Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde. Jaargang 74
(1956)– [tijdschrift] Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde– Auteursrechtelijk beschermd
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Vondels ‘Rijnstroom’
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kann doch in keiner Weise befriedigenGa naar voetnoot2). Ohne Übertreibung darf man sagen, dass erst die von E.R. Curtius gewonnene, an der klassischen Philologie geschulte, Toposforschung den Schlüssel gibt, dieses Gedicht und seine zahlreichen topoi, Metaphern, Anspielungen und Schwierigkeiten richtig zu verstehen. Dieser ‘Humanist reinsten Wassers’ gibt in seinem Werk ‘Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter’ der Topik als Forschungsgegenstand den Platz, den sie im Lehrgebäude der antiken Rhetorik innehatte. Es heisst da von den topoi: ‘Sie werden Klischees, die literarisch allgemein verwendbar sind, sie breiten sich über alle Gebiete des literarisch erfassten und geformten Lebens aus.’ Und an anderer Stelle: ‘Die meisten lyrischen Themen, - - -, werden von der spätantiken Theorie in der Liste epideiktischer topoi geführt’Ga naar voetnoot3). Ein Beispiel aus den Dichtungen Vondels möge zeigen, was Forscher und Dichter unter Topik verstanden haben wollen. 1632 veröffentlichte Vondel ein Gedicht ‘Olijftack aan Gustaaf Adolf’. Es sollte den König um Verschonung der Vaterstadt des Dichters, Köln, bitten. Zeile 9, 10 heisst es da: ‘Daar heb ick eerst om honigh uitgevlogen,
Omtrent den blonden Rijn,
Beplant met Rinschen wijn...’
Auch in dem Trauerspiel ‘Maeghden’, dem in Köln nur wenig bekannten erhabenen Legendenspiel auf die hl. Ursula und ihre Gefährtinnen, findet sich bei Rhein das Beiwort ‘blond’Ga naar voetnoot4). Der Herausgeber der Ausgabe hatte offenbar mit dem epitheton nichts rechtes anzufangen gewusst. Er schrieb dazu, der Dichter meine wohl die manchmal gelbe Farbe des Rheins. So soll der Rhein einmal bei Köln (Olijftack), dann bei Basel (Maeghden) gelb sein. Der Rhein führt | ||
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aber, wie der Kenner weiss, nur bei Hochwasser gelbes Wasser. Woher also dieses Beiwort? Es ist ein topos der Antike, den Vondel da übernimmt. In der Aeneis VII, 30 f. schreibt Virgil vom Tiber: ‘Hunc inter fluvio Tiberinus amoeno
verticibus rapidis et multa flavos harena
in mare prorumpit...’
Genau so bei Ovid, Met. XIV, 448: ‘... in mare cum flava prorumpit Thybris harena’ Ähnlich heisst es Aeneis IX, 816. Bei Horaz, Carmina I, 8, 8 steht: ‘Cur timet flavum Tiberim tangere?’ Tiberis flavus auch Horaz I, 2, 13; II, 3, 18. Nicht nur der Tiber ist gelb. In Horazens Satiren 1, X, 37 heisst es dann vom Rhein: ‘Defingit Rheni luteum caput...’ In Virgils Georgica III, 350 ist auch die Donau gelb. Bei Ausonius noch heisst es von der Garonne: ‘sic mea flaventem pingunt vineta Garumnam’. (Mosella 160)Ga naar voetnoot5). Dieses Beispiel der Topik ist umso schlagender, als Blaeus ‘Tooneel des Aerdrijcx’ in dem Begleittext zu dem Rhijn-Stroom auch auf die Farbe des Rheins eingeht. Es steht da: ‘... want 't water van de Rhijn is groen’. Es ist durchaus möglich, dass Vondel den Text gekannt hat, denn viele im Text zitierte antike und humanistische Gewährsleute werden von ihm benutzt. Trotzdem hat er zunächst an Virgil und Horaz festgehalten, obgleich er beizeiten auch andere epitheta verwendet. Bezeichnend auch für den Dichter ist der Umstand, dass die persönliche Erfahrung hinter der Kraft des antiken Vorbildes zurücktreten muss. Die Antike hat Vondel sehr gut gekannt. Das heben alle Kenner | ||
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seines Werks hervor. J.H. Scholte z.B.Ga naar voetnoot6) und G. Kalff, der ganz eindeutig sagt: ‘Seneca, Virgilius en Ovidius waren de drie latijnsche schrijvers die den meesten invloed hebben gehad op Vondels ontwikkeling’Ga naar voetnoot7). Das geht aus der Tatsache hervor, dass Vondel selbst Virgil und Ovid, Seneca und Horaz übersetzt hat, Virgils Aeneis gleich zweimal, sowohl in Versen als auch in Prosa. Zusammen mit den Psalmen, die Vondel auch übersetzt hat, bilden diese Übersetzungen allein 3 stattliche Bände seiner GesamtausgabeGa naar voetnoot8). Dazu kommen noch bruchstückhafte Übersetzungen von Lucanus und Papinius, Statius, Claudianus, Juvenal, Scaliger und die Übersetzungen aus dem Griechischen. Wenn man überlegt, dass der Dichter erst gegen 1610 mit dem Studium des Lateinischen begonnen haben muss, noch später mit dem des Griechischen, dann ist das eine einmalige Leistung. Auch die Kritik, die Geerts an Vondels Übersetzungen anlegt, vermag die Leistung nicht zu schmälernGa naar voetnoot9). Es kam nun in dieser Arbeit nicht darauf an, alle möglichen Gewährsleute der Antike für eine Rheinenkomiastik aufzuspüren. Dafür ist A. Rieses Werk unübertrefflichGa naar voetnoot10). Es kam hier darauf an, aus dem Vondelschen Gedicht, das zeitlich gesehen an der Schwelle von Renaissance zum Barock steht, grosse Grundzüge eines Rheinlobs klarzulegen, die, wenn nicht alles täuscht, bis in die Gegenwart verbindlich geblieben sind. Aus der Antike wurden hauptsächlich die Dichter beachtet, zu denen Vondel als Dichter, nicht als Gelehrter, in einem ‘Schülerverhältnis’ gestanden hat. Das sind hauptsächlich Virgil, Horaz, Ovid. Um philologisch sauber zu arbeiten, wurden auch Gewährsleute aus anderen Jahrhunderten herangezogen, soweit es nötig erschien. An ihnen zeigt sich schon deutlich, wie berechtigt ein | ||
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solches Vorgehen ist. Selbst die gelehrten Werke unter ihnen berufen sich ohne weiteres auf antike Dichter, wenn es gilt, das Vorgetragene zu unterbauen. Zeitlich gesehen, reichen diese Beispiele bis zur beginnenden Romantik. Von dieser Epoche an liegen für ein Rheinlob genügend andere Arbeiten vorGa naar voetnoot11). Vollständigkeit, angesichts des Gegenstandes fast vermessen, wurde nicht angestrebt, ginge auch für eine solche Arbeit zu weit. Trotz den Mängeln, die so der Arbeit bleiben, glaubt der Verfasser doch, für eine Literaturgeschichte des Rheins, die keine Querschnitte sondern Längsschnitte anlegt, um so zu den reinen Elementen zu kommen, notwendige Vorarbeiten geleistet zu haben. Doch nun zum Gedicht selbst. Str. 1. Gleich die ersten zwei Zeilen des Gedichts sind aufschlussreich für den Dichter und seine Art. ‘Doorluchte Rijn, mijn zoete droom,
van waer zal ick u lof toezingen?’
Das ist nichts anderes als eine Wendung des Unsagbarkeitstopos, von dem Curtius genügend Beispiele gibt und sagt, er komme seit Homer zu allen Zeiten vorGa naar voetnoot12). Der Dichter macht zunächst dem Leser klar, dass er wahrscheinlich dem Gegenstand gar nicht gerecht werden kann. Die folgenden Zeilen gelten dem Ursprung des Rheins in den Alpen, worüber es genügend Literatur gibt. In Zeile 6 der Strophe heisst es dann: ‘De Donau, uw afkeerigh broeder’, ... was Nauta zu der Bemerkung veranlasste, vom erdkundlichen Standpunkt her sei das falsch, denn die Donau entspringe im Schwarzwald. (Die Unklarheit über die Quellen der Flüsse im allgemeinen ist Erbgut der Antike. Strabon VIII, 370 berichtet vom Inachos: ‘Von seinen in Fabeln genannten Quellen sagte ich schon früher, dass es Erfindungen der Dichter sind.’ Ähnlich Tibull Elegien I, 6, 23/24 vom Nil, ähnlich Ausonius, Mos. 424 von den Quellen der Donau.) Die Ansicht, die Donau sei ein Bruder des Rheins, ist ebenfalls Erbgut der Antike, was | ||
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Nauta entgangen ist. Die Ansicht findet sich u.a. bei Ptolemaios, Dionysios Halicarnassos, Strabon, Julian und Johannes Lydus, De magistratibus III, 32Ga naar voetnoot13). Noch Dielhelms Denkwürdiger und nützlicher Rheinischer Antiquarius, Frankfurt 1744, erwähnt ausdrücklich Marq. Freher, Orig. Palat. Part. II, c. 3, der auch noch den Rhein ‘der Donau Bruder’ nenne. Marq. Freherus in seinem Werk ‘Originum Palatinarum’, part. I & II. Editio sec. Heidelberg(?) 1613’, erörtert zu Beginn beider Teile solche Fragen eindringlich. Später wird dann die Donau zum Weibe des Rheins, ein topos, der ebenfalls durch die Literatur, besonders die Reisebeschreibungen geht. ‘Die Donau / ist aller Flüsse Frau:
Der Rhein könt wol mit Recht ihr Mann seyn.’Ga naar voetnoot14)
Oder der Rhein wird Gatte ‘des Edlen Kaiser-Stroms der Donau’Ga naar voetnoot15), weil sie durch Wien fliesst. In Zeile 7 heisst es, dass die Donau ostwärts fliesse und vom Rhein: ‘Ghy noordwaert;’ eine Wendung, die schon Tacitus in dem 1. Kapitel der Germania vom Rhein gebraucht, ‘modico flexu in occidentem versus’. Auf den Ursprung des Rheins in den Alpen geht Z. 9 ein: ‘... toen een zelve moeder,
Begort van reghen, ijs en sneeuw,
U baerde...’
