Anlehnung und Abgrenzung
(1976)–Ulrich Bornemann–Untersuchungen zur Rezeption der niederländischen Literatur in der deutschen Dichtungsreform des siebzehnten Jahrhunderts
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A. Gelegenheitsdichtung und PoetikWohl kaum ein Erzeugnis der barocken Poeterei ist in der literarischen Kritik so schlecht beurteilt worden wie das Gelegenheitsschrifttum. Es entspricht am wenigsten dem heutigen Bild von Dichtung und vor allem dann nicht, wenn man es gegen die Gelegenheitsdichtung Goethes hält. Man stellte an ihm blosse Handfertigkeit fest und betrachtete es als Ausfluss eines Schreibeifers, dem man Papier und Druckerschwärze hätte versagen müssen. Solche Beurteilungen entspringen einer unangemessenen Betrachtungsweise, die die Bedeutung der Gelegenheitsdichtung völlig ausser acht lässt. Im Schaffen der Dichter nimmt sie einen zentralen Platz ein und steht häufig am Anfang. Es wurde bereits erwähnt, dass Opitz' erste Verse in deutscher Sprache auf den Geburtstag von Caspar Hieronymus Scultetus geschrieben wurden und dass Kölers erster nachweisbarer Druck zu einer Hochzeit erschien. Buchners Werdegang als eines deutschen Dichters soll ebenfalls mit Epithalamien begonnen haben.Ga naar eind1 Die Gelegenheitsdichtung stellt somit eine wichtige Stufe auf dem Weg zur muttersprachlichen Dichtung dar. Für den Literaturhistoriker ist sie ein willkommenes Hilfsmittel, einzelne Stationen der Biographie zu rekonstruieren und die dichterische Entwicklung nachzuvollziehen.Ga naar eind2 Die negative Kritik ist nicht erst modernen Ursprungs. Schon Opitz widmet ihr einen Abschnitt in der Poeterey, den er ziemlich wörtlich dem Epilog zu Heinsius' Poemata Latina entnahm: Ferner so schaden auch dem gueten nahmen der Poeten nicht wenig die jenigen/ welche mit jhrem vngestümen ersuchen auff alles was sie thun vnd vorhaben verse fodern. Es wird kein buch/ keine hochzeit/ kein begräbnüß ohn vns gemacht ...Ga naar eind3 Fast alle Autoren der Folgezeit, die sich für die muttersprachliche Dichtung einsetzten, haben zu diesem Problem Stellung genommen. Zesen sieht eine negative Folge der Buchdruckerkunst darin, ‘Daß itzt fast iederman ein Deutsch Getichte macht’, denn Mancher halber Schreiber ... wil mit bey allen Hochzeiten und Begräbnüssen seyn; kömmet mit seinen kunterbunten zusammen geraspelten Versen herein geprasselt/ daß manches Frauenzimmer ... | |
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sich davor entsetzen/ und wohl/ ich weis nicht was/ darüber bekommen solte ... O Ihr albernen Reimschmiede ...Ga naar eind4 Am ausführlichsten hat Johann Rist in seinen Schriften die grosse Anzahl ‘elender jammerlicher Poeten’ getadelt, die ihren ‘Namen auff allen Hochzeiten ... schawen lassen’ müssen.Ga naar eind5 Man hat einen Widerspruch darin gesehen, dass sich die Autoren theoretisch gegen die Gelegenheitsdichtung wandten, ihr aber in den eigenen Werken breiten Raum gaben. Man betrachtete das als eine Inkonsequenz, zu der die Dichter durch ihre soziale Stellung gezwungen worden seien.Ga naar eind6 Die Beispiele aber zeigen, dass sich die zeitgenössische Kritik nicht an der Gelegenheitsdichtung selbst entzündet. Sie entspringt vielmehr einer Sorge um die Würde der Dichtung und um das Ansehen des Dichters. Man missbilligte die Übertreibungen und den Brauch, zu allen erdenklichen Ereignissen Verse beizusteuern. Vergeblich wird man eine Kritik an der Gelegenheitsdichtung eines anerkannten Autors suchen. Der Tadel richtet sich gegen Unfähige, in deren Schriften ‘offte mehr Fehler als Verse’ zu finden sind.Ga naar eind7 Man sah darin einen Schaden für die deutsche Dichtung und einen Rückschritt hinter die von Opitz eingeleitete Reform. Für denjenigen aber, der das poetische Rüstzeug beherrschte, stellte die Gelegenheitsdichtung eine geachtete und häufig bemühte Gattung dar. An Themen hatte es keinen Mangel, und es ist keine Seltenheit, dass alle Höhepunkte des privaten Lebens - Geburt, Hochzeit, Tod - und alle Stufen des gelehrten Werdeganges - Erwerbung eines akademischen Grades, Publikationen und Bestallung als Professor - von Freunden besungen wurden, so dass das Leben des Bewidmeten in einer ansehnlichen Anthologie dokumentiert wurde.Ga naar eind8 Heinsius' Poemata Latina, Hudemanns Divitiae Poeticae und Tschernings Früling sind nur wenige Beispiele dafür, welch grossen Raum die Gelegenheitsdichtung im Schaffen eines Autors einnehmen konnte. Ihre Bedeutung im gelehrten und sozialen Leben lässt sich am besten an Rists Teütschem Parnass zeigen. Der Dichter wollte darin ‘die rühmliche Gedächtnisse so vieler grosser Herren/ vielmügender Gönner und wolvertrauter Freünde beständig ... erhalten.’Ga naar eind9 Der weit über 900 Seiten umfassende Band enthält Gedichte zu einer Vielzahl von Anlässen; in einem ‘Nebenbergelein’ (S.857ff.), dem ‘liber adoptivus’, sind die Lobgedichte an den Autor selbst gesammelt. Damit sich der Leser in der Fülle der Namen besser zurechtfinde, beschliesst den Band ein Richtiger Blathweiser/ Fürnemlich Anzeigend Die Namen und Beschaffenheiten derjenigen Personen/ Welche zu Libe und Ehren/ die vorhergehende Gedichte dises Parnassus sind auffgesetzet/ und theils aus Schuldigkeit/ theils auf sonderbahres Begehren übersendet.Ga naar eind10 Es folgt ein Index von rund 160 Namen mit den Standesangaben, die von Königen und dem Hochadel abwärts reichen. Rists Bemerkungen | |
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sagen Wichtiges zur Charakteristik der Gelegenheitsdichtung aus. Als Adressaten nennt er grosse Herren, mächtige Gönner und wohlvertraute Freunde, als Gründe für die Abfassung Liebe, Ehre, Schuldigkeit und das Begehren anderer. Die Gelegenheitsdichtung war eines der Hauptmittel, die Gunst eines Mäzens zu erwerben; innerhalb der ‘respublica literaria’ stellte sie neben dem Brief die am intensivsten betriebene Form der literarischen Kommunikation dar. Es ist bemerkenswert, dass sich die nach Umfang und Bedeutung herausragende Gelegenheitsdichtung in das Gebäude der normativen Poetik nur schwer einordnen lässt. In einer Zeit, in der das geschriebene Wort systematisiert und gegliedert wird, kann man ihr keinen bestimmten Platz zuweisen. Wenn Opitz die Aufnahme in die ‘Sylvae’ empfiehlt, in denen ‘vieler art vnd sorten Bäwme zue finden sindt,’Ga naar eind11 dann ist das ein Zeichen für die Schwierigkeit, gattungsbestimmende Kriterien anzugeben. Das gilt nicht nur für die Gelegenheitsdichtung als Gesamtheit, sondern auch für ihre Teilbereiche. Epithalamien lassen sich inhaltlich und formal auf keine bestimmte Gestalt festlegen. Es überwiegen zwar die Alexandrinergedichte mit mythologischen und petrarkistischen Motiven, daneben aber finden sich auch Sonette, Madrigale, Epigramme u.a. Formen mit Anleihen aus der christlichen, anakreontischen und bukolischen Bilderwelt.Ga naar eind12 Hiermit ist zugleich die Überlieferung angegeben, an deren Ende die deutsche Epithalamienkunst steht. Sie fusst in starkem Masse auf der Neulateinerei und den Nationalliteraturen, die ihrerseits in zahllosen Variationen die Formen wiederholen, die sie bei antiken Autoren vorfanden.Ga naar eind13 Die Reichhaltigkeit der Quellen, die Freiheit in Stoff- und Formwahl und die sich ändernden Anlässe versprechen eine abwechslungsreiche Kunstausübung. Jedoch bemerkt jeder Leser frühbarocker Epithalamien sogleich die Uniformität. Die Möglichkeiten, die diese Gattung bot, wurden nur zu einem kleinen Teil ausgeschöpft. Die Gründe dafür liegen in der Auswahl der Quellen, der poetischen Arbeitsweise und in dem besonderen Verhältnis von Dichtung und Wirklichkeit, von Anlass und Gedicht. Zur Klärung dieser Fragen sei zunächst das Verhältnis von dichterischem Selbstverständnis und Gelegenheitsdichtung dargelegt. Nach Ansicht der Zeit erwuchs der grösste Schaden für die deutsche Dichtung aus einer Flut von Neuerscheinungen, die den Leser mit einer Fülle minderwertigen Schrifttums überhäufte. Tscherning charakterisiert den hastigen Literaturbetrieb als eine Krankheit, der der einzelne machtlos gegenüberstehe: ‘die sucht zu schreiben/ und was nur auff das Papir fält ans Licht zugeben [ist] heutiges Tages so garweit eingerissen und zu schwunge kommen.’Ga naar eind14 Auf diesem Hintergrund erscheint Titz' positive Bestimmung der Dichtung als ein aus der täglichen Erfahrung abgeleiteter Lehrsatz. Dichten definiert er als einem dinge fleissig nachdencken vnd nachsinnen/ oder etwas mit Bedacht vnd grosser Sorgfältigkeit erwegen vnd durchsuchen. | |
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Darnach heisst es auch so viel/ als/ durch solches nachdencken etwas erfinden ...Ga naar eind15 Der eiligen Vielschreiberei wird hier ein Konzept von Dichtung gegenübergestellt, das zu den idealen Vorstellungen der Zeit gehörte. Drei wichtige Tugenden werden in diesen Sätzen angesprochen. Behutsame Umsicht statt Überstürzung ist bei der Wahl des Themas am Platze. Es wird durch Verstandestätigkeiten gewonnen, indem der Dichter nicht seiner Inspiration folgt, sondern Fragen und Probleme nach allen Seiten durchleuchtet. Das kann nur auf Grund einer umfassenden Bildung geschehen. Titz spricht vom gelehrten Dichter, der reproduzierend und ordnend seinen Wissenschatz in die Dichtung aufnimmt. Diese Schaffensstufe bildet die Voraussetzung für eine weitere, höher bewertete: durch intensives Forschen soll der Dichter zu einer eigenen Erfindung gelangen. Was hier fast beiläufig erwähnt wird, bildet den Grundgedanken von Titz' Einleitung ‘Von der Poeterey in Gemein’. Er stützt sich vor allem auf Opitz und Buchners damals noch ungedruckte Poetik, aber das mindert nicht den Wert seiner Gedanken, sondern spricht für ihre Verbreitung und allgemeine Gültigkeit. Die Erfindungsgabe des Dichter wird in fast jeder Barockpoetik behandelt. Titz zwingt sie nicht als Dogma auf, sondern erschliesst sie aus der Wirkung der Gedichte auf den Leser. Die meisten Menschen liessen sich durch ein Gedicht bewegen; die Verse müssten daher eine ‘durchdringende Krafft’ haben, deren Urheber der ‘sonderbare Geist’ der Poeten sei.Ga naar eind16 Das dichterische Ingenium wird als eine natürliche Begabung angesehen, die ausserhalb der Verfügbarkeit des menschlichen Vermögens liegt. Es wird durch einen göttlichen Antrieb geweckt, der allein den Dichter zu eigener Erfindung befähigt. Sie besteht nicht in der Nachahmung oder Variation vorgefundener Muster, noch erschöpft sie sich in der blossen Wiedergabe der Wirklichkeit. Man darf den Dichter deswegen aber nicht der Verlogenheit bezichtigen, da diese nur aus niederträchtigen Motiven entsteht. Wenn sein Werk ‘zwar offt mit der Warheit nicht in allem übereinstimmet’, so schildert er doch, wie es ‘sich also verhalten solte oder köndte.’Ga naar eind17 Er zeichnet sich vor anderen Menschen durch ein tieferes Wissen aus, und daraus erwächst die Verpflichtung, den Leser zur Weisheit und Tugend zu erziehen. Er ist in einer Person Philosoph und Arzt seiner Zeit. Titz lässt keinen Zweifel an der Sonderstellung des Dichters, der ‘auch/ was nicht ist/ durch seine Göttliche Kunst’ gestalten kann. Die naturgegebene Schaffensgabe verbindet ihn mit Gott, ‘weil er/ gleichsam als ein Gott/ auß nichts etwas zumachen weiß.’Ga naar eind18 Darin zeigt sich nicht nur der stolzeste Ausdruck dichterischen Selbstverständnisses, sondern auch ein absoluter Anspruch auf Originalität. Die Analogie zum Weltschöpfer diente auch in der deutschen Genieperiode zur Bestimmung des Dichters.Ga naar eind19 Aber während man hier eine Ablehnung des ‘Papierenen’, der virtuosen Handhabung der poetischen Werkzeuge daraus folgerte und die gekünstelte Zierlichkeit der Sprache verwarf, bildete im Barock | |
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gerade die ‘Poetica ... die Kunst vnd Wissenschafft/ die den Poeten lehret/ wie er ein Getichte stellen soll’,Ga naar eind20 eine notwendige Ergänzung zum Ingenium. An der ‘erfindung henget stracks die abtheilung/ welche bestehet in einer füglichen vnd artigen ordnung der erfundenen sachen.’Ga naar eind21 ‘Ingenium’ und ‘ars’, naturgegebene Schöpferkraft und Kunstfertigkeit, sind die beiden Leitsterne, unter die die barocken Dichter ihr Schaffen stellten. Beide bedingen einander und waren aufeinander angewiesen, aber dennoch sind die Gewichte verteilt. In programmatischen Äusserungen, in denen die Ausnahmestellung des Dichters begründet und verteidigt werden soll, wird dem ‘ingenium’ der grössere Wert zugesprochen: Die worte vnd Syllaben in gewisse gesetze zue dringen/ vnd verse zue schreiben/ ist das allerwenigste was in einem Poeten zue suchen ist. Er muß ... von sinnreichen einfällen vnd erfindungen sein/ muß ein grosses vnverzagtes gemüte haben/ muß hohe sachen bey sich erdencken können.Ga naar eind22 In der Praxis jedoch überwog die ‘ars’ als der lernbare Teil. Die Fülle von Lehrbüchern ist dafür der sprechendste Beweis. Die Kritik an den Reimeschmieden schlechter Gelegenheitsgedichte lässt sich aus dem Bewusstsein der Auserwähltheit verstehen.Ga naar eind23 Sie zeigt aber auch, dass man die anspruchsvolle Zweiheit ‘ingenium - ‘ars’ ebenfalls auf die Gebrauchskunst übertrug und zu ihrem Maßstab machte. Als Kriterium nahm man die Dauer der Wirkung. Den minderwertigen Begräbnisgedichten spricht Opitz nur Tageswert zu. Sie gehen mit den Verstorbenen unter.Ga naar eind24 Rist will dagegen mit seinen Gelegenheitsgedichten den Ruhm der Bewidmeten der Ewigkeit anheimgeben.Ga naar eind25 Der für die Ewigkeit schaffende Dichter ist mit dem göttlichen ‘ingenium’ begabt. Nirgendwo erweist sich das hier vorgetragene Verständnis des Dichters und der Dichtung deutlicher als eine ideale Vorstellung als auf dem Gebiet der Gelegenheitsdichtung. Sie entsteht als Auftragskunst zu bestimmten, datierbaren Begebenheiten, der gottgetriebene Dichtergeist lässt sich jedoch nicht lenken: ‘ein Poete’ - so Opitz in Anlehnung an Heinsius - ‘kan nicht schreiben wenn er wil/ sondern wenn er kann/ vnd jhn die regung des Geistes ... treibet.’Ga naar eind26 In daeser Konzeption ist es folgerichtig, dass Tscherning in der Widmung seiner Gedichte an Heinrich Wentzel klagt, er habe viel auff andrer Befehl und gegebene masse der Zeit hin geschrieben. E. Gestr. halten noch in frischem Gedechtnüß/ wie ich offters darüber geklaget/ wann ich tichten mussen nicht worzu ich selber Lust getragen/ sondern was mir ist vorgeschrieben worden.Ga naar eind27 Die zur Poeterei erforderliche Liebe macht dem Unbehagen über den zeitlich und thematisch fixierten Auftrag Platz. Tscherning wertet seine Gedichte selbst und unterscheidet sie in zwei Klassen: ‘... ein theil ist | |
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mit fleisse gesetzt/ ein theil überhin geeilet worden.’Ga naar eind28 Man wird in dem letzten Teil die Gelegenheitsdichtungen suchen müssen, in denen er nach eigenem Bekenntnis gegen die Grundforderungen der Behutsamkeit und Gründlichkeit verstösst. Auch Rist weiss, dass die Poeterei nur ‘mit höhestem Fleisse’ ausgeübt werden kann, er muss aber in demselben Federzug zugeben, dass er ihn bei der Gelegenheitsdichtung nicht habe anwenden können: Solten nun ferner/ wolgeneigter lieber Leser/ etliche dieser Gedichte dir etwas Unvollenkommen scheinen oder vorkommen/ wie Ich den nicht läugne/ daß derer etliche viel besser hetten können außgearbeitet und etwas zierlicher aufgesetzet werden; So wollest du bedenken/ daß ein guhtes Theil derselben in höhester Eile von Mir verfärtiget/ ja daß ich oft ... gleichsahm über Halß und Kopff die Feder habe ansetzen/ sonderlich wen Leichbegängnisse und Hochzeiten ingefallen/ also/ daß Ich manches mahl die Sachen ohne einige Verbesserung/ nur bloß/ wie Sie auf das Papier geflossen/ auff die Drukkereien senden müssen ...Ga naar eind29 Die Bekenntnisse von Tscherning und Rist sind bezeichnend für die Art, mit der man an der Gebrauchsdichtung arbeitete. Das hochgestellte Programm mit seinen Forderungen nach Originalität, Sorgfalt und Gelehrsamkeit wurde ausser acht gelassen. An seine Stelle trat eine Dichtung, in der das gründliche Suchen und Forschen durch eifrige Kompilation ersetzt wurden. Sacer, einer der schärfsten Kritiker der Epithalamiendichtung, hat gerade diese Schaffensweise in den Mittelpunkt seiner Missbilligung gestellt,Ga naar eind30 die trotz aller spöttischen Überspitzung den Sachverhalt treffend charakterisiert: man setzte neu zusammen oder variierte die Anordnung, je nach der betreffenden Gelegenheit. Exemplarische Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang einem Epithalamium Scherffers zu, dessen Entstehungsgeschichte im Titel erläutert wird: Hochzeit-Gesang/ bestehend in lauter Opitianischen halben und gantzen Reimen ... gesetzet nach den Blätern des Exemplars im Jahr MDCXXIX ... außgedrukket.Ga naar eind31 Scherffer hat einige Verse und Halbverse aus dem Band von Opitz exzerpiert und die reimenden untereinandergeschrieben. Das Gedicht besteht aus 36 Alexandrinern, und auf dem Rand an beiden Seiten werden gewissenhaft mit der Seitenzahl 34 Stellenangaben aufgeführt. Das Ergebnis dieser Zusammenstellung unterscheidet sich nicht von der grossen Masse der Hochzeitsgedichte. Wie Scherffer sind, wenn auch nicht mit ausdrücklichem Hinweis, viele Gelegenheitsdichter vorgegangen. Wenn es der Quellensuche gelingt, in einem Gedicht Entnahmen aus einer ganzen Anzahl von Werken nachzuweisen, so ist das allein noch kein Beweis für die breite Belesenheit des Autors. Oft wurden Schatzkammern zur Hilfe genommen, in denen ‘Anmuthige Formeln/ Sinnreiche Poetische Beschreibungen/ und | |
