sorgfalt registrierte Liedtexte, denen sich im zweiten Teil ein Stammbuch anschließt; das neben Sinnsprüchen, Anfangsbuchstaben usw. nochmals 7 Liedeintragungen auf- | |
[pagina 30]
| |
weist. Der erste Teil ist um 1576 abgeschlossen worden. Zu den darin überlieferten Texten können wir in 10 Fällen Konkordanzen aus der Darfelder Liederhandschrift namhaft macben: Nr. 3 = D 59; Nr. 6 = D 53/78; Nr. 17 = D 38; Nr. 22 = D 21; Nr. 24 = D 48; Nr. 42 = D 20; Nr. 46 = D 71; Nr. 52 = D 16; Nr. 59 = D 70; Nr. 63 = D 57. Die Osnabrückische Liederhandschrift (Berlin, Mgf 753) wurde 1575 begonnen und ist nach Ausweis von A. Kopp etwa 1577 abgeschlossen worden. ‘Den Stifter und wahrscheinlich in derselben Person auch den Schreiber dieser Liedersammlung wird man, wie noch öfters, auf einem Landedelsitz suchen müssen, und zwar im Nordwesten... Alle Geschlechternamen, die vorkommen, weisen in die Gegenden von Oldenburg über Osnabrück nach Westfalen’Ga naar voetnoot37. Nicht weniger als 31 der 150 Lieder von Mgf 753 weisen eine Parallele in D auf: Nr. 5 = D 30; Nr. 8 = D 46; Nr. 9 = D 25; Nr. 11 = D 96; Nr. 13 = D 44; Nr. 16 = D 76; Nr. 19 = D 62; Nr. 20 = D 52; Nr. 23 = D 23; Nr. 24 = D 102; Nr. 26 = D 65; Nr. 29 = D 22; Nr. 30 = D 83; Nr. 37 = D 21; Nr. 38 = D 28; Nr. 40 = D 81; Nr. 41 = D 71; Nr. 42 = D 32; Nr. 43 = D 16; Nr. 61 = D 10/63; Nr. 70 = D 74; Nr. 71 = D 48; Nr. 77 = D 20; Nr. 92 = D 38; Nr. 94 = D 66; Nr. 97 = D 54; Nr. 98 = D 4/68; Nr. 103 = D 57; Nr. 105 = D 15; Nr. 129 = D 31; Nr. 148 = D 88. Paul Stötzner hat eine Musikalienhandschrift der Zwickauer Ratsschulbibliothek, Mappe Nr. 103, beschrieben. Erhalten ist das Tenorheft zu vier- und fünfstimmigen Gesängen, darunter 54 deutschen Liedern aus dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts. An Konkordanzen zu D sind drei zu verzeichnen: Nr. 22 = D 103; Nr. 27 = D 66; Nr. 39 = D 52. Aus dem Nachlaß von Karl Schulte Kemminghausen stammt die erstmals 1838 von F.J. Mone beschriebene Quarthandschrift von 1579 aus einem aufgehobenen westfälischen Nonnenkloster, die lange Zeit als verschollen galtGa naar voetnoot38. Sie teilt mit der Darfelder Handschrift den Charakter des Liederstammbuches und weist fünf Textparallelen zu ihr auf. (Bei der Numerierung der Lieder folgen wir nicht Mone, da dieser die Texte aus der Handschrift zusammen mit anderen Texten des 16. Jahrhunderts veröffentlichte und eine eigene Numerierung benutzte): Nr. 5 = D 85; Nr. 11 = D 96; Nr. 14 = D 46; Nr. 15 = D 32; Nr. 21 = D 76. Nr. 26 hat einige Motive mit D 49 gemeinsam. Zu der früher in der Fürstlich Stolbergischen Bibliothek zu Wernigerode befindlichen Liederhandschrift des Grafen Hans Gerhard von Manderscheid aus dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts liegt nur ein knappes Incipitregister von Johannes Bolte vor. Die aus der Eifel stammende Adelshandschrift enthält 84 Liedtexte; sie gilt als verschollen. Aufgrund der von Bolte mitgeteilten Initien lassen sich in 21 Fällen Konkordanzen mit unserer Handschrift anführen: Nr. 8 = D 57; Nr 10 = D 67; Nr. 14 = D 62; Nr. 16 = D 15; Nr. 18/83 = D 96; Nr. 39 = D 29; Nr. 41 = D 64; Nr. 44 = D 53/78; Nr. 45 = D 18; Nr. 46 = D 48; Nr. 47 = D 22; Nr. 48 = D 25; Nr. 53 = D 20; Nr. 54 = D 81; Nr. 55 = D 23; Nr. 57 = D 16; Nr. 62 = D 101; Nr. 65 = D 56; Nr. 69 = D 33; Nr. 73 = D 85; Nr. 81 = D 102. | |
[pagina 31]
| |
