Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde. Jaargang 42
(1923)– [tijdschrift] Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Über die urnordische Sprache.Wie der indogermanische Philologe genaue Kenntnis aller einzelner idg. Dialekte haben und alle Fäden in seiner Hand sammeln muss um von der Aussichtswarte der konstruierten idg. Ursprache einen weiten Überblick über die geschichtliche Entwicklung aller zum idg. Sprachstamme gehörenden Einzeldialekte zu erlangen, liegt die Aufgabe des nordischen Philologen in erster Linie darin die gemeinsame Sprache der den Norden bevölkernden Stämme der Germanen zu erforschen, die sogenannte urnordische Sprache, die einige Jahrhunderte vor und nach Chr. Geburt ohne eingreifende dialektische Unterschiede den Gedankenaustausch unserer Vorfahren vermittelt hat. Die sprachlichen Überlieferungen der nächstverwandten Stämme, wenn man vom Gotischen absieht, reichen nur ins 8. Jh. nach Chr. zurück (ahd.), indem die altsächsischen und angelsächsischen Sprachreste noch jüngeren Datums sind, während das älteste isländische Manuscript (ein Inventarienverzeichnis, der sogenannte Reykjaholtsmáldagi) erst aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts stammt; die sprachliche Überlieferung und Rekonstruktionsmöglichkeit der urnordischen Sprache scheint daher sehr schlecht. Zwar lässt sich die altnorweg. und altisländische Sprache auch für das 9., 10. und 11. Jh. aus den vielen Skaldengedichten und Eddaliedern erkennen, denn wenn diese auch einige Jahrhunderte später niedergeschrieben wurden, lässt der Reim, der Rhytmus, überhaupt die bragarhaettir den ursprünglichen Zustand, sowohl die Aussprache wie auch die Gedankenwelt, soweit diese Gedichte uns darüber Aufschlüsse geben, deutlich zu Tage treten. Wenn wir aber in die vorhistorische Zeit zurückgreifen wollen, sind es hauptsächlich drei Forschungsmittel, die ausser | |
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den Aufschlüssen, die uns die anderen germanischen und indogermanischen Sprachen gewähren können, uns zu Gebote stehen: I. Die sprachlichen Reste der Runeninschriften. II. Die Beziehungen zu den Nachbarvölkern. III. Die Weiterentwicklung der nordischen Sprachen. | |
I. Die sprachlichen Reste der Runeninschriften.Zu den sprachlichen Resten gehören in erster Linie die urnordischen Runeninschriften, die in Schweden, Norwegen und Dänemark aufgefunden worden sind und alle aus dem 3. bis 8. Jh. nach Chr. stammen. Die Inschriften wie z.B.: N.N. setzte N.N. diesen Stein, und dgl. sind sehr knapp und mit Ausnahme von einigen wenigen Inschriften, von denen die vor einigen Jahren aufgefundene Eggjum-inschrift in Norwegen die wichtigste ist, bieten sie im allgemeinen zwar ein sehr dürftiges Material dar. Doch lassen sich aus den 80-90 Inschriften, die sprachwissenschaftliche Bedeutung haben, die Lautgesetze der urnordischen Sprache in vielen Punkten erkennen. Einige dieser Inschriften sind allerdings sehr zweifelhaft, indem viele von ihnen auf verschiedene Weisen gedeutet werden und einzelne der von den Gelehrten angenommenen Deutungen m.E. falsch sind. Dazu will ich die Järsberginschrift rechnen, die folgenderweise gelesen wirdGa naar voetnoot1): ubar hite araƀan/( ) t h ek ilar runor wa/rit/u. Diese Inschrift ist, u.a. von folgenden Gelehrten behandelt worden: S. Bugge, A. Noreen, O.v. Friesen, Th.v. Grienberger und in der allerletzten Zeit von E. Noreen, Ivar Lindquist und Jörgen Sahlgren. Früher las man: Über *Hite. Hrafn *wit (dualis, wir beide) und ich Jarl ritzten die Runen (Bugge), während A. Noreen ubar als einen Mannsnamen betrachtete: Úfr (vgl. Úfi in Flateyjarbók) dem *Hite (setzte diesen Stein). Nun will E. | |
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Noreen lesenGa naar voetnoot1): ek erilar ubar hite harabanar runor waritu = Ich Jarl *Úfr (der böse) heisse (Fehlritzung hite statt haite = heisse). Hrafn Runen ritze (= ich Hrafn ritze diese Runen). Dann bleiben noch zurück die Runen t h, die E. Noreen rückwärts liest = hait = haite), die er als eine Art Korrektur zu hite = haite betrachtet. Diese Deutung wird von Ivar Lindquist angenommenGa naar voetnoot2), während ein Dritter, SahlgrenGa naar voetnoot3), jetzt lesen will:
uƀar hite haraƀanar ek erilar runor waritu hait( ) = *Úfr (Mannsname) *Heite (Mannsname in dat., Fehlritzung Hite = Haite) Hrafn (= Úfr und Hrafn setzten Heite diesen Stein). Ich Jarl ritze die Runen *Heite. Betrachtet man diese neuen Deutungsversuche, muss man zugeben, dass ein Teil der Inschrift möglicherweise rückwärts gelesen werden soll (E. Noreens t iah), und dass es nicht ausgeschlossen scheint, dass die Inschrift nicht mit ubar hite anfängt, indem die sogenannte βουστροϕηδόν-Schrift z.B. auch auf den Steinen Tune und Eggjum vorkommt. Auf der Fonnås-Spange sind die drei ersten Runenreihen von rechts nach links geritzt, die 4. aber von links nach rechts u.s.w.; und auf diesem Steine stehen die Runen waritu, die ohne Zweifel zusammengehören, in drei Reihen und die Runen arit sind nach links zu lesen. Diese neuen Deutungsversuche haben insoweit die alte Deutung gefördert, als waritu jetzt als 1. Pers. Präs. aufgefasst wird und nicht als Dualis, was durch die Ausfüllung einer angenommenen Lücke vor dem t mit wi (wit) durch Bugge hervorgerufen wurde. Indessen operieren die beiden neueren Erklärer E. Noreen und Sahlgren mit angenommenen Fehlritzungen und kommen auf die Weise zu einem Ergebnis, das | |
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sprachlich vielleicht mehr befriedigend ist als die alte Lesart von Bugge oder A. Noreen. Der Fehler E. Noreens u. Sahlgrens liegt m.E. darin, dass sie die Runenritzungen hite und ( ) t iah mit einander in Verbindung setzen, ohne dass dies notwendig ist. Die alte Reihenfolge muss immer noch als die wahrscheinlichste gelten, da diese Runen ubar hite u.s.w. geritzt sind als die anderen. Es kann nur gelesen werden: ubar hite harabanar ( ) t iah ek erilar runor waritu, indem wahrscheinlich vor dem t eine oder zwei Runen oder eine Binderune gestanden haben. Wenn man aber, anstatt mit Bugge einen Dualis wit zu konstruieren, annimmt, dass dies t das Endungs-t eines starken Präteritums etwa mit der Bedeutung ‘setzte’ ausmacht, wird ein neues Licht über die ganze Runeninschrift geworfen. Die Inschrift würde dann folgende Bedeutung haben: Hrafn setzte diesen Stein über Hite und ich Jarl ritze die Runen oder: Hrafn liess diesen Stein errichten über *Hite (seinem Freunde, Verwandten o. dgl.) und ich Jarl ritze die Runen darauf. Nun fehlt aber das starke Verbum mit der Bedeutung errichten, behauen, setzen o. dgl. und dieses Zeitwort kann im gotischen maitan ‘hauen’ erblickt werden; dieses maitan lebt weiter im altnord. meita-meitti, vgl. meitill, während das ursprüngliche reduplizierte verbum im nordischen verloren gegangen ist (dagegen ahd. meiƷan-miaƷ). Es sei hier an den Gebrauch des verbums meita erinnert: meita knífi hattar stall af Hákoni (Nóregskonungatal), meita manar (Atlakviða); ekki hafði hann látið meita skegg sitt né skera hár fyrir hrygðar sakir (Stjórn); die ursprüngliche Bedeutung hat man vielleicht noch bewahrt im neuisl. deminut. meitla = metalla cuneis dissecare, skjaere metaller i Stykker med Mejsel (Björn Halldórsson), vgl. nhd. meisseln; das alte germ. Verbum maitan hatte eben diese Bedeutung im Gegensatz zu hauen oder schlagen. Nun lautete das Prät. von maitan in urnord. | |
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Zeit sicherlich *mét, vgl. láta-lét, weshalb anstatt mit Bugge vor dem t wi einzusetzen, me vorzuziehen ist oder gar *lét, das fürs isl. Sprachgefühl fast ebenso gut passen würde. Zwar muss man, wenn diese Lesart vorgezogen wird, die folgenden Runen wie Bugge jah lesen, wenn auch die Haken der a-Rune nach links weisen; ferner muss man die i-Rune als ein Zeichen für die j-Rune annehmen; dies ist doch weniger auffallend, da Parallelen auf den Runensteinen vorkommen. Es soll daher gelesen werden: uƀar hite haraƀanar (me)t iah ek erilar runor waritu = Hrafn meisselte diesen Stein über *Hite und ich Jarl ritze die Runen. Dieser Exkurs über den Järsbergstein zeigt, wie vorsichtig man sein muss in der Beurteilung und Verwendung der Runeninschriften zur Rekonstruktion der urnordischen Sprache. Die meisten Deutungen der Inschriften leiden darunter, dass man die zu erklärenden Wortformen immer in Verbindung mit Wörtern anderer germanischer Sprachen setzt; falls nun die Runenwörter zu den durch die Methode der vergleichenden Sprachwissenschaft konstruierten Urformen passen, ist man zufrieden, während doch die Möglichkeit besteht, dass man in der urnord. Sprache auf entgleiste Wortformen und verschiedene Kuriositäten stossen würde. Es sei nur an die Possessivform minino auf dem Steine von Kjölevig erinnert, die man jedenfalls, wenn sie zufällig nicht belegt wäre, anders konstruieren würde. | |