Diese Wendung wieder findet in Virgils Eclogen ihre Entsprechung. Ecl. X, 47: ‘Alpinas nives et frigora Rheni....’ Man vergleiche dazu Ovid, Met. XIV, 794; Statius, Silvae V, 1, 127; Claudianus, ‘Non Rheni glacies...’ und Avienus, Descriptio orbis terrarum XIII, 4, 431. Str. 2. ‘Germanje lagh noch wilt begroeitGa naar margenoot+
van zijn Hyrcijnsche wilde wouden...’
Es ist die Anspielung auf die bekannte Stelle aus Caesars De bello | ||
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Gallico VI, 25 ff. Mit dieser Strophe beginnt der Dichter einen kurzen Gang durch die Geschichte des Rheins. Erster Gewährsmann dabei ist Caesar. Seit seinen Tagen datiert ein gewisser Streit um den Vorrang zwischen Tiber und Rhein. Virgil hatte verschiedentlich den ausdrücklichen Vorrang des Tibers vor allen anderen Flüssen ausgesagt: ‘Ego sum...
caelo gratissimus amnis’, (Aeneis VIII, 62)
oder: ‘Hesperidum fluvius regnator aquarum’ (Aen. VIII, 76)
Ähnlich Martial Epigrammata X, 7. Ovid in den Metamorphosen übernimmt es, Met. II, 257 f. ‘Hesperiosque amnes
Rhenum, Rhodamque Padumque,
cuique fuit verum promissa potentia, Thybrin.’
Bei Ausonius Mosella 377 f. wetteifert sogar die Mosel mit dem Tiber. Später übernimmt dann der Rhein die Führung im Streit der Flüsse. Im Liber Ligurinus heisst es nämlich I, 254: ‘... et verso Tiberim regit ordine Rhenus’Ga naar voetnoot16). In Enea Silvio Piccolominis Germania wird alsdann breit ausgeführt: ‘Nusquam est tota Europa fluvius tam frequentibus oppidis tamque amplissimis urbibus circumseptus. Magnitudinem eius plurima exsuperant flumina, nobilitatem et amenitatem circumiacentis paetriae nullae’Ga naar voetnoot17). Diese Eigenschaften treffen wir dann immer wieder in der Literatur an. In M. Opitz Teutschen Poemata von 1624 heisst es unter Gedicht Nr. 86: ‘Ob wol, du grosser Rhein, dir alle Flüsse weichen...’
Ein holländischer Reiseführer von 1796 preist den Rhein noch wegen: ‘oudheid, uitgebreidheid, volkrijkheid, rijkdom en schilderagtige schoonheit...’Ga naar voetnoot18). Hier wird dann auch noch einmal vermerkt, | ||
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dass er ‘alle de overige meer of min aanmerkelijke Stroomen, ja zelfs den trotschen Donauw, overtreft’. In Andreas Tschernings ‘Abriss einer deutschen Schatzkammer/ von schönen und zierlichen Poetischen redens-arten/...’Ga naar voetnoot19) wird unter dem Stichwort Flüsse Opitz zitiert: ‘Der Flüsse Vater / der Rein.’ Das Beiwort Vater stammt von Martial, Epigr. X, 7Ga naar voetnoot20), dessen Vers: ‘Nympharum pater amniumque Rhene’, der Ausgangspunkt des Bildes vom Vater Rhein gewesen ist, das bis in die jüngste Trink-lied- und Rheinromantik eine grosse Rolle spieltGa naar voetnoot21). Früher oder später muss auch der Rhein seinen Vorrang abtreten. ‘O Thonaw / Du König aller flüsse
Dem Nilus selber weicht’Ga naar voetnoot22),
sagt wiederum Opitz. In England dichtet Michael DraytonGa naar voetnoot23) von der Themse um 1600: ‘The Sheld, the goodly Mose, the rich and Viny Rheine,
Shall come to meet the Thamse in Neptunes watry Plaine,
And all the Belgian Streames and neighboring Floods of Gaul,
Of him shall stand in awe his tributaries all.’
Und im Song XIV, 284 schreibt Drayton von der Themse: ‘Her greatnesse is begunne: so that our Rivers King’. Ebenso u.a. W. BrowneGa naar voetnoot24). Diese Reihe der Flüsse als Könige oder Herrscher, worin der Rhein eine bedeutende Rolle spielt, wäre sicher beliebig fortzusetzen. Man sieht, wie hier ein topos durch die Literatur geht, von Virgil über Ausonius in das Mittelalter, in die Renaissance (Vondel, Drayton), in den Barock (Opitz) usf., bis auf unsere Zeit. Das beliebte Studenten- | ||
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‘Lied vom Rheine’ von M.v. Schenkendorf (1813/14) hat z.B. treulich alle Attribute und Titel des Rheins bewahrt. Von der Besiegung des Tibers durch den Rhein heisst es bei Vondel: ‘Die voor u neegh, toen Konstantijn,
Van uwen oever opghebroken.’
Das ist eine Anspielung auf Ovid, Tristium IV, 2, 1: ‘Iam fera Caesaribus Germania, totus ut orbis,
victa potes flexo sucubuisse genu...’
und gleichzeitig die historische Reminiszenz, dass Konstantin vom Rhein (Köln oder Trier) aufgebrochen war, um Alleinherrscher in Rom zu werden. In Dan. Heinsius (1580-1655) ‘Lobgesang Jesu Christi’, übersetzt von M. Opitz, heisst es: ‘Die Thonaw und der Rhein die neygen sich für ihm’, nämlich ChristusGa naar voetnoot25). Auch diese Stelle dürfte Vondel als Landsmann Heinsius' nicht unbekannt gewesen sein. Str. 3. ‘Ghy naemt het juck van Christus aen.’Ga naar margenoot+
Mit dem Übergang in das christliche Zeitalter wechselt Vondel auch seine Anspielungen. Denn er denkt hier an den Satz aus Matthäus (11, 30): ‘Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.’
(Want mijn juk is zacht, mijn last ist licht.)
‘Men hoorde uw vrolijke oevers schatren:’Ga naar margenoot+
Zur Interpretation dieser Stelle gibt es zwei Möglichkeiten. Vielleicht denkt der Dichter an den Psalm 97, das Lob der Schöpfung, wo von den Flüssen steht: ‘Flumina plaudent manu, simul montes exultabunt.’ Das entspräche gut der vorangegangenen Anspielung auf das Christuswort und stünde hier auch an der richtigen Stelle einer universalen Enkomiastik. Es ist aber auch möglich, dass dem Dichter hier Martial vor Augen steht, dessen ganzer Vers X, 7, so lautet: ‘Nympharum pater amniumque, Rhene,
quicumque Odrysias bibunt pruinas,
sic semper liquidis fruaris undis
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nec te barbara contumeliosi
calcatum rota conterat bubulci;
si et cornibus aureis receptis
et Romanus eas utraque ripa:
Traianum populis suis et urbi,
Thybris te dominus rogat, remittas.’
In den Fl. Merobaudis Reliquiae, Panegyricus II, 5 f. steht noch: ‘addidit hiberni famulantia foedera Rhenus
orbis et Hesperiis flecti contentus habenis
gaudet ab alterna Thybrin sibi crescere ripa.’Ga naar voetnoot26)
Und in den Nasonis Ecloga 76: ‘Gaudet Arar, Rodanus, Ligeris, Mosa, Rhenus, ...’Ga naar voetnoot27). Auf jeden Fall, der topos der fröhlichen Ufer hält sich sehr lange. Die oben erwähnte Beknopte Beschrijving von 1796 schreibt noch: ‘Sieren hier de vrolijke oevers...’Ga naar voetnoot28). Fr. Hölderlin, dessen Ode ‘Der Rhein’ zwischen 1799-1812 entstand, sagt vom Rhein: ‘Drum ist Jauchzen sein Wort...’ In ‘Mahomet’, dem Flusslob Goethes, lässt dieser von den Flüssen. sagen: ‘jauchzet wieder nach dem Himmel’. ‘Den last van Cezars legherbrugh,’Ga naar margenoot+
Gemeint ist Caesars Rheinbrücke, de bello Gallico IV, 16 ff. ‘En Drusus...’ spielt auf die Operationen des DrususGa naar margenoot+
an, die Tacitus in den Annalen II, 8 f. beschrieben hat. Es ist da von der fossa Drusiana die Rede, die Drusus als Wasserableitung des Rheins habe anlegen lassen. 50 Festungen soll Drusus im Jahre 13 v. Chr. dort zum Schutz haben bauen lassen. Sie sind noch erwähnt bei Freherus Orig. Palat. I, p. 23 und in einer Beschreibung des Rheins von 1689Ga naar voetnoot29). ‘Maer uw geloovig KristendomGa naar margenoot+
Beproeft wert, als het gout in d'ovenGa naar voetnoot30)
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Toen Attilaes verwoede trom
T' Geruisch uws waters quam verdooven,
En verfde met onnozel bloet
En damde uw kil met kuische dooden,
En trapte met een' droncken voet
Op woeste steden, leegh gevloden;
Of brandde uw hair af met zijn toorts,
Beklat en druipend van veel moorts.’
Die poetische Ausarbeitung des Inhalts dieser Strophe gab Vondel in seinem Trauerspiel ‘Maeghden’, wozu erwiesenermassen ‘Koelhoffs cronica van der hilliger stat van Coellen’ den Stoff hergabGa naar voetnoot31). Einige Züge steuerte aber auch zu dieser Strophe zweifellos Ovid mit seinen Tristia 4, II, 42 bei: ‘Hic lacus, hi montes, haec tot castella, tot amnes
Plena ferae caedis, plena cruore erant -...
Cornibus hic fractis, viridi male tectus ab ulva,
Decolor ipse suo sanguine Rhenus erat.
Crinibus en etiam fertur Germania passis
Et ducis invicti sub pede maesta sedet...’