In der Darmstädter Liederhandschrift von 1587, geschrieben von Arnoldus Krouft dictus Creudener, dem Sohn des Kölner Bürgermeisters Henrich Krufft gen. Crüdener, die von Arthur Kopp in einem kurzen Aufsatz 1905 als besonderes Musterbeispiel für Nachlässigkeit und Verwilderung angeführt wurde, stehen neben mehreren identischen Stammbuchsprüchen zwei mit D übereinstimmende Liedtexte: Bl. 86 ro = D 38; Bl. 133 vo = D 17. Die Brüsseler Liederhandschrift steht am Ende dieser langen Reihe verwandter Quellen aus dem niederdeutschen Raum. Dem von Robert Priebsch beschriebenen Dokument gehören u.a. fünf Liedtexte an, die sich als Textparallelen zu Liedern der Darfelder Handschrift erweisen: Bl. 77 ro/95 ro = D 38; Bl. 115 ro = D 17; Bl. 118 ro = D 25; Bl. 119 ro = D 18; Bl. 119 vo = D 29. Die herangezogenen Quellen aus dem Zeitraum zwischen ca. 1540 und 1600 erweisen den Raum auf der Grenze zwischen hoch- und niederdeutschem Sprachgebiet und in der unmittelbaren Nachbarschaft zu den Niederlanden als ein Hauptgebiet nachhöfischer Liedkultur in der frühen Neuzeit. Im Zentrum der Begegnung mehrerer Kulturströmungen entstand am Niederrhein und im westlichen Westfalen ein Umschlagplatz für Liedtexte, die sich vor allem auf mündlichen Wegen weiterpflanzten und in den zahlreichen stammbuchähnlichen Sammelhandschriften dieser Zeit ihren Niederschlag fanden. Es war weitgehend literarisches Wandergut, das sich aber von den gedruckten Vorlagen losgelöst hatte und frei umgestaltet und variiert in das Repertoire liederfreundlicher ländlicher Adelskreise aufgenommen werden konnte. Der Rezeptionsweg der einzelnen Texte in unserer Quelle ist jedoch von unterschiedlicher Länge. Nicht alle der 106 Lieder können pauschal zu diesen frei verfügbaren und von schriftlichen Vorbildern losgelösten Überlieferungen hinzugerechnet werden. Zwar lassen viele Fassungen aufgrund fortgeschrittener Auflösung des Form- und Sinnzusammenhanges einen voraufgegangenen Vermittlungsprozeß von längerer Dauer unschwer erkennen, aber dafür stehen andere Liedtexte in D ihren Quellen noch sehr viel näher und verdeutlichen die Möglichkeit unmittelbarer Abhängigkeit von gedruckten Vorlagen. Daß dabei die in Form von Flugblättern verbreiteten Einzeldrucke mit Liedtexten als Vorbilder kaum in Frage kommen, überrascht etwas. In sehr wenigen Fällen können wir in den Kommentaren eine direkte Abhängigkeit unserer niederrheinisch-westfälischen Texte von populären Kleindrucken unter Beweis stellen (z.B. bei D 103), woraus zu schließen ist, daß die sog. Flugblatt-Literatur auf das Liedgut der hier untersuchten Adelskreise offenbar keinen direkten Einfluß ausgeübt hat. Hier unterscheiden sich die Adelshandschriften stark von den handschriftlichen Liedersammlungen stadtbürgerlicher Kreise der Zeit, in denen die Einflüsse der gedruckten Liederheftchen mit Händen zu greifen sind, z.B. in dem Skizzenbuch des Augsburger Webers Simprecht Kröll (1516) oder in der Augsburger Sammelhandschrift des Valentin Holl (1525). Dasselbe gilt wohl auch für die Heidelberger Handschrift Pal. 343 aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Die Beeinflussung und Befruchtung der mündlichen Liedtraditionen dieser Adelskreise scheint durch andere ‘Medien’ verursacht worden zu sein. Hier kommen wohl die frühen weltlichen Liederbücher des 16. Jahrhunderts in Frage, die einen deutlichen Niederschlag in der Darfelder Liederhandschrift hinterlassen haben. | |
[pagina 32]
| |
