Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde. Jaargang 40
(1921)– [tijdschrift] Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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I.Es dürfte bisher allgemein als sicher gegolten haben, dass zu den pronominalen kasus des starken adjektivums auch der acc. sing. masc. gehört. Nach Boer s. 200 ff. wäre dies nur in stark eingeschränktem sinne richtig. Die altnord. formen wenigstens möchte er - ohne sich über die westgerm. zu äussern - aus der nominalen grundform urgerm. *blindom, *blindan herleiten, und zwar im wesentlichen auf lautgesetzlichem wege, daneben freilich auch einen schwachen und vorübergehenden einfluss des pronomens annehmend. Dieses (die form þann) soll nämlich, als im urn. nominalen typus *stainan das n schwand, das n des adjectivischen *blindan, *ainan konserviert haben. Dagegen die erhaltung des a in anord. blindan hat nach Boer mit dem daneben stehenden þann nichts zu tun, sondern beruht auf der schweren sprechbarkeit der lautgruppe dn, die bei synkope entstanden sein würde. Wo rn oder nn entstanden (vgl. Noreen, Gesch. der nord. sprachen 3187), ist die synkope eingetreten. Daher das nebeneinander von blindan, kátan und von einn, hvárn, heitinn. Gegen diese konstruktion ist zweierlei einzuwenden: die art, wie die ausnahmen der vorausgesetzten synkope erklärt | |
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werden, ermangelt der analogien und ist methodisch fragwürdig; noch bedenklicher ist die isolierung des nordischen materials in einer frage, deren gesamtgermanische tragweite auf der hand liegt. Boer beginnt damit, die gleichung ‘anord. blindan = got. blindana’ zu bestreiten. Er legt gewicht auf die lautliche unstimmigkeit: *blindanō müsse *blindun ergeben. Aber wenige zeilen weiter muss er in bezug auf seine grundform *blindan erklären, sie sei tegen klankwettig verloop beschermd door den invloed van het pronomen þan(n). Was dem einen recht ist, ist dem andern billig! Auch das a von *blindanō könnte wohl durch das pronomen geschützt worden sein. Freilich ist die form þann selbst - was Boer ganz zu übersehen scheint - im gleichem sinne fragwürdig wie blindan. Wenn dieses unter der voraussetzung, dass es got. blindana entspricht, eigentlich *blindun lauten müsste, so müsste þann, wen es got. þana entspricht, *þn oder (schwachtonig) *þun lauten. Die von Boer mit recht hervorgehobene schwierigkeit verdoppelt sich also. Umso weniger ist sie lösbar auf dem von ihm beschrittenen wege. Es muss ein anderer gesucht werden. An dem engen zusammenhang von anord. blindan und got. blindana ist so wenig zu rütteln wie an dem von anord. þann und got. þana. Denn die bewahrung des n in blindan setzt einen urg. und urn. auslautenden vokal voraus, und ebenso die bewahrung des n im þann. Um rein lautgesetzliche entwicklungen kann es sich nicht handeln. Also sind- analogiewirkungen im spiel; die nord. formen müssen kompromissformen sein. Nun setzt urg. *þanō ein älteres *þan voraus, und es besteht kein grund anzunehmen, dass dieses durch *þanō alsbald verdrängt worden sei. Das nebeneinander von thana und than, thena und then im altsächs. dürfte abstammen von der urg. doppelheit *þanō-*þan, nicht in dem sinne, dass die formen paarweise lautgesetzlich identisch wären - *þan hätte doch wohl sein n verlieren müssen, wie der acc. sg. fem. -, sondern so, dass as. than, then kompromissformen aus *þan und *þanō sind; die | |
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assoziation der kürzeren form mit der längeren hat das n geschützt. Ebenso ist es im nord. gegangen. Hier hat aber zugleich die kürzere form auf die längere gewirkt, indem sie durch ihr vorbild deren a gegen den u-umlaut schützte. Da nun der pronominalkasus seit alters auch assoziiert war mit dem nach seinem muster gebildeten acc. des starken adj., so ist auch dieser gegen den u-umlaut geschützt worden. Er konnte ferner - darin treffe ich wieder mit Boer zusammen - seit urg. zeit die form *blindan annehmen nach dem vorbild von *þan. Das n dieses *blindan wurde dann gegen schwund geschützt durch das daneben stehende *blindanō und durch *þanō, *þan. Urg. *blindan ist mehr als eine theoretische möglichkeit, denn wir haben ja diese form ausser im anord. auch im as. und ahd., und dass sie aus *blindanō entstanden sein kann, beweist nicht, dass sie immer so entstanden ist. Es gilt von ihr dasselbe wie von den kurzformen than, then. An zweiter stelle leugnet Boer, dass die accusative des kürzeren typus, wie einn, mit got. ainnōhun zusammenhangen. Auch hier vermisst er - in fällen wie hvárn - den u-umlaut. Aber da der u-umlaut hier eine wurzelsilbe treffen würde, kann er sehr leicht durch systemzwang innerhalb des paradigmas beseitigt sein. Das bedenken ist also ohne gewicht. Es läuft darauf hinaus, dass die nord. formen mit gewalt aus sich selbst erklärt werden sollen. Überblickt man das germ. material vorurteilslos nach allen seiten, so kann man nicht zweifeln, dass die verbindung von an. einn mit ainnōhun und weiterhin mit ags. oenne schlechthin notwendig ist. Allerdings bedeutet dies nicht, dass einn und blindan ‘etymologisch verschillende waarden’ darstellen. Diese bildungen gehen in der tat auf ‘grondvormen van gelijke structuur’ zurück. Aber die gemeinsame grundform liegt nicht in der urn. schicht, sondern in der urgerm. Ich kann es nicht für zufall halten, dass die einzige got. wortform mit fehlendem mittelvokal, die wir antreffen, dieselbe bedingung erfüllt wie die meisten nord. be- | |
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lege für fehlenden mittelvokal in der gleichen kasusform: der vokal fehlt zwischen n-n. Nehmen wir hinzu, dass in ainnōhun vor und hinter dem fehlenden vokal lange silbe steht und die betonung offenbar ain-nṑ- gewesen ist, so liegt die deutung nahe: auch die got. form hat synkope erlitten. Wir finden also im got. eine wirkung desselben lautgesetzes, das im nord. gewirkt hat. Gotisch und nordisch haben ja bekanntlich auch andere lautgesetze gemein. Daraus folgt aber, dass einn ebenfalls auf eine dreisilbige grundform zurückgeht und aus ainnō entstanden ist. Die lautvorgänge, welche got. und nord. gemein haben, müssen mit ihren anfängen in sehr frühe zeit hinaufreichen, nämlich in die zeit vor der auswanderung der Goten aus Skandinavien. Dass das auch bei unserer erscheinung der fall ist, bestätigt ihre verbreitung auch über westgermanisches gebiet. Um zunächst bei ainnō zu bleiben, so kehrt es wieder in ags. aenne und in as. ēnna. Auch diese formen zeigen noch den endungsvokal, der im nord. geschwunden ist. Aber sie zeigen ihn infolge reduktion der nebentons verkürzt. Das ist die vorstufe zu dem nordischen schwund