Die Darfelder Liederhandschrift 1546-1565
(1976)–Katharina van Bronckhorst en Batenborch– Auteursrechtelijk beschermd2. Die Handschrift in der bisherigen ForschungDer Herausgeber der vorliegenden Edition arbeitet seit Jahren an der Aufgabe, den von ihm betreuten Gesamtkatalog der älteren deutschen Liedüberlieferungen im Deutschen Volksliedarchiv zu einem zentralen und umfassenden Dokumentations- und Auskunftsinstrument auszubauen. Im Rahmen der damit verbundenen Arbeiten zur Erschließung einschlägiger Bestände an Drucken und HandschriftenGa naar voetnoot5 vor 1800 wandte sich seine Aufmerksamkeit auch jener Gruppe von hoch- und mittelniederdeutschen Liederhandschriften der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts zu, die durch Arthur Kopp und Paul Alpers der Forschung zugänglich gemacht worden waren und die durch Repertoire, Sprachstand und sonstiges Beiwerk starke innere Bezüge zueinander erkennen lassen. Gemeint sind die Berliner Liederhandschriften Mgf 752, Mgf 753, Mgq 612 und die Benckhäuser Liederhandschrift. Im Zusammenhang damit fiel sein Augenmerk bereits in den 60er Jahren auf eine weitere mittelniederdeutsche Quelle, die sog. Darfelder Liederhandschrift, benannt nach | |
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ihrem jetzigen Aufbewahrungsort im Archiv der Grafen von Droste-Vischering auf Schloß Darfeld in Westfalen. Die Handschrift war durch eine wissenschaftliche Beschreibung und Charakterisierung (s. unten) der Forschung bekannt gemacht worden, die Texte selbst harrten jedoch der Publikation. Wieder einmal hatte sich bestätigt, was Conrad Borchling Jahrzehnte zuvor angesichts seiner Erfahrungen mit mittelniederdeutschen Quellen so formuliert hatte: ‘Wenn auch die mittelniederdeutsche Litteratur, zumal in ihren poetischen Denkmälern, niemals die hohe Bedeutung der reicheren mittelhochdeutschen Litteratur erreicht hat, so ist doch das geringe Maß von Beachtung, das sie noch bis heute überall findet, zu einem großen Teile nur eine Folge der mangelhaften Ausnutzung des handschriftlichen mittelniederdeutschen Quellenmaterials’.Ga naar voetnoot6. Die erste Beschreibung der Darfelder Liederhandschrift geht auf den Historiker L. Schmitz-Kallenberg zurück. Allerdings sah er das Dokument noch mit den Augen des Historikers, so daß seine knappe Deskription den Wert der Quelle für die Liedforschung nicht erkennen läßt und überhaupt der Handschrift wenig angemessen erscheint. Die Hinzuziehung eines Sprach- oder Literaturwissenschaftlers etwa vom Range eines Conrad Borchling hätte in diesem frühen Stadium nach der Auffindung der Handschrift zweifellos eine frühere Einführung dieser Quelle in die Liedforschung begünstigt. Ein solcher Kontakt unterblieb aber, so daß in das Inventar der nichtstaatlichen Archive des Kreises Coesfeld 1904 nur einige für den Historiker relevante Daten zu dieser Handschrift Eingang fanden: ‘Archiv der Domherren Droste. Darfeld, Schloß (Droste'sche Archive). C. Handschriften. Nach diesem ersten Hinweis auf Liedüberlieferung (Ballade!) in einer Handschrift auf Schloß Darfeld vergingen nochmals 23 Jahre, ehe sich neues Interesse diesem Dokument zuwandte. In das Verdienst der Entdeckung der Darfelder Liederhandschrift für die Forschung teilen sich der frühere Stadsarchivar von Münster i. W., Dr. Eduard Schulte, und der zunächst in Münster, später in Berlin lehrende Germanist Professor Dr. Arthur Hübner. Der Archivar legte dem Sprach- und Literaturhistoriker, der sich einige Jahre zuvor mit seinem wichtigen Buch über ‘Die deutschen Geißlerlieder’Ga naar voetnoot7a in der Liedforschung profiliert hatte, zu Anfang des Jahres | |