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Kunst-zierliche verblühmte Arten zu reden/ aus den besten und berühmtesten Poeten’ übersichtlich geordnet und leicht aufzufinden waren.Ga naar eind32 Titz hat zu Peschwitz' Hoch-Teutschem Parnasz eine Vorrede geschrieben, die wichtige Aufschlüsse liefert über die Zielsetzungen der Schatzkammern. Sie hatten den patriotischen Zweck, dem Verächter der deutschen Dichtung deren ganze Schönheit vor Augen zu führen, und sie dienten gleichzeitig zu ihrer Verbesserung und Verbreitung. Der poetisierenden Jugend sollte ermöglicht werden, den ‘erfahrnen Meistern glücklicher’ zu folgen, damit die ‘edle Kunst’ von einer umso grösseren Schicht getragen werde. Die eigene Leistung bestand im Aufsuchen des gewünschten Stichwortes. Der von Titz angesprochene Leserkreis ist so weit wie möglich gefasst. Nicht nur junge Dichter sollten sich der Schatzkammer bedienen, sondern auch die ‘gelehrte Welt’, der ‘Deutschgesinnte Leser’ und umfassend ‘ein ieder’,Ga naar eind33 mit dem auch der Verfasser der Gebrauchskunst gemeint sein dürfte. Es ist offenkundig, wie weit diese Bemerkungen von den dichterischen Vorstellungen entfernt sind, die Titz in seiner Poetik entwickelte. Die Exklusivität des Dichterstandes soll einer weitgehenden Popularisierung weichen, die dann wieder Anlass zu Klagen über die Vielschreiberei bietet. An die Stelle des geforderten Fleisses tritt das richtige Nachschlagen, und der mit Nachdruck vorgetragene Originalitätsanspruch wird aufgegeben und durch die Handhabung vorgefundenen Materials ersetzt. Diese Art des Schaffens wirft die Frage nach dem Verhältnis von Wirklichkeit und Dichtung auf, die sich bei der Gelegenheitsdichtung konkretisiert zu der Frage, in welcher Beziehung Anlass und Gedicht stehen. Fechner hat kürzlich die Gelegenheitsdichtung als eine niedere Gattung beschrieben, die heute noch immer übersehen werde, obwohl sie ‘eben in der Gelegenheit, dem Anlass, ein Stück wirklicher Welt’ einschliesse und ‘das Verständnis des Dichters, seiner Zeit und seiner Zeitgenossen’ bereichere.Ga naar eind34 Er sieht also in der Gelegenheitsdichtung einen Ausdruck der Wirklichkeit, Anlass und Gedicht stehen in enger Verbindung. Es gibt solche Werke, die als Zeitdokument und biographisches Zeugnis gewertet werden können. Köler berichtet in seinem Epithalamium auf die Hochzeit Hofmannswaldaus von den wichtigsten Lebensabschnitten des Bräutigams,Ga naar eind35 und Flemings Epicedium auf Georg Gloger zeichnet sich durch eine für diese Zeit ungewöhnlich starke Anteilnahme des Autors aus, die Rückschlüsse auf seine Beziehung zu dem Verstorbenen zulässt. Aber die Beispiele gehören zu den Ausnahmen, und nur für sie ist Fechners Charakteristik zutreffend.Ga naar eind36 Bei der grossen Anzahl der Gelegenheitsdichtungen lässt sich eine scharfe Trennung von Anlass und Gedicht feststellen, die schon dadurch bedingt ist, dass das Gedicht häufig vor dem Ereignis verfasst wurde, es gleichsam ankündigt, und nicht aus seinem Erlebnis heraus entstand.Ga naar eind37 Dafür seien einige Beispiele genannt. Als der Wittenberger Professor Erasmus Schmidius gestorben war, erbat Buchner von Heinsius ein Epicedium: | |
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Scribsi ad te proximè de eruditissime Viri Erasmi Schmidii excessu: petiique abs te, ut pro amore eô, quô senem optimum, cùm viveret, complexus es, aliquô carmine manes ejus honorares.Ga naar eind38 Über die Beziehungen von Heinsius und Schmidius ist nichts bekannt, und es ist nicht anzunehmen, dass sie besonders eng waren. Das Epicedium wird demnach kein persönliches Bekenntnis und keinen individuellen Preis des Verstorbenen enthalten können, sondern eine allgemeine Würdigung. In dem Freundesbuch zur Hochzeit Caspar Kirchners findet sich ein Gedicht von Heinsius, das schon einige Jahre früher geschrieben worden war und daher zum Anlass in keiner Verbindung stand.Ga naar eind39 Häufig besteht die einzige Gemeinschaft mit der Wirklichkeit in der Titelangabe des Festes, des Datums und der Feiernden, deren Namen gelegentlich innerhalb des Gedichtes wiederholt werden. Aber auch dieses Band wird oft genug gelöst. Als ein gewisser Henning Georg 1636 den Doktorgrad der Rechte erworben hatte, veröffentlichten seine Freunde eine kleine Schrift mit Lobgesängen, unter denen sich einer von Petrus Brauns befindet,Ga naar eind40 den Lund dann in seine deutschen Gedichte aufnahm unter der Überschrift ‘Die Venus singet...’.Ga naar eind41 Über den Anlass aber vermerkt er nichts, und der Leser muss seine ganze Aufmerksamkeit aufbieten, um herauszufinden, ob der Preis einem siegreichen Krieger, einem Bräutigam oder einem akademischen Bürger gilt. In Homburgs Clio befinden sich sechs Hochzeitsgedichte, die sicherlich alle zu einem konkreten Anlass verfasst wurden, der Bräutigam aber wird nie mit seinem Namen genannt. Einmal erscheint er als ‘N’, fünfmal als ‘NN’.Ga naar eind42 Die Anonymität der Titel wird in den niederländischen Liederbüchern konsequent durchgeführt. Keines der zahlreichen Gelegenheitsgedichte im Bloem-Hof nennt die Adressaten, und wenn ihre Namen in früheren Drucken enthalten waren, so werden sie hier getilgt. In den Nederduytschen Poemata von Heinsius steht ein ‘Troudicht Ter eeren van Daniel de Burchgrave met Anna Oosterlincks’. In Vers 21 wird der Bräutigam noch einmal genannt: ‘Maer Burchgraef wel voorsien...’ Dasselbe Gedicht wurde in den Bloem-Hof aufgenommen unter der allgemeinen Überschrift ‘Trow-Dicht’, und in Vers 21 steht die Variante: ‘Maer ons Bruyd'gom versien...’Ga naar eind43 Bezeichnenderweise hat Opitz seiner Übersetzung den namenlosen Text zugrunde gelegt. Die Beispiele und Zitate reden ein deutliche Sprache, und dennoch lässt sich der komplexe Charakter der Gelegenheitsdichtung nicht eindeutig fassen. Als Glückwunsch, Trostspruch und Nachruf ist sie ein Zeichen der menschlichen Verbundenheit, aber sie gibt sich unpersönlich. Das Ich des Autors tritt meist nur in formelhaften Wendungen hervor wie in der Gratulation an das Paar oder beim Hinweis auf den eigenen ehelosen Zustand. Der Adressat kann durch einfachen Namenwechsel ausgetauscht werden. Die Gelegenheitsdichtung stellt einen grossen Teil des Schrifttums dar, aber sie entspricht weder dem dichterischen Selbstverständnis noch dem angestrebten Schaffensprozess. Die | |
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theoretischen Forderungen werden aufgehoben durch Bedingungen des sozialen Standes und gesellschaftliche Ereignisse, die dennoch nicht in ihrer jeweiligen Gestalt in der Dichtung vorkommen. Die Werke werden zwar durch ein Ereignis ausgelöst, aber für die Gestaltung ist es nicht konstitutiv. Anlass und Gedicht bestehen nebeneinander und nicht miteinander. Die Distanz zwischen beiden wird nachträglich oft durch die Eliminierung konkreter Bezüge erweitert. In Epithalamien wird nicht irgendein bestimmtes Fest besungen, sondern die Hochzeit an sich, die frei von zeitbedingten und subjektiven Komponenten dargeboten wird. Der Anlass wird als objektives Geschehen betrachtet, zu dessen Feier es neutraler Mittel bedarf. Das geht allein schon daraus hervor, dass es neben den zu bestimmten Hochzeiten verfassten Gedichten solche gibt, die die Bezeichnung zwar im Titel führen, jedoch als literarische Übung anzusehen sind. Sie passen auf jede Hochzeit und charakterisieren keine. Zweckbestimmte und literarische Hochzeitsdichtung unterscheiden sich nicht, und Übergänge von der einen in die andere Art sind keine Seltenheit. Oft ist es so, dass die literarische als allzeit verfügbare Schatzkammer für die zweckbestimmte bereitsteht. | |
B. Die mythologisch-petrarkistische HochzeitsdichtungOpitz Bedeutung für die deutsche Gelegenheitsdichtung ist schon des öfteren hervorgehoben worden. Er hat ihr Würde und Ansehen verliehen und ihrer Ausübung den Weg gebahnt. Der Anfangsstellung war er sich durchaus bewusst. In einem seiner frühesten Hochzeitsgedichte stehen einige Verse, die das Vorgehen, in der Muttersprache zu gratulieren, ausdrücklich zu begründen versuchen: Ihr vielgeliebtes Par/ bitt wollet mir verzeihen/
Daß ich (wie gern' ich will vnd soll) nicht kan einweihen
Ewer unmüssig Fest mit Römischen Gedicht.Ga naar eind1
Rubensohn hat die Stelle falsch gedeutet und daraus gefolgert, Opitz habe damals (1618) ‘deutsche Verse ... noch für minderwertig’ angesehen.Ga naar eind2 Die Entschuldigung gilt aber nicht der deutschen Sprache, sondern dem Bruch mit der Konvention des lateinischen Glückwunsches. In einer lateinischen Prosaeinleitung zu seinem ersten deutschen Epithalamium hat Opitz diesen Sachverhalt deutlicher ausgesprochen und mit einem Lob für die deutsche Sprache verbunden: Libuit autem mihi a more usitato secedere et Teutonice loqui. Quoniam lingua nostra reliquas et puritate aequat, et gravitate procul dubio vincit.Ga naar eind3 Opitz is nicht der Begründer, wohl aber der wirkungsvollste Propagandist der muttersprachlichen Hochzeitsdichtung. Krauses Feststellung allerdings, dass ‘die deutsche Gelegenheitsdichtung des 17. Jahrhunderts ... sich weithin in Opitz' Spuren’ bewege,Ga naar eind4 trifft für die Epithala- | |
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mien nur in eingeschränktem Masse zu. In den 30er Jahren kommt eine unten zu besprechende Richtung auf, die mit der der Teutschen Poemata nur noch wenig zu tun hat. Unter den 14 Gelegenheitsgedichten in Opitz' Erstlingswerk befinden sich 11 zu Hochzeiten verfasste von zum Teil beträchtlichem Umfang. Das ist eine erstaunliche Zahl, wenn man die Kürze der Entstehungszeit bedenkt und den Umstand berücksichtigt, dass Opitz sich noch nicht auf poetische Hilfsmittel wie Schatzkammern stützen konnte.Ga naar eind5 Er war ganz auf die eigene Lektüre angewiesen und auf die private Exzerptensammlung, die er dort zusammenstellte, wo sich das Material am einfachsten auffinden und verarbeiten liess. Die meisten seiner Epithalamien sind ganz oder teilweise aus den Nederduytschen Poemata und aus dem Bloem-Hof übersetzt und zusammengestellt.Ga naar eind6 Das ist eine relativ begrenzte Grundlage, aber sie war ausreichend, die Muster zu schaffen und den Weg zu weisen, der von vielen Autoren des Frühbarock beschritten wurde. In den meisten Bänden der Zeit stösst man immer wieder auf Hochzeitsgedichte, die den Einfluss von Heinsius und den Niederländern verraten, sei es, dass die Quellen von Opitz vermittelt wurden, sei es, dass die Dichter diese selbst benutzten. Und nicht nur bei seinen Bewunderern und Nachfolgern, sondern auch bei Autoren, die gleichzeitig mit ihm arbeiteten oder nicht unter seinem direkten Einfluss standen, finden sich Anleihen aus der niederländischen Literatur, wie Hudemanns Divitiae Poeticae beweisen. Johann Plavius gehört zu den unermüdlichsten Hochzeitsdichtern des frühen 17. Jahrhunderts und er ist von komparatistischen Gesichtspunkt aus der ergiebigste. Seine Gedichte von 1630 enthalten Epithalamien, die den Nederduytschen Poemata und dem Bloem-Hof entnommen sind, darüber hinaus hat er den Kreis seiner Quellen auf so gegensätzliche Dichter wie Starter und Cats ausgedehnt. Bei ihm kann man am ehesten eine eigenstandige Verarbeitung erkennen, während die Arbeitsweise von Opitz, Kirchner und anderen mit wörtlicher Übersetzung und Zusammensetzung gekennzeichnet ist. In welchem Umfang die Nederduytschen Poemata und der Bloem-Hof an der Komposition eines Hochzeitsgedichtes beteiligt sein konnten, lässt sich überzeugend an einem Beispiel Caspar Kirchners zeigen. Es wurde 1618 für den Pfarrer Matthaeus Ruttart geschrieben und steht mit Opitz' Gedichten am Anfang deutschsprachiger Epithalamienkunst: Als Juppiter die Welt hat gäntzlich außgemachet,
Vnd auff dem Erdenkreyß schon alles grünt vnd
lachtet,
Wand er sich dreymal vmb, vnd schawet hin vnd her,
Ob in dem grossen Hauß irgendt ein mangel wer.
5[regelnummer]
Es fehlet noch ein ding: Er ließ ein Thier
fürkommen,
Das nun fast vberall die Welt hat eingenommen,
Ein artiges Gespenst, darnach ein jeder rennt
Welches in vnserm Landt ein Jungfraw wird genennt.
Ein Thier das vmb den Mund, vornemlich in der Zungen
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10[regelnummer]
Tregt ein verborgen Gifft, damit es Alt vnd Jungen
Anstecket vnd verblendt, vnd mit eim süssen schmertz
Kompt vngewarnter sach gekrochen in das Hertz.
Das vns je mehr nachzicht, je mehr wir von jhm fliehen,
Vnd je mehr von uns fleicht, je mehr wir jhm nachzihen.
15[regelnummer]
Ein freundliche Feindin, ein feindliche Freundin,
Die ohne Zauberey verzaubert vnser sinn.
O wunderlich gespenst, das vns ohn Fewr entzündet,
Vnd ohne Strick vnd Bandt Gemüth vnd Seelen bindet,
Welches Bandt nicht zureist vnd ziegen Tausend dran,
20[regelnummer]
Welch Fewr Mayn vnd Rhein nimmer verleschen kan.
Herr Breutigam jhr köndt mir solches helffen zeugen,
Den ein so kleines Fewr so bald hat können beugen,
Ein bitter süsses Thier hat euch niedergefellt,
Vnd euch in leidig frewd, in frewdig leid gestellt.
25[regelnummer]
Jungfraw Anna die schoß die hellgläntzende
stralen
Von jhrer Augen Sonn, vber deß Sandes thalen,
Vber deß Tragheims Berg, vber deß Bobers
fluß,
Das Liebes Fieber euch von diesem schein anstieß.
Der Brand kam in das Hertz, all ewr Gedancken schwommen,
30[regelnummer]
Mitten in diesem Fewr, jhr wust nicht zubekommen
Zu ewer Kranckheit hülff, noch trost zu ewer pein,
Weil alles beides war zu tieff gewurtzelt ein.
Wolan Herr Breutigam wolt jhr werden curiret,
So schickt nach der die euch in diß elend geführet,
35[regelnummer]
Ewer Kranckheit ich gleich Achillis Wunden acht,
Die niemand heilen kund, als der sie hat gemacht.
Vnd jhr o Jungfraw Braut, wendet das grosse klagen,
Kült was jhr habt gebrennt, heilt was jhr habt geschlagen,
Wo jhr nicht selber seit deß Krancken Doctorin,
40[regelnummer]
So fehret er dahin ohn hülff vnd medicin.
Die schöne Nacht kompt an, der Mond sitzt auff den Wagen,
Vnd thut mit vollem Lauff deß Himmels Feld durchjagen,
Die gülden Lichter hat der Himmel auffgesteckt,
Weil sich die Sonn schon längst zu Bette hat gelegt.
45[regelnummer]
Wolan es ist nun Zeit, daß jhr ewr Kranckheit stillet,
Vnd mit frewden den lauff der ewigkeit erfüllet,
Vnd schwitzt das Fieber auß, vnd lindert ewre pein,
Die auff kein ander weiß kan recht vertrieben sein.
Nun jhr Jungfrawen all, ihr must vns platz verleihen,
50[regelnummer]
Weicht die jhr führt die Braut, sie muß ein
andern reyen,
Nun tröst sie noch zu letzt, gebt jhr den letzten
kuß,
Das ander das jhr last, der Breutigam thun muß.
Nun geht hin Jungfraw Braut, ich will euch Bürgen geben,
Daß jhr in diesem streit behalten solt das leben,
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55[regelnummer]
Nun fürcht euch nicht so sehr, es hat hie keine noth,
Es ist nur schimpff vnd schertz, der streit gilt nicht zum todt.
Nun geht hin Jungfraw Braut, legt diesen Nahmen nider,
Geht nun ein Jungfraw hin, vnd kompt ein Mutter wider,
Geht doch, geht Jungfraw Braut, vnd last das sorgen sein,
60[regelnummer]
Ich hoffe, daß gewiß morgen sol besser sein.
Secht Venus selber kompt mit jhrem Volck gegangen,
Die fliegen hin vnd her vnd tragen groß verlangen,
Ein jeder wünschet jhm, daß er die Ehre hett,
Daß er die newe Braut möcht führen erst
zu Bett.
65[regelnummer]
Der erste führt sie fort, der ander thut sehr draben,
Vnd macht ins Bett ein Grab, darin er will begraben
Die Jungfrawschafft, die nun sehr trawrig sich beweist
Vnd soll in kurtzer Zeit auffgeben jhren geist,
Der dritte tregt die Kertz, der vierte will auffangen
70[regelnummer]
Die Threnen, die die Braut lest rinnen von den wangen,
Der fünffte löset jhr den Leibes Gürtel
auff,
Weil nun die Jungfrawschafft vollbracht hat jhren lauff,
Die schöne Venus selbst lacht vber diesen dingen,
Vnd wünschet jhr viel glück, vnd heist jhr Kinder
singen:
75[regelnummer]
Komm Hymen, Hymen komm; sie führet selbst die Braut,
Gibt jhr den letzten kuß, vnd singet vber laut:
Nun geht, jhr Kinder, geht, vnd schmeckt die süsse gaben,
Die Venus vnd jhr Sohn euch eingeschencket haben,
Geht hin, jhr Kinder geht, vnd euch holdselig part,
80[regelnummer]
Mit lieblichem geküß nach einer Tauben art.