Ähnlich Ovid, Epistolae ex Ponto 3, 4; Met. XII, 111; ähnlich auch Virgil, Aeneis VIII, 539; VI, 86/87. In Ovids erstzitierter Stelle finden sich die Färbung des Wassers mit dem Blute der Erschlagenen, die wirren Haare und die Anspielung auf die Städte (Burgen), die Attila zerstört haben soll. Dass Vondel die Tristien des Ovid gekannt hat, betont schon G. KalffGa naar voetnoot32). Bei Alcuin, Versus de Patribus Regibus et Sanctis Euboricensis Ecclesiae, 1057 steht: ‘Atque peremptorum Rheni sub fluminis undas
corpora proiciunt,...’Ga naar voetnoot33)
Bei Opitz, Gedichte Nr. 146 ist der Rhein ‘von Leichen zugestopfft’. Treuers Teutscher DaedalusGa naar voetnoot34), eine Sammlung von loci communes, bringt unter Rhein:’ | ||
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‘Der strenge / bodenlose Rhein.
Ach werstu reiner Rhein
in deinem Gotthard blieben/
und hättest deinen Trieb
nicht durch die See getrieben/
der sich mit dir nicht stallt/
du nicht mehr feiner Rhein/
dein Strom treibt Leichen fort
für Schiffe / Blut für Wein.’
Diese Stelle erinnert wieder an Aeneis VI, 326-328. ‘Ghy schreide met een heesche keelGa naar margenoot+
Den hemel aen, om trost verleghen;’
Hier hat Vondel den Ps. 68, 4 verwendet, wo es heisst: ‘Laboravi clamans, raucae factae sunt fauces meae’. Der folgende Teil der Strophe birgt ein Herrscherlob auf Karl den Grossen, ‘'t Rijcksjuweel’, wie Vondel ihn nennt. Die Herkunft dieser seltenen Bezeichnung ist unklar. Der Thesaurus linguae latinae (VI, 2, 3 col. 1757) schreibt unter gemma: Ps. Damasus epigr. 67, 2 -a cognomen Christi, gibt aber kein Beispiel an, wo es etwa als gemma imperii verwendet wäre. Somit bleibt die Möglichkeit, dass Petrarcas Briefe die Metapher hergaben. In den familiari I, 4, 7 ff. erzählt PetrarcaGa naar voetnoot35) die bekannte Geschichte vom Ring der BertradaGa naar voetnoot36). Es ist dies ein Ring, ‘gemmam perexiguo anulo inclusam’, der auf den Kaiser einen Zauber ausstrahlt und der zuletzt von einem klugen Bischof heimlich entfernt wird, um so den Zauber der toten Bertrada, der Trägerin des Ringes, auf den Kaiser zu bannen. Eine andere Möglichkeit: In der ‘Historia Karoli Magni’, angeblich von Turpinus von Reims, in Wahrheit von einem Geistlichen zwischen 1147-1168 verfasstGa naar voetnoot37), heisst es: ‘... seine Löwenaugen funkelten wie Edelsteine...’ Lehmann sagt dazu, dass diese Chronik in fast alle | ||
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europäischen Sprachen übersetzt gewesen sei. ‘Vere decus et gloria mundi’Ga naar voetnoot38) und ‘O rex, orbis triumphator’Ga naar voetnoot39) sind andere Bezeichnungen Karls. ‘Dees kon d'onveilighe oevers veghenGa naar margenoot+
van onduitsch en baldadigh schuim’
Vielleicht haben Petrarcas Briefe I, 5, 8-9 auch hierzu den topos geliefert: ‘O, felices Rheni accole’, heisst es da, ‘quorum ille miserias purgat!’ Da mehrere Male bei Vondel Parallelstellen zu Petrarca auftreten, der durch seinen Besuch in Vondels Geburtsstadt dem Dichter wichtig geworden sein dürfte, ist dieser Weg nicht ausgeschlossen. Z. 10 erwähnt die Tatsache, dass Karl im Bereich des Rheins einen ‘Lusthof’ bauen liess. Ob Ingelheim, Nimwegen oder gar Aachen gemeint ist, kann nicht ausgemacht werden. Str. 6. Die historischen Tatsachen sind genügend verwendet, der Dichter bringt in dieser Strophe nun das konzentrierte Flusslob. ‘O molenaer;’Ga naar margenoot+
In Vondels Jugendzeit, die er bis zum 8. Lebensjahr in Köln verbrachte, standen bei Köln 7-8 Wassermühlen im Rhein. Das geht hervor aus Woensams Holzschnitt der Stadt Köln von 1531, aber auch aus J. Haselbergs ‘Lobgedicht auf die Stadt Köln’ aus dem gleichen JahrGa naar voetnoot40). Dass Mühlen zum Fluss gehören, hatte schon Ausonius gezeigt: ‘........................ ille,
Praecipiti torquens cerealia saxa rotatu
Stridentesque trahens per levia marmora serras’
Mosella, 361 f. Es ist dies das erste Zeugnis von Wassermühlen auf deutschem Boden. ‘O stedebouwer, schepedraegher’Ga naar margenoot+
Zu Städtebauer genüge der Hinweis auf die oben gebrachte Tacitus- | ||
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stelle bezügl. Drusus, ferner ein Vers aus Virgils Aeneis VIII, 65, aus der Ansprache des Tibergottes: ‘Hic mihi magna domus, celsis caput urbibus exit.’ Goethe in ‘Mahomet’: ‘Städte werden unter seinem Fuss’. Auch in Hölderlins Ode heisst es noch: ‘... In Städten, die er gegründet.’ Schiffeträger. Einmal nur erwähnt der Dichter der grössten Seemacht ihrer Zeit den Rhein als Schiffeträger. In der moderneren Rheinlyrik, man denke nur an Brentano, ist das Schifflein auf der Flut geradezu ein Hauptbestandteil der Rheinpoesie. Wenn Woensams Schnitt der Wirklichkeit von 1531 entspricht, war der Verkehr auf dem Rhein gross und er war gross, wie die zeitgenössischen Berichte sagen. Aus der Antike jedoch ist uns wenig von einem Schiffsverkehr auf dem Rhein überliefert, mehr von einem Fährbetrieb und von der, militärischen Zwecken dienenden, Flotte der Kaiserzeit. Tacitus, historia IV, 16; annales II, 23Ga naar voetnoot41). Anders im Mittelalter. Alcuin IV, 65 und Ermoldus Nigellus, In honorem Hludowici, lib. IV, 287 sprechen von vielen Schiffen auf dem RheinGa naar voetnoot42). ‘O rijkgrens, schermheer in gevaer’Ga naar margenoot+
Nauta rechnet Vondel nach, nur um 843 sei der Rhein Reichsgrenze gewesen. Er vergisst dabei, dass der Strom für mehr als 200 Jahre Grenze des römischen Reiches gewesen ist. Man vgl. Tacitus, Germania 32. ‘Accedent vires, quas Francia quasque Chamaves
Germanique tremant: tunc verus habebere limes’
so Ausonius, Mos. 434/435. Als Reichsgrenze auch bei Florus, hist. Rom. 2, 30; Aurelianus Victor Caes. 4Ga naar voetnoot43). Martin Zeillers ‘Itinerarium Germaniae’ zitiert Pirckheimer, nach dem ‘der Rhein ins gemein Franckreich vom Teutschland schelde...’Ga naar voetnoot44). Der Blaeusche Begleittext fasst den Strom als Grenze auf, weiterhin ‘Das edle Fluss | ||
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- Perle’Ga naar voetnoot45), der ‘Martialische Schau-Platz’Ga naar voetnoot46) und Dielhelms ‘Antiquarius’ aus dem Jahre 1744. Noch Schillers bekanntes Distichon aus den ‘Zahmen Xenien’: ‘Treu, wie dem Schweizer gebührt, bewach ich Germaniens Grenze’ bewegt sich somit in der antiken Tradition, die, politisch gesehen, einmal für Deutschland sehr folgenreich gewesen istGa naar voetnoot47). ‘Wijnschenker, veerman, oeverknaegher,’Ga naar margenoot+
Dass der Rhein Fährmann sei, sagt schon Caesar, De bello Gallico I, 31 anlässlich der Übergangs von Ariovist. Das sagt auch der Petrarcabrief von KölnGa naar voetnoot48).’ ... vos vestra mala Britannis, Rhene vectore, transmittitis...’ Zum Ufernager hat wahrscheinlich wieder Virgil, Aeneis VIII, 63 die Metapher geliefert. ‘... stringentem ripas, ...’ lautet es an dieser Stelle vom Tiber. Papieremaker, schaf papier,Ga naar margenoot+
Daer ick uw glori op magh schrijven;’
Die scheinbar gesuchte Wendung, der Rhein möge dem Dichter Papier schaffen, erscheint nach Curtius gar nicht so gesucht, sondern durchaus auf dem Boden der literarischen TraditionGa naar voetnoot49). In Ovids Metamorphosen XV, 753 steht: ‘; perque papyriferi septemflua flumina Nili...’ Das ist wohl die Stelle, von welcher Vondel ausgeht. Ausserdem erwähnt der Blaeusche Begleittext Papiermühlen an der Birs bei Basel. Es gab also Papiermühlen am Rhein und seinen Nebenflüssen. Die Zeile 9, worin sich der Dichter als ‘dartle zwaen’ bezeichnet, hat eine Ahnenreihe, die hinuntergeht bis Äschylus und CiceroGa naar voetnoot50). | ||
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Str. 7 beginnt mit folgendem Vergleich des Dichters: ‘Ghij schijnt een aerdtsche reghenboogh,
Gekleet met levendighe kleuren,’
Der Vergleich des Rheins mit einem Regenbogen scheint zunächst etwas gesucht, ist aber nur die Verwertung von Horaz, De arte poetica, 18, in welcher Zeile es heisst: ‘Aut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcus.’ Hier sind die beiden Elemente des Vondelschen Vergleichs, der Strom und der Regenbogen. Die folgenden Zeilen der Strophe gelten hauptsächlich dem Wein. Hauptquelle für den Weinbau in den Rheinlanden werden für Vondel sicher Tacitus, Germania 23 und Ausonius, Mosella 189 f. gewesen sein, für den Weinbau als solchen gewiss Virgil. Georgica II, 83 ff. bringt einen längeren Abschnitt über die Weinsorten, wobei weisser und purpurner Wein aufgezählt wird. Vondel zählt weissen, blauen und purpurnen Wein auf. Shakespeare im Merchant of Venice geht III, 1, 45 auf die weisse Farbe des Rheinweins ein, zum Unterschied vom menschlichen Blut. A. Fokke in einem Gedicht am Ende der ‘Beknopten Beschrijving’ hat treulich die Elemente Vondels zu dieser Stelle bewahrtGa naar voetnoot51). Zum Schluss der Strophe heisst es: ‘De vlieten staen...