II. Die Beziehungen zu den Nachbarvölkern.Die vorhistorischen Einwohner des Nordens haben sicherlich lebhafte Beziehungen zum Osten, Süden und Westen gehabt, wie dies aus den vielen Lehnwörtern hervorgeht, die in die verschiedenen Sprachen aufgenommen, wurden. Bekanntlich hat Vilh. Thomsen schon 1869 etwa 450 Wortvergleichungen zwischen Finnisch und Germanisch in seinem Buche: ‘Einfluss der germanischen Sprachen auf die finnisch-lappischen’ aufgestellt; durch Lönnrots finnisch-schwedisches Wörterbuch (1886) und durch spätere Untersuchungen ist die Anzahl der hier- | |
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hergehörigen und behandelten Wörter bis auf 12-1300 gestiegen; es sei hier insbesondere auf das in den finnischugrischen Forschungen Bd. 13 1912-13 erschienene ‘Bibliographische Verzeichnis der in der Literatur behandelten älteren germanischen Bestandteile in den ostseefinnischen sprachen’ hingewiesen, in dem die Wortvergleichungen etwa die Anzahl 1100 erreichten, sowie auf die 2 Jahre später erschienenen ‘Germanisch-finnischen Lehnwortstudien’ von T.E. Karsten (Helsingfors 1915. Ein Beitrag zu der ältesten Sprach- und Kulturgeschichte der Germanen = Acta soc. Scient. fenn. Tom. XLV, no. 2)Ga naar voetnoot1), die noch 116 finnische Wörter aufdecken, die germanisches Lehngut sind. Ein grosser Teil der hierhergehörigen Wörter hat sicherlich der Urnordischen Sprache angehört, und man darf auf urnordische Existenz dieser Wörter für die Fälle schliessen, in denen sie in einem oder mehreren der skandinavischen Dialekte weiterleben, es sei denn, dass sie nachweisbar später als Lehnwörter aufgenommen wurden. Diese Lehnwörter liefern wichtige Beiträge zu den altgermanischen Lautgesetzen, zu den Sitten und Gebräuchen, vor allem aber zu den religiösen Vorstellungen der Urbevölkerung des Nordens, indem eine beträchtliche Anzahl der german.-finnischen Lehnwörter mythologischen Inhalts ist. Wir erfahren so durch Vergleichung der einzelnen Wörter unter Heranziehung verschiedener Sitten und Gebräuche, die teilweise noch in Finnland und Skandinavien geübt werden, dass die Nordgermanen neben þórr einen wesensverwandten Gott Urgerm. Ferχuniz (= an. Fjrgynn) verehrt haben, dass der Nerthuskult sich wahrscheinlich so im Norden entwickelte, dass der göttliche Gatte der Nerthus, der *Tīwaz, der im Norden nur den Namen Freyr (= Herr) trug, allmählich in den | |
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Vordergrund trat, vielleicht wegen der wachsenden Macht der Könige (der Ynglingar), die in ihm ihren Stammheros verehrten; sein Ansehen erreichte den Höhepunkt in dem sogenannten Freysblót, das alle 9 Jahre in Uppsala stattfand, während die Verehrung der Göttin zu einem Ritus niedersank, der jedes Jahr beim Erwachen der Natur wiederholt wurdeGa naar voetnoot1). Die Untersuchungen Karstens' haben bewiesen, dass die Freysverehrung auch in Finnland stattfand und wichtige Beiträge zur Lösung verschiedener Probleme geliefert. Er setzt den Anfangsterminus der germanisch-finnischen Berührungen keineswegs später als in die Mitte des letzten vorchristlichen JahrtausendsGa naar voetnoot2). Die Nordgermanen haben ebenso rege Beziehungen zu den östlichen Nachbarn, wie zu den südlich und westlichen gehabt. Es ist zwar schwierig das Verhältnis zwischen Urgermanisch und Urnordisch klarzulegen, indem ja das Urnordische als ein Dialekt des Urgermanischen zu betrachten ist. Dass aber die im Norden wohnenden Germanen lebhafte Verbindungen mit den südlichen Völkern, den Griechen und Römern, gehabt haben, zeigen die vielen germanischen Personennamen, die bei den griechischen und lateinischen Schriftstellern vor und nach Chr. Geburt vorkommen, wie z.B. in den Historiae Polybii aus dem 3. Jh. v. Chr., bei Julius Caesar, Titus Livius, Strabo, Sallustus, Nepos (alle aus dem 1. Jh. v. Chr.), bei Mela, C. Plinius Secundus, Claudius Ptolemaeus in seiner Naturalis Historia (aus dem 1. Jh. n. Chr.), bei Cassius Dio Cocceianus, Festus (Breviarium), Plutarchus, Pausanias (Descriptio Graeciae), Appianus (aus dem 2. Jh. n. Chr.), Justinus (aus dem 3. Jh. n. Chr.), Ammianus Marcellinus, Rufus Festus Avienus, Sextus Aurelius, Eutropus (aus dem 4. Jh. n. Chr.), Paulus Orosius (aus dem 5. Jh.), Jordanes (aus dem 6. Jh.) u.s.w. Es seien promiscue einige solcher Namen hier ge- | |