Das Repertoire des ältesten Liederbuches aus der vorreformatorischen Periode des deutschen Renaissanceliedes, die Sammlung von Arnt von Aich (Köln um 1510), spiegelt sich in sechs Texten der mehr als eine Generation jüngeren niederdeutschen Handschrift. In der Vorliebe einiger Schreiber für das in kunstvollen Strophenformen gebaute Liedgut für höhere Gesellschaftskreise erkennen wir den unübersehbaren aristokratisch zu nennenden Grundzug der Handschrift, der auch dazu geführt hat, daß derbe oder gar obszöne Texte, die in der zeitgenössischen Flugschriftenliteratur so reichhaltig vertreten sindGa naar voetnoot39, hier so gut wie ausgeschaltet blieben. Konkordanzen von Arnt von Aich zu D bestehen bei folgenden Liedern: Nr. 2 = D 46; Nr. 13 = D 91; Nr. 18 = D 11; Nr. 21 = D 89; Nr. 24 = D 97; Nr. 42 = D 66. In allen diesen Fällen ist die Abhängigkeit sehr eng, so daß hier literarische Vermittlung über wenige Zwischenstufen vorliegen dürfte. Ähnliche innovatorische Anstöße dürften auch von späteren gedruckten Liedersammlungen ausgegangen sein. Mit den Gassenhawern und Reutterliedlin (o.O.u.J.) aus der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts teilt unsere Liederhandschrift z.B. ebenfalls fünf Texte: Nr. 6 = D 38; Nr. 21 = D 65; Nr. 26 = D 22; Nr. 29 = D 46; Nr. 41 = D 25. Aber hier handelt es sich um verbreitetes Liedgut der Zeit, das unserer Handschrift genauso gut aus anderen gedruckten Sammlungen zugeflossen sein könnte. Hier wären noch die Bergreihen von 1531 mit drei Folgen von 1533 bis 1537 zu nennen, denen unsere Handschrift auf direktem Wege zumindest zwei Stücke (D 2 und D 26) verdankt. Auch der Einfluß von Georg Forsters Frischen Teutschen Liedlein von 1539-1556 in unserer Handschrift ist ganz offenkundig. Die vorwiegend hochdeutsch geprägten Texte dieser und anderer Liederbücher sind im Zuge der in den Rheinlanden herrschenden allgemeinen Kulturströmungen dieser Zeit auf schriftlichem Wege an den Niederrhein und nach den Niederlanden gelangt. Ein Sammelbecken für das aus verschiedenen Kanälen zusammenströmende Liedgut war dort das Antwerpener Liederbuch vom Jahre 1544, dessen Anteil an hochdeuschem Liedgut von Johannes Koepp auf ein Sechstel des Gesamtumfanges berechnet worden ist. Von der Wirkungsgeschichte dieser Sammlung von 221 Texten verschiedensten Inhalts in alphabetischer Anordnung wissen wir bisher wenig. Da dieses Buch schon im Jahre 1546 wegen seines teilweise freizügigen Inhalts von der Universität Leuven indiziert wurde und den danach einsetzenden Verfolgungen und Beschlagnahmungen der Sammlung nur ein einziges zufälliges Exemplar in der Bibliothek von Wolfenbüttel entging, hat man sich bisher über seinen Einfluß auf die zeitgenössische Liedtradition kein genaues Bild machen können. Mit der Darfelder Handschrift sind wir in der Lage, bei der Klärung dieser Frage wichtige neue Erkenntnisse beizusteuern. Katharina von Bronckhorst vollendete den Grundstock ihrer Sammlung im gleichen Jahr, als das Antwerpener Liederbuch aus dem Verkehr gezogen wurde. Die Abfassung dieses Teils ihrer Handschrift fällt demnach mit der kurzen Periode der Wirkung des in Antwerpen gedruckten Buches zusammen. Das Repertoire Katharinas läßt deutlich werden, daß sie sich der Zug- | |
[pagina 33]
| |