Rontom u, ...
En offren elck hun watervat.’
Hierzu kann Ovid in seinen Fasti I, 286 wieder beigesteuert haben: ‘... tradiderat famulas iam tibi Rhenus aquas...’ Dazu auch Martial IX, 1: ‘dum grande famuli nomen adseret Rheni...’ Vom Wasserreichtum des Rheins spricht Seneca in den Naturae quaestiones VI, 7, 1. Das Bild des wasserzuführenden Nebenflusses muss in der antiken Literatur sehr beliebt gewesen sein. Claudius Aelianus in den Varia historica III, 1 schreibt vom Peneios: ‘Mitten hindurch fliesst der Peneus; in diesen ergiessen sich auch noch andere Flüsse und machen | ||
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ihn. indem sie ihm ihr Wasser zuführen, zu einem bedeutenden Flusse.’Ga naar voetnoot52). Auson. Mos. 349 ff. ähnlich. Str. 8 zählt nun die einzelnen Nebenflüsse auf. Es sind Main, Mosel, Maas, Ruhr, Neckar und Lippe, also nur 6. Mit Ausnahme der Ruhr sind es die der Antike hauptsächlich bekannten Nebenflüsse. Wie die Ruhr werden Sieg, Wupper, Ahr und Erft in der Antike nicht erwähntGa naar voetnoot53). Der Main (Tacitus, Germ. 28) wird als Sohn des Fichtelgebirges bezeichnet. Die Mosel nennt Vondel ‘apfelbekränzt’. Diese Bemerkung dürfte aus dem Liber Ligurinus stammen, wo es heisst: ‘vix Rheno minor hic, placidos dum permeat agros,
Frugibus et Pomis et dulci fertilis uva.’Ga naar voetnoot54)
Der dem Gedicht beigegebene Aufsatz im ‘Tooneel des Aerdrijcx’ führt diesen Vers an, von dort kann Vondel ihn haben. Das Beiwort ‘apfelbekränzt’ ist insofern auffällig, als die Mosel heutzutage nicht ihrer Äpfel wegen bekannt ist. Als gegensätzlich vergleiche man dazu Venantius Fortunatus carminum 47, 7: ‘an super uviferi Mosellae obambulat amnem...’ Dazu wieder Horaz, carmina I, 7, 13/14. ‘De Maes, die met een myterkroonGa naar margenoot+
Om d'eer met onzen Rijn wil vechten.’
Caesar, De bello Gallico IV, 10. 15 und Tacitus, annales II, 6; XI, 20 erwähnen die Maas nicht als Nebenfluss sondern als Zwillingsstrom des Rheins. Daher mögen dann die ersten Rivalitäten datieren. Später wird Lüttich ein sehr angesehenes Bistum. ‘... vidi Leodium, insignem clero locum...’, hatte schon Petrarca berichtetGa naar voetnoot55). Drayton hatte gesagt: ‘the goodly Mose’. ‘Das Edle Fluss-Perle’ äussert sich folgendermassen: ‘Nach diesem folgt die schöne Stadt Luick / oder Lüttich / (worauf Vondel mit der myterkroon anspielt) ein grosser und | ||
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berühmter Ort an der Maass / und eine Bischoffliche Stadt / welche eine Meile in ihrem Umbkreiss hält an Menge und Schönheit der Kirchen /wollen (112) etliche / dass ihres gleichen nit in Teutschland zu finden’Ga naar voetnoot56). Fast wörtlich auch Zeillers ‘Itinerarium’. Bei Sedulius Scottius, carm. II, LVIIII, 19 stand schon zu lesen: ‘Mosa, tuum specimen Musis modulare canoris;
Ceu Rhenus celebra, Mosa, tuum specimen.’Ga naar voetnoot57)
Man sieht, dass Vondels Bemerkung von dem Zweikampf zwischen Köln und Lüttich (Rhein und Maas) in der damaligen Zeit allgemein anerkannt wurde. ‘De Roer, die t'hair met riet vertuit,’Ga naar margenoot+
Das Bild des bekränzten Stromgottes wird beschworen, gleich Virgil, Aeneis VIII, 34: ‘carbasus et crinis umbrosa tegebat harundo’. Ähnlich noch Aen. X, 205 und Drayton, Poly-Olbion XV, 141. ‘De Necker, met een riem van trossen.’Ga naar margenoot+
Auch hierzu bietet ‘Das Edle Fluss-Perle’ die entsprechende Parallele, in der besonders der Weinreichtum Heidelbergs hervorgehoben wirdGa naar voetnoot58). Auch Opitz, ‘Teutsche Poemata’ Nr. 86 sagt: ‘Und deine Fruchtbarkeit die schönste Trauben bringt’. Ebenfalls auf Heidelberg das Gedicht Nr. 146. In Zeile Z. 9 heisst es dann: ‘En duizent andren min van roem,’
Genau so nach Aufzählung mehrerer Nebenflüsse Ausonius, Mosella 372: ‘... mille alii, prout quemque suus magis impetus purget.’ Von den Nebenflüssen des Peneus schreibt Ovid. Met. I, 581: ‘... moxque amnes alii.’ Und Goethe in seinem Flusslob ‘Mahomet’: ‘Bruder nimm die Brüder mit!
Kommt ihr alle!’
Dieses Verfahren der Addition ist aus den Priameln der Spätantike und des Mittelalters zur Genüge bekannt. | ||
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Str. 9 spricht von den Eigenschaften der Schweizer, die sich im Gebirge, und der Holländer, die sich auf ihren Inseln verteidigen können. ‘Ghij grijpt de Noortzee met uw armen,Ga naar margenoot+
Waerin het heldeneilant leit,
Daer Bato sich ter nederzette, ...’
Zu der insula Batavorum gibt es eine Stelle in Tacitus, annales II, 6 beginnend: ‘Nam Rhenus uno alveo... und endend “donec Oceano misceatur”. Ähnlich auch Germania 29. Ovid, Met. XV, 624 spricht von einer Insel im Tiber, auf der ein Sohn des Coronis (Aesculap) zu den Priestern gesellt worden seiGa naar voetnoot59). Freherus II, 4 beruft sichGa naar voetnoot60), als er von der Pfalz bei Kaub spricht, auf den Liber Ligurinus, wo es heisse: “Cuius erat tumido tellus circumflua Rheno.” “Uitheemsche beckeneelen plette.”Ga naar margenoot+
Dieser Vers enthält eine Anspielung auf Psalm 67, 22: “Ja, Gott wird den Kopf seiner Feinde zerschmettern,
den Haarschädel derer, die de fortfahren in ihrer Sünde.”
(“Verum tamen Deus confringet capita......,
verticem capilli perambulantium...”)
“En dee gevoelen, dat de RijnGa naar margenoot+
Geschapen was om vry te zijn.”
Hier wird ein topos berührt, der seit der Romantik eine überragende Bedeutung erhalten sollte, die Freiheit des Rheines oder der freie Rhein. Vondel denkt dabei an eine Stelle aus Lucanus V, 245Ga naar voetnoot61), wo es heisst: “libertas ultra Tigrim Rhenumque recessit,
ac totiens nobis iugulo quaesita vagatur,
Germanum Scythicumque bonum, nec respicit ultra
Ausoniam, vellem, populis incognita nostris.”
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Vondel selbst hat einen Teil der Stelle so übersetzt: “De Vrijheid en haer zonne-schijn,
week over Tigris en de Rijn...”
Der Anspruch auf die Freiheit, das gehört in das Bild der übernommenen Herrschaft, geht nun über von Ausoniens Erde an Scythen und Germanen. Aus diesem Gedanken heraus kann dann Hölderlin in der Rhein-Ode schreiben: “Die Stimme war's des edelsten der Ströme,
Des freigeborenen Rheins...”
Str. 10 gibt ein idyllisches Bild des Rheins. “Ghy slinghert, als de Grieksche slangh, ...”Ga naar margenoot+
Ausonius, Mos. steht 285 f: “... sinuosis flexibus errans.” Noch entsprechender heisst es in Virgils Georgica I, 244: “maxumus hic flexu sinuoso elabitur Anguis
circum perque duas in morem fluminis Arctos, ...”
Auch in der “Beknopten Beschrijving” heisst es noch S. 29: “langs den kronkelende Rhijnstroom, over de vruchtbaare oevers...” und bei Goethe wird ein Fluss “schlangenwandelnd”. Wenn zu Beginn der Untersuchung gesagt worden war, Vondel bezeichne die Farbe des Rheins als gelb, dann ist das nur cum grano salis zu verstehen. Ein andermal, wie die folgende Zeile der Strophe lehrt, ist die Farbe blau. “Uw blaeuwe krullen om de struicken”Ga naar margenoot+
Vom Tibergott hatte Virgil in der Aeneis VIII, 33 geschrieben: “eum tenuis glauco velabat amictu carbasus...” ebenso Aen. VIII, 64: “caeruleus Thybris, ...” Ovid in den Metamorphosen, am Ende des XIII. Buches, beschreibt die Verwandlung des Fischers Glaucus in einen Meergott, wie der Bart grünschimmernd wird, die Arme blau und der Fischschwanz weiss-silbrig werden. Das sind die Farbtöne, die neben dem blond, dass allein der Tiberbeschreibung Virgils seine Bedeutung verdankt, von Vondel verwendet werden. Ausonius, Mos. 349 “... tua glauca fluenta”,
189/190 “... cum glaucus opaco
respondet colli fluvius...”