Geht hin, jhr zwey, vnd komt widrumb mit ewer dreyen,
Geht mit einander an den schönen Liebe-reyen,
Vnd bringt herfür ein Thier, das durch der Götter
gunst
Voll sey der Mutter trew, voll sey deß Vaters Kunst.Ga naar eind7
Es ist längst bemerkt worden, dass das Ende (V. 65ff.) eine genaue Übernahme aus Heinsius' ‘Op zijn eygen Bruyloft. Ex persona sponsi’ ist.Ga naar eind8 Aber nicht nur aus dieser, sondern aus vier weiteren Quellen schöpft das Gedicht. Die ersten vier Verse gehen auf Heinsius' ‘Aen de Ionckvrouwen van Hollandt’ zurück, die Verse 6-26 auf ein Epithalamium von J.I. Taf im Bloem-Hof (Nr. 44), 29-31 sind Heinsius' ‘Bruyloft Dicht. In't midden van de locht heeft Iupiter een kamer’ entnommen, und in den Versen 33-36 übersetzt Kirchner ein anonymes Gedicht aus dem Bloem-Hof (Nr. 56). Hiermit sind nur die leicht erkennbaren Übertragungen ganzer Verse festgestellt, verbale Übereinstimmungen finden sich allenthalben. Das Mittelstück (V. 41-46) enthält Anklänge an Heinsius' ‘Op zijn eygen Bruyloft’, aber es ist ein in Epithalamien so häufig auftretender Abschnitt, dass sich eine bestimmte Vorlage nur schwer angeben lässt. Nicht allein die blossen Quellenhinweise verdienen Aufmerksamkeit, sondern vor allem das, was sie zur Charakteristik der | |
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Hochzeitsdichtung beitragen. Kirchners Text ist leicht verständlich, die Verse lesen sich flüssig und hinterlassen einen einheitlichen Eindruck. Man ahnt nichts von der Kompilationsarbeit bei der Abfassung. Wenn aus so vielen Einzelteilen verschiedener Herkunft ein ausgewogenes Werk entsteht, dann bestehen diese Epithalamien aus austauschbaren Bestandteilen, die nach einem bestimmten Schema arrangiert werden. Wegen dieser Gestaltungsprinzipien erscheint es methodisch wenig sinnvoll, nacherzählende Besprechungen einzelner Hochzeitsgedichte aneinanderzureihen. An Hand des Aufbaus und der Bildlichkeit petrarkistisch-mythologischer Epithalamien sollen hier die Elemente vorgestellt werden, bei deren Vermittlung die Niederländer eine Rolle gespielt haben. Durch diese Beschränkung wird zwar nur eine Art der Hochzeitsgedichte erfasst, aber sie ist die im frühen 17. Jahrhundert verbreitetste. Es wird von zwei Voraussetzungen ausgegangen. Hochzeitsgedichte sind in hohem Grade eine Nachahmungskunst, deren Gliederung in vielen Fällen einer bestimmten Ordnung unterliegt. Die Motive sind nicht spezifisch für die Gattung, sondern wurden auf sie übertragen. Das ergibt sich allein schon aus dem Umstand, dass neben den Hochzeitsgedichten von Heinsius seine gesamte Liebespoesie ausgeschrieben wurde.Ga naar eind9 Kirchners Gedicht ist beispielhaft für eine grosse Anzahl frühbarocker Epithalamien. Der Aufbau folgt der Dreigliedrigkeit von ‘praepositio’, ‘applicatio’ und ‘conclusio’,Ga naar eind10 die vielen Hochzeitsgedichten zugrunde liegt: Schaffung der Jungfrau, ihre Wirkung auf den Menschen und besonders auf den Bräutigam, Ratschläge zur Heilung der Liebesqual und Hinweise auf die Hochzeitsnacht. Dem entspricht der zeitliche Ablauf: einleitend wird mit der Vorgeschichte Vergangenheit nachgeholt, der leidvolle Zustand der Gegenwart, die Aussicht auf Erfüllung in der nahen Zukunft. Eine göttliche Handlung steht häufig am Anfang. Sei es, dass Phoebus die Welt mit seinen Strahlen erneuerte und die sympathisierende Natur das Brautpaar umgibt, sei es, dass Aurora und Natura oder der oberste der Götter die Jungfrau geschaffen haben. Jupiter entdeckt beim Anblick der Welt einen Mangel, den er durch das ‘wunderthier’ Jungfrau behebt. Sie zeichnet sich durch einen eigentümlichen Sinn und verschlagene List aus, vor allem aber durch ein sonderbares Gift, das sie bald zur Herrscherin der ganzen Erde macht. Die Motive waren in niederländischen Epithalamien sehr beliebt und haben über Kirchner und Opitz den Weg in die deutsche Dichtung gefunden.Ga naar eind11 Sie erfüllen die Funktion einer Exposition als Voraussetzung und Ausgangspunkt für das Folgende. Den Mittelteil füllt meist eine längere Beschreibung über das Entstehen und die Wirkung der Liebe. Aus der Götter Schar bestimmen nun Venus und vor allem ihr Sohn Cupido das Geschehen. Niemand wird in der erotischen Poesie so oft beschrieben, angezweifelt, gelobt und verdammt wie Cupido, und dennoch erhält er keine eindeutigen Konturen. Gestalt und Wesen sind voller Widersprüche. Als ein Kind ist er Herr der Erde, Prinz der See und König der Luft.Ga naar eind12 Er ist klein, aber gross | |
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von Macht, unsichtbar und doch allgegenwärtig, wandlungsfähig wie ein Chamäleon und unermüdlich im Auffinden stets neuer Tätigkeiten, die für die Menschen eine immerwährende Gefahr bedeuten. Fast alle Autoren haben ihre Erfindungskunst an Cupido erprobt und nicht selten ein unverbindliches Spiel mit ihm getrieben. Aber selbst da, wo er nur als literarisches Requisit auftritt, scheint noch etwas von seiner tieferen Bedeutung durch: Er ist Urheber und zugleich Sinnbild der allmächtigen und leidvollen Liebe. Opitz hat die Deutungen Cupidos aus dem Bloem-Hof übernommen und dabei die schmerzvolle Seite hervorgekehrt.Ga naar eind13 Und er hat ihn nach einem Gedicht im Thronus Cupidinis als Jäger dargestellt, der die ganze Welt, Götter und Menschen, in seinen Bann zwingt: Götter vnd Göttinnen musten
Nach des Kindes Willen gehn,
Alle Menschen wurden innen,
Wie Cupido sehr geschwindt,
Wie er jhren Muth vnd Sinnen
Mit dem Pfeil regieren künt.Ga naar eind14
Auf der Jagd kann Cupido mit Bogen und Pfeilen seine wirksamsten Waffen einsetzen. Die Spitzen sind mit einem jungfräulichen Gift bestrichen, das auf den Verwundeten unterschiedliche Wirkungen ausübt.Ga naar eind15 Ihre Ziele sind Herz, Sinn und Seele. In Heinsius oben behandeltem Gedicht ‘Het Sterfhuys van Cupido’ gehören sie zur Hinterlassenschaft und werden ausführlich beschrieben. Köler und Lund benutzten das Motiv für ihre Hochzeitsdichtung, und auch bei Plavius und Rist ist es in demselben Zusammenhang anzutreffen. Letzterer lässt die Vorlage von Heinsius noch deutlich erkennen: Er hat viel tausendt Jahr sein Kauffmannschafft getrieben/
Die bloß vnd schlecht besteht in rechter Kunst zu lieben.
Die Wahren/ die der Schalck sonst zu verkauffen pflegt/
Sind Pfeile/ die er stets im Köcher mit sich trägt:
Der ein ist wunder süss mit Honigseim geschmieret
Dadurch so manches Hertz ist jämmerlich verführet/
Der ander is gedunckt in schwarz vnd bittre Gall
Bringt dem/ der schläffrig liebt sehr offtermahls zu Fall.
Der dritt' ist voller furcht/ der vierdte lauter hoffen/
Der fünffte Lust vnd Frewde wol dem den dieser troffen!
Der sechste brent wie Fewr/ der letzt ist ohne Rath/
Oh weh der armen Seel/ die der verwundet hat!Ga naar eind16
Cupido ist blind und tut selten einen gesegneten Griff ins Arsenal, für den Getroffenen Anlass genug, seine Empfindungen zu beklagen. Eine ausgewogene Seelenlage ist ihm von nun an fremd. So verschieden die Beschaffenheit der Pfeile ist, so gegensätzlich sind ihre Wirkungen. Die Liebeserfahrung schwankt zwischen Extremen: bitter-süss, Galle-Honig, | |
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Leben-Tod. Besonders Plavius hat sich darin hervorgetan, in immer neuen Antithesen die seelische Ausweglosigkeit darzustellen. Geist und Verstand weichen einem Taumel, der der Wissenschaft eine Absage erteilt. Der Liebende ist von Fluchtgedanken erfüllt und fühlt sich gleichzeitig von der Geliebten angezogen. Ihr Verhalten ist durch ‘liebliche Gewalt’ charakterisiert,Ga naar eind17 wobei der Nachdruck auf ihrer Härte und Unnahbarkeit liegt. Heinsius blickt auf den Kreislauf der Natur, auf den Wechsel von Tag und Nacht. Alles habe seine abgemessene Zeit, aber: Twee dingen blijven vast: u wreetheyt en mijn lijden.
Mijn lijden blijft altijt, en d'oorsaeck van mijn pijn
V onbeweeglick hert moet sonder ende sijn.Ga naar eind18
Sie ist die Herrscherin seines Lebens. Von Venus erhielt sie den Auftrag: ‘te voeren in de handt den sleutel van ons leven.’ Dieser Vers von Heinsius, der die völlige Unterwerfung des Mannes zum Ausdruck bringt, findet sich dann wörtlich und mit Abwandlungen bei Opitz, Hudemann und Plavius.Ga naar eind19 Von entrückter Erhabenheit ist ihre Gestalt. Eine Anhäufung dinglicher Kostbarkeiten, wie Elfenbein, Perlen, Gold, Koralle, Zedernholz und andere dienen zur Beschreibung einzelner Körperteile; kosmische und mythologische Vergleiche geben den Standpunkt an, von dem aus die Braut beurteilt werden muss. Ihre Augen erstrahlen heller als der Glanz der Sterne, und sogar Helena muss hinter ihrer Schönheit zurückstehen. Aber der Liebreiz hat auch seine Kehrseiten. Er kann sich in scharfe Waffen verwandeln und zu Schwertern, Lanzen und Stricken werden. Als Musterbeispiel dieser Art sei an das mehrfach ins Deutsche übertragene Gedicht ‘Solvi non possum nisi magis constringar’ erinnert.Ga naar eind20 Die Beispielreihe liesse sich fortführen. Die Motive entstammen dem Petrarkismus und finden sich gleichermassen in der Liebespoesie wie in der Hochzeitsdichtung. Pyritz hat sie an Flemings Lyrik ausführlich beschrieben. Er bezeichnet Heinsius als ‘den getreuesten Schildhalter des Petrarkismus und vermöge seiner Autorität zugleich dessen erfolgreichster Propagandist.’Ga naar eind21 Die mehrfache Übertragung einiger ausgesprochen petrarkistischer Gedichte aus den Nederduytschen Poemata zeigt, wie stark er auf diesem Gebiet gewirkt und zur Nachahmung angeregt hat. Opitz' Gedicht ‘An das Armband’ und Rists ‘An den Ring...’ verraten deutlich die Kenntnis von Heinsius Pretiosen-Ausdeutung auf den güldenen Zahnstocher.Ga naar eind22 Sie ändern zwar den Gegenstand, behalten jedoch das Schema der Anrufung und Ausdeutung bei. Die von Pyritz angeführte Autorität ist allerdings keine befriedigende Erklärung für den Einfluss von Heinsius auf diesem Gebiet, sie ist vielmehr in der Struktur seines Patrarkismus' selbst zu suchen. Es gab in den Niederlanden bedeutendere Liebesdichter, von denen P.C. Hooft an erster Stelle zu nennen wäre. In dem von Opitz übersetzten Gedicht ‘Leytsterren van mijn hoop’ werden die traditionellen Motive durch Quer- und Rückverbindungen aufeinander bezogen und zu einer gedanklichen Ein- | |
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heit zusammengefügt. Smit hat die Übersetzung von Opitz analysiert und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es ihm nicht gelungen ist, die Virtuosität des petrarkistischen Spiels wiederzugeben.Ga naar eind23 Heinsius verfährt geradliniger als Hooft. Er bedient sich hauptsächlich der reihenden Aufzählung petrarkistischer Antithesen, deren Glieder stets nahe beieinander stehen und die daher leicht durchschaubar sind. Der grösste Teil seiner Liebesdichtung ist nach diesem Plan angeordnet, der den Übersetzer vor keine grossen Schwierigkeiten stellte und ihm den Zugang zu einem soliden Bestand der geläufigsten Motive öffnete. Diese Eigenschaften machten die Nederduytschen Poemata zu einem Lehrbuch des muttersprachlichen Petrarkismus. Heinsius hatte damit einen grossen Anteil an seiner Verbreitung. Jeder konnte sich seines Vorrats bedienen, und die deutsche Literatur des Frühbarock zeigt, dass dies in reichlichem Masse geschehen ist. Die petrarkistischen Motive füllen aber nicht nur seine Liebes-, sondern auch seine Hochzeitsdichtung, und deutsche Nachfolger haben beide Gattungen für ihre Epithalamien benutzt. Das Gedicht ‘Aen de Ionckvrouwen van Hollandt’ bildete ein unerschöpfliches Reservoir für deutsche Gebrauchskünstler. Es wurde von einem Anonymus vollständig, von Opitz zum grössten Teil und von vielen anderen auszugsweise für Hochzeiten übersetzt.Ga naar eind24 Heinsius hat damit nicht nur zur Verbreitung des Petrarkismus beigetragen, sondern auch zur Auflösung des petrarkistischen Systems. Im Pegnesischen Schäfergedicht findet sich anlässlich einer Doppelhochzeit ein poetischer Dialog, in dem die leidvolle Liebe der erfüllten und beständigen in der Ehe gegenübergestellt wird: ‘Es ist ein grosser Vnterschied zwischen Bulen- und Ehelichen Lieben...’Ga naar eind25 Die jeweiligen Darstellungsmittel müssen daher verschieden sein. Überträgt man Motive von der petrarkistischen Lyrik auf die Hochzeitsdichtung, so muss das zur Auflösung des ursprünglichen Zusammenhangs führen. Allgemeine Verfügbarkeit des Petrarkismus und seine Verwendung in Epithalamien gehören zu den wesentlichsten Voraussetzungen des Antipetrarkismus.Ga naar eind26 Heinsius ist nicht nur der erfolgreichste Propagandist des Petrarkismus in Deutschland, sondern auch ein wirkungsvoller Förderer des Antipetrarkismus. Es wird nun die Aufgabe sein, neben der Übertragung petrarkistischer Motive weitere Erscheinungsformen des Antipetrarkismus in der Epithalamienkunst zu untersuchen. Sie stellen sich dar als Umkehrung der petrarkistischen Motive und mythologischen Figuren, als Gegenüberstellung petrarkistischer und ehelicher Liebe, häufig als Kontrast zwischen Dichter und Bräutigam gestaltet, und schliesslich als Relativierung des petrarkistischen Gehalts durch die Schilderung der Hochzeitsnacht. Die Umkehrung der Motive lässt sich an dem Gedicht ‘Ex persona sponsi’ zeigen, das Heinsius auf seine eigene Hochzeit schriebGa naar eind27 und das von grossem Einfluss auf die deutsche Dichtung war. Es nimmt im Werk von Heinsius eine besondere Stellung ein. Die Hochzeit fand 1617 statt, als die Nederduytschen Poemata bereits erschienen waren. Zwischen beide Daten fällt die Veröffentlichung des Lofsanck van Iesus | |
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Christus mit einem Widmungsgedicht an Jacob van Dyck, in dem die programmatischen Verse stehen: DE vruchten van de jeucht, de soetheyt van het minnen,
Een rechte toovery, van ons en onse sinnen,
Is nu met ons geweest. Ick late Venus gaen,
En met het blinde kint zijn blinde wercken staen.
Den hemel eyst het zijn.Ga naar eind28
Die Absage an die petrarkistische Liebesdichtung ist nicht nur durch die Stellung vor einem christlichen Lobgesang verursacht, sie ist tatsächlicher Ausdruck von Heinsius' Entwicklung als eines holländischen Dichters. Er hat danach keine Liebespoesie mehr in der Muttersprache verfasst, und in dem Gedicht ‘Ex persona sponsi’ findet sich eine biographische Begründung. Alles was ihm Erato, die Muse der Liebesdichtung, eingegeben habe, sei in der Braut verwirklicht (V. 9-12). Damit werden dem petrarkistischen System zwei zuwiderlaufende Elemente eingeführt: die Erfüllung der eigenen Wünsche und die Übertragung der petrarkistischen Attribute auf die Ehefrau.Ga naar eind29 Ihr Tugendkatalog wird im Gegensatz zu den wollüstigen und törichten Liebhabern aufgebaut und ins Bürgerliche gewendet: Treue, Weisheit und Grossmütigkeit zeichnen sie aus, sie bleibt der Strasse fern und ist die Freude ihrer Eltern. Sie harrt nicht in spröder Unnahbarkeit, sondern sucht eine gleichgesinnte Seele (V. 32). Solche Voraussetzungen schaffen ein Liebesband, das keiner zeitlichen Begrenzung unterworfen ist. Der petrarkistischen Unbeständigkeit wird die Ewigkeit entgegengesetzt. Der unerhörte Liebhaber erhofft sich vom Tod eine Befreiung seiner Leiden, Heinsius dagegen bietet den mythologischen Apparat der Unterwelt auf, um die Unlösbarkeit der ehelichen Verbindung zu zeigen (V. 33-36). Das petrarkistische System kennt die Gegenüberstellung von liebender Natur und unnachgiebiger Geliebten; hier wird die äussere Umgebung aufgefordert, an der Freude des Paares teilzunehmen (V. 41-49). Und schliesslich steht der sinnesverwirrenden Wirkung der Liebe die Hoffnung gegenüber, durch die eheliche Gemeinschaft zu wissenschaftlichem Ruhm zu gelangen. Die einzelnen Bestandteile dieses Hochzeitsgedichtes orientieren sich an petrarkistischen, um sie in bewusster Umkehrung der biographischen Situation anzupassen. Der Umdeutung unterliegen auch die mythologischen Gestalten, wie sich am besten an Cupido zeigen lässt. Es ist das einzige Mal in Heinsius' niederländischem Werk, dass Cupido menschenfreundliche Züge annimmt, seine Blindheit ablegt und den richtigen Pfeil findet (V. 1-8). Die Emblemata amatoria in den Nederduytschen Poemata tragen die Überschrift ‘Het ambacht van Cupido’, was mit das Handwerk des Cupido zu übersetzen wäre. Auf den Stichen wird er dargestellt als Ball-, Würfel-, Reif- und Kreiselspieler; er betreibt das Handwerk eines Küfers, Spinners, Schreiners; als Bauer sät und drischt er, seine Geschicklichkeit stellt er als Schlittschuhläufer und mit einem Handstand unter Beweis. | |
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Daneben betätigt er sich auch in anspruchsvolleren Professionen: Er ist Schiffer und Krieger ebenso wie Maler und Gelehrter. Die Unterschriften sind meist zweiteilig aufgebaut: nach der Beschreibung des Bildes werden die Tätigkeiten uf die Liebe gedeutet und Ermahnungen vor ihren Gefahren erteilt. Das Würfelspiel steht für die Unsicherheit und die Seifenblasen für die Unstetigkeit, der Handstand verbildlicht die Orientie-rungslosigkeit des Liebenden und das Ballspiel seine Unrast. Die Unterschriften haben ihre Wirkung auf die deutsche Literatur nicht verfehlt. Fleming hat zwei von ihnen übersetzt,Ga naar eind30 und einzelne Verse finden sich immer wieder in deutschen Epithalamien. Köler preist in einem Hochzeitsgedicht ‘Cupido Chamaeleon und Proteus’ die Verstellungskünste, und er beruft sich dabei auf Heinsius: ‘... was in Leiden klang/ Heinß von der Galatéé sampt seinen Sinnebildern.’Ga naar eind31 Plavius hat für eine Vermählung einige Eigenschaften Cupidos mit einem ausdrücklichen Hinweis auf Heinsius aufgezählt: Der kleine Venus-sohn/ d'vormahls war ein fischer/
Ein binder/ schlächter/ koch/ ein schiffer/ schnitzer/ tischer
Balbierer/ mahler/ schmid/ student vnd kriegesmann/
Der alle könste trieb/ die mann vnd frawe kann.
Als jhn der Gentsche schwan/ nicht minder weiss/ als
weise/
Den's hohe Niederlandt zu sein selbst hohem preise
Hochhält/ beschrieben hat/ der handelt nu mit holtz.Ga naar eind32
Er hat sich davon anregen lassen und den Katalog um einige Bereiche erweitert. Damit steht er nicht allein. Man bot seinen ganzen Witz auf, um neue geistreiche Tätigkeiten zu erfinden. Mit Cupido stand dem Hochzeitsdichter eine Gestalt zur Verfügung, deren Wirkung unbegrenzt war und die man leicht den jeweiligen Bedürfnissen anpassen konnte. Man wählte dafür meist einen spielerischen Ton, der dem freudigen Anlass entsprach. Aber die Anpassung bewirkt eine Abwendung von den Heinsiusschen Emblemata, die sich an den Gedichten von Köler und Plavius zeigen lässt. Köler beginnt mit einer umfangreichen Einleitung über die Wandlungsfähigkeit Cupidos, der sich bei einem Buchhändler, dem Bräutigam Blumendorff, eingeschlichen und die Hauptwerke der Liebesdichtung verlangt habe. Während des Handels beginnt der Händler selbst in den Werken zu lesen und verfällt einer schleichenden Krankheit, die umso stärker wird, je fleissiger er studiert. Als alle ärztliche Kunst versagt, erscheint Cupido im Traum und erteilt Ratschläge für die Heilung: Ich wil dir wieder auch mit meiner heilbarn Hand
Benehmen alle Pein vnd leschen deinen Brand.