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nannt: Ariarcus, Berus, Cimberius, Dagvaldus, Freioverus, Gudilas, Hanhavaldus, Hariulfus, Lugius, Marcomarus, Panno, Runa, Sarus, Segimundus, Theolaifus, Vithericus; und von diesen sind einige sicherlich auch als urnordisch zu betrachten, da sie in den skandinavischen Sprachen weiterlebenGa naar voetnoot1). Urnordische Personennamen würde man leicht konstruieren können I. aus den gemeingermanischen Bestandteilen des altnord. Namenschatzes (etwa 132), II. aus den gemeingermanischen Vollnamen (za. 74), III. aus den altnordisch-westgermanischen Namensthemen (za. 167) und IV. aus den ausschliesslich nordgermanischen Namensthemen (za. 195)Ga naar voetnoot2). Ferner würde man auch urnordische Kosenamen und Patronymica aufstellen können; auch viele der im Norden sehr beliebten ZunamenGa naar voetnoot3) sind sicherlich in urnordischer Zeit benutzt worden. Man ist ziemlich gut orientiert über die Prinzipien, die bei der Namengebung der Indogermanen herrschten, wie die Namen von 2 Themen gebildet wurden und darauf Kurznamen entstanden, und wie die Namen hauptsächlich durch Bestandteile gebildet wurden, die ein Ausdruck waren für: 1) Dinge aus der Natur (Tiere, Blumen, Bäume, Sonne, Mond, Stern, Luft, Wetter usw.). 2) Schlacht und Krieg. 3) Persönliche Vorzüglichkeit (z.B. Kraft, Mut, Macht, Herrschaft, Schönheit, Klugheit, Güte, Stand, Beruf). 4) ReligionGa naar voetnoot4). Auf ähnliche Weise würde man durch Vergleichung der nordischen und aussernordischen germanischen und indogerm. | |
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Namen mit ziemlicher Sicherheit die urnordischen Namensformen, ihre Bestandteile und Bildungsweise nachweisen können. Wie bekannt haben viele Gelehrte sich mit den Beziehungen der alten Skandinaven zu den westlichen Kelten beschäftigt und entweder mit Nachdruck diese Beziehungen hervorgehoben oder teilweise bestritten (Zimmer, Stokes, Meyer, Sophus u. Alex. Bugge, W.A. Craigie u.a.). Literarische Beeinflussungen und mythologische Beziehungen können jedenfalls nicht in dem von Bugge aufgestellten Umfange angenommen werden, da durch die sprachlichen Untersuchungen der letzten Jahre jetzt festgestellt werden kann, dass die Skandinavier erst im letzten Dezennium des 8. Jh. regen Verkehr mit den Iren pflegten. Dies erhellt aus den Ulsterannalen. Indessen ist es auch wahrscheinlich gemacht worden, dass die Norweger za. 600 nach den Orknöern gelangten und von dort nach Schottland und Irland kamen. In den Annalen wird von einer ‘seefahrenden Flotte’ (murchoblach muride) erzählt, die nach Eigg und Tory Island kamGa naar voetnoot1). Nach 795 wurde der Verkehr der Norweger mit den Iren lebhaft, jene setzten sich fest an der Westküste Schottlands in der Nähe von Eigg Island und Kingarth und eine Mischsprache, keltischnorwegische, entstand: die sogenannten Gall-Gáidil in den irischen Annalen sind dieselben wie die Vikingaskotar oder Gaddgeðlar der Orkneyingasaga. Einige hunderte der norwegischen Lehnwörter im Irischen sind nun philologisch festgestellt worden durch die tüchtige Arbeit MarstrandersGa naar voetnoot2); von den Personennamen sind etwa 120 identifiziert worden. Von allen diesen aufgenommenen Lehnwörtern gilt, dass sie im Westnordischen zu Hause sind, während nur ein Teil im Schwedischen und Dänischen gefunden werden, was darauf deutet, dass es hauptsächlich die Norweger waren, die mit den Kelten verkehrten. | |