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Caeruleus ist in der Mosella 418 das Beiwort des Rheins. Angilbertus, carmina dubia 416Ga naar voetnoot62) erwähnt die “vada caerulea Rheni”. Der Rest der Strophe birgt alle Elemente in sich, die ein Ort, ein schöner Ort im antiken Sinne haben mussGa naar voetnoot63). Er spricht von grünen Bergen, von Nebenflüssen, von Pflanzen, fruchtbaren Feldern, deren Ränder der Rhein “beknabbert”, rauhen Kanten, von Bergen, Hügeln und Weinbergen. Im allgemeinen mag zu dieser Stelle Virgils Georgica beigetragen haben, die auf jeder Seite Parallelen, Anklänge und topoi zu dieser Strophe liefert. Auch wäre Ausonius, Mosella 418-439 nicht zu vergessen. Ein längeres Gespräch noch über Vorteile und Nachteile des Rheins bringt Ermoldus Nigellus, In laudem Pippims Regis IGa naar voetnoot64). “En schuurt zoo menigh vruchtbaer velt,Ga naar margenoot+
En knabbelt aen de ruighe kanten”,
korrespondiert mit Aeneis VIII, 63: “Ego sum, pleno quam flumine cernis
stringentem ripas et pinguia culta secantem”
Eine ähnliche Stelle gibt auch Ovid, Met. VIII, 583 f. Str. 11. “Al is u eene keel verzant'”Ga naar margenoot+
bezieht sich auf die Rheinmündung bei Katwijk a.Z. und ihre Versandung, angedeutet bei Tacitus, annales II, 8, aufgenommen u.a. noch in “Der edle Rhein-Strohm”Ga naar voetnoot65) und in der “Ausführlichen & Grundrichtigen Beschreibung des ganzen Rheinstroms.”Ga naar voetnoot66) erwähnt “'t huis te Britten”.Ga naar margenoot+
Gemeint ist laut G.A. Nauta die Brittenburg, eine ehemalige römische Siedlung an eben diesem Rheinarm. | ||
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Z. 4, 5, 6 spielen noch einmal auf die “fossa Drusiana” an. Z. 7 f. bringt das Gegenteil der oben gezeigten Idylle. Sie schildert den Rhein und sein Hochwasser, das durch die Macht des Regens und des Schnees entsteht. Seneca in den “Naturalis Quaestiones” III, 27, 8 gibt dazu eine längere Stelle: “Flumina suapte natura vasta et tempestatibus rapta alveos relinquunt. Quid tu Rhodanum, quid putas Rhenum atque Danuvium, quibus torrens et in canali suo cursus est, cum superfusi novas sibi fecerunt ripas, ac scissa humo simul excessere alveo? Quanta cum praecipitatione volvuntur, ubi per campestria fluens Rhenus, ne spatio quidem languidus, sed latissimos velut per angustum aquas implet?” Seneca ist für Vondel hauptsächlich als Dramendichter wichtig geworden. Sehr eindringliche Beschreibungen von der Gewalt des Wassers geben Virgil, Georgica, I, 480 f. und Ovid, Met. 274 f.; I, 568 f. Str. 12 bringt nun den im Sinne einer Enkomiastik notwendigen Schritt in den Kosmos. Vondel macht nämlich hier dem Leser klar, dass das Sternbild “der Strom” nicht den PoGa naar voetnoot67), nicht den Nil, sondern den Rhein meine. Die Sterne des Sternbildes seien nichts als die Fische im kristallenen Wasser des Rheins. Der Streit um die Vorherrschaft, der hier auf Erden schon wichtig genug geworden ist, geht am Himmel weiter. Diesmal ist es vor allem der Po, der dem Rhein seinen Platz streitig machen möchte, entsprechend dem Virgil Vers, Georgica, I, 482: “fluviorum rex Eridanus”. Der “Nijl, Egyptens luister” hat seine Vorrangstellung höchstwahrscheinlich den Siegen Caesars zu verdanken, die Ovid in den Metamorphosen XV, 745 f. aus Ägypten erzählt. Bei Properz IV, 4, 42 bedroht der Nil den Tiber. Der Kampf um die Vorherrschaft zwischen Octavianus und Antonius ist zugleich auch der Kampf zwischen Tiber und Nil. Die Flüsse werden ja nicht nur Herrschern verglichen, sondern haben ihr Gewicht vielfach von bedeutenden Männern, Kaisern, Feldherren etc., die an ihren Ufern lebten oder siegten. Für den Rhein sind das z.B. Caesar, Drusus, Konstantin und im weiteren Sinne Karl der Grosse, für den Nil wiederum Caesar und | ||
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Octavianus Augustus, für die Donau Marc Aurel und entsprechend im späten Mittelalter das Haus Habsburg. Auf den Fischreichtum des Rheins kommt Vondel zum ersten Male in dieser Strophe zu sprechen, zwar nur metaphorisch aber deutlich genug. Plinius d. Ä. in seiner naturalis historia erwähnt einige Male Fische im Rhein (IX, 44; IX, 63). Venantius Fortunatus in seinem carmen VII, 4, 5/6 und Cassiodor in den Varia XII, 4 sprechen von Fischen im Rhein. Eine ausführliche Aufzählung der vorkommenden Fischarten in der Mosel gibt Ausonius Mosella 77-149, gemäss dem feststellenden Vers Virgils, Ecl. VI, 76: “fluvios dum piscis amabit...”. Freherus in den “Origines Palatinae” opfert den Fischen im Rhein noch einen grösseren Abschnitt und zählt vor allem Salm, Lachs und Stör aufGa naar voetnoot68). Michael Drayton spricht von “a thousand Fishers”, die alle auf der Themse ihr Brot verdienen wollenGa naar voetnoot69). Um den Fischreichtum erkennen zu lassen, muss ein Fluss durchsichtig sein. Der vordem gelbe, bzw. blaue und grüne Rhein wird nun zum “onbevleckten kristallijn.” Bei Virgil, Aeneis, VII, 759 ist der Fucinus kristallen, “vitrea te Fucinus unda”, und in der Georgica IV, 350 der Sitz der Nymphen. Ovid, Met. V, 48 erkennt dem Ganges das Beiwort kristallen zu. Auch bei Ausonius finden sich die kristallenen Wasser, Mos. 194/195: “tota natant crispis iuge motibus, et tremit absens
Pampinus, et vitreis vindemi turget in undis.”
M. Drayton schreibt dann: “When as your crystall wasts you closely doe enfold.” Die Themse ist ihm “the crystall Thamis”Ga naar voetnoot70). Wenn man im durchsichtigen Wasser den Fischreichtum bemerkt, erscheinen die Fischleiber silbern. (Die silbernen Wellen sind eine sehr beliebte Metapher. Z.B. Statius, Silvae I, 3, 48; I, 5, 49.) Das sagt Vondel, das sagt Spenser, Faerie Queene I, Cant. 9, 4: | ||
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“From whence the River Dee as silver cleene
His tumbling billows rols with gentle rore.”Ga naar voetnoot71).
Darauf zielt auch noch der Dielhelm, wenn er dem Rhein “von Natur ein klares Wasser” zubilligtGa naar voetnoot72). So wird man es sehen müssen, wenn Vondel in seiner Strophe schreibt: Wiens visschen......
Als starren dolen, hier en daer;’
Dieses Bild bringt Tscherning in seiner ‘Schatzkammer’ unter der Rubrik SterneGa naar voetnoot73). Unter Berufung auf Opitz, part. 2, p. 376/377 heisst es: ‘Wer sind die fische doch so in den lüfften stehn.’ Str. 13. In dieser Strophe erst beginnt der Leser zu bemerken, dass dieses grossartige Gedicht nicht eigentlich als Lob des Rheins allein gedacht ist, sondern ein Gelegenheitsgedicht in dem Sinne des Wortes ist, wie er bis zur Goethezeit galt. Es ist eine Huldigung an den Freiherrn von Vianen, die hier zum erstenmal anklingt. Die erste Zeile bringt den Anruf der Götter, bzw. Göttinnen oder auch göttlichen Wesen des Stroms. ‘O zuivre en blancke Rijnmeermin.’
Nun ja, wenn Martial den Rhein als den Vater der Flüsse und Nymphen begreift und begrüsst, ist diese Verbindung durch die Antike bereits geadelt. Alle Flüsse galten der Antike als Wohnsitz verschiedener Gottheiten. In der Aeneis VIII, 70 ff. schildert Virgil die Rede Aeneas' an die Gottheiten des Tibers, beginnend: ‘Nymphae, Laurentes nymphae, genus amnibus undest,
tuque, o Thybri tuo genitor cum flumine sancto.’
Horaz, carmina IV, 7, 5 f. spricht von Flussnymphen, Ovid in den Metamorphosen auf fast jeder Seite. Ausonius Mosella 431: ‘dives aquis, dives Nymphis...’ sind Rhein und Mosel nach ihrer Vereinigung bei Koblenz. M. Drayton erzählt von der Themse, dass in ihr | ||
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‘A thousand Nymphes’ spielten. Am Rhein spricht K. Celtis von Nymphen, als er den Lurleifelsen erwähnt, an dem er vorbeigefahren. Damit sind die Echonymphen gemeint, nach denen der Berg den Namen hat. ‘Sed cum perventum est obliquae ad cornua vallis,
Quam rapidis vortex saevaque syrtis habet,
Voxque repercussis specibus relevabit ab altis,
Fertur silvicolas quos habitasse deos’Ga naar voetnoot74).
Mit der Aufklärung fallen die Hinweise auf die Nymphen in den einzelnen Werken fast ganz weg. Wenn G.A. Nauta sich im Kommentar zu dieser Strophe auf keine andere Nymphe als auf die Lorelei beruft, dann ist er gerade damit im Irrtum. Sie und mit ihr der Kranz der Rheintöchter etc. sind ohne Zweifel eine Fortsetzung der antiken Tradition, aber eine sehr späte, die erst mit der Romantik einsetzt. (Für die ‘Lorelay’ ist Brentano der Schöpfer gewesen.) Dass diese Strophe mit der Anrufung der Nymphe beginnt, ist eine Nachahmung Virgils, Ecl. VII, 21: ‘Nymphae, noster amor, Libethrides, aut mihi carmen
...... concedite.’