............................
Kein bessere Recept kan ich dir hier verschreiben,
Als daß sich eines mag ins Ander einverleiben.
Daß zweyer Lieben-Hertz in eines sey gefaßt;
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So wird gelindert euch die schwere pein vnd last.
Ich will euch noch zu letzt hier Heirats-Regeln geben,
Daß Ihr in lieb vnd trew beysammen möget
leben.Ga naar eind33
Aus dem Schalk, der die Liebe zwar entzündet, die Liebenden aber hilflos zurücklässt, ist hier der Stifter der Ehe geworden. Noch ausgefallener als Köler hat Plavius Cupido als Ehegründer dargestellt. In dem oben zitierten Gedicht tritt er als Holzhändler auf. Über drei Viertel des Raumes beansprucht die Beschreibung der Ware. Sie ist das kostbarste Edelholz der Welt, das aus dem Feuer entsprossen ist und im Feuer grünt. Es entzündet Brand, ohne selbst zu verbrennen. Von ihm geht eine heilsame Wirkung auf alle körperlichen und seelischen Leiden aus: Es stillet alles weh/ vnd vngemach der frawen.
Die Braut hat ein solches Edelholz von Cupido erworben, und mit Gottes Hilfe wird sie sich viele Jahre an seinem Feuer wärmen. Die Erklärung für den rätselhaften Handel findet sich in der Überschrift: der Name des Bräutgams lautet ‘Abraham Eelhout oder Edelholtz.’Ga naar eind34 Nicht anders verhält es sich in einem allegorischen Hochzeitsgedicht von Palvius, in dem Cupido das Handwerk eines Goldschmiedes betreibt.Ga naar eind35 Sein Amboss ist das Herz, der Blasebalg die Wünsche der Jugend, das Feuer die Liebe und - deutlich auf die Ehe hinweisend - der Stempel die Beständigkeit. Das Ergebnis seiner Arbeit ist die vollkommene Jungfrau. Der Bräutigam aber betreibt ebenfalls die Goldschmiederei, und er ist bei Cupido in die Lehre gegangen. Er kann eine ebenso vollkommene Frau schaffen, mit der er in steter Freude leben wird. Es soll hier weder über das forcierte Pointenspiel mit Namen und Berufsbezeichnungen, noch über den künstlerischen Wert solcher Verse geurteilt werden. Vielmehr gilt es, die Wandlungen in der Gestalt Cupidos festzuhalten. Obwohl sich Köler und Plavius in ihren Gedichten auf Heinsius' Emblemata berufen, haben sie charakteristische Merkmale nicht nur aufgegeben, sondern durch ihr Gegenteil ersetzt. Bei Heinsius ist die Vielseitigkeit nicht zuletzt ein Zeichen dafür, dass Cupido in alle Lebensbereiche eindringen und dort Leid stiften kann. Die bittere Liebeserfahrung steht in allen Emblemen im Vordergrund. Der stärkste Ausdruck dieser Lage findet sich im zehnten, das Fleming übersetzte: der Liebende befindet sich auf einer immerwährenden Marterbank, und Cupido ist sein Scharfrichter. Die Aussichtslosigkeit seiner Situation zeigt sich an Bildern, auf denen ein Vogel im Käfig oder ein Pferd in der Tretmühle dargestellt werden. Dem liebesfeindlichen Cupido steht in den Hochzeitsgedichten von Köler und Plavius ein hilfreicher gegenüber, der seine Vielseitigkeit nicht für leidbringende Listen, sondern zur Rettung gebraucht. Er verrrät im Traum oder verkauft als Händler die Heilmittel und weiht den Bräutigam in seine Künste ein. Sein Ziel ist es, die Ausweglosigkeit der Liebesempfindung aufzuheben und zur Erfüllung in der Ehe zu führen. Das aber ist eine antipetrarkistische Umkehrung der | |
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Funktionen Cupidos ins Bürgerliche, und Köler geht wohl am weitesten in diese Richtung, wenn er ihn christliche Eheregeln verkünden lässt. Die Darbietung des Liebesthemas in Epithalamien wird meist aus zwei Grundmodellen heraus entwickelt: die bewusste Umkehrung der petrarkistischen Motive wie in Heinsius' ‘Ex persona sponsi’ und der Gestalt Cupidos oder als Kontrast zum Petrarkismus. Die leidvolle Erfahrung des Dichters wird mit dem Glück des Bräutigams verglichen, und die Hochzeit bildet zu seiner Lage ein Gegenbild, das er preist und herbeiwünscht.Ga naar eind36 Oder die Liebesqual des Bräutigams wird als Vergangenheit oder bald beendeter Zustand dargestellt. In beiden Fällen ergibt sich eine ins Bürgerliche weisende Entfernung vom Petrarkismus. Das Kontrastschema ist das am häufigsten angewandte Aufbauprinzip frühbarocker Epithalamien, und auch alle aus dem Niederländischen entnommenen in den Teutschen Poemata folgen ihm. Aber selten handelt es sich um eine ausgewogene Gegenüberstellung. In dem umfangreichen ‘Hochzeit Gedichte’ (Nr. 100) z.B. werden auf mehr als vier Fünftel des Raumes die Geburt von Venus und Cupidos Allmacht ebenso breit dargestellt wie ihr Eindringen in das Leben des Bräutigams, der seine qualvolle Lage in einer lyrischen Einlage selbst beklagt. Erst die abschlies-senden Verse beziehen sich auf die Hochzeit.Ga naar eind37 Die Motive sind zu einem grossen Teil dem Petrarkismus entnommen, sie werden aber ihrer ursprünglichen Funktion entkleidet, indem sie in den thematischen Zusammenhang der Ehe gestellt werden. Das quantitative Übergewicht der petrarkistischen Seite spricht nicht gegen diese Feststellung. Die Verdrängung des Anlasses wirkt wie die Retardierung des Umschlags zur Hochzeit, der zu den festen Bestandteilen in Epithalamien gehört. Er leitet die Abkehr von der buhlerischen und die Hinwendung zur ehelichen Liebe ein. Die Genesung vom Leid kann nur durch die Ursache selbst herbeigeführt werden. Plavius hat ihm die allgemeinste Form gegeben: ‘Daß/ was vns hat verwundt/ auch heilet wieder zu.’ Andere haben ihn mit mythologischen und medizinischen Anspielungen versehen.Ga naar eind38 Auf den Umschlag hin ist der petrarkistische Teil zugespitzt; je breiter dieser ausgeführt wird, umso stärker wirkt die Aufkündigung. Das verbindet sie mit der in der rational geprägten Barockdichtung beliebten Pointe,Ga naar eind39 es ergeben sich aber auch bezeichnende Unterschiede. Der Umschlag erfolgt nicht als Überraschung. Durch die Kenntnis des Anlasses erwartet ihn der Leser und relativiert von Anfang an das petrarkistische System. Er entbehrt der geistreichen Kürze und steht als Einleitung zur Schilderung der Hochzeitsnacht, die in der Regel das Ende eines Hochzeitsgedichtes bildet. Auch für diesen Abschnitt haben die Niederländer häufig nachgeahmte Muster bereitgestellt. Er handelt von der sinnlichen Erfüllung der langgehegten Wünsche. Verwendung petrarkistischer und mythologischer Motive oder ihre Umkehrung, Auflösung des petrarkistischen Systems durch das Kontrastschema und die Schilderung der Hochzeitsnacht, das sind die wesentlichen Kennzeichen dieser Epithalamien. Als gattungsbestimmendes | |
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Merkmal ergibt sich daraus, dass sie die Hochzeit ausschliesslich als erotisches Ereignis darstellen. Das hat ihnen immer wieder den Tadel strenger Kritiker eingebracht, die die ‘deutlichen Anzüglichkeiten’ verwarfen.Ga naar eind40 Neuere Beurteilungen ziehen eine Verbindung zum Leben des Autors und betrachten rhetorisierte Hochzeits- und Liebesdichtung als Erlebnisdichtung. Für die ‘Frivolität’ machen sie den libertinistischen Geist der Zeit verantwortlich.Ga naar eind41 Aber der Vorwurf wird weder frühbarocken Epithalamien gerecht, noch ist die Begründung richtig. Die Problematik war auch im 17. Jahrhundert aktuell. Schon in Tschernings Poetik findet sich eine ähnliche Beanstandung: Was wil man aber hier sagen von den groben garstigen zoten und reden/ welche bisweilen die Poeten ... in Hochzeitgetichten leicht-sinnig ausspeien/ dafür sich ein gottesfürchtiger Christ vielmahl entsetzen muß.Ga naar eind42 Er widerspricht mit Nachdruck der Trennung von Dichtung und Leben, die Catull in einem Epigramm ausgesprochen hatte: Im leben keusch zu sein gebühret den Poeten
Was ihren Vers betrifft/ da ist es nicht von nöhten.Ga naar eind43
Damit lehnt Tscherning auch Catulls Hochzeitsgedichte mit ihren offenen Anspielungen auf die Vereinigung des Brautpaares ab. In seinen eigenen Epithalamien wird man die ‘Zoten’ vergeblich suchen. Der Grund für diese Haltung lässt sich an Buchners Schriften ablesen, auf die Tscherning zurückgeht. Der Wittenberger empfindet es nicht nur als Schaden für die edle Dichtkunst, wenn die Autoren ‘ihre Sachen mit geilem wesen und schandbahren Worten anfüllen’,Ga naar eind44 er sieht darin auch eine Spiegelung der Person des Dichters: Ich gläube aber schwerlich daß der jenige wie Cato leben könne/ so wie Catullus zu schreiben pfleget ... Gewißlich von was für einem Geist wir getrieben werden/ so schreiben wir auch/ und ist die Rede gemeiniglich ein Mahl und Kennzeichen des Gemüths und sinnes.Ga naar eind45 Die Zitate stehen repräsentativ für eine Betrachtungsweise, die in der Dichtung ein Bekenntnis des Autors erblickt und aus ihr Rückschlüsse auf sein Leben zieht. Dass diese Ansicht nicht nur von vereinzelten Kritikern vertreten wurde, zeigen die apologetischen Passagen in theoretischen Ausführungen, die gegen eine biographische Deutung der ‘amatoria’ Stellung nehmen. Heinsius beruft sich in den Poemata latina auf das Vorbild der bedeutendsten Dichter, die ihre Liebespoesie als Stilübung betrieben hätten; Opitz und Rist sind ihm darin beinah wörtlich gefolgt: Sie (i.e. die Kritiker) wissen nicht/ unnd wollen nicht wissen/ das in solchen Gedichten offte eines geredet und ein anderes verstanden wird/ ja das jhm der Poet die Sprache unnd sich zu uben wol fur-nimpt/ welches er in seinem Gemüte niemals meynet.Ga naar eind46 | |
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Die Gegenposition steht in der Tradition von Catulls Epigramm.Ga naar eind47 Sie stellt - unterstützt durch die Autorität von Heinsius und Opitz - eine weitverbreitete Auffassung im Frühbarock dar. Auch bei der Schilderung der Brautnacht muss man die Distanz zwischen Dichtung und Leben beachten. Kaum je enthält der Schlussteil individuelle Züge, statt dessen trifft man wenige Elemente in zahlreichen Variationen an, die oft noch an antike Hochzeitsbräuche erinnern.Ga naar eind48 Das Paar zieht sich ins Brautgemach zurück; Hymen wird herbeigerufen, und Cupido ist sein Türhüter. Das Liebesgeschehen wird als Krieg gesehen und mit martialischen Metaphern beschrieben. Doch der Streit ist ohne Blut und führt nicht zum Tode, sondern ins Leben. Der Jungfrauenschaft wird ein freudiger Nekrolog gehalten, dem eine Anspielung auf die bald zu erwartende Nachkommenschaft folgt. Heinsius' Gedichte, die die Kenntnis von Catulls 61. und 62. ‘carmen’ verraten, und solche aus dem Bloemhof sind die Vorlagen für eine ganze Reihe deutscher Epithalamien. Und das spricht dafür, dass eine existentielle Interpretation unangemessen ist.Ga naar eind49 Wenn man in frühbarocken Epithalamien stets auf denselben Aufbauplan stösst und auf einen beschränkten Schatz mythologischer und petrarkistischer Bildlichkeit, dann lässt sich das weitgehend mit der Auswahl der Nederduytschen Poemata und das Bloem-Hofs als den Hauptquellen erklären. Die Bedeutung der niederländischen Autoren liegt aber nicht so sehr in der Bereitstellung stofflicher Elemente, die allgemeiner Besitz waren, sondern darin, dass sie den Inhalten eine mutter-sprachliche Form gaben, die von deutschen Dichtern leicht übernommen werden konnte. Sie haben damit die Voraussetzung für eine Gattung geschaffen, die sich durch äussere Fertigkeit auszeichnet. Handhabung der Formeln, Arrangierung der Bestandteile und vor allem wörtliche Übersetzung sind die Werkzeuge für die Abfassung eines mythologisch-petrarkistischen Hochzeitsgedichtes. Man kann sich einen ideenreicheren Schaffensprozess denken, und viele werden eine abwechselungsreichere Sprachkunst wünschen, als sie in Epithalamien anzutreffen ist. Aber so, wie sie in den Bänden der Zeit stehen, gehören sie zu den Kennzeichen der Epoche. Wollte man sie verurteilen, hiesse das, einen grossen Teil des Schrifttums verwerfen, das zur Legung der Fundamente und zur Übung der Sprache beitrug. Verwandlung und Aneignung sind diesem Zeitraum noch fremd. Aber schon da, wo die engen Bahnen der mythologischen und petrarkistischen Bildlichkeit verlassen werden, zeigen sich die Anzeichen einer selbständigen Bearbeitung. | |
C. Daniel Heinsius' ‘Trouw-Dicht. De Schippers die de Zee met kielen scherp doorsnijden’ und die deutschen BearbeitungenEs gehört zu den Merkmalen der mythologisch-petrarkistischen Hochzeitsgedichte, dass die Leiden bis zur Brautnacht ausführlich geschildert werden, die Ehe aber unerwähnt bleibt. Und wenn andeutungsweise von ihr die Rede ist, bedient man sich häufig eines Motivbereichs, der zu den | |
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verbreitetsten in der deutschen Dichtung des frühen 17. Jahrhunderts gehört. In Opitz' Gedichten begegnet man der Vorstellung von der Ehe als von einem rettenden Hafen: HErr Breutigam jhr nahet
Euch auch zu gutem Port,
Als jhr das Liecht ersahet
Von ewres Hertzen North,
Fahrt hin, jhr seid begriffen
Von gutem Westenwind,
Wol dem, der nach dem schiffen
Ein solches Vfer findt.Ga naar eind1
Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese Verse auf ein ‘Trouw-Dicht’ von Heinsius zurückgehen, das Opitz vollständig übersetzt und das weitere Nachfolger im frühen 17. Jahrhundert gefunden hat. In ihm werden das Meer und die Seefahrt beschrieben und allegorisch auf Liebe und Ehe bezogen. Zum besseren Verständnis des Gedichtes und der deutschen Bearbeitungen ist es förderlich, einige der verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten des Motivs zu betrachten. Die Schiffahrt mit all ihren unvorhersehbaren Gefahren und willkürlichen Bedrohungen, denen der Seemann machtlos ausgeleifert ist, wurde seit der Antike immer wieder zur Deutung für die Wechselfälle des menschlichen Lebens herangezogen.Ga naar eind2 Die Unbeständigkeit verbindet den Motivbereich mit dem Fortuna-Komplex, und auch diese Beziehung hat ihren Ursprung in der Antike. Hesiod zählte die Tyche-Fortuna unter die Töchter des Oceanus, und nach Pindar gehörte neben dem Staats-und Kriegswesen die Seefahrt zu ihren Machtbefugnissen, deren Geschicke sie unberechenbar zum guten Abschluss oder zum Schiffbruch führte.Ga naar eind3 Das Doppelwesen der Fortuna als Bringerin von Glück oder Leid und ihre Gemeinschaft mit der Seefahrt haben sich bis in die Renaissance erhalten. Emblematische Darstellungen zeigen die Göttin mit einem geblähten Segel in den Händen auf dem Lebensschiff stehend oder vor einem Seehintergrund abgebildet, der durch ihre aufrechte Gestalt geteilt wird. Auf der einen Seite befinden sich die glücklichen Seeleute mit prächtig ausgestatteten Booten, auf der anderen klammern sich Schiffbrüchige an die Wrackteile und kämpfen in der aufgewühlten See um ihr Leben.Ga naar eind4 In der deutschen Literatur zeigt Fortuna ihr menschenfeindliches Gesicht, und das Meer erscheint als Sinnbild des mühsamen Lebens. Eines der ersten deutschen Gedichte von Opitz enthält eine bittere Anklage gegen die Glücksgöttin: O Fortun/ o Fortun/ stieffmutter aller frewden/
Anfeinderin der lust/ erweckerin der noth/
Du todtes leben/ ja du lebendiger Todt/
Durch welcher grimm sich mus manch trewes hertze scheiden.Ga naar eind5
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Der schmerzvolle Aspekt macht das Motiv geeignet für die Liebesdichtung. Es ist kein Unterschied, ob Fortuna das Lebens- oder Cupido das Liebesschiff lenkt. Zwischen beiden bestehen Gemeinsamkeiten. Sie werden als blind dargestellt, und zu ihren Attributen gehören Ball oder Kugel, die ihre Unbeständigkeit und Herrschaft über die Welt anzeigen.Ga naar eind6 Ihr Handeln ist planlos und Ursache menschlichen Leids. Petrarca hat die nautische Liebesmetaphorik aus der antiken Literatur übernommen und die Qualen des liebenden Seefahrers, der am glücklichen Ende seiner Fahrt zweifelt, dargestellt.Ga naar eind7 In dem Sonett, das Opitz aus dem Canzoniere übersetzte, werden in den Quartetten acht Fragen nach dem Wesen der Liebe gestellt, die ihren Ursprung in den widersprüchlichen Erfahrungen des Liebenden haben: Ich walle wie ein Schiff, daß in dem wilden Meer
Von Wellen vmbgejagt nicht kan zu rande finden.