kraft dieses bedeutenden Mittlers von neuen Texten nicht entziehen konnte. Der statistische Befund vermittelt zahlenmäßig folgendes Bild: Nr. 36/212 = D 40; Nr. 74 = D 17; Nr. 72 = D 27; Nr. 102 = D 31; Nr. 114 = D 18; Nr. 115 = D 73; Nr. 161 = D 36/94; Nr. 205 = D 24. Zu diesen acht Vollkonkordanzen tritt eine weitere Strophenkonkordanz bei Nr. 103 - D 20. Kehren wir dieses Verzeichnis von Konkordanzen um, so ergibt sich, daß von den 20 Liedern Katharinas von Bronckhorst (Nr. 16, 22-40) allein 5, also genau ein Viertel, unmittelbar oder mittelbar auf das Antwerpener Liederbuch zurückgehen. Die Lieder D 24 und D 27 sind fast wortwörtlich aus dem Liederbuch abgeschrieben, wobei die leichten sprachlichen Veränderungen auf das Konto der Schreiberin gehen könnten, von der anzunehmen sein wird, daß ihr ein Exemplar des Antwerpener Liederbuches vorlag. Diese Vermutung verdichtet sich zur Gewißheit angesichts des Textes D 31, in dem Katharina so eng der Vorlage (Nr. 102) folgt, daß sie sogar die offenkundigen Verderbnisse dieser Fassung wortgetreu übernimmt. Wieder ein anderes Bild bietet D 36, wo Katharinas Abschrift offensichtlich durch Diktat vermittelt wurde und sich in ihren Text daher einige Hörfehler eingeschlichen haben (s. den Kommentar zu D 36). Ein aufschlußreiches Beispiel für eine vom Antwerpener Liederbuch unabhängige Texttradition liefert zur gleichen Zeit D 94 mit einer vollständiger erhaltenen Fassung des ursprünglich hochdeutschen Tageliedes. Der Text D 40 von Katharinas Hand gehört zwar zu einem im Antwerpener Liederbuch vertretenen Liedtypus, aber es besteht keine direkte Abhängigkeit, so daß das Repertoire der Besitzerin unseres Liederbuches insgesamt gesehen die verschiedenen Ebenen vor Augen führt, auf denen sich die Tradierung von Texten - ausgehend von einer genau zu identifizierenden Quelle - vollzieht: Der Einfluß der gedruckten Quelle ist offenkundig, aber neben und parallel zu ihr kursieren die gleichen Lieder in unabhängigen Versionen. Wir sehen daraus, wie Liedersammlungen dieser Art ihre Wirkung dem Umstand verdanken, daß ihre Herausgeber das Ohr am Puls der Zeit hatten und dem Publikum genau das anboten, was es ohnehin schon kannte bzw. benötigte. Die gedruckte Liedersammlung stützt und begleitet die orale Tradition von Liedern; sie ist damals noch keinesfalls in der Lage gewesen, dieselbe ganz zu vertreten oder gar zu verdrängen. Als Beweis können auch die übrigen Konkordanzen von D mit dem Antwerpener Liederbuch (D 17, 18) dienen. Es besteht keine Abhängigkeit, sondern hier haben beide Quellen Teil an einer am Niederrhein und in den Niederlanden beheimateten regionalen Überlieferung, während das historische Ereignislied D 73 einen gegenüber dem Antwerpener Liederbuch sprachlich überlegenen Text repräsentiert. Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die weitere Entwicklung bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, so erkennen wir noch in späteren Liederbüchern die Tendenz der Kompilatoren, das Repertoire ihrer Sammlungen zu einem gewissen Teil dem älteren, oft schon Generationen alten Liedgut vorzubehalten, so daß viele Lieder dieser Bücher ähnlich wie in den älteren Vorgängern noch immer auch für Adelskreise als Identifikationsobjekte in Frage kamen. So läßt sich vielleicht die Kontinuität des Repertoires bis hin zum Niederdeutschen Liederbuch von ca. 1600 (Uhland - de Bouck) erklären, das genau wie das Ambraser Liederbuch von 1582 | |
[pagina 34]
| |
und die damit eng verwandten Sammlungen aus Erfurt, Köln und Berlin noch zahlreiche Konkordanzen zu D aufweisen. Wir beschränken die folgenden Angaben auf die Nachweise zum Niederdeutschen Liederbuch: Nr. 1 = D 81; Nr. 3 = D 78; Nr. 10 = D 66; Nr. 24 = D 25; Nr. 46 = D 38; Nr. 57 = D 84; Nr. 58 = D 20; Nr. 62 = D 54; Nr. 71 = D 65; Nr. 74 = D 22; Nr. 80 = D 46. |
|