Die Libethriden sind Quellnymphen am Helikon und dieser ist der Berg der Musen. ‘Ghy helpt veel zielen aen gewin,Ga naar margenoot+
En menigh Graef aen eeretitlen,
En landen aen een hooghen naem.’
Vondel spielt hier darauf an, dass manches Fürstentum und manche Grafschaft am Rhein vom Strom den Namen hatten, z.B. die Pfalzgrafschaft bei Rhein. Freherus in seinen ‘Origines’ betont sehr stark die Wichtigkeit der Verbindung von Strom und Würde des Hauses. Dass auf grund der Religion die Pflatz eine besondere Bedeutung für die Niederlande hatte, sei am Rande vermerkt. Berühmte Männer, z.B. Opitz, wanderten zwischen den beiden Ländern hin und her. Str. 14 spricht nun von einzelnen Punkten am Rhein, die aus dem | ||
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einen oder anderen Grunde die Aufmerksamkeit des Dichters auf sich gezogen haben. Z. 2 erwähnt ‘bisschoppelijcke torens.’ Es werden die rheinischen Bischofsstädte gemeint sein, Basel, Strassburg, Speyer, Mainz und vor allem aber Köln, die Geburtsstadt des Dichters, deren Reichtum er oft betont hat. (Olyftack aan Gustaaf Adolf und Maeghden). Die Türme der Stadt sind erwähnt im Liber Ligurinus I, 395, in J. Haselbergs ‘Lobgedicht auf die Stadt Köln’, und bei M. Zeiller heisst es lakonisch: ... hat jetzt 83 Thürn.’Ga naar voetnoot75). Selbst bei Goethe sind im ‘Mahomet’ ‘der Türme Flammengipfel’ erwähnt, die zum Bilde des Flusses gehören. Z. 4 spricht von ‘zilvre horens’ des Rheins, womit Vondel auf das feststehende Attribut des Stroms anspielt: ‘Rhenus Bicornis.’ Urheber dieser Bezeichnung ist Virgil, der in der Aeneis VIII, 726 den Rhein zum erstenmal so bezeichnet: ‘Morini Rhenusque bicornis...’ Der Servius Kommentar zu Virgil erläutert diese Stelle: ‘“Rhenus Bicornis” quia per duos alveos fluit; per unum, qua Romanum imperium est, per alterum, qua interluit barbaros, ubi iam Vahal dicitur et facit insulam.’ Das Wort bicornis ist mehrfach überliefert, z.B. aus einem Panegyricus auf Constantin, aus einem Panegyricus auf Gratian von Symmachus und auch Ausonius, Mosella 437Ga naar voetnoot76). Andere sind Hieronymus, praefatio libri 18 commentarii in Isaiam, LXVI, 20, 824; Hegesipp, libri de bello Iudaico versio latina, lib. II, 9, 1 und die cosmographia des Iulius Honorius. A. § 22, p. 37, 7 u.a. Sedulius Scottius erwähnt II, 3 und VI, 9/10; VIII, 29; XII, 19/20 den Rhenus BicornisGa naar voetnoot77). Münzen und Gedenksteine des Deus Rhenus lassen erkennen, dass die silbernen Hörner wichtige Zeichen des Rheingottes waren. Vom Rhein als Gott sprechen aber auch Properz, V. 10, 39 und Ovid, Epistolae ex Ponto III, 4, 107. Silbern sind die Hörner wohl deshalb, | ||
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weil es zu den Ehrentiteln der Flüsse gehörte, Gold oder Silber mitzuführen. Vom Tagus z.B. erzählt Ovid, Met. II, 251, dass er Gold mitführte, vom Argens (Argenteus) in Südfrankreich spricht Plinius, nat. III, 35. Die Stelle bei Vondel gewinnt jedoch eine doppelte Bedeutung, wenn man damit Caesar, De bello Gallico VI, 28, 6 vergleicht, wo dieser berichtet, die Germanen versilberten die Hörner ihrer Auerochsen und benützten sie als Trinkhörner. Aber auch andere Flüsse haben Hörner, d.h. eine bestimmte Anzahl Mündungen oder Arme. Ovid, Met. II, 256 bezeichnet den Nil als siebenströmig, den Granicus Met. XI, 763, genau wie den Rhein, als bicornis. Ausonius nennt, Mosella 469, gar die Mosel ‘corniger’. Die beiden Hörner des Rheins treten noch spät in der Literatur auf, in der ‘Beknopten Beschrijving’ z.B., wo sie aber merkwürdigerweise von den beiden Quellflüssen abgeleitet werdenGa naar voetnoot78). Z. 7 f. werden die ersten beiden Städte genannt, Köln und Basel: ‘Of huppele op mijn Keulsche kaei
Of koom door Bazel afghevaren,
Daer ghy Erasmus grafstee kust,
En wenscht het wijs gebeente rust.’
Die erste dieser vier Zeilen gibt einen kurzen Einblick in die Jugend des Dichters am Kölner UferGa naar voetnoot79). Die Liebe zu seiner Heimatstadt deckt sich mit der allgemeinen Ansicht, die in Köln eine der wichtigsten Städte des Abendlandes sah. Sedulius Scottius, carm. II, LXXVI, 7 sprach von ‘mater Colonia’. Der Liber Ligurinus nannte sie die erste Stadt am RheinGa naar voetnoot80). Im ‘Carmen de laude Colonie’ steht der kölnische Magistrat über dem römischen, die Weisheit über der Athens, die Universität über der von Paris und der Reichtum über dem VenedigsGa naar voetnoot81). Koelhoffs | ||
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Chronik lobt Köln wegen seiner Heiligkeit und Scaliger nennt Köln ‘regina Rheni’, welcher Vers denn auch in dem Begleitaufsatz zu dem Gedicht Vondels gebracht wurde. Das sind nur einige Proben der allgemeinen Verehrung, deren sich Köln erfreuen durfte. Heines bekannte Verse auf das ‘grosse, heilige Köln’ sind die Summe des der Romantik zugänglichen Wissens darum. Die zweite Stadt ist Basel, die Ruhestätte des verehrten Desiderius Erasmus von Rotterdam, des Urbildes humanistischer Gelehrsamkeit. Die Stelle in Vondels Gedicht ist eine unmittelbare Entlehnung der Stelle aus Virgils Aeneis VI, 873, wo es heisst: ‘... vel quae, Tiberine, videbis
funera, cum tumulum praeterlabere recentem!’
Das Grabmal des Erasmus spielt noch eine Rolle im ‘edlen Rhein-Strohm’, in der ‘Beknopten Beschrijving’, in dessen Schlussgedicht es wörtlich anklingend an Vondel heist: ‘Basel, ...... waar de groote Erasmus rust’ und sogar noch im DielhelmGa naar voetnoot82). Str. 15 fährt in der Aufzählung der Orte am Rhein fort. Die ersten vier Zeilen der Strophe gelten Speier und dem dortigen Reichskammergericht, von 1513-1689 in Speier. ‘Het zy ghy 's Keizers vierschaer schaeftGa naar margenoot+
Te Spier, dat zwart van pleiters grimmelt, ...’
In diesen beiden Zeilen kann eine Anspielung auf Horaz enthalten sein, carmina IV, 2, 42-44, wo steht: ‘Publicum ludum super inpetrato
Fortis Augusti reditu forumque
Litibus orbum.’
Diese Stelle hat nämlich Vondel in seiner Prosaübersetzung von Horaz so übersetzt: ‘... en de vierschaer, die van pleiten viert...’ Die Übereinstimmung hier keizer, dort Augustus, hier vierschaer und pleiten, dort vierschaar und pleiters ist augenfällig. Auf Grund seines Gewichts für das staatliche Leben ist Speier in der Literatur oft erwähnt. Im ‘edlen Rhein-Strohm’; in Zeillers Itinerarium ist ihm ein Vers von Nicolaus Reusnerus gewidmet: | ||
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‘Imperii si Spira forum si Curia sacri,
Orbis et oraclum, iustitiae domus,
Fortunata sat urbs, sat felix, sataque beata es,
Legiferae Cereris Eunomiaeque parens.’
In der ‘Beknopten Beschrijving’ gelten dem ehemaligen Gericht noch 1½ Seiten, in der ‘Edlen Fluss-Perle’ ebenfalls. Auch der Blaeusche Begleitaufsatz geht mit mehreren Zeilen auf das Kammergericht einGa naar voetnoot83). Z. 5 lautet dann, man kann sagen merkwürdigerweise: ‘Het zy ghy brult in't Bingher loch.’ Weder in einer Dichtung des Altertums, noch in einer Dichtung oder Beschreibung des Mittelalters wird das Bingerloch besonders erwähnt. Alle bisher aufgeführten Beschreibungen und Quellen zur Topographie des Rheins, mit Ausnahme der ‘Beknopten Beschrijving’ und des ‘Dielhelm’, nennen das Bingerloch nicht. Die ‘Beknopte Beschrijving’ allerdings bringt S. 33 einen längeren Passus und der ‘Dielhelm’ beschäftigt sich mit diesem Punkte des Rheins auch ausführlicherGa naar voetnoot84). Damit ist die Aufzählung der Orte am Rhein beendet. Der folgende Ort Vianen in Strophe 17 gilt dem Empfänger des Gedichts. Bei der Wahl wird auffallen, dass Vondel nur solche Orte nennt, die unmittelbar mit Holland zu tun haben. Köln, seine Geburtsstadt und grosser Handelsplatz nach den Niederlanden, wurde von Scaliger als auf niederländischem Boden liegend angesprochen: ‘... habitat Germania. terra est
Belgica...Ga naar voetnoot85)’
Basel ist Holland verbunden als Wohn- und Sterbeort des Erasmus und Speier, de iure damals noch verbindlich für die Niederlande als Sitz des Reichskammergerichtes. Basel und Köln werden übrigens auch im Liber Ligurinus I, 403 ff. miteinander verglichen. In etwa spielt auch das Bingerloch für Holland eine Rolle, wie noch aus einem Heft | ||
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‘Onze Aarde’, 2. Jgg. Nr. 6, Amsterdam Juni 1929 zu entnehmen ist, das ganz dem Rhein gewidmet ist. Darin gilt noch ein eigener Aufsatz dem Bingerloch. Andere grosse und bedeutende Orte am Rhein sind gar nicht erwähnt, z.B. Strassburg, das silberne, Mannheim, Mainz, das goldene, Koblenz, Bonn und andere. Der Blaeusche Begleitaufsatz jedoch hat alle diese Orte erwähnt. Merkwürdig ist auch, dass das Bingerloch von Vondel angeführt wird und nicht der Rheinfall bei Schaffhausen, obgleich dieser den wilden Charakter des Rheins vielmehr betonen dürfte. Z. 6-8 der gleichen Strophe gelten noch einmal dem Weinlieferanten der Niederlande. In den ‘Rerum Germanicarum scriptores’ hält der Überarbeiter B. Struvius dem Papste Aeneas Silvio vor, er habe bei seiner Beschreibung Deutschlands die beiden Ufer des Rheins von der Quelle bis Köln vergessen: ‘Ubi terra uberi gleba referta, frumenti, tritici, et multorum fructuum fecundissima, vino adeo exuberat, ut cunctaque interranea Germania etiam inferior, et toteis pene occidentalis Septentrio Rhenensi vino se rficiat’Ga naar voetnoot86). Freherus, Orig. Palat. II, beginnt p. 88 ff. ein neues Kapitel: ‘Alia Rheni Decora. Vinum Rhenanum.’ Von der Macht des Rheinweins spricht auch Shakespeare, Merchant of Venice, I, 2, 104; Hamlet, I, 4, 10 und Hamlet, V, 1, 196. Opitz in der Übersetzung von D. Heinsius' Hymnus zu Ehren BacchusGa naar voetnoot87), sagt so vom Wein: ‘Ich meine dass du seyst geboren an dem Rein;
Da kömpt das edle Nass nach Dordrecht abgefahren,
Das Niederland erfrewt: ...’