Ich weiß nicht was ich will, ich will nicht was ich
weiß,
Im Sommer ist mir kalt, im Winter ist mir heiß.Ga naar eind8
In ähnlicher Weise gestaltet Heinsius das Motiv in der Unterschrift zu einem Emblem, das ein auf nächtlicher See umhergetriebenes Schiff darstellt.Ga naar eind9 Bemerkenswert ist ein vierteiliger Zyklus in niederländischer Sprache von Vincentius Fabricius. Die Verbindung von leidvoller Liebes-empfindung und Seefahrt ist durch die biographische Situation gegeben. Fabricius schrieb die Gedichte auf der Rückreise von Amsterdam nach Hamburg, und nautische Hindernisse waren ihm der Anlass, der zurück-gelassenen Geliebten zu gedenken. Seine eigene Lage verbildlicht er durch die Gefahren der Seefahrt. Wie die Schiffer gegen äussere Unbill zu kämpfen hätten, so werde er im Liebesschiff auf dem Meer der Jugend umhergetrieben, und selbst wenn der Wind günstig ist, stellt sich das blinde Glück einer freien Fahrt entgegen. Den konkreten Zwischenfall eines Strandens auf einer Sandbank bezieht Fabricius auf die ewige Unerfülltheit seiner Liebe.Ga naar eind10 Unwetter und Steuerlosigkeit, die nie zu einem Hafen führen, stehen für die unglückliche Gefühlsintensität und ohnmächtige Liebesverfallenheit, die beide zu den Fundamenten des Petrarkismus gehören. Man wird die Schiffahrt und das Meer innerhalb dieses Systems zu den Grundmotiven rechnen müssen, die Wesen und Wirkung der Liebe deuten. Der Anwendungsbereich umfasst in noch grösserem Umfang jene Werke, die unter dem Leitbild von ‘vanitas’ und ‘mors’ stehen. In der Nachfolge der patristischen Literatur werden Meer, Wetter und Schiffahrt im christlichen Sinne aufgefasst.Ga naar eind11 Epicedien sind der geeignete Ort, über den Tod und die Nichtigkeit der weltlichen Dinge nachzusinnen. Eines der frühsten Beispiele dieser Gattung, das den Gesetzen der neuen Kunstdichtung folgt, stammt von Opitz' Freund B.W. Nüssler.Ga naar eind12 Das Gedicht beruht auf einem Kontrast. Im Vergleich zur petrarkistischen Lyrik erfährt das Motiv der Lebensschiffahrt eine wesentliche Erweiterung. Das gefahrvolle Seeabenteuer wird im Gegensatz zum sicheren Hafen ge- | |
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sehen, und diese Gegenüberstellung entspricht dem Dualismus von Diesseitigkeit und himmlischem Paradies. Die Schilderung der Erde erfüllt die Gattung des ‘contemptus mundi’, die vom leidvollen Dasein und von der Verachtung der Welt handelt.Ga naar eind13 Zwar klingt noch zweimal die glück-bringende Funktion Fortunas an, aber die Verse bleiben ohne Nachdruck und dienen der Hervorhebung der schmerzvollen Gegenwart. Die Grunderfahrung wird in Vers 13 ausgedrückt. Sie gleicht bis in den Wortlaut der der Liebeslyrik, die Spezifizierung aber steht unter christlichen Vorzeichen: Verzagtheit, Eitelkeit, Hoffart und Genußsucht sind die Klippen der diesseitigen Fahrt. Die Schilderung des himmlischen Hafens erscheint dagegen als die Umkehrung der auf der irdischen Reise erlittenen Bedrohungen. Er ist der Ort des schönen Wetters, an dem Friede und Ruhe, Liebe und Tugend herrschen. Die Gegenüberstellung von ‘contemptus mundi’ und Paradies bestimmt in Epicedien die Form der ‘consolatio’. Der Tod erscheint nicht als Schrecken, sondern als begehrenswert, und der Verstorbene wird zum Ende seiner Lebensfahrt beglückwünscht.Ga naar eind14 Ähnlich gestaltet Plavius den Trostspruch in dem Epicedium ‘Wie ein schiff auf meeres wogen’: O wol dem/ welcher auch auf diesem sünden-meere
Die klippen böser lust verhütet/ vnd nicht achtt/
Schlägt allen sturm in wind/ vnd dürstet nach der
ehre/
Die dem dort wiederfährt/ der hie den port betracht/
Den vielgesuchten port/ den ort der sicherheit.Ga naar eind15
Ein Begräbnisgedicht Hofmannswaldaus ist ganz auf die Gestaltung der ‘consolatio’ hin angelegt. Der Titel ‘Verachtung der Welt’ deutet darauf hin, dass das Schicksal der verstorbenen Braut als Beglückung und ihr Aufenthalt als erstrebenswert angesehen werden. Nach einer langen Beschreibung der ‘vanitas’ wendet sich der Dichter an den Bräutigam: Dem allen/ werther Freund/ ist euer Lieb' entgangen:
Sie hat durch ihren Todt zuleben angefangen.
Man freut sich/ wann ein Freund den Hafen hat erreicht/
Dieweil er nun befreut von Klippen/ Wind und Wellen/
Schiff/ Wahren/ Geist und Leib zufrieden weiß zustellen/
Wie daß ein traurig Ach durch euer Hertze streicht?
Die Tröstung wird verstärkt, indem die Tote selbst als Redende eingeführt wird: Euch drückt noch Kett' und Band/ ich bin dem Joch entnommen/
Ihr wallet auf der See/ ich bin in Hafen kommen.Ga naar eind16
In der ‘consolatio’ wird dem Toten eine Ausnahmestellung eingeräumt, die er durch seine Lebensführung erworben hat. Die ‘laudatio’ gehört zu den festen Bestandteilen in Epicedien. Hier erscheint sie als Preis des christlichen Lebens, der in der nautischen Metaphernsprache als zügige und gradlinige Fahrt ausgedrückt wird. Der Tote hat sich nicht durch | |
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Verführungen vom rechten Kurs abbringen lassen, sondern er war von Gottessehnsucht und Ehrfurcht erfüllt. Die Irrwege des Lebens wurden vermieden, weil er sich nicht Fortuna, sondern Gott zum Kapitän erkoren hatte.Ga naar eind17 Erfüllt die Schiffsmetapher in Epicedien die Aufgabe der ‘concolatio’ und ‘laudatio’, so steht sie im andächtigen Schrifttum im Dienst christlicher Demut und Ethik, die sich in der bittenden Anrufung an Gott oder im ‘memento mori’ zeigen. Nüsslers Begräbnisgedicht und Romplers ‘Stürmisch Schiffahrt Mänschlichen Lebens’ enthalten Gebete an Gott als ‘Steuermann’ oder ‘Schiffher’, ihnen auf dem gefahrvollen Meer des Lebens den rechten Weg zu weisen.Ga naar eind18 Hofmannswaldaus Gedicht ‘Die Welt’ enthält eine Mahnung zu christlichem Leben. Nach den einleitenden Fragen: WAs ist die Welt/ und ihr berühmtes gläntzen?
Was ist die Welt und ihre gantze Pracht?
folgt eine Häufung von Antworten, deren Inhalt die Nichtigkeit und Vergänglichkeit der irdischen Dinge sind. Die Seele soll sich davon lösen und den Blick über den Erdenkreis hinaus richten: Komm Seele/ komm/ und lerne weiter schauen/
Als sich erstreckt der Zirckel dieser Welt.
Streich ab von dir derselben kurtzes Prangen/
Halt ihre Lust vor eine schwere Last.
So wirstu leicht in diesen Port gelangen/
Da Ewigkeit und Schönheit sich umbfasst.Ga naar eind19
Christliche Lebensführung ist der Weg, den weltlichen Lockungen zu entgehen und den paradiesischen Hafen zu erreichen. Kein Dichter des deutschen Frühbarock hat sich häufiger der See- und Schiffahrtsmetapher bedient und sie eindringhcher mit der christlichen Lehre verbunden als Henrich Hudemann. Seine Sprüche in den Divitiae Poeticae und im Hirrnschleiffer wenden sich gegen den Einfluss von Fortunas verderblichem Wirken. Seine Ratschläge mahnen zur Gottesfurcht, Aufrichtigkeit, ‘prudentia’ und ‘constantia’, und immer wieder geisselt er das Laster der Wollust.Ga naar eind20 Bei Rompler wird der diesseitige Bereich mit Fortuna identifiziert, und folgerichtig erscheint der ‘contemptus mundi’ in Form der Fortunaschelte. Das Bildnis der Göttin ‘in lieblicher Gestalt’ lässt er nicht gelten; für ihn ist sie ‘nakkend/ wild/ und blind/ ein rásend-freches weib.’Ga naar eind21 Fortuna und Wollust gehen eine enge Verbindung ein. Rompler beklagt den Umstand, dass die Menschen sich zwar Christen nennen, ihr Handeln aber unter weltliche Gebote stellen: In meynung/ das die tracht der Wält uns nicht so schwer/
Daß glück- und wollust-waht vil-vil bequamer
wär.Ga naar eind22
Die Verse erhalten einen besonderen Stellenwert dadurch, dass sie Teil eines Hochzeitsgedichtes sind. Das durch Fortuna und Wollust bestimm- | |
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te Treiben bildet den Hintergrund, auf dem sich der Preis des Paares abhebt. Dem tugendreichen Bräutigam wurde von Gott die Ehe geschenkt. Das zwingt ihn nicht zur Entsagung aller weltlichen Freuden, verpflichtet ihn aber zur Mässigung und christlichen Lebensführung.Ga naar eind23 Die Ehe wird als ein Bezirk angesehen, der Schutz vor den Lastern der Welt bietet und zu einem gottergebenen Leben führt. Hudemann hat in einem Sinnenbild ähnliche Gedanken in prägnanter Form ausgedrückt: Es ist besser Freyden/ denn brunst leyden.
Ein Hurer/ welcher thut im thal der Wollust wallen/
Vnd spielet mit der Lieb/ gleich wie mit einem Ballen/
Da er heyrathen mag/ verschuldet Straff vnd hohn
Gleich wie ein Schipffer nicht ohn schaden wischt dauon/
Wenneer er in den Port das Schiff nicht wil hintreiben/
Da er es wol thuen kan: vnd läst es jmmer bleiben
Auffm vngestümen Meer/ biß daß
deß Wassers Schlund/
Das Schiff vnd alles Gutt zerrissen hat zu grund.Ga naar eind24
Der Titel ist ein Zitat aus Paulus' 1. Brief an die Korinther, in dem von der ‘Unzucht’ und ‘von der Ehe und dem ledigen Stande’ die Rede ist. Paulus befürwortet zwar die Ehelosigkeit, jedoch ‘um der Hurerei willen habe ein jeglicher sein eigen Weib, und eine jegliche habe ihren eignen Mann’ (I.7,2). Denn ‘wer ... huret, der sündiget an seinem eignen Leibe’ (I.6,18), der Gottes Gabe ist. Unter diese mahnenden Vorzeichen hat Hudemann sein Sinnenbild gestellt. Die Verbindung von Fortuna und Wollust klingt ebenso an wie bei Rompler. An die Stelle der Fortunaschelte setzt Hudemann die Schiffahrt als Ausdruck des unzüchtigen Lebens. Der Port der Ehe wird im paulinischen Sinne als Wehr gegen die Sünden und somit als Station auf dem Weg zum ewigen Leben gesehen. Bei der Betrachtung der nautischen Metaphorik ergaben sich verschiedene Anwendungsbereiche, die auf zwei Traditionslinien zurückgehen. Die eine fusst auf der Antike und erhielt ihre entscheidende Prägung durch Petrarca. In der Liebesdichtung sind ‘fortuna mala’ und stürmische Schiffahrt vorherrschend als Sinnbild der Liebesempfindung. Die zweite Linie entstammt dem christlichen Schrifttum. Die Schiffahrtsmetapher erfährt hier eine wesentliche Erweiterung durch den erstrebens-werten Hafen. Die Zweigliedrigkeit entspricht dem Dualismus von Diesseitig- und Jenseitigkeit oder mühevollem Dasein und Paradies. Aus der moralisch-lehrhaften Absicht folgte die Einengung auf menschliche Sünden. Wurde der himmlische Port als Erlösung von den irdischen Qualen gesehen, so bildet die Ehe analog die Befreiung von den Lastern. In welchem Grade die einzelnen Möglichkeiten in Heinsius' Gedicht und den deutschen Bearbeitungen vorhanden sind, wird eine Prüfung der Texte zeigen, die hier chronologisch vorgestellt werden. Trouw-Dicht
De Schippers die de Zee met kielen scherp doorsnijden
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En met een houten paert het blauwe diep berijden,
Ghecomen zijnd' aent' lant, bevrijt van alle noot,
Soo strijcken sy het seyl, soo strijcken sy den schoot.
Het gheen daer wy in zijn eer wy ons selven paeren,
Is een beroerde Zee, de sorghen zijn de baeren,
De liefd' is onse wint, de Clippen die ons schaen
Is daer wy aldermeest en alderliefst nae gaen.
Die Clippen zijn ghestelt int midden van ons leven,
Daer worden wy seer licht van alle cant ghedreven;
Dan comt den Westen wint, seer lieffelijck en stil,
Die brenght ons int verderf met onsen eyghen wil.
De Sterren die wy sien, die heeten wy de ooghen,
Die sich ghemeynelijck tot ons verderf vertooghen.
Dan mist ons het Compas, dan missen wy de locht,
Dan worden wy met lust in ons verderf ghebrocht.
Het Roer is ons verstant, den ancker is de Reeden,
De Cabels zijn de deught, de seylen goede seeden.
Dan doch den minsten deel brenght in behouden hant
Zijn onbeweeghde schip van sorghen aen het lant.
Maer ons Bruyd'gom versien van ballast comt ghevaeren
Int midden door de zee, door clippen ende baeren
Tot aent' ghewenste lant en vrij van alle wee,
Van schipbreeck ende last, comt nae een goede ree.
Dit is den laesten wensch, het lant hebt ghy vercreghen
Daer u den oosten wint niet meer en sal beweghen.
Heer Bruydgom blijft hier vast end werpt den ancker uyt
End van het quade weer versekert dijne schuyt.
Wy zijn noch in het diep, wy moeten voort gaen dwaelen
Daer ons den wreeden wint en baeren willen haelen.
Vaert wel end als ghy zijt in dijnen meesten staet,
Denckt eens hoe dattet noch met onze schepen gaet.Ga naar eind25
Heinsius' Gedicht unterscheidet sich in der Struktur der Bildlichkeit von den meisten bisher genannten Beispielen durch die allegorische Bildlichkeit. Wenn bisher überwiegend von der Schiffahrt-Metapher die Rede war, so deshalb, weil sie in der bildlichen Umschreibung nur ein Glied neben anderen war. Sie wird nicht über das ganze Gedicht und nur auf beschränktem Raum ausgeführt. Wenn die Dichter Tod, ‘vanitas’, Sünde oder Ehe besingen, dann wählen sie mehrere Bildbereiche - verwandte und auch solche, die erst durch die übergeordnete Thematik in Beziehung gebracht werden. Sie nähern sich dem Gegenstand von vielen Seiten. Bei Heinsius wird der Bildbereich im ersten Vers genannt und bis zum letzten durchgehalten mit Unterbrechungen, die die metaphorische auf die reale Ebene beziehen. Der Unterschied entspricht etwa dem eines Bilder-zyklus zu einem breit ausgeführten Gemälde oder dem zwischen extensivem und intensivem Schaffen. Die hier vorliegende Art der Allegorie be- | |
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steht inhaltlich darin, dass ‘man ein anders redet/ vnd ein anders versteht’; sie erhält ihre Form, wenn der Dichter in dem, ‘waß er auff Metaphorische/ Metonymische/ vnd Synecdochische Weise ausgesprochen/ in Gleichheit deß Verstandes fortfähret.’Ga naar eind26 Rist sieht darin eine notwendige Bedingung für die Qualität der Dichtung: ‘in einer stetigen/ continuierenden Allegorien schreiben ... daß heisset eigentlich ein guter Poet seyn...’Ga naar eind27 Auch Heinsius verwendet in seinem Gedicht die Gegenüberstellung von Meer und Hafen. Sie entspricht aber nicht dem genannten Dualismus, noch dient sie der christlichen Lehre. Es wäre sinnlos, wollte man hier fragen, ob die Schiffahrt verdammt wird oder nicht. Der Reisende sieht zwar die Not seiner Lage, nimmt sie jedoch als zeitlich begrenzte, unabänderliche Gegebenheit hin. Es handelt sich um den Kontrast zwischen unverheiratetem Dichter und Bräutigam, der zu den Triebfedern des Antipetrarkismus gerechnet wurde. Das Meer stellt die Liebe, das Schiff den Liebenden dar. Den nautischen Hindernissen entsprechen menschliche Qualen wie Sorgen, Tod und Verderben, dem Schiffszubehör-Eigenschaften wie Verstand, Klugheit, Tugend. Die beiden Ebenen werden stets aufeinander bezogen, um die Verständlichkeit der Allegorie zu gewährleisten. Wenn man fortlaufend etwas anderes schreibt als man meint, dann muss der Sinn erklärt werden. Bei der Schiffahrtsallegorie ist das umso erforderlicher, als die Gegenstände je nach dem Anwendungsbereich eine andere Bedeutung haben. Obwohl das Schiff gut ausgerüstet ist, gelingt es nur wenigen, den Hafen zu erreichen. Darin drückt sich die Allmacht der Liebe aus. In der Darstellung ihrer Wirkung lassen sich unschwer Elemente des Petrarkismus erkennen, die mit Orientierungslosigkeit durch das Versagen des Kompass und Liebesver-fallenheit mit freiwillig zu ertragendem Leid gekennzeichnet sind. Die Gefahren werden nicht nur nicht gemieden, sondern herbeigewünscht. Diesem Teil wird die glückliche Fahrt des Bräutigams gegenübergestellt. Der Hafen erfüllt dieselbe Funktion wie die Schilderung der Hochzeitsnacht in den oben besprochenen Epithalamien. Als Ende und Erfüllung der schmerzlichen Sehnsucht hat er keinen Platz im petrarkistischen System und ist als antipetrarkistische Komponente zu werten, in die das Gedicht mündet. Ihre Wirkung wird durch die Bitte des Autors verstärkt, der Bräutigam möge in seinem Glück auch an dessen sorgenvolles Dasein denken. Die Struktur des Gedichtes ist also dieselbe wie in mythologisch-petrarkistischen Epithalamien. Was sich ändert, ist die Bildlichkeit, die Heinsius wertfrei verwendet. Nur einmal macht er von den Möglichkeiten Gebrauch, die sich in der christlichen Tradition herausgebildet hatten, indem er den Bräutigam zur ‘constantia’ ermahnt. Opitz' Übersetzung des Gedichtes von Heinsius richtet sich nach den Maßstäben der Wörtlichkeit. Sie enthält einige unwesentliche Änderungen, die sich mit technischen Nöten erklären lassen oder als Befolgung jener Tendenzen, die bei der Analyse seiner Übersetzungen aus dem Niederländischen festgestellt wurden. Auffällig ist lediglich sein Bestre- | |
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ben, die petrarkistischen Antithesen abzuschwächen oder ganz zu meiden.Ga naar eind28 Wenn diese Beispiele auch nicht ausreichen, seiner Übersetzung eine eigene Konzeption zu unterlegen, so weisen sie doch auf ein wenige Jahre später entstandenes Hochzeitsgedicht voraus: IHr/ welche Tag und Nacht mit Hoffnung/ Furcht und Zagen
Der strenge Wüterich die Liebe pflegt zu plagen/
Die so ihr gantz und gar der schnöden Eytelkeit/
Den Lüsten ohne Lust/ zu Dienst ergeben seyd/
Seht an die lieben zwey/ so weit von allen Schmertzen/
In dem ihr euch befind/ mit unzertrenntem Hertzen
Nun werden inniglich verknüpfft seyn in ein Band/
Das durch den bleichen Tod auch selbst nicht wird zertrant:
Denckt eurem Stande nach/ erweget euer Leben/
Vnd das in welches sie sich wollen jetzt ergeben
Wie selig sind sie doch! Ihr aber schifft ein Meer/
Das keinen Hafen hat/ da Vnmuth und Beschwer
An statt der Segel sind/ da Klippen Wind und Wellen
Der rasenden Begier sich euch zugegen stellen
Mit stürmender Gewalt/ dar gar kein Steuermann
Nicht angetroffen wird/ auff den man fussen kan.Ga naar eind29
In dem Vergleich von buhlerischer und ehelicher Liebe wird die nautische Metaphorik nicht mehr wertfrei, sondern in einem ähnlich abwertenden Sinne wie bei Hudemann verwendet. Unter den Epithalamien von Plavius befindet sich eines mit der Überschrift ‘Das liebe-schiff’, bei dessen Abfassung Heinsius Gedicht als Anregung diente: Ob wohl/ zu dieser zeit/ da man nichts thut/ als krieget/
Die schiffahrt vnd mit jhr fast aller handel lieget/
Rüstt doch des vngeacht Cupido täglich aus
Sein schiff/ vnd reiset jtzt/ fast mehr als sonst/ von haus'
Er hat ein seltsam schiff/ dran freundlichkeit das ruder/
Der bord ist wanckelmuth/ die wände; mues vnd luder/
Der boden; wunsch vnd wahn/ die stücke; ruhm vnd gonst/
Der proviant darauff ist ehrbarkeit vnnd konst/
Das förderschiff ist lust/ vnd vnlust ist der spiegel/
Die jugend ist d'mast/ die tugend; fahn vnd fliegel/
Das segel; lieblickkeit/ die augen; der compaß/
Die hoffhung vnd geduld; der ancker vnd das glaß.
Der schiffer ist er selbst vnd hat die oberstelle/
Der stewrman ohne stewr ist Hymen sein geselle/
Die bootsmanschafft bedient manch tieff-verliebter gast/
Die waar' ist ware lieb'/ vnd falscher schein; ballast.