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1927 einige Abschriften aus der Handschrift vor und reizte damit den Liedforscher zu näherer Beschäftigung mit der Handschrift an. Arthur Hübner ließ sich daraufhin auf Vermittlung von Eduard Schulte beim Besitzer der Handschrift Kopien anfertigen und befaßte sich eine kürzere Zeit mit der Quelle. Schon am 7. Juni 1927 war Hübner in der Lage, auf der Pfingstversammlung des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung in Soest einen fundierten Bericht über ‘Eine neue niederrheinisch-westfälische Liederhandschrift aus dem 16. Jahrhundert’ vorzulegen. Dieser Bericht erschien zwei Jahre später im DruckGa naar voetnoot8. Der 11 Seiten umfassende Aufsatz würdigte zum ersten Mal die Darfelder Liederhandschrift in ihrer wahren Bedeutung für Sprach- und Literaturwissenschaft, für die Liedforschung und auch ganz allgemein für die Kultur- und Familiengeschichte des Niederrheins und Westfalens. Mit Hübners Einführung in die Darfelder Liederhandschrift lag eine die wichtigsten Probleme aufgreifende Darstellung vor. Die kurze Abhandlung war es, die den Herausgeber zum ersten Mal auf die Darfelder Handschrift aufmerksam werden ließ. Durch diese konzise Veröffentlichung war ein nicht unwichtiger Teil der Vorarbeit für die Edition der Handschrift geleistet. Die Dankbarkeit, die die heutige Liedforschung dem Berliner Gelehrten schuldet, sei mit der Nennung seines Namens auf dem Titelblatt dieser Ausgabe zum Ausdruck gebracht. Ergänzend sei erwähnt, daß Arthur Hübner die Darfelder Liederhandschrift mit dem gleichen Vortrag auch im Kreise der Berliner Volkskunde bekannt machte. Hübner, der aus Berlin stammte und 1924-1927 in Münster gewirkt hatte, war im Jahr seiner Beschäftigung mit der Darfelder Liederhandschrift an die Universität Berlin zurückberufen worden. Am 9. Dezember 1927 berichtete er in einer Sitzung des Berliner Vereins für Volkskunde über die Handschrift. Der Vortrag wurde von Hermann Kügler in der Zeitschrift für Volkskunde folgendermaßen zusammengefaßt: ‘Herr Prof. Dr. Arthur Hübner sprach über eine neuentdeckte Liederhandschrift, die sich im Besitze des Grafen von Droste-Vischering zu Darfeld befindet und 1540 von Katharina von Bronchorst und Battenberg auf Honnepel, Gattin des Balthasar von Brederode, angelegt ist. Sie diente der Besitzerin zugleich als Stammbuch, und die aus den Jahren 1546-1565 herrührenden, mit vielen Wappenbildern versehenen Eintragungen führen uns in die Kreise des westfälischen und niederländischen Adels, in denen sich, wie auch die Sprachmischung zeigt, mehrere Kulturströme treffen. Die Lieder, über 100 an der Zahl, sind offenbar aus dem Gedächtnis aufgeschrieben und zeigen ein etwas vornehmeres Niveau als das bürgerliche Ambraser Liederbuch; neben einigen Landsknechtsliedern und einer Auslegung des Würfelspiels erscheinen Liebes- und Gesellschaftslieder aller Art. Persönlichen Reiz bieten die 60 angehängten z.T. lateinischen und französischen Gedenksprüche’Ga naar voetnoot9. Die Liederhandschrift hatte durch die Arbeiten von Arthur Hübner ihre raumzeitliche Festlegung erfahren, die Bedeutung der darin enthaltenen Textüberlieferungen stand fortan außer jedem Zweifel, und selbstredend konnten diese Vor- | |
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berichte keinen Ersatz für eine vollständige kritische Edition darstellen, wie denn der Autor seinen begeisterten Bericht über die Vielseitigkeit der Handschrift mit den Worten abschloß: ‘Aber all das sind Dinge, denen sich mit Worten kaum mehr nachkommen läßt. Wer sich daran erfreuen will, muß zu der Handschrift selber greifen’Ga naar voetnoot10. Da naturgemäß ein solch wertvolles Dokument im Privatbesitz nicht zu öffentlicher Benutzung freigestellt werden kann, lag der Gedanke an eine vollständige Ausgabe nahe. Hübner plante denn auch eine wissenschaftliche Edition im Rahmen der von ihm selbst betreuten Publikationsreihe ‘Deutsche Texte des Mittelalters’ der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Seine zunehmenden Verpflichtungen an der Berliner Universität ließen ihm zu dieser langwierigen Aufgabe jedoch nicht ausreichend Zeit. Was er in einem kleinen Beitrag zur 1929 erschienenen Festschrift für Karl Wagenfeld