Bei Vondel hiess es: ‘Of Neerlant drenckt met volle vaten,...’ FreherusGa naar voetnoot88) hatte, etwas übertreibend, festgestellt: ‘Etsi autem toto domino Rheni tractu, a fonte primo ad Ubios usque, optimi et generosissimi vini ingens Dei beneficio sit proventus, quantus usquam in orbe exculto reperitur.’ | ||
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Klopstock widmet 1753 eine ganze Ode dem ‘Rheinwein’ und wenig später heisst es im ‘Rheinweinlied’ des Matthias Claudius, an Freherus anklingend: ‘In ganz Europia, ihr Herren Zecher!
Ist solch ein Wein nicht mehr.’
Die beiden letzten Zeilen der Strophe kehren noch einmal zum Schreiber zurück: ‘Uw vocht bestelt mijn veder inckt,
Tot datze in zee met u verdrinckt.’
Der Rhein muss also sowohl Papier schaffen als auch die Tinte dazu. Wie sehr Vondel mit diesen Bildern in der grossen Tradition steht, darüber kann man sich im Kapitel 16 des Buchs von Curtius informierenGa naar voetnoot89). Str. 16 wird sozusagen hochpolitisch, denn Vondel kennzeichnet mit wenigen Worten den deutschen Zustand, ‘Kerckgheschil en haet van Heeren’ und wünscht, ein ‘Verlosser’ möge das Reich von des Reiches Plage säubern und die süssen und gesunden Ufer des Rheins reinfegen. Wandalbert von Prüm im Horologium, December, Z. 365 spricht von: ‘Dulcia... litora Hreni...’, was an Virgil, Georgica IV, 563 anklingt. Vondel scheut vor der Gegenwart nicht zurück, was er oft genug, ohne Rücksicht auf persönlichen Vorteil bezeugt hat. Obgleich er somit aus der antiken Tradition heraustritt, tritt er gleich in eine neue ein. Es ist diejenige, die gekennzeichnet ist mit Namen wie Wimpfeling, Murner etc.Ga naar voetnoot90). Von den dichtenden Zeitgenossen Vondels wäre Hans Assmann von Abschatz zu erwähnen, der ebenfalls in seinem Rheingedicht das Bild der Schlangen gebraucht, welche die Ufer des Rheins vergiften. Obgleich O. Walzel in dem zitierten AufsatzGa naar voetnoot91) den Beginn des Rheins als politisches Thema ausschliesslich der Romantik zugeste- | ||
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hen will, sieht es nicht so aus. Immerhin war der Fluss den Römern schon ein Politikum. Damals waren es die Römer und Germanen, die sich um den Besitz stritten, später Franzosen und Deutsche. Der Strom ist dabei immer das Symbol. Str. 17 u. 18 bringen die Wendung ins Persönliche, indem nämlich der Dichter als den ‘Verlosser’ den erwarteten Sohn des Herrn von Brederode ansieht. Er soll die Vorzüge des Geschlechtes vereinigen und nicht nur der Stammhalter des Geschlechtes werden, der Herr von Brederode hatte bis dahin nur Töchter, sondern auch die Ehre des Landes wahren. Das Geschlecht war neben dem des Statthalters das älteste des Landes. Leider starb mit dem von Vondel erwarteten Stammhalter das Geschlecht aus. Sehr schön und feinsinnig greift Vondel in diesen beiden Strophen nach der Antike zurück. Diese Strophen sind ein Wiegengesang, und der Rhein soll wiegen. ‘In der hellenischen Mythographie erscheinen immer wieder Flüsse als Väter bezw. Ahnherren von Heroen’, so berichtet bündig ein modernes LexikonGa naar voetnoot92). Beweis dessen sind z.B. Homer, Ilias XX, 7 f. XXIII, 144 f. Eine berühmte Stelle ähnlicher Art, und Vondel mag sie gewiss vorgeschwebt haben, ist Virgils vierte Ecloge. Da heisst es: Z. 23 ‘ipsa tibi blandos fundent cunabula flores.’ Und Aeneis III, 104/105: ‘Creta Jovis magni medio iacet insula ponto
mons Idaeus ubi et gentis cunabula nostrae.’
Bei Claudianus, carmina min. 25, 69: ‘cunabula prima puellae Danuvius...’ In Goethes ‘Mahomet’ wird der Fluss selbst zum Fürsten, den das Geschlecht seiner Nebenflüsse emporträgt. Mit dieser Metapher des wiegenden Flusses hat Vondel eine sehr schöne Anknüpfung an Str. 9 (in der Mitte des Gedichts) gefunden, wo der Rhein schon einmal den Heldensohn ‘Bato’ gewiegt hatte. Damit sei der Gang durch das Gedicht als solches beendet. Zwar mag der eine oder andere Punkt unberücksichtigt geblieben sein, die hervortretenden Merkmale jedoch sind beachtet worden. | ||
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AuswertungZunächst mag den Leser die Menge der Anspielungen und Anlehnungen, die Übernahme von Bildern und topoi befremden. Man muss sich jedoch einmal den Aufbau des Gedichtes vor Augen führen, um zu sehen, dass sie alle ihren Platz und somit auch ihre Berechtigung haben. Zwar sagte R.A. Schröder, das Gedicht sei mit improvisierender Hand hingeworfen, aber das stimmt nicht ganz. Aufbau. 18 Strophen hat das Gedicht. Die 1. gilt dem Anruf des Dichters und dem Ursprung des Rheins, ist also zum Teil dem geographischen Verlauf des Stroms gewidmet. Dann folgen 4 Strophen, gespickt mit historischen Anspielungen auf Caesar, Drusus, Konstantin, Christus, Attila, St. Ursula und Karl den Grossen. Darauf folgen wieder zwei Strophen, in denen sich abermals der Dichter einschaltet und den Blick des Lesers zum Himmel wendet. Die folgenden Strophen gelten einer topographisch-geographischen Beschreibung des Rheins. Die Nebenflüsse werden aufgezählt, die Länder an Quelle und Mündung, der Lauf in geologischer Hinsicht und die Mündung selbst, wobei sich hier die Geschichte etwas einmischt. Die nächste Strophe, die 12., bringt den Vergleich mit dem Sternbild ‘der Fluss’. Die nächsten vier Strophen könnte man politisch-historische nennen. Vondel zählt die Stände auf, die innerhalb des Stromgebietes ihre Wirkungskreise haben, zuerst die Grafen und Ritter, dann die geistlichen Fürsten bzw. ihre Residenzen Köln und Lüttich, dann den Kaiser und ‘sein’ Gericht, das Reichskammergericht und zum Schluss das Reich selbst. Die letzten zwei Strophen enthalten die eigentliche Widmung an das Geschlecht der Brederode und greifen anspielend zurück auf Strophe 9, auf Bato, den Stammvater der Bataver. Somit ergibt sich in Zahlen ausgedrückt und in ein Schema gebracht folgender Bau des Gedichts:
Das verrät doch Planung oder zumindest ein tief sitzendes Gefühl für Mass und kunstvolles Bauen. Die ganze Zeit verrät es, weshalb wir auch, trotz gegenteiliger Urteile, Vondel eher der Renaissance | ||
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als dem Barock zuordnen möchten. Aber dazu kann ein Gedicht allein nicht den Masstab geben, höchstens einen Hinweis. Vondels Rheinsicht. Wie sieht nun Vondel den Rhein? Der Strom bildet für den Dichter, wie für die ganze Zeit, eine der wichtigsten Kulturlandschaften der Erde. Man geniesst, wie W. Flemming sagt, ‘allgemein den Triumph des Menschenwillens über die blosse Natur in solcher Überschau’Ga naar voetnoot93). Bei dieser Gelegenheit kann man feststellen, dass Vondel das ganze Panorama weniger räumlich als historisch sieht. Oder, der Raum ist von der Geschichte und Zeitgeschichte so durchtränkt, dass er in sie aufgeht. Das ist allerdings nichts Ausserordentliches, denn es lässt sich in der Rheinpoesie verfolgen bis zu den Zeiten, da die Naturanschauung eines Rousseau den Blick ändert. Erst mit Goethe, Hölderlin etc. wandelt sich in der deutschen Dichtung der Blick auf den Rhein. Jetzt erst tritt mehr das Naturerlebnis nach vorne, während es bis dahin das Geschichtserlebnis war. Diejenigen Züge reiner Naturbeschreibung, die Vondels Gedicht hat, z.B. Str. 10, sind als ganz selbstverständlich in die grosse Schau eingereiht. Es sind deren eine ganze Menge, die sich in Beiwörtern und anderswie zeigen. Dementsprechend zerfällt das Gedicht mit seinen Anspielungen, Wendungen und topoi in zwei grosse Gruppen. In der einen Gruppe herrschen die historischen Reminiszenzen vor: Strophe 2 der Hercynische Wald und Aufbruch Konstantins, Strophe 3 Christentum am Rhein, Caesars Rheinbrücke, die 50 Kastelle des Drusus, Strophe 4 Attila und St. Ursula mit den Jungfrauen, Strophe 5 Karl der Grosse, das ‘Reichsjuwel’, Strophe 9 die Schweizer in den Bergen und die Niederländer auf ihren Inseln, Strophe 11 die ‘fossa Drusiana’, Strophe 13 die Herren auf beiden Seiten des Rheins, Strophe 14 die Bischöfe und ihre Städte, dazu das Grabmal des Erasmus in Basel, | ||