Das meer ist stete müh/ vnd seine wilde wogen
Seind neid vnd wäscherey. (weh dem der wird betrogen
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Durch der Sirenen schaar/ daß er die klippen rührt/
Des schiffbruch ist gewiss/ er ist vnd bleibt verführt)
Die klippen die man hat in dieser fahrt zu meiden/
Seind/ vnzucht/ schande/ spott/ zu spate rew'/ vnd leiden/
Der wind ist trew vnd ernst/ vnd treibet's schifflein fort
Bis an die eh' hinnan/ die ist der rechte port.
Sie ist der rechte port/ sie ist der rechte haven/
In welchem frey erklärt Cupido seine schlaven.
Das ist der rechte port/ der euch herr bräutigam/
Vnd auch der jungfraw braut zu stewre glücklich kam/
An diesem port möcht jhr die segel künlich
streichen/
Vnd durch die nütze lieb' einn liebe-nutz erreichen/
Geht schaffet ewren nutz/ nemt ewrer waaren war/
Der handel ist vergönnt/ vnd ausser der gefahr/
Das ist der rechte port/ da werdt jhr unverdrossen
Die tewre jungfrawschafft wol wissen aus zu lossen/
Geht losset nun das schiff/ legt ewre waaren an/
Vnd zeiget mit that/ das jhr profit gethan.Ga naar eind30
Es wurde bereits erwähnt, dass Plavius das vorgefundene Material am stärksten umarbeitet. Es steht aber ausser Zweifel, dass er Heinsius' Gedicht kannte.Ga naar eind31 Wenn er ihm eine neue Gestalt gegeben hat, so bedeutet das für den Vergleich, dass nicht die Einzelheiten, sondern nur die grossen Linien der Adaption betrachtet werden können. Die wichtigsten Unterschiede betreffen den Aufbau und die Aufnahme mythologischer Gestalten. Die Beschreibung der realen Schiffahrt, der bei Heinsius die doppelte Ausdeutung folgte, hat Plavius aufgegeben. Statt dessen bemüht er die beliebte Gegenüberstellung von äusserem Krieg und Liebe. Das hat weitreichende Konsequenzen. Die straffe Komposition von Heinsius hat Plavius völlig verworfen und den Gegensatz zwischen leidendem Dichter und glücklichem Bräutigam in ein gradliniges Nacheinander der Bausteine Schiff, Meer, Port aufgelöst. Die Konfliktsituation, die im niederländischen Text im Vordergrund steht, ist nur noch andeutungsweise vorhanden. Die Mühen der Seefahrt werden zwar noch genannt, aber sie erscheinen stark abgeschwächt und bilden für das Brautpaar kein Hindernis, da Cupido sein Schiffsherr und Hymen der Steuermann sind. Alles ist auf das glückliche Ende der Fahrt angelegt. Statt des verderbenden Westwindes weht ein günstiger, der das Schiff zum Ziel treibt. Der Hafen ist daher nicht in erster Linie ein Ort der Rettung und Erlösung, sondern des ungestörten Liebesgenusses. Erscheint Heinsius' Gedicht als eine Entfernung von der konventionellen Hochzeitspoesie mit ihren Göttern und Anspielungen auf die Hochzeitsnacht, so bewirkt Plavius durch seine Umwandlungen eine Rückkehr zu gerade diesem Schema. Sein Gedicht zeichnet sich durch eine spielerische Unbefangenheit aus, die vielen seiner Epithalamien eigen ist.Ga naar eind32 Vier Jahre nach dem Erscheinen von Plavius' Treugedichten veröffent- | |
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lichte Christoph Köler zu einer Brieger Hochzeit eine weitere Bearbeitung des ‘Trouw-Dicht’ von Heinsius: Hochzeitgetichte
DEr Schiffman der auffs Meer ein kienen Holtz gebawet/
Wann er vom Mastbaum ab dz Land von ferne schawet/
Wird frewdig vnd getrost/ daß er durch wüsten Ort/
Durch großes vngestüm/ sich nähert an
den Port.
So seyd jhr hertzlich froh/ ô außerwelte Lieben/
Daß euch deß glückes west an haffen nah
getrieben/
Da Ihr gewünschtes Land vor ewren Augen seht/
Wo nichts/ als stille ruh vnd süsse frewde weht.
Das schwere Sclaven-joch/ an dem jhr vorgezogen
War eine wilde See/ die Sorgen Wasserwogen/
Die Liebe war der Wind/ die Strudel/ Klippen/ Stein/
Verlangen/ Hoffnung/ Furcht/ Angst/ Seuftzer/ Nott vnd Pein:
Die Sternen vnd Compaß/ der Liebsten Augen Sonnen/
So in der Liebesfart bey Tag vnd Nachte bronnen/
Dadurch das thumme Volck in wüster See verführt
Wann widerwertig Wind sich auff dem Wasser spürt.
Kein Schieffbruch war bey Euch im Wetter zu beforen/
Weil jhr bescheydenheit zum Ruder habt erkoren/
Zum Ancker klugen witz/ zur Sandlast Ehr' vnd Zucht/
Zum Seil der Tugend pflicht/ das brachte nutz vnd frucht.
Durch solchen Schifferzeug habt jhr die fahrt vollendet/
Vnd seyd glückselig nun an stillen Port gewendet.
Doch weil jhr nahe bey gestossen seyd ans Land/
So seht/ das ewer Schiff auch halt' am hafen stand.
Herr Bräutigam/ nim wahr bescheiden deiner Sachen/
Vnd las am Vfer dich die Schiffer nicht verlachen.
Du darffst nicht haben acht auff Sieben Sternen schein/
Die Lichter vnd Compaß der liebsten Augen sein.
Sieh wann die Liebste läst den gutten Gunst-west
spüren/
Daß du magst sicher fort dein Schifflein
überführen.
Vnd soltu fahren ja hoch über Klipp vnd Stein/
So segle nur gemach/ vnd wirff den Ancker ein.
Hab' einen gutten Muht/ vertraw den sanfften Winden/
Du wirst bald zwischen durch die Strudel einfart finden/
Vnd wann du meinen wirst/ das nun der Nachen bricht/
So steigest du ans Land/ da du gewesen nicht.Ga naar eind33
Köler geht direkt auf Heinsius zurück.Ga naar eind34 Mit Opitz verbindet ihn eine grössere Nähe zum Original als Plavius, und mit Plavius hat er die Aufgabe des Kontrastes von Dichter und Bräutigam gemeinsam. Dennoch unterscheidet sich seine Bearbeitung von der Vorlage und den beiden deutschen Versionen. Köler bezieht das ganze Gedicht auf das Paar, und | |
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das zeigt sich nicht nur an der eingeschobenen Anrede (V. 5-8). Die Gegenüberstellung der beiden Lebensumstände wird allerdings beibehalten, und der Ausdruck des schmerzlichen erscheint durch eine Häufung seelischer Ängste (V. 12) intensiviert. Das deutet zunächst auf die Verstärkung des petrarkistischen Teils hin, in Wirklichkeit aber enthält Kölers Gedicht eine Absage. Er berichtet davon im Perfekt als von etwas Vergangenem und Überwundenem, petrarkistische Empfindung jedoch drückt sich stets als leidvoll erfahrene Gegenwart aus. Die Distanz wird dadurch vergrössert, daß der Buhlerei eine Absage erteilt wird: nur das ‘thumme Volck’ erliegt ‘in wüster See’ den Verführungen.Ga naar eind35 Heinsius benutzte die Darstellung der Gefahren dazu, die eigene Situation zu charakterisieren, bei Köler dient sie dem Preis des Paares. Ihm konnte weder die ‘wilde See’, noch das ‘Wetter’ schaden, da es sich in rechter Weise des positiven Schiffszubehörs der Bescheidenheit, Ehre und Zucht bediente und durch des ‘glückes west’ in den Hafen getrieben wurde. Das ist eine direkte Anspielung auf Fortuna. Aber die von Köler gepriesene Glücksgöttin hat mit der von Rompler gescholtenen nur noch den Namen gemeinsam. Der verdammungswürdigen steht hier eine menschenfreundliche gegenüber. Das hat seine Ursache nicht darin, dass die antike ‘fortuna bifrons’ ihr freundliches Antlitz zeige, sondern in der christlichen Umdeutung, die Fortuna zum Werkzeug von Gottes Willen macht. An den Anfang des zweiten Buches seines Lehrgedichtes De contemptu mortis hat Heinsius eine Auseinandersetzung über das Verständnis der Fortuna gestellt. Die Wechselfälle des Lebens und das Leid habe man immer wieder als ihre Willkür betrachtet, aber der Menschen Geist bleibe nur an der Oberfläche. In Wirklichkeit sei Gott der Herrscher über Fortuna, und er verteile Freude und Qual: Hy leyt fortuna self die meester is van al
Gelyck hy leyt den mens door vreugt en ongeval.Ga naar eind36
Unter diesem christlichen Gesichtspunkt ist Kölers Gedicht zu verstehen. Sein ‘glückes west’ hat mit dem verderbenden ‘westenwind’ nichts mehr zu tun, sondern nähert sich der Bedeutung, die in Epicedien und andächtigen Schriften anzutreffen ist. Hier ist vom ‘sanften Glaubens Wind’,Ga naar eind37 von Gottes ‘Gnadenwind’ und dem ‘Westwind’ seiner ‘Lieb’ die Rede.Ga naar eind38 Der Fortuna-Komplex und die Seefahrt werden von Köler ähnlich behandelt wie in diesen Gedichten: tugendhaftes Leben ist ein Mittel gegen das blinde Glück und ein Weg, Gottes Gunst teilhaftig zu werden. Das entspricht der ganzen Tendenz seiner Bearbeitung. Der Port wird mit paradiesischen Attributen ausgestattet und dem Brautpaar eine Reihe von Ermahnungen erteilt, die zahlreicher und eindringlicher als bei Heinsius ausgesprochen werden. Standhaftigkeit und Bescheidenheit sollen die Ehe schützen, mit Zuversicht soll der Bräutigam den Anfechtungen der buhlerischen Liebe und des Hochmuts begegnen. Von den deutschen Hochzeitsgedichten, die auf Heinsius' ‘Trouw-Dicht’ zurückgehen, erwies sich nur Opitz' Übersetzung als unproble- | |
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matisch. In ihr wird wie in der Vorlage - wenn auch mit leichten Abschwächungen - die nautische Metaphorik verwendet, um den Kontrast von petrakistischer Empfindung und Liebeserfüllung auszudrücken. Ihr Verdienst liegt darin, dass sie einen Motivbereich in die deutsche Dichtung eingeführt hat. Bei Plavius und Köler liessen sich bezeichnende Änderungen feststellen. Durch die Aufnahme mythologischer Figuren und die Anspielungen auf die Brautnacht schafft Plavius ein Beispiel der geläufigen Hochzeitsdichtung. Köler hingegen wendet den petrarkistischen Teil in einen Tadel gegen die darin ausgedrückte Liebeserfahrung. Eine didaktisch-moralische Absicht tritt in seiner Bearbeitung deutlich hervor. Er verweist damit auf Johann Rist, der später die Bildlichkeit der Schiffahrt nicht nur in Epicedien und andächtigen Gedichten, sondern auch in Epithalamien in den Dienst christlicher Lehre stellt.Ga naar eind39 Die deutschen Gedichte fügen sich in die oben dargestellten, traditionellen Anwendungsbereiche der nautischen Bildlichkeit. Plavius und Köler liefern eine eigenständige Bearbeitung, aber diese ist nicht nur Zeugnis der individuellen, poetischen Fähigkeiten, sie spiegelt auch die Entwicklung in der deutschen Epithalamienkunst. Neben die mythologisch-patrarkistische tritt die erbaulich-moralische, die in den 30er Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnt. Beide Arten haben nur noch den Anlass und allen-falls formale Elemente gemeinsam, inhaltlich sind sie völlig verschieden. Sie können im Werk eines Autors gemeinsam vorkommen oder auch in scharfe Konkurrenz zueinander treten. Anzeichen einer Kritik finden sich schon 1629 im ersten überlieferten Hochzeitsgedicht Michael Schneiders, das jenes Jupiter-Gedicht von Heinsius zur Vorlage hat, das auch von Opitz und Kirchner benutzt wurde.Ga naar eind40 Schneider ist ein Autor von grossem Lebensernst, und dieses Epithalamium bildet eine Ausnahme in seinem Werk. Es ist das einzige Mal, dass er sich der petrarkistischen Motive derart spielerisch bedient, und dennoch erscheint das ganze Gedicht blasser als das Original. Schneider hat die ‘narratio’ stark gekürzt, in der Heinsius in petrarkistischer Weise die Gestalt der Jungfrau und die Liebesqual beschrieben hatte. Noch bedeutsamer ist es, dass er den Weltschöpfer Jupiter fortlässt und statt dessen den christlichen Gott einführt. Damit nimmt er Kölers noch zu besprechende Polemik gegen das Gedicht von Heinsius vorweg. (s.u. S. 186f.) Keiner hat häufiger und engagierter gegen die Hochzeitsdichtung Stellung genommen als Johann Rist. Einige seiner Äusserungen seien hier angeführt, da sie die Gründe für die Ablehnung klar erkennen lassen. Während er in der Poetischen Lust-Harfe (1638) noch zurückhaltend empfiehlt, ‘die Namen der Venus, Cupido, Hymen’ nur sparsam zu verwenden,Ga naar eind41 zeigt sich seine Gegnerschaft im Poetischen Schauplatz (1646) als zornige Polemik gegen die Fülle Glückwünschungs-Gedichten/ welche schier von ... lauterer Venuß-Lust und Begierden/ von ihres lieben Sohnes Kupido Fakkel/ Bogen/ Pfeilen/ Flügelen/ Blindheit ... wissen zu singen ... Aber | |
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pfui des Teuflischen Wesens ... Wie lange wollen wier noch die keusche/ denen Christlichen Eheleuten von GOtt eingepflantzete Liebe dem Teufel und seiner Mutter der geilen Venuß-Huhren zuschreiben.Ga naar eind42 In der Vorrede zum Teütschen Parnass (1652) schreibt er, der Band enthalte zwar viele Hochzeitsgedichte, man werde aber die Namen der heidnischen Götter vergeblich darin suchen: ... diese Künste lasse Ich den elenden und närrischen Reimmacheren/ die keine andere noch bessere Erfindungen auß Ihrem dummen Gehirn an den Tag wissen zu geben.Ga naar eind43 Zu diesen Verurteilungen gesellen sich eine Reihe von Gedichten, die das Problem mit denselben Argumenten behandeln. Als Beweggründe spielen die Reaktion gegen ein bis zum Überdruss ausgeschöpftes Thema und der damit verbundene Schaden für die deutsche Dichtung eine ebenso grosse Rolle wie die Besinnung auf christliche Aufgaben und auf die religiöse Bestimmung der Ehe.Ga naar eind44 Freilich hat auch Rist vor allem in der frühen Periode seines Schaffens dem befehdeten Brauch nachgegeben und einige Hochzeitsgedichte mit dem mythologischen Apparat geziert, aber er hat diese Seite seines Schaffens nur wenig später widerrufen.Ga naar eind45 Rists Äusserungen stehen repräsentativ für das Bemühen vieler Dichter, die Epithalamien aus den im Frühbarock herrschenden Schablonen zu lösen und ihnen neue Inhalte zu erschliessen. Die Hochzeit wird nicht mehr ausschliesslich als erotisches, sondern auch als religiöses und soziales Ereignis gesehen. | |
D. Die erbaulich-moralische Ehedichtung: CatsIn der niederländischen Literatur ist die Situation ähnlich. Auch hier bestehen die beiden Arten nebeneinander, und es ist ein weiteres Zeugnis für den literaturgeschichtlichen Rang des Bloem-Hof, dass er beide enthält. Mit der Kennzeichnung ‘Poetisch ende Morael.’ im Titel wird auch eine Einteilung der Hochzeitsgedichte getroffen. Die erste Hälfte enthält mythologisch-petrarkistische, die als Quellen zu Gedichten von Kirchner, Opitz und Plavius dienten, die zweite wird eingeleitet mit der Ankündigung: ‘Volgen meest eenige stichtelijcke/ Moralische leerlycke Dichten/ ende Liedeckens’, die so bezeichnende Titel tragen wie ‘De valsche Minne’, ‘De deughdelycke Liefde’ und ‘Christlycke Huyshoudinge.’Ga naar eind1 In ihnen wird mit polemischer und satirischer Ablehnung des Petrarkismus das Verhältnis von Mann und Frau auf eine tugend-hafte und gottesfürchtige Grundlage gestellt. Wenn die deutschen Dichter bei ihrer Auswahl aus dem Bloem-Hof diesen Teil unberücksichtigt liessen, so zeigt das die Herrschaft der mythologisch-petrarkistischen Hochzeitsdichtung im Frühbarock. Die im Bloem-Hof sich abzeichnende Tendenz hat Jakob Cats konse- | |
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quent weiterentwickelt. Während man in Deutschland z.B. bei Rist den Eindruck gewinnt,Ga naar eind2 dass die Zurückweisung der weltlichen Gelegen-heitsdichtung zum Selbstzweck und zur Rechtfertigung erstarrt, hat Cats ihr eine breitangelegte Dichtung gegenübergestellt, die am Gesamtzeitraum des 17. Jahrhunderts gemessen zu den einflussreichsten ausländischen Werken in Deutschland gehört. Morhof zählt zwar zu den Kritikern von Cats, er kann aber nicht umhin, seine Bedeutung anzuer-kennen: Sein Zweck ist der gemeine Nutz in Unterrichtung des Volcks/ dadurch er sich aiso beliebt gemacht/ daß er von allen durchgehend gelesen/ und auch bey den Außländern sehr beliebt worden.Ga naar eind3 Mit dem Hinweis auf die Unterrichtung des Volkes ist das Ziel von Cats' Dichtung angegen und zugleich der Grund für ihre grosse Wirkung. Die didaktische Absicht zeigt sich einmal in den Gattungen, wie Emblemata, Dialog, episches Lehrgedicht, und zum andern in seiner poetischen Sprache, die er wie folgt beschreibt: Ten lesten hebben wy overal gepooght te gebruycken een effenbare, eenvoudige, ronde en gantsch gemeene maniere van seggen, de selve meest overal gelijck makende met onse dagelijksche maniere van spreken, daerin alle duysterheyt ... schouwende; behoudens daer wy, om de eerbarheyt wille, willens en wetens somtijts de schaduwe hebben gesocht.Ga naar eind4 Diesen Sätzen liegt das Problem von ‘perspicuitas’ und ‘ornatus’ zugrunde, die zu den Fundamenten barocker Stillehre gehören.Ga naar eind5 Opitz fordert, man müsse sich ‘der deutligkeit halben ... für alle dem hüten/ was vnsere worte tunckel vnd vnverstendtlich macht,’Ga naar eind6 und Titz hat diese Regel verstärkt, indem er der ‘Verständligkeit ... billich die fürnehmste stelle’ zuerkennt ‘als der fürnehmsten Tugend einer iedwedern Rede.’Ga naar eind7 In der ‘obscuritas’ sieht er einen angeborenen Mangel, der nicht zu beheben sei, oder das niedere Motiv einiger Autoren, die auf die Dunkelheit Mühe verwendeten, um die eigene Unbildung zu verdecken.Ga naar eind8 Mit diesen Ansichten stimmt Cats überein, wenn er auch die ‘obscuritas’ nicht kategorisch ablehnt. Als bewusst eingesetztes Stilmittel will er sie dort verwenden, wo die Schicklichkeit ein unumwundenes Aussprechen des Inhalts verbietet. Seine Sonderstellung zeigt sich vielmehr in der Haltung zum ‘ornatus’ der Rede, die in den Poetiken als Ergänzung zur ‘perspicuitas’ aufgefasst wird. Bei Titz folgt die Besprechung beider Stilideale unmittelbar aufeinander, und was er im einzelnen unter dem ‘ornatus’ versteht, sei hier stichwortartig angeführt: die ganze Rede muss anmutig sein, die Sätze auserlesen und der Figurenvorrat geziemend. Sie soll ‘bequeme Vergleichungen/ vnd artige Poetische Vmschreibungen’ enthalten und den Leser durch lebendige und durchdringende Kraft ‘vnvermerckt fangen vnd einnehmen.’Ga naar eind9 Die einprägsame und abwechselungsreiche Gestaltung soll von der Richtigkeit des Dargestellten überzeu- | |