vorlegen konnte, waren lediglich einige kurze Proben von Liedern und Sprüchen der Darfelder HandschriftGa naar voetnoot11. Auf der Suche nach Unterstützung bei dem Vorhaben einer Gesamtedition interessierte er eine seiner begabtesten Schülerinnen, Ada-Elise Beckmann, geb. Grube, für die Probleme der älteren deutschen Liedforschung und betraute sie mit einem Dissertationsthema, das einen Teil der erforderlichen Vorarbeiten beinhalten sollte. Die Dissertation wurde mit der Promotion am 11. Juli 1941 in Berlin abgeschlossen. Sie ist der Liedforschung bisher völlig unbekannt geblieben, da sie infolge der Kriegsereignisse nicht zum Druck gelangen konnte. Erst durch einen brieflichen Hinweis von Prof. Dr. Hans Neumann, dem Präsidenten der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, erfuhren wir von der Existenz der Dissertation. Die Autorin hatte nach dem Zweiten Weltkrieg in Zusammenarbeit mit der Göttinger Akademie den Plan zur Veröffentlichung gefaßt, war jedoch im September 1968 verstorben, ohne diese Arbeiten zu einem Abschluß bringen zu können. Ihre sämtlichen Unterlagen sowie eine vollständige Abschrift der Texte der Liederhandschrift waren ihr im Krieg verloren gegangen. Von ihrer Dissertation blieb durch einen großen Glücksfall ein einziges Exemplar erhalten. Das Manuskript der Arbeit war im Jahre 1940 in der Druckerei von C. Schulze in Gräfenhainichen/Sachsen gesetzt worden. Infolge der unsicheren Verhältnisse unterblieben jedoch der Korrekturvorgang und der Reindruck. Ein unkorrigiertes Exemplar der Umbruchkorrektur ist im Besitz von Herrn Dr. Bernhard Beckmann in Berlin erhalten geblieben. Er stellte es bereitwilligerweise für die Vorarbeiten an der nunmehr vom jetzigen Herausgeber in die Wege geleiteten Edition zur Verfügung. Die Dissertation von A.-E. Beckmann umfaßt 125 Druckseiten. Die Aufgabe der Verfasserin bestand darin, den Text von 25 Liedern der Handschrift druckfertig herzustellen, mit kritischem Apparat zu versehen, ferner in einer Einleitung auf allgemeine Probleme der Handschrift und der Liedforschung einzugehen. Da Berlin mit den großartigen Handschriftenbeständen seiner Staatsbibliothek ein außerordentlich günstiger Platz für vergleichende Liedforschungen dieser Art war und da A.-E. Beckmann mit gutem philologischem Rüstzeug die Aufgabe anpackte, ist die von ihr er- | |
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brachte Leistung als hervorragend zu bezeichnen. Allerdings lassen sich die Kriterien, nach denen die 25 Liedtexte aus der Handschrift für die Bearbeitung ausgewählt wurden, heute nicht mehr erkennen. Es hätte wohl noch dreier weiterer Dissertationen dieser Art bedurft, ehe Arthur Hübner die vollständigen Texte des Darfelder Liederbuches in kritischer Bearbeitung vorgelegen hätten. Wir haben die uns zur Verfügung gestellte Dissertation benutzt zur Kollation der 25 Liedtexte, wobei wir allerdings in zahlreichen Fällen von der Lesung der Verfasserin abweichen mußten, da sie sich offenbar nur auf zeitbedingt mangelhafte Kopien stützen konnte und nicht in die Lage versetzt war, ihre Transkriptionen an der Originalhandschrift zu überprüfen, die sie nie zu Gesicht bekommen hat. Die Kommentare bei A.-E. Beckmann bestehen großteils aus recht weitausholenden Monographien zu den untersuchten Liedern, die für die Zwecke der von uns gewählten knappen Kommentierung nicht brauchbar erschienen. Die einleitende Abhandlung der Dissertation besitzt ihren Schwerpunkt in der Analyse der verwandtschaftlichen Beziehungen der Besitzerin des Liederbuches mit den Adelshäusern in Norddeutschland, den Niederlanden etc. Der hier aufgebrachte Forscherfleiß soll dadurch Anerkennung finden, daß wir den die sog. Wappenbücher betreffenden Teil der Arbeit in die Einleitung der vorliegenden Edition übernehmen (s. unten S. 41-45), die deshalb auch den Namen der Berliner Verfasserin auf dem Titelblatt trägt. |
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