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Aus dem nordischen Sprachgute auf den Shetlandsinseln, den Orknöern, der Insel Man und in der Normandie sowie aus den nordischen Lehnwörtern im Angelsächsischen und Mittelenglischen, liessen sich vielleicht auch einige Rückschlüsse auf den urnordischen Zustand entnehmenGa naar voetnoot1). Wenn wir also aus den sprachlichen Überlieferungen, den Runeninschriften und den nordischen Lehnwörtern im Finnischlappischen, Irischen und Angelsächsischen, im Hoch- und Niederdeutschen, und bei den lateinischen und griechischen Autoren, verschiedenes Material zusammenbringen können und die überlieferten poetischen und prosaischen Denkmäler der altgerm. Dialekte und die vergleichende Methode der Sprachwissenschaft und der Literatur es ermöglichen ein Bild von der gemeinsamen urnordischen Sprache sowie auch von dem Leben und Denken dieses vorhistorischen Volkes zu entwerfen, so wird doch m.E. ein nicht unwesentlicher Beitrag zur Erforschung dieses Gebietes durch wissenschaftliche Verwertung der Weiterentwicklung der nordischen Sprachen geliefert werden können. | |
III. Die Weiterentwicklung der nordischen Sprachen.In der faröischen Sprache begegnen uns Wortformen, die sich mit den urnordischen decken, und die Aussprache des jetzigen Faröischen ist in einzelnen Punkten, ebenso altertümlich wie die des Altisländischen oder Altnorwegischen. Insbesondere eignet sich die isländische Sprache dazu Rückschlüsse auf urnordische Zustände zu gestatten, da diese Sprache bis auf den heutigen Tag nur wenigen Änderungen unterworfen worden ist und die Seele des Urnordischen immer noch in ihr weiterlebt. Eine nahverwandte lebende Sprache eignet sich immer besser dazu z.B. Rhythmus und Satzaccent zu erläutern | |
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als trockene Konstruktionsformen. Einige Punkte sollen hier erörtert werden. Zu den Diphthongen der minderbetonten Silben. In meiner urn. GrammatikGa naar voetnoot1) habe ich die Entwicklung der Vokale der Endsilben während der urnord. Zeit folgenderweise präzisiert: Ursprünglich kurze Vokale schwinden im 7. Jh., ausser. wenn sie durch nasale (n, m) und r gedeckt sind. Lange Vokale werden zu kurzen Vokalen und Diphtonge werden zu langen Vokalen (und später zu kurzen Vokalen). Es wird angenommen: ai > ē > e: *wangai > wangē (run.) au > ō > a: ahtau > *ahtō > átta (aisl.) eu, iu > i, e: maʒiu (Stentofta, 7. Jh.) > mege, megi (aisl.). Falls diese Lautgesetze überall Geltung hätten, wäre es eine leichte Sache die meisten Lautwandlungen des Urnordischen und des Altnordischen zu erklären. Betrachten wir zuerst die Wandlung ai > ē: es leuchtet sofort ein, dass z.B. dat. sg. dagai > *dagē > degi wurde, ebenso wie n. pl. des adj. *blindai + r > *blindēr > blindir. Auf dieselbe Weise hätte g. sg. got. anstais > *āstēr werden sollen und um die an. Form ástar zu erklären müsste man eine Analogiewirkung nach den Wörtern auf -ar (g. sg. der u-Stamme) annehmen (Noreen, Heusler u.a.). Die ai-Verba müssten auf ähnliche Weise analogisch umgestaltet worden sein: *wakain-*wakaiðō-*wakaiðat > *wakēn-*wakēðō-*wakēðat > vaka-vakpi (vakti) -vakat, denn ein direkter Übergang ē > ā kann doch kaum angenommen werden. Der Übergang ai > ē wird für die Fälle *dagai > *dagē, *blindair > *blindēr usw. durch urnord. Runenritzungen bewiesen, während kein ai-Verbum auch kein i-Stamm urnordisch belegt ist mit Ausnahme des etwas unsicheren þiŋwinaṛ auf dem Steine von Årstad in Norwegen (za 600), welche | |
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Form sonst darauf deutet, dass der gen. sg. der Masc. i-St. im urnord. neben -is (an. gests, grams, hams, slags, svans usw., Noreen3, § 377) eine Form auf -aiz gehabt habe (gen. staðar, hugar, fundar, sultar, vinar u.s.w., Noreen § 378). Ein verschiedener Satzaccent kann dies Phänomen sicherlich erklären. Man muss sich vor Augen halten, dass eine Wortform wie got. gen. anstais oder urnord. *anstair überhaupt niemals allein ohne Verbindung mit anderen Wörtern vorkam: das Wort stand immer (in der Prosa) innerhalb des Satzes. Die verschiedene Entwicklung von *blindair > blinder, *anstair > ástar kann eben durch den Satzaccent erklärt werden. Ein normaler Mensch legt niemals dieselbe Betonung auf alle Wörter und Wortbestandteile eines Satzes und je nachdem er in ruhigem Gemütszustand oder im Affekt spricht ändert sich der ganze Satzbau und damit auch seine Sprache:
Kank mála mjt
of manna sjt,
dichtete Egill und der Verfasser von Grógaldr wünscht: ‘máls ok manvits sé þér á munn ok hjarta gnóga of gefit’. Denn wer zu schnell spricht und seiner Zunge nicht Herr wird, kann viel Böses dadurch stiften, auch in sprachlicher Hinsicht, wie es in den Hávamál heisst: ‘hraðmaelt tunga
- opt sér ógótt um gelr’.
Wenn eine plötzliche Freude die Brust durchbebt, oder ein jäher Zorn über einen kommt, lösen sich die Zungenbande und die Sprache strömt hervor, wie ein quellender Strom im Frühjahr alle Fesseln des Winters zerreisst. ‘þá verðr jarlinn feginn ok verðr hraðmaeltr’ heisst es in den Riddarasgur; man vergleiche dazu: ‘die frouwen sind snelredig’ in den Marienliedern des Br. Hans, und später bei Fischart: ‘Weiber sind schnellredig und faulthätig’; viele solcher Beispiele könnten in allen Sprachen gesammelt werden.Wenn auch die inhaltsschweren Wörter im Gegensatz zu | |
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den minderwiegenden gewöhnlich einen schwereren Ton getragen haben, ist doch für das isl. Sprachgefühl einleuchtend, dass z.B.n. pl. des Adj. góðir u. dgl. im Satze gewöhnlich einen schwereren Ton getragen haben als z.B. gen. sg. ástar, indem solche Wörter dem Satzinnern angehört und daher leicht den in urnord. und urgerm. Zeit vorauszusetzenden Nebenton der Endung eingebüsst haben. Im Altnord. fängt ein Satz oft mit n. pl. eines Adj., z.B.: margir vóru aðrir góðir menn með Bglum (Fm. IX), enir beztu boendr (Sturl. II) u. dgl., während gen. sg. z.B. ástar kaum jemals im Satzanfang gestanden hat. Von grosser Wichtigkeit ist auch, dass eine Menge von Wörtern die Pluralendung ai + r (alle Adjektiva) sowie auch die Dativendung ai (alle a-Stämme) gehabt hat, während die Zahl der hierhergehörigen i-Stämme äusserst gering ist. Dasselbe gilt auch von den ai-Verben, die im Altnord. im Verhältnis zu den anderen Verben sehr selten sind. In diesen Fällen wurde ai > a; und wenn die Sieverssche Forschungsmethode der Intonation auch das altnord. Material verwertet hat wird dies noch deutlicher hervortreten. Vereinzelte Gelehrte haben den Übergang von ai > a angenommen wie z.B.R.C. Boer in seiner holländisch geschriebenen altnordischen GrammatikGa naar voetnoot1) und in einer Abhandlung über altnordische SprachlehreGa naar voetnoot2). Er nimmt an, bei den ai-Verben sei ai > a geworden im Partizipium und im Präteritum nach einer langen Silbe, während nach kurzer Silbe die Entwicklung ai > e > ĕ sei, z.B. vom an. Zeitw. skolla: *skollaiðō > *skollāðō > skollaða, während vom an. Zeitw. vaka die Entwicklung *wakaiðō > wakēðō > vakþa(vakta) gewesen sei. Wenn auch diese Wandlung sehr annehmbar ist, scheint der parallele Vorgang von iu > i auch nach kurzer Silbe (z.B. *suniur > synir, siehe unten) auf dieselbe Wandlung von ai > a auch nach kurzer Silbe hinzudeuten. | |
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Ferner hat Axel Kock den Übergang ai > a für einzelne Fälle angenommen; zu erwähren sind die von ihm aufgestellten Etymologien von an. afráð, das häufig in der entstellten Form afhroð (gjalda afhroð) auftritt, < *afraið und forað < foraiðGa naar voetnoot1), ferner dísarsalr < *dísa-air-salrGa naar voetnoot2) und das umstrittene herað < *hariraiða vom Zeitw. reiða = ausrüsten (Heeresausrüstung, Teilnehmer in der Ausrüstung des Heeres, darauf später Konkret = ein Bezirk, der an der Ausrüstung des Heeres teilnimmt)Ga naar voetnoot3). Auf ähnliche Weise ist ai < a geworden in urnordischer Zeit in dem Mannsnamen 'Alafr, Ólafr < *Anulaibar. In schneller Aussprache mit schwerbetonter erster Silbe und unbetonter 2. Silbe entstand die Form 'Alafr, während 'Aleifr auf eine Form mit Nebenbetonung der 2. Silbe zurück geht. Wir ersehen hieraus, dass ai in verschiedenen Fällen in unbetonter silbe zu a werden konnte, und dieser Verlust des 2. Komponenten eines Diphthongs gilt wahrscheinlich auch für die andern Diphthonge. Auf ähnliche Weise konnte ei > e werden, wahrscheinlich zu der Zeit, als ai als aei (tiefes, offenes e + i) gesprochen wurde, z.B. in den Verbindungen an. eindoemi: endemi, endimi, ferner *eitt-gi > ekki und an. ellifu < *ainlibun, vgl. got. ainlif. Auf ähnliche Weise kann die altnord. Schiffsbenennung elliði entstanden sein < * ein-lidi ‘der allein über das Meer fährt’, vielleicht ursprünglich Benennung eines Seekönigs und darauf übertragen auf das Schiff, zuerst als nomen proprium. In der Prosa kommt es zuerst vor in Landnáma I (Kap. 338) als Name des Schiffes des Ketilbjrn, darauf als Name des Schiffes des mythischen Königs Górr (Fornaldars. II, 5, Flat. I, 22) und des Romanhelden FriðþjófrGa naar voetnoot4), Die verbreitete Etymologie, dass es ein | |
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slavisches Lehnwort sei (aslav. alŭdija, ladija, lit. eldija, aldija) ist daher abzulehnen ebenso wie die von Finnur Jónsson angenommene Übernahme aus dem ags. ýd-lida = wave-traverser, das zuerst volksetymologisch él-liði umgestaltet sein soll (él = Schneesturm); wo es bei den Skalden vorkommt, reimt es immer mit kurzem Vokal. Ebenso wie die an. Namen Vetrliði, Sumarliði, Hafliði ist Elliði ein nord. Wort. Ferner hat man eine Parallele im an. Einriði, Eindriði, das später zu Indriði wurde (Beiname des þórr)Ga naar voetnoot1). Auf ähnliche Weise wie ai > a und ei > e konnte auch au > a und iu > i werden: der Diphthong verlor den zweiten Komponenten. Überblicken wir die wichtigsten Fälle, in denen au im Urnordischen in unbetonter Silbe stand: gen. sg. der u-Stämme: got. magaus: an. magar 1. Pers. sg. Präs. Opt. der Verba: got. bairau: an. bera 1. Pers. sg. Prät. Opt. der Verba: got. bērjau: an. baera; vgl. ferner 1. Pers. Opt. des Verbums sein: got. sijau: an. siá (das belegt ist, später aber in sie, sé umgestaltet wurde analogisch nach der 2. 3. sg.: sier, sér, sie, sé) und Wortformen wie got. ahtau: an. átta. Es liegt keine einzige urnordische Runenritzung vor, die den angenommenen Übergang au > ō (später > ā̆) beweist, und wenn man in Erwägung zieht, dass ein Wort wie z.B. gen. magar, sonar u. dgl. im Satze sicherlich eine ähnliche Betonung wie z.B. ástar, vinar (vgl. oben) gehabt hat und ferner, dass die Anzahl dieser Wortendungen sehr gering ist, kann man ebenso gut die Annahme aufstellen: urn. -au in *sunaur, *berau, *bāri̯au, *ahtau u. dgl. wurde direkt zu a: verlor den zweiten Komponenten. Der Diphthong iu kommt hauptsächlich vor: bei den u-Stammen: dat. sg. ahd. suniu: an. syni; n. pl. got. sunjus: an. synir. | |
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Ferner bei den ja-Verben: 1. Pers. sg. Präs. der langsilbigen ja-Verba: urnord. *sōki̯u > an. soeki, während Formen wie an. soekjum < sōki̯um, teljum < talium (1. Pers. Pl.) und tel < taliu (1. Pers. sg.) anders zu erklären sind. Auch beim iu kann man den Schwund des 2. Komponenten annehmen und die Vergleichung der überlieferten runischen Formen: Kunimu[n]ðiu (Tjurkö, 7. Jahrh.), maʒiu (Stentofta, 7. Jh.) und des got. n. pl. sunjus gegenüber an. dat. sg. megi, n. pl. synir lässt kaum eine andere Erklärung zu. Die wichtigste Stütze für diese Annahmė des Verlustes des zweiten Komponenten liefert ein durchaus paralleler Vorgang in der Weiterentwicklung der altisländischen Sprache. Es ist in dieser Verbindung von den Fällen abzusehen, wo in den aisl. Handschriften e für ei steht, wie im Stockholmer Homilienbuch: elífa = eilífa, rétléþasə usw., im Codex Regius der poet. Edda: helagt = heilagt, Cod. Wormianus: drefðiz = dreifðiz u. dgl. mehr. Solche Beispiele könnten zu Hunderten gesammelt werden, haben aber wenig Beweiskraft, da der Diphthong in diesen Fällen bis auf den heutigen Tag allein weiterlebt. In orthographischer Hinsicht sind die altisl. und altnorw. Handschriften mit viel Vorsicht zu verwerten; wo Diphthong und Monophthong nebeneinander in denselben Wörtern auftauchen, können nur der Reim und die lebende Sprache entscheiden. Ein Wort, das allein für sich schwerbetont ist, verliert häufig im Satze gänzlich den Ton, tritt in levissimus-Position ein. In Südisland fragt man: hvert atlarðu? (< hvert aetlarðu?) wohin gehst du? mit der Satzbetonung ; und nur dadurch, dass die Silbe völlig unbetont wird, erklärt sich der phonetische Übergang ai > a, während man auch sagen kann: hvert aetlarðu? mit der Betonung . Auf ähnliche Weise erklärt sich der Übergang von vesaelingur > vesalingur (armer Mensch), das allein üblich ist, indem vesaell (phonet. ai) in völlig unbetonter Silbe vesalingur werden konnte: . Vgl. noch isl. ein- | |
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lagt = immer, andauernd < einlaegt, zu einlaegr. Für den Übergang au > a liefern schlagenden Beweis die isl. Benennungen móalóttur (vom Pferde, mit einem bräunlichen Streifen längs des Rückens) < aisl. móálóttr < mór + álóttr von áll (á hat nämlich im neuisl. die aussprache āu). Ebenso bleikalóttur < bleikálóttr. In viersilbigen Wörtern liegt im Isländischen im allgemeinen der Ton auf der 1. und 3. Silbe, während die zweite Silbe völlig unbetont ist und diese Unbetontheit allein erklärt den Übergang von á (phonet. au) > a. Die Personennamen Gunnlaugr, Guðlaugr, Guðlaug werden im Isl. häufig Gunnlögur, Guðlögur, Guðlög geschrieben und gesprochen. Hier vollzieht sich der phonetische Übergang öy > ö. Der 2. Komponent geht verloren. Auf ähnliche Weise ist das an. lauðr (Meerschaum) im Nisl. löður geworden, wahrscheinlich zuerst in Kompositen wie sjávarlöður u. dgl.; dieser Übergang deutet darauf, dass die Aussprache des au in altn. Zeit öu gewesen sei (und darauf öy wie im Neuisl.). Für alle diese Fälle gilt, dass, wenn die Silbe völlig unbetont war, der Diphthong den 2. Komponenten verlor; und darum will ich für die oben besprochenen urnordischen Fälle das dort erörterte Lautgesetz folgenderweise modifizieren: Die Diphthonge der unbetonten Silben verloren im Urnordischen den 2. Komponenten, falls sie völlig unbetont waren (in levissimus-Position eintraten). Auf diese Weise wird ai entweder zu ē oder a, au entw. zu o oder a, eu, iu > e, i. Zum Wortschatze des Urnordischen. Ebenso wie lautliche Vorgänge im Isländischen zur Erklärung des Urnordischen beizutragen vermögen, kann der Wortschatz des Isländischen Aufschlüsse über den urnordischen Wortschatz geben. Es seien hier ein Paar Fälle erwähnt. Im Gotischen kommt das Wort þlaqus einmal vor als Übersetzung des griechischen ἁπαλός, Mark. 13, 28; Streitberg übersetzt es ‘zart, weich’. Dies Wort steht ohne Verbindung | |
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mit anderen german. Wörtern und keine sichere Etymologie kann angegeben werden. M.E. lebt das Wort weiter auf Island in der Form flökurt, flökurt, vgl. ad verða flökurt und flökurleiki (plötzliches Unwohlsein, Übelkeit); die Form flökult in Wörterbuche von Eiríkur Jónsson ist nur eine spätere Änderung und auch nicht üblich im Neuisländischen. Wie bekannt entspricht nord. fl got. þl (flýja: þliuhan u.s.w.), weshalb þlaqus im urn. *flakwur, später flökur ergeben würde. Dass dies Wort im Altn. nicht vorkommt ist ohne jeden Belang. Das isl. Wort ábristir (Gericht, das aus der Milch der Kuh in der 1. Woche, nachdem sie gekalbt hat, bereitet wird) schreibt man auf verschiedene Weise: ábristir, ábristur (Björn Halldórssons Lexicon), ábrestur (Gedichtsammlung Snót), ábreistur (Eiríkur Jónsson), ábrystir. Die Wörterbücher von Cleasby Vigfússon und Eiríkur Jónsson bringen das Wort in Verbindung mit áfr, áfir (buttermilk) und ysta (to curdle milk, in making cheese, < ostr (käse)). Finnur Jónsson verbindet dies Wort in seinem isländischen ‘Orðakver’ mit ahd. biost, piost und ags. bysting (neugl. beestings); doch gibt es Formen mit r im schweizerischen briest und briemst und einige haben daher dies Wort in Verbindung mit an. brjóst (Brust) setzen wollen. Auf Island heisst diese Milch bis aus den heutigen Tag broddur (< *urn. *brurdar), und darum scheint mir am wahrscheinlichsten, dass ábristir ursprünglich = áa (< *awavon aer ‘Schaf’) + brudd-t-ir sei, das zu brystir wurde (eigentlich bryztir) bei Zusammenkunft der Dentale (Explosionslaut wie z.B. bei der 2. Pers. sg. *braut-t < brauzt, *naut-t > nauzt von *briutan, *niutan). Die kürzere Form á statt áa hat man z.B. in á-sauðr (weibliches Schaf), während das suffixale-t in *brudd-t-ir in Wörtern wie mjaltir < *mjalk-t-ir vorkommt. Isl. ábrystir bedeutet daher soviel wie sauðabroddur und da dieses Milchgericht auch aus der Milch der Schafe bereitet wird, ist die hier gegebene Wortdeutung die natürlichste. Die Wörter der isländischen Volkssprache werden jetzt | |
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gesammelt und ein Teil in der isländischen Wochenzeituug ‘Tíminn’ veröffentlicht. Ich entnehme dieser Sammlung das Wort slaepa, f. = Schlaf, Schläfchen; dies Wort ist sicherlich uralt, bewahrt im an. slápr und slaepingr, während das Simplex slaepa auf urnord. *slāpiō zurückgehen muss. Die isl. Sprache ist bis jetzt nur bis etwa Mitte des 14. Jh. eingehend untersucht worden; es fehlt noch ein wissenschaftliches Wörterbuch des Mittel- und Neuisländischen, und eine Menge von Handschriften ist weder literargeschichtlich noch sprachlich verwertet worden. Ein grosses Feld liegt hier unbeackert und wird sicherlich reiche Ernte für die germanische Sprachwissenschaft bringen. Dass aber auch die anderen skandinavischen Sprachen, Norwegisch, Schwedisch und Dänisch vieles für unsere Kenntnis der urnordischen Zustände werden beitragen können, liegt auf der Hand. Ich habe mit den obigen Ausführungen nur die Richtlinien angeben wollen, nach denen sich die urnordische Sprache rekonstruieren liesse.
Reykjavík. alexander jóhannesson. |
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