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gen.Ga naar eind10 Für Titz stellt sich nicht die Frage, in welchem Verhältnis die beiden Stilideale stehen, und ob nicht der Schmuck anf Kosten der Verständlichkeit geht, wenn er z.B. in manieristischer Weise gehäuft wird. Der ‘ornatus’ ist in erster Linie eine gelehrte Angelegenheit, und Titz wendet sich an den verständigen Leser, der die Tropen, Figuren und Periphrasen in seinem Wissensschatz beherbergt. Klagen über Dunkelheiten kann er daher der Unkenntnis des Kritikers zuschreiben.Ga naar eind11 Cats verfolgt zwar dieselben Ziele wie Titz, wenn er schreibt: ‘wat kan 'er toch nuttiger wesen... als tot gevoeghsaemheyt en andere deughden aen te leyden’, und wenn er bekennt, er habe sich bemüht, ‘de leere lieffelijck te maecken’,Ga naar eind12 aber er beschreitet grundsätzlich andere Wege. Dem ‘ornatus’ setzt er eine dichterische Sprache entgegen, die nicht nur einfach und schlicht sein, sondern auch so weit wie möglich der täglichen Umgangssprache angeglichen werden soll. Die Aufgaben, die der ‘ornatus’ zu erfüllen hat, überträgt Cats auf Beigaben, die nicht der Rhetorik angehören: Der Überdruss des ermüdeten Lesers soll durch denkwürdige Geschichten überwunden werden, und beigefügte Stiche sollen ihn durch ihre Anschaulichkeit zu einem tieferen Verständnis führen und seine Neugierde wecken. Dieses Programm, das ganz auf die Verständlichkeit des Textes zielt, steht im Zusammenhang einer ausführlichen ‘captatio’, in der Cats die Gestaltung seines Werkes mit der von ihm angesprochenen Leserschaft begründet. Er wende sich vor allem an die Frauen und habe die Dichtung nach ihrem Geschmack und Verständnis gerichtet.Ga naar eind13 Wir haben den Aspekt der sprachlichen und rhetorischen Gestaltung herausgegriffen, um im Vergleich mit einem typischen Vertreter der deutschen Barockpoetik Cats' Sonderstellung im frühen 17. Jahrhundert zu kennzeichnen.Ga naar eind14 Mag er auch gegen sein Programm verstossen und gerade durch die Ausnahmen auf Deutschland gewirkt haben, so zeigt es doch deutlich seinen literarischen und weltanschaulichen Standpunkt. Der Verzicht auf den ‘ornatus’ ist nicht nur eine Abkehr von der heidnischen Götterwelt, sondern auch Ausdruck neuer Inhalte. Als konsequenter Befolger der Decorumlehre, die die Übereinstimmung zwischen der Darstellung und dem Dargestellten fordert,Ga naar eind15 entfernt sich Cats vom Geist der Renaissance und schafft eine auf dem Calvinismus fussende Dichtung, in der praktische Lebensprobleme behandelt werden. Wie er beide Arten bewertete, lässt sich am besten an den Sinne- en Minnebeelden zeigen. Sie unterscheiden sich von herkömmlichen Emblembüchern dadurch, dass jedes Bild drei verschiedene Ausdeutungen erfährt, die vom Autor als ‘amatoria’, bürgerliche Unterrichtung und erbauliche Betrachtung beschrieben werden. So wird zum Beispiel das Bild eines Papageis im Käfig (Nr. 20) auf das Glück des gefangenen Liebhabers, auf den Menschen, der erst durch die Unterwerfung unter die gesellschaftliche Umwelt zur Entfaltung gelangt, und auf die irdischen Leiden gedeutet, die mit Geduld zu ertragen sind. Cats hat mit der Reihenfolge eine Wertung beabsichtigt. In den Liebesgedichten sieht er das törichte Produkt | |
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seiner Jugend, das ihm nur als Lockmittel für den jungen Leser dient, um ihn zu den höheren Stufen zu führen und ihn zur Mässigung, Recht-schaffenheit und Gottesfurcht anzuleiten.Ga naar eind16 Cats hat alle Stationen des menschlichen Lebens mit seinem sittlichen Rat begleitet und einen grossen Teil seines Werkes der Ehe gewidmet. In ihr sah er auf christlicher Grundlage ‘een smisse van menschen, een gront-steen van steden, en een queeckerye van hooge regeeringe.’Ga naar eind17 In dem ausladendem Lehrgedicht ‘Houwelyck’ beschreibt er bis in die kleinsten Details die Aufgaben der Ehepartner, wobei alles auf die praktische Nutzanwendung für das Zusammenleben angelegt ist. Seinen Stoff bezog er aus einer langen Reihe von Quellen, die er mit Begebenheiten aus seiner Umgebung, deren Belehrung er anstrebte, vermischte.Ga naar eind18 Er betrachtet die Ehe in erster Linie als einen sozialen und religiösen Bund. Es ist offensichtlich, dass Cats mit diesen Merkmalen nicht nur Zustimmung fand. Unter die Lobesbezeugungen mischen sich die Tadel der strengen Kritiker, aber dennoch hat er es in Deutschland zur Beliebtheit eines Volksschriftstellers gebracht, wie die lange Liste der Übersetzungen beweist. Sie setzten 1642 mit Titz ein, und ihr grösster Teil entstand um die Jahrhundertmitte, während der sich nicht weniger als sieben Dichter um die Verdeutschung der grossen Werke bemühten.Ga naar eind19 Diese bemer-kenswerte Konzentration führt Bolte wohl mit Recht darauf zurück, dass ‘in einer Zeit der Einkehr und Selbstbesinnung nach der Verwilderung des langen Krieges der sittliche Ernst’ ansprach und dass ‘seine nüchterne, praktische Moral ... nachahmenswert’ erschien.Ga naar eind20 Für die Hoch-zeitsdichter im Frühbarock war Cats trotz der verwandten Thematik von nur geringer Bedeutung. Der Grund dafür, dass er erst relativ spät seine Wirkung in Deutschland entfalten konnte und seinem Werk ein nicht ebenso unmittelbarer Erfolg beschieden war wie den Nederduytschen Poemata , ist auch in der formalen und inhaltlichen Gestaltung zu suchen und in der ‘allzugrossen Weitläufftigkeit’ seiner Dichtung, die nach Morhofs Urteil ‘mit Worten/mehr als vonnöthen/ angefüllet’ ist.Ga naar eind21 Er bietet nicht wie Heinsius poetische Musterbeispiele, die sich zur Nachahmung empfehlen. Die Gründe gewinnen durch den Nachweis an Über-zeugungskraft, dass Cats schon viele Jahre früher als bisher angenommen in Deutschland bekannt war. Die Belege reichen bis zu seinen ersten Veröffentlichungen zurück.Ga naar eind22 In welchem Grade Cats im frühen 17. Jahrhundert auf eine gleichgestimmte Haltung oder auf Ablehnung stiess, wird an einigen Beispielen zu zeigen sein. Einer der wenigen Geistverwandten ist Henrich Hudemann, der gleichzeitig mit und daher unabhängig von Opitz der deutschen Dichtung Würde und Ansehen verleihen wollte.Ga naar eind23 In seinen beiden Gedicht-bänden vereinigen sich gelehrter Humanismus und volkstümliche Bürgerlichkeit. Die Divitiae Poeticae (1625) enthalten neben neulateinischen Gedichten ein mit ‘Teutsche Musa’ überschriebenes Buch, dessen Hochzeitsgedichte der mythologisch-petrarkistischen Art angehören. Ihre Übereinstimmung mit denen von Opitz beruht auf der Benutzung der- | |
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selben Quellen wie den Nederduytschen Poemata. Der Hirrnschleiffer (1626), ein Band mit 156 emblematischen Sprüchen, erinnert an die Sinne- en Minnebeelden von Cats. Er enthält zwar keine Liebesgedichte, wohl aber ‘moralia’ und ‘oeconomia’, die zur Gottesfurcht und richtigen Lebensführung anleiten sollen. Sie sind überwiegend nach thematischen Gruppen angeordnet und warnen vor geistigen Lastern der Vermessenheit, Untreue und des Zorns und vor leiblichen Sünden wie Trunkenheit und Wollust.Ga naar eind24 Wie Cats widmet sich auch Hudemann Problemen der Erziehung. Bei beiden Dichtern wirken dieselben bürgerlichen Kräfte, die ihr Ziel in praktischer Unterweisung zur Ehrfurcht, Keuschheit und zum christlichen Hausstand haben. In der eigenen Hochzeitsdichtung aber ist Hudemann Cats nicht gefolgt. Es lässt sich schwer entscheiden, in welchem Umfang er mit seiner Dichtung gewirkt hat. Die zeitgenössischen Stellungnahmen sind selten.Ga naar eind25 Es hat den Anschein, dass er zu den unbekannteren Autoren gehörte und über den Umkreis seiner Heimat hinaus keinen Anklang fand. Ähnlich gestaltet sich das Verhältnis von lehrhaft-moralischer Dichtung und Epithalamien im Werk von Johannes Plavius, wenn auch zwischen beiden keine so strenge Scheidung wie bei Hudemann besteht. Sein Zyklus von hundert Sonetten lässt sich am besten unter die Überschrift des ersten fassen: ‘Sey in der Tat ein Christ.’Ga naar eind26 Alle Titel enthalten einen Imperativ und sind der Bibel und den Geboten entnommen. Einige dieser christlichen Anleitungen finden sich auch in Plavius' Hochzeitsgedichten, aber dabei handelt es sich bei der Fülle der mythologisch-petrarkistischen um die Ausnahmen.Ga naar eind27 Plavius kannte die Ehedichtung von Cats, für die eigenen Epithalamien griff er aber auf andere Quellen zurück. Christoph Kölers frühe Schaffensperiode, wie sie in der Anthologie Hippes vorgestellt wird, steht unter Opitzens Einfluss. Immer wieder preist er sein Vorbild. Von ihm übernahm er Strophen- und Versformen in petrarkistischen Liebesliedern und Epithalamien. Die anakreontischen Trinklieder rücken ihn in die Nähe des Leipziger Kreises.Ga naar eind28 Es wird sich wohl nicht mehr entscheiden lassen, ob diese Charakterisierung für das gesamte Schaffen Kölers zutrifft.Ga naar eind29 Eine Ausnahme bildet das ‘Ehgedichte’ von 1631, das sich wie eine Zusammenfassung Catsscher Gedanken liest.Ga naar eind30 Schon der Titel deutet auf eine Abkehr von der mythologisch-petrarkistischen Hochzeitsdichtung hin. Es hat umso grössere Bedeutung, als in der Gegenüberstellung von heidnischer und christlicher Schöpfungsgeschichte eine direkte Reaktion gegen die niederländisch-deutschen Epithalamien erkennbar ist. Das Motiv von Jupiter als dem Erschaffer der Welt und der ersten Jungfrau gehört ja zu den mehrfach auftretenden Bestandteilen, die von Opitz, Kirchner und Schneider aus dem Bloem-Hof und den Nederduytschen Poemata entnommen wurden. Dem setzt Köler die biblische Geschichte entgegen und leitet damit zum Hauptteil des Gedichtes über. Gott habe die Liebe zwischen Braut und Bräutigam entzündet und ihre Verbindung gesegnet. Das verpflichte | |
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beide zur Treue und Aufrichtigkeit, die sich in der täglichen Lebensführung zeigten. Neben der religiösen Auffassung der Ehe hat Köler mit Cats die nüchternen Anweisungen für den Alltag gemeinsam, und er bedient sich dabei einer ebenso einfachen Sprache. Die harmonische Zweisamkeit und die Schlichtung des Ehestreites, die Freude über den Kindersegen und der rechte Umgang mit Dienstboten, das sind Themen, die auch Cats behandelt. Beiden lag die Trennung der Pflichten am Herzen, die die Häuslichkeit in feste Bahnen zwingt. Der Bereich des Mannes ist die Aussenwelt, das Reisen, der Rat und der Handel. Die Tätigkeiten der Frau machen an der Hausschwelle halt. Mit ausladender Pedanterie schreibt der Holländer von der Küche, dem Decken des Tisches, vom Gesinde und der Bewirtung von Gästen alles, was zu einer wohlgeordneten Haushaltung vonnöten ist. Kölers Gedicht enthält charakteristische Regeln aus Cats' Ehecompendium, das sich bei späteren Autoren vervollständigen lässt.Ga naar eind31 Erschien die Übertragung der petrarkistischen Motive auf die Hochzeits-dichtung als eine Wendung zum Bürgerlichen, so handelt es sich hier um die Darstellung der Bürgerlichkeit selbst. Für die Zeit des Frühbarock allerdings gehört Kölers Gedicht zu den Ausnahmen. Der naive Ernst lässt sich schwerlich an weiteren Texten nachweisen. Die lehrhafte Erbaulichkeit passte nicht zu dem freudigen Anlass und dem in Hochzeits-gedichten üblichen leichten Ton. Hieraus ist es zu erklären, dass man bei der Übersetzung und Bearbeitung Catsscher Gedichte Änderungen vornahm, die sich allgemein als Parodierungen beschreiben lassen. Zacharias Lund hat die Freuden und Sorgen des Ehestandes in einem Gedicht beschrieben, in dem schon Schroeter den Einfluss von Cats erkannte.Ga naar eind32 In langer anaphorischer Reihe werden die beiden Lebensumstände aufgezählt. Zu den Sorgen rechnet er das Schornsteinfegen, die Beschaffung von Haustieren, von ‘seiff vnd saltz’, ‘Kinder Tücher’, ‘Schwefelstecken’ und ähnlichem Kleinrat; die Freuden bestehen in der Erfüllung dieser Bedürfnisse und im Treiben der Kinder. Er hat die Verse mit ‘Schertz Gedicht’ überschrieben, und auch ohne diesen Hinweis wird sein Anliegen deutlich: die praktische Häuslichkeit, wie sie sich bei Cats findet, wird als philiströse Enge dargestellt und der Lächerlichkeit preisgegeben.Ga naar eind33 Ernste Rechtschaffenheit und solide Gediegenheit sind die Pole einer Lebensform des niederländischen Bürgertums, dessen literarischer Repräsentant Cats ist. Eine vergleichbare Haltung erkennt man in der zeit-genössischen Malerei an den Portraits und Gruppenbildern, wo neben dem feierlichen Schwarz der Kleidung an Kragen, Brusttüchern und Manschetten ‘das unsinnliche Weiss gestärkter Wäsche’ dominiert;Ga naar eind34 an den Interieurs der Bürgerhäuser mit blitzblankem Fussboden und gepflegtem Mobiliar oder an den Darstellungen aufgeräumter Hinterhöfe, zu deren Requisiten Eimer und Besen gehören. ‘Schoon’ bedeutet im Holländischen nicht etwa ‘schön’, sondern ‘sauber’. Das Gebot der Sauberkeit wurde so eifrig befolgt, dass es bald zum Ziel epigrammatischen Spotts wurde: | |
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Ghy zijt wel proper in al u dingen,
Proper in't spreken, proper in't singhen
Proper van aensicht, voeten, en handen,
Proper van oogen, neus, en tanden
Proper van cleeren, koussens, en cragen
Proper van riem en ommeslagen,
Proper van schoenen, linten, en canten,
Proper van mantel, hoet, en wanten,
Proper van hyr, van baert, en knevels,
Proper van sporen, en van stevels,
Proper te peerd, en proper op schaetsen,
Proper in't kolven, proper in't kaetsen,
Proper in al u doen en laten,
Proper in't wandelen over straten,
De handen in sy als en coper-potjen,
Voorwaer, ghy zijt een proper sotjen.Ga naar eind35
Die Verse stehen in der Zeeusche Nachtegael , die aus dem engsten Umkreis von Cats hervorgegangen ist. Morhof hat sie als ein Musterbeispiel der ‘epigrammata circumscripta’ angeführt, in denen die ‘Narratio einige nöthige Umbstände haben’ kann, ‘wenn nur das “acumen” fein kurtz und unvermuthet darauff kömmt.’Ga naar eind36 Der erste Teil wird durch die Beschreibung der realen Verhältnisse gefüllt, die dann durch den pointierten Schluss relativiert wird. Unter Plavius' Epithalamien befindet sich eines auf der ‘braut namen/Catharina/ welcher zu deutsch Reine/ lautet’, das Gemeinsamkeiten mit diesem Epigramm hat und mit grosser Wahrscheinlichkeit darauf zurückgeht.Ga naar eind37 Nach einer langen anaphorischen Anrufung der ‘Reinigkeit’ folgen die Verse, die sich auf die Braut beziehen: Rein; in liebe/ rein; in trewen/
Rein; im reden/ rein; im schweigen/
Rein; in süsser freundlichkeit/
Rein vnd sauber allezeit.
Rein; in arbeit/ rein in feyren/
Rein; im waschen vnd im scheuren/
Rein; im wircken/ rein im nähn/
Rein; im sitzen stehn vnd gehn.
Rein; im kochen/ rein im essen/
Rein; im drincken vnvergessen/
Rein; im haus' vnd für der thür
Rein; vnd sauber da vnd hier.
Rein; zu tische/ rein zu bette/
Rein mit andern in die wette/
Rein; zur frewde/ rein; zu leid/
Rein; für leuten vnd beseit.
Reiner augen/ reiner ohren/
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Reiner zungen/ vnd bevoren
Reines hertzens/ rein vnd klar/
Rein vnd sauber gantz vnd gar.
Reiner lippen/ reiner keelen
Reines leibes/ reiner seelen/
Reines namens/ wie bewust
Rein vnd schön; nach allerlust/
Reiner füsse/ reiner hände/
Rein; von anfang bis zu ende/
Rein vnd sauber als Crystall/
Rein vnd sauber vberall.Ga naar eind38
Wenn auch die formale Unbeholfenheit aufgehoben und ein Epigramm gegen die Sauberkeit in ein scherzhaftes Lob gewendet wird, so sind die Gemeinsamkeiten doch offensichtlich. Bei Plavius scheinen vereinzelt Elemente des petrarkistischen Frauenpreises durch, aber die Alltäglichkeit ist ebenso vorhanden wie in der Vorlage; es wird ebenso energisch geputzt und gewaschen. Bemerkenswert ist, dass Plavius sich der von Cats vertretenen Lebenshaltung dort nähert, wo sie verspottet wird. Das Frauenlob der Renaissancelyrik und der erbaulich-moralischen Dichtung ist durch einen Abstand getrennt, der sich nicht mehr mit dem Begriffsschema Petrarkismus-Antipetrarkismus erfassen lässt. Dort herrscht die hyperbolische Beschreibung in zwei Richtungen: mit dinglichen Kostbarkeiten oder in der Umkehr mit ausgesuchten Hässlichkeiten. Man kennt diese Art aus der Gegenüberstellung von Lob und Widerruf oder Gegensatz.Ga naar eind39 Der negativen und positiven Hyperbolik setzt Cats seine Vorstellung der idealen Ehefrau entgegen, die sich nicht durch besondere Eigenschaften, sondern in jeder Beziehung durch die Erfüllung des Mittelmasses auszeichnet: Vraegt yemand wat ick voor een vrou
Tot mijn geselschap wenschen sou?