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Strophe 15 Speier und das Reichskammergericht. Das sind historische Einmaligkeiten, die es nur am Rhein geben kann. Daneben liegen nun die Eigenschaften, die der Rhein mit allen anderen Flüssen und Strömen teilen kann. Um ihn seiner Grösse gemäss herauszustellen, wird der Rhein in ein rhetorisches Gewand gekleidet, wobei es dem Dichter darauf ankommt, möglichst viele Vorzüge in dieses Gewand zu sticken. So ist also der Rhein: 1. ein erhabener Gegenstand (Unsagbarkeitstopos), seine Quelle ist nicht ‘ganz sicher’ (Str. 1). 2. Er hat dem Tiber die Vorherrschaft abgerungen, der sich nun vor ihm neigen muss (Str. 2). 3. Er ist der Strom einer frühchristianisierten Kulturlandschaft. Seine Städte gehen z.T. auf römische Gründungen zurück. Seine Ufer sind fröhlich (Str. 3). 4. Er hat Kämpfe an seinen Ufern gesehen, dass Leichen in seinem Strom schwammen und das Blut der Erschlagenen seine Wasser färbte (Str. 4). 5. Er ist Müller, Städtebauer, Schiffeträger, Reichsgrenze, Fährmann, Ufernager, Papiermacher, der dem Dichter den Stoff sowohl für die Dichtung als auch für die Niederschrift liefert. Er ist also Gegenstand des Flusslobs und führt zum Buchlob hin (Str. 6). 6. Er gleicht einem Regenbogen, darin die blaue, purpurrote und weisse Traube seines Weines jeweils eine Farbe abgibt. Nebenflüsse geben ihm ihr Wasser, darum ist er wasserreich. Str. 7. 7. Die Nebenflüsse werden aufgezählt, aber daneben gibt es noch tausend andere, die nicht aufgezählt werden können (Str. 8). 8. Er ist geschaffen, um frei zu sein, wie dies Holland und die Schweiz bewiesen haben (Str. 9). 9. Er schlingert wie eine Schlange, er ist blau, seine Berge grün, er scheuert die fruchtbaren Felder (Str. 10). 10. Nach ihm ist das Gestirn zu bezeichnen, nicht nach Po und Nil. Er ist fischreich, sein Wasser kristallklar, er ist ein Lustort (Str. 12). 11. Aber der Rhein kann auch Hochwasser führen (Str. 11). | ||
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12. Er ist der Sitz von Wassernymphen und der Fluss berühmter Städte (Str. 13). 13. Er ist der von der Antike besungene Rhenus Bicornis, d.h. er hat ein Mündungsdelta. Er führt Edelmetall und berührt die Grabstätte berühmter Männer (Str. 14). 14. Er brüllt im Bingerloch, d.h. er hat Schnellen zu überwinden. Er ist der Strom des Weins und besorgt dem Dichter Tinte (Str. 15). 15. Er ist auch Zeuge von Hader und Streit (Str. 16). 16. Er trägt zum Fürstenlob bei, denn von seinen Ufern soll ein erwünschter Held erstehen, der diesem Streit und Hader ein Ende macht (Str. 17). 17, Ja, er selbst soll diesen Erlöser wiegen (Str. 18). Dazu kämen noch mehrere Eigenschaften, auf die hier z.T. nicht eingegangen worden ist, oder die der Dichter nicht erwähnt hat. So ist der Rhein schäumend (spumans) brausend, oder auch wild (ferox). Er leidet unter dem Fuss der überschreitenden Barbaren. (Claudianus, De Mallii Theodori consolatu, 17) An seinem Ufer stehen noch andere Städte als die oben erwähnten. Eine Formel, die bei Paulus Diaconus mehrmals auftritt, ist diese: ‘Crede, prius Rhenus rursum convertet ad Alpes
Et Liger et Rodanus...’,
ehe meine Liebe dich verliesse. Ähnlich findet sie sich auch bei Friedrich von Hausen und Hiltbolt von SwangauGa naar voetnoot94). Ein anderer Wunsch möchte viele Flüsse zum Lob eines bedeutenden Mannes vereinigen, z.B. Theodulfus, Ad Carolum regemGa naar voetnoot95). Ovid in den Metamorphosen, I, 568-576 entwickelt das Lob des Tempe-Tals, wobei dem Peneios einige Eigenschaften zugesprochen werden, welche in jedes Flusslob aufgenommen werden können. So fliesst der Peneios z.B. wie Öl, so sanft, seine Ufer liegen durch die Bäume im Schatten, sodass er im Kühlen befahren werden kann. Goethe und Hölderlin haben teilweise auf diese Merkmale zurückgegriffen. Oft ist auch das Bild der Bibel | ||
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anzufinden, wo die Macht des aus dem Felsen springenden Wassers Städte und Kulturen entstehen lässt. Auch diese Punkte wurden durch Goethe und Hölderlin berücksichtigt. Ovid in den Epistolae ex Ponto III, 4, 107 nennt den Rhein ‘squalidus’, was freilich nicht in ein Flusslob gehört. Ausonius, Mosella 1, bezeichnet die Nahe als ‘nebulosus’. Vondel hat zu seinem Flusslob folgerichtig fast nur die Werte verwendet, die auf der positiven Seite der Werteskala stehen. Es lässt sich, wenn die Werte Vondels in die rechte Reihenfolge gebracht würden, eine Schönheits - und Werteskala aufstellen, die auch von anderen Dichtern je nach Können und Kenntnis zu anderen Flussgedichten herangezogen werden könnte. In der Tat haben die Zeit Vondels und das vorhergehende Jahrhundert solche Zusammenstellungen gekannt, meist als sogenannte ‘Schatzkammern poetischer Redensarten.’ Gotthilf Treuers ‘Teutscher Daedalus’ z.B. bringt unter dem Stichwort ‘Wasser, Bach’Ga naar voetnoot96) folgende Aufzählung: ‘Das quellende/ springende/ perlengleiche/ silberhelle/ rauschende/ prauschende/ brausende / sausende/ schäumende/ schwellende/ steigende/ klatschende/ patschende/ klatschernde/ platschernde/ Himmelhelle/ nehrende/ Nahrungsreiche/ schiffreiche/ Fischvolle/ wimmelnde/ glasshelle/ laulichte/ grüne/ saltzichte/ heilsame/ warme/ (911) gelinde/ scharffe/ fruchtbahre/ schwangre/ sanfftwallende/ unbewegte/ lebhaffte/ strömige/ tolle/ gefrorne/ gestandne/ gläserne/ flüchtige/ schnelle/ strudelnde/ flüssige Wasser.’ Die für Vondels ‘Rijn-Stroom’ zutreffenden Epitheta sind gekennzeichnet worden. Es sind deren schon eine Menge, aber noch nicht alle. Zu solchem Vorgehen schreibt v. Waldberg: ‘Es ist ein kompilatorisches Zeitalter, in welchem durch fortwährendes Anlehnen und Entlehnen alles ausgeglichen, der Gedankenkreis und namentlich die Ausdrucksweise gewissermassen uniformiert wird’Ga naar voetnoot97). Ob er damit Vondels Gedicht z.B. gerecht wird? Er geht zweifellos von einem moderneren Ideal aus, das aus der persönlichen Empfindung zu schöpfen | ||
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vorgibt. Vondels Zeit hatte ein anderes Ideal. Man freute sich der Leistungen der, vorwiegend, holländischen Philologie und las fleissig die Klassiker und übersetzte sie, die jetzt erst zum Teil in guten Ausgaben an die Öffentlichkeit kamen. An deren Leistungen wurden die eigenen Erzeugnisse gemessen. Ein Dichter hatte nicht nur Empfindung mitzubringen sondern auch sein Handwerk zu beherrschen und gelehrt zu sein. Noch ein Schiller klagt darüber, dass er zu wenig Wissen mitbringe und sich mühsam alles erarbeiten müsse, wo andere aus dem Vollen schöpfen könnten. Noch Alphonse de Lamartines berühmte Antwort auf N. Beckers Rheinlied, ‘La Marseillaise de la Paix’, bringt eine Reihe von Attributen des Rheins, z.B. ‘libre, Nil de l'Occident, le cristal, limpide’, spricht von ‘Charlemagne et César’, vom ‘fleuve royal et fécondant’, ist also Gelehrtendichtung und ohne ein gewisses Mass Kenntnis gar nicht verständlich. Alle diese Dichter stehen noch im Banne der antiken Rhetorik, wie Curtius das klar hervorgehoben hat. Für sie gilt das, was Tscherning als Einleitung zum zweiten Teil seiner ‘Schatzkammer’ geschrieben hatte: ‘Hier liesest du Athen/ hier hastu Rom zu finden/
Nicht reime nur allein. Mit worten worte binden/
Kan auch ein schlechter Mann. Wer nicht genau versteht/
Was Rom war und Athen/ heisst weit nicht ein PoetGa naar voetnoot98).’
Josef Ruland |
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