Gesellen, soo hier wenschen gelt,
Ick wensch 'er eene dus gestelt:
Niet al te soet, niet al te suer,
Niet al te sacht, niet al te stuer,
Niet al te schouw, niet al te bout,
Niet al te laf, niet al te sout,
Niet al te wijs, niet al te geck,
Niet al te rijf, niet al te vreck,
Niet al te loen, niet al te gaeu,
Niet al te kloeck, niet al te flaeu,
Niet al te ras, niet al te traegh,
Niet al te preuts, niet al te laegh,
Niet al te scheef, niet al te fraey,
Niet al te mals, niet al te taey,
Niet al te heusch, niet al te plomp,
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Niet al te teer, niet al te lomp,
Niet al te kort, niet al te lanck,
Niet al te dick, niet ad te ranck,
.....Ga naar eind40
Die Reihe sei hier unterbrochen, da Cats' Anliegen auch schon durch diese Auswahl deutlich wird. Der die Wirklichkeit übersteigenden Hyperbolik wird eine auf praktische Moral ausgerichtete Beschreibung gegenübergestellt. In jeder Zeile werden zwei gegensätzliche Eigenschaften genannt, die durch die ‘niet al te’ eingeschränkt werden, so dass das hervorstechendste Merkmal der so geschilderten Frau ihre Unauffälligkeit ist. Sie bietet die Gewähr für den Erhalt der Lebensumstände, die ihre Höhepunkte in geordneter Haushaltsführung und harmonischer Gemeinsamkeit haben. Plavius hat auch dieses Gedicht in einem Epithalamium bearbeitet. Hieraus ein Auszug: Besser alle wahl verachtet
Als den jungfrawn nachgeschlachtet/
Die da wehlen nacht vnd tag/
Eh' jhnn einer werden mag/
Einer/ der da ist gezieret
Vnd nach jhrem sinn stafieret
Wie sie wollen/ wie er sol
Nemlich also/ merckt es wol:
Nicht zu groß/ vnd nicht zu kleine/
Nicht zu still'/ auch nicht gemeine/
Nicht zu kurtz/ auch nicht zu lang/
Nicht zu dick/ vnd nicht zu schlang/
Nicht zu leibig/ nicht zu mager/
Nicht zu fett/ vnd nicht zu hager/
Nicht zu jung/ vnd nicht zu alt/
Nicht zu plump vnd vngestalt/
Nicht ein buhler/ nicht ein läuffer/
Nicht ein spieler/ nicht ein säuffer/
Nicht ein zärtling/ nicht ein schwein/
Nicht zu grob vnd nicht zu fein
Nicht zu fromm/ auch nicht zu sturrisch/
Nicht zu schmeichlich/ nicht zu murrisch/
Nicht ein schwätzer/ auch nicht stumm/
Nicht zu listig/ auch nicht tumm/
Nicht Calvinisch/ nicht Catholisch
Nicht zu wild vnd melancholisch
.....
Plavius weltliches Werk ist fest verankert in der Renaissancetradition, die er zur Richtschnur der Bearbeitung auch dieses Gedichtes macht. Weder die Ehefrau noch die Geliebte werden mit dem Lob bedacht, son- | |
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dern der ideale Liebhaber. Mit dieser Übertragung umgeht er die Kluft zwischen petrarkistischem und Catsschem Frauenlob. Hinter der Beschreibung des Holländers steht die Forderung, die Wahl des Partners nicht zu überstürzen und sie mit Umsicht vorzunehmen. Aber das widerspricht der Auffassung von der Liebe als einer unberechenbaren Macht, deren Sinnbild Venus' Sohn mit verbundenen Augen ist. Plavius hat seinem Gedicht den Titel ‘Der blinde Cupido’ gegeben und dem leiden-schaftslosen Wählen eine Absage erteilt: Was ist doch in liebes hitze
Das verhasste wehlen nütze?Ga naar eind41
Unter den deutschen Hochzeitsgedichten des Frühbarock gibt es zwar solche, die den christlichen und den bürgerlichen Ehestand preisen, aber sie sind nicht repräsentativ. Man wird nur wenig weitere Beispiele finden, die wie Kölers Ehegedicht von derart nüchternem Ernst geprägt sind. Cats dichtete für das breite Bürgertum. Er wurde von Kaufleuten, Handwerkern und Bauern in die Hand genommen und verstanden. Auch in Deutschland gab es eine erbaulich-moralische Dichtung, die an das Volk gerichtet war, sie stellt aber wenig mehr als eine Nebenströmung dar, die für die Aufnahme und Verarbeitung des Catsschen Werkes nicht ausreichte. Hudemanns Ausstrahlung verblasste wahrscheinlich an den Grenzen seiner ländlichen Pfarrei, und Plavius hat nicht durch seine Lehrsonette gewirkt. Wenn man sich in Hochzeitsgedichten mit Cats auseinandersetzte, dann verhielt man sich umwertend. Lund nimmt der schlichten Häuslichkeit die Besonnenheit und parodiert sie in einem Scherzgedicht. Bei Plavius setzt sich die mythologisch-petrarkistische Tradition durch. Die Hochzeitsdichtung ist Teil der gesamteuropäischen Gelehrtendichtung. Ihre Autoren sind Gelehrte, die Adressaten Angehörige der gebildeten und adligen Stände. Erst mit fortschreitender Zeit finden sich häufiger Epithalamien, die das Gedankengut von Cats enthalten. Homburg hat in der Clio neben den ‘amatoria’ und der Schäferlyrik auch Stellen aus der erbaulich-moralischen Dichtung übernommen.Ga naar eind42 Die nachdrücklichsten Anregungen gingen von Rist aus, der in vielen seiner nach der Musa Teutonica erschienenen Hochzeitsgedichte an den Niederländer erinnert.Ga naar eind43 Er steht am Ausgangspunkt zu den zahlreichen Übersetzungen um die Mitte des Jahrhunderts. Es bedurfte erst der Erfahrung des kriegerischen Chaos, um die geordnete Welt, wie sie sich in der Dichtung von Cats darstellt, in Ansehen zu bringen und ihr den Zugang in die Gelegenheitsdichtung zu öffnen. | |
E. Der ‘barocke’ AspektIn Darstellungen zur niederländischen Literatur begegnet man oft der Meinung, dass Cats in formaler Hinsicht seinem Vorbild Heinsius nacheifere. Beide verbinde die Vorliebe für den Alexandriner, für dieselben Strophenformen und den sparsamen Gebrauch rhetorischer Mittel.Ga naar eind1 | |
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Dabei wird allerdings übersehen, dass in Cats' Werk Stilformen vorkommen, die auf barocke Gestaltung hinweisen. Ein Beispiel ist das oben zitierte Gedicht über die ideale Hausfrau mit der kaum endenden anaphorischen Reihung, deren Wirkung durch den ausschliesslichen Gebrauch einsilbiger Wörter unterstützt wird. Er habe damit, so Cats in einer Anmerkung, den Verächtern der Muttersprache ihre ganze Schönheit vorstellen wollen. Die kurze und bündige Ausdrucksweise zeichne sie vor allen anderen Sprachen aus.Ga naar eind2 Auch bei Heinsius und Opitz findet sich die Anapher, aber nie in so ausgeprägter Form und schon gar nicht im Verein mit einem sprachlichen Stakkato, das von Opitz und seinen Nachfolgern als Missklang verurteilt wurde.Ga naar eind3 Für Plavius war nicht der Inhalt, sondern die formale Gestaltung der Anlass für die Bearbeitung des Gedichtes. Es ist bezeichnend, dass er die beliebten Gattungen des Epigramms und des Spruchs nur vereinzelt ausübt. Statt der Kürze bevorzugt er die Ausweitung des Themas. Häufungen und Anaphernreihen sind bei ihm keine Einzelerscheinungen, sondern so zahlreich anzutreffen, dass sie zu den Grundzügen seines Stils zu rechnen sind. In der geschichtlichen Entwicklung der deutschen Lyrik des 17. Jahrhunderts ist er der erste, der Merkmale des dichterischen Barock zeigt, das in der Sprache auf ‘der stilbestimmenden Häufung und Intensivierung rhetorischer Formungen’ beruht.Ga naar eind4 Zu den Erfordernissen von Hochzeitsgedichten gehörte ein leichter Ton,Ga naar eind5 der durch die spielerische Handhabung der antiken Mythologie und die rhetorischen Formen erreicht werden konnte. Wenn Plavius Cupido und Venus nicht bemüht, dann greift er zu sprachlich-stilistischen Mitteln, wobei ihm niederländische Gedichte als Vorlage und Ausgangspunkt dienten.Ga naar eind6 Ähnlich verhält es sich in der Metrik. Auch hier geht Plavius eigene Wege und schreibt daktylische und anapästische Verse trotz Opitz' Gebot und noch vor Zesens und Buchners Segen. Das folgende Gedicht ist mit ‘Anapestico-jambicum’ überschrieben und enthält beide Versarten in unvermischter Form: Ob ich schlaff'/ oder wach'/ ob ich fahr' oder geh'/
Ob ich ess'/ oder trinck/ ob ich sitz oder steh'
Ob ich lehn' oder lieg' oder ruh'
Ob ich schreib'/ oder les'/ ob ich dicht' oder fass'
Ob ich sing' oder spiel'/ ob ich red' oder lass'
Oder was ich immer thu/
So befind' ich euch immer in mir/
Vnd beschaw' ewre liebliche zier/
Ohne welche mir in diesem leben/
Noch ruh noch frewde wird gegeben.
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Ihr habt ja lang genug probiert/
Mein trewes hertz'/ vnd wol gespürt/
Das es nach euch schier wil verschmachten/
Warumb wollt jhr mich denn verachten?
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Bin ich krummm/ bin ich lam/ bin ich matt/ bin ich kranck?
Bin ich breit oder schmal/ zu kurtz oder lang?
Bin ich alt/ bin ich kalt/ bin ich steiff?
Bin ich bleich/ bin ich schwartz/ bin ich braun/ bin ich blaw?
Bin ich gehl/ bin ich scheel/ bin ich kahl/ bin ich graw/
Oder bin ich nicht reiff?
Bin ich herb/ oder saur/ oder persch?
Bin ich plump/ bin ich bäwrsch oder närrsch?
.....
Ich schwere bey dem Pfeil'/ als der mich hat durch rennt
Ich schwere bey dem fewr/ das ohne brennen brennt/
Ihr thut es nicht vmbsonst: ich schwere bey dem bogen
Den Amor wieder euch/ jungfräwlein/ auffgezogen/
Ihr thut es nicht vmbsonst/ ich schwere bey der pein/
Ohn welch' ewr junges hertz' in frewden nicht wird seyn/
Ihr thut es nicht vmbsonst...Ga naar eind7
Es handelt sich um ein für unseren Zusammenhang reizvolles Gedicht. Mit der Überschrift ‘Anapestico-jambicum’ sind barocke und klassizistische Gestaltungsweisen angesprochen, und sie steht bei den ausgewählten Versen gleichzeitig für zwei holländische Quellen. Der Alexandrinerteil ist eine parodistische Bearbeitung des Anfangs von Heinsius' ‘Aen de Ionckvrouwen van Hollandt’. Seine Merkmale sind der Jambus und die gemässigte Anapher, denen das anpästische Versmass und die gehäufte Anapher gegenüberstehen. Plavius entnahm sie dem Friesche Lust-Hof (1621) von J.J. Starter. Die Darstellung der Liebe als einer bei jeder Handlung gegenwärtigen Macht ist volkstümlich und stammt aus dem Gesellschaftslied.Ga naar eind8 Was Starters Bearbeitung des Themas von früheren unterscheidet, ist die unvermischte Verwendung anapästischer Verse: 1
............................
Lief, op wien ick staegh, of ik sit, of ick stae,
Of ick drinck, of ick eet, of ick slaep, of ick gae,
Of ick reys, ren, ryd, of ick vaer,
Of ick spreeck, of ick swygh, of ick dicht, of ick schryf,
Of ick rust, of ick woel, of ick loop, of ick blyf,
Denck altyd voor en naer,
Segt waerom ghy myn versmaed,
En niet genieten laet,
uwe gonste, daer ick so na trachte,
beyd by dagen en by nachten?
2
Hebt ghy niet langh genoegh 't beleyd
Gesien van myn standvastigheyd?
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Voogdesse van al myn gedachten,
Waerom wild ghy my dan verachten?
Ben ick slim? ben ick scheef? ben ick lam? ben ick manck?
Of te kort? of te lang? of te vet, of te ranck?
Ben ick oud? ben ick koud? ben ick styf?
Of te broets? of te mal? of te ruym? of te nau?
Ben ick geel? ben ick scheel? ben ick grys? ben ick grau?Ga naar eind9
Im holländischen Text ist das Gekünstelte effektvoller gestaltet durch die verschiedene Verwendung von ‘of’ und die häufigere Setzung einsilbiger Wörter. Dennoch ist es Plavius gelungen, weitgehend Wörtlichkeit zu wahren und dabei auch das klangliche Spiel der Vorlage ins Deutsche zu bringen. Er hat seine sprachmusikalischen Fähigkeiten in einem weiteren Gedicht bewiesen, für das ihm Starter ebenfalls die Anregungen gab: Courante oder drähe-tantz:
Gedencket/ wie kräncket vnd lencket einn doch
Die lieb' vnd jhr trübe-betrübtes joch!
Vor dach' ich; wer macht mich: wer achtt mich/ mit fug/
Wie Plato/ wie Cato/ wie Crates/ so klug/
Nu reisst meinen sinn/
Als ich nu werd' inn'/
In liebe die liebe beliebete-hin.
So zwinget/ so dringet/ so bringet vns weh
Mit tücken/ mit blicken/ mit stricken in d'eh.
...............................
O krone nu schone/ belohne mir nun/
In frewden mein leiden/ mein meiden mein thun
Es mehret-/ es neeret-/ Es mehrt- sich in mir
Durch bangen/ gefangen verlangen nach dir.
O mein ander ich/
Der ich williglich
Mein leben gar eben ergeben/ sieh mich
Ernewe/ befrey' vnd erfrewe mein weh/
So spring' ich mit singen vnd klingen in d'eh.Ga naar eind10
Im ‘drähe-tantz’ werden Assonanzen und die von Opitz verpönten Binnenreime zum beherrschenden Merkmal. Die Berauschung am Wohllaut der Verse weist auf die Nürnberger voraus, die ihr feines Ohr für die onomatopoetische Nachahmung der Natur nutzten.Ga naar eind11 Die klassizistische Ausgeglichenheit wird von vielen Seiten her angegriffen. Der rationale Grundzug ist nicht mehr vorhanden, die Verständlichkeit nicht mehr oberstes Gebot. Die mittlere Ebene wird verlassen; an ihre Stelle tritt die Intensivierung weniger Eigentümlichkeiten. Die jambische Gemessenheit weicht der virtuosen Handhabung des bisher nicht zugelassenen Dakty- | |
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lus. Mit der Steigerung der Kunstmittel hat Plavius den Wendepunkt von der gemässigten Opitz-Weise zum dichterischen Barock schon hinter sich gelassen. Wenn Heinsius, Cats, die Dichter des Bloem-Hof und andere das al-ternierende Versmass überwiegend gebrauchten, so bedeutet das nicht, dass es in der niederländischen Poetik jemals zu solcher Alleinherrschaft erhoben worden wäre und andere Metren einer so strengen Beschränkung unterlegen hätten wie in Deutschland. Folglich bedurfte es keiner ‘Entdeckung’ der Daktylen und Anapäste, wie sie Buchner vom Katheder herab und in seiner Poetik verkündete. Zwar finden sich auch in Opitz' Werk Wortdaktylen, aber sie werden gegen die natürliche Betonung durch den Vers zu Jamben und Trochäen gezwungen.Ga naar eind12 Der genauen Sprachbeobachtung läuft das zuwider. Christiaen van Heule, der Verfasser zweier Sprachlehren, ist Anhänger der Alternation, er gibt jedoch der Sprachrichtigkeit den Vorzug. In einem Kapitel über die Aussprache des Niederländischen konstatiert er bei den ‘Denominativa’, ‘Verbalia’ und ‘Participia’ die Fülle von dreisilbigen Wörtern, ‘daer af zijn de twee laetste Silben kort.’Ga naar eind13 Bei der Versbesprechung zählt er sie zu den Daktylen: Daer is noch een voet die men Drieling zoude mogen noemen/ ende deze is van eene lange Silbe/ met twee korte/ als ‘Werckinge’, ‘Goedicheyt’ ... deze Voet wort in Liedekens wel ghebruyckt/ maer in geen gemeynen Rijm.Ga naar eind14 Später schreibt er dann deutlicher: ‘Met de DACTYLI, worden zommige liedekens bedicht.’Ga naar eind15 Mit ‘gemeynen Rijm’ meint van Heule wahrscheinlich den Jambus.Ga naar eind16 Er setzt sich also für den unvermischten Gebrauch der Daktylen ein. Die Schematisierung lässt eine Differenzierung erkennen: nicht alle daktylischen Worte bestehen aus einer betonten und zwei unbetonten Silben. Bei den auf einen Konsonanten ausgehenden setzt van Heule eine sprachlich vollere Endsilbe.Ga naar eind17 Ähnliche Gedanken finden sich in Buchners Anleitung. Auch er lässt sich mehr von der Aussprache als vom alternierenden Zwang leiten, und er macht die Beobachtung, dass ‘allezeit die letzte Sylbe etwas schärfer und höher/ als die vorhergehende’ betont werde, ‘sonderlich/ weil sie auf einen Consonanten ausgehet.’Ga naar eind18 Er setzt sich wie van Heule für eine reine Verwendung ein, und als seine Quelle nennt er neben der Musik und der älteren deutschen Literatur die ‘gemeinen Lieder’, ‘darin oftmals Daktylische und Anapästische Verse gefunden werden.’Ga naar eind19 Beide gehören zur ‘Buchner-Art’, als deren Erfinder der Wittenberger galt und die als eine Bereicherung der deutschen Dichtkunst mit Opitzens Reform gemeinsam gefeiert wurde.Ga naar eind20 Die Übereinstimmungen mit van Heule in der Darstellung des Daktylus berechtigen zu der Schlussfolgerung, dass Buchner wohl ein machtiger Verkünder, aber nicht der Erfinder des Versmasses für die neue Kunstdichtung war. Er hat ebensowenig wie Opitz aus dem Nichts heraus geschaffen. So weist Rist 1642 in einem Vorwort darauf | |
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hin, dass es den Daktylus schon vor Opitz in der niederländischen Dichtung gegeben habe.Ga naar eind21 Dabei denkt er sicherlich auch an den Frieschen Lust-Hof von Starter, den er in der Musa Teutonica (1634) erwähnt und aus dem Plavius übersetzte.Ga naar eind22 In der kritischen Literatur wurde Plavius weitgehend vernachlässigt. Manheimer hat ihm einige Seiten in seinem Buch über die Lyrik des Andreas Gryphius gewidmet, und darüber ist man bisher nicht wesentlich hinausgekommen.Ga naar eind23 Zwei Fragen stehen bei seiner Beurteilung im Vordergrund: das Verhältnis zum Werk von Opitz und seine poetischen Vorbilder. Manheimer sieht die Bezüge zu Opitz, er betont aber auch eine gewisse Selbständigkeit von Plavius. Kindermann hat diesen Gedanken ausgeführt und Plavius als einen unabhängigen und originalen Dichter gepriesen. Szyrocki dagegen stellt gerade die Abhängigkeit von Opitz heraus, die sich darin zeige, dass man ‘bei ihm dieselben Strophen, dieselben Gedichtarten ... und das Betonungsgesetz’ finde.Ga naar eind24 Es lassen sich tatsächlich einige wenige Verse nachweisen, die Plavius nur in den Teutschen Poemata vorfinden konnte,Ga naar eind25 aber sie reichen nicht aus, ihn zu einem Schüler von Opitz zu machen. Und gerade in rhetorischer und metrischer Hinsicht geht er eigene Wege. Die meisten Gemeinsamkeiten deuten nicht auf Abhängigkeiten hin, sondern auf die Benutzung derselben Quellen wie der Nederduytschen Poemata von Heinsius und niederländischer Liederbücher. Manheimers These, Opitz habe ‘den holländisch-französischen Klassizismus zur Alleinherrschaft’ gebracht, während Plavius ‘der erste Vorläufer der dagegen einbrechenden italienisch-spanischen Reaktion’ sei, da er ‘romanischen Dichtern’ folge,Ga naar eind26 muss zumindest modifiziert werden. In den Treugedichten sind sowohl der Klassizismus wie die Reaktion anzutreffen, aber für beide Richtungen nahm er holländische Quellen zur Hilfe. Während Opitz mit Heinsius und dem Bloem-Hof eine einseitige Auswahl traf, lenkt Plavius darüber hinaus den Blick auf das niederländische Literaturbarock. Wie wenig Plavius heute beachtet wird, so bekannt war er im 17. Jahrhundert. Er gehörte zu den vielgelesenen Autoren,Ga naar eind27 wenn er auch manchmal mit Ablehnung und Kritik genannt wird, da man an seine Dichtung den von Opitz geschaffenen Maßstab anlegte. Im Danziger Kreis war er der führende Dichter. Zu seinen Schülern gehörten Andreas Gryphius und Hofmannswaldau, mit denen man am ehesten die Vorstellung vom Barock in der Lyrik verbindet.Ga naar eind28 Dass auch bei dieser Entwicklung Antriebe von der niederländischen Dichtung ausgingen, ist bisher nicht beachtet worden.Ga naar eind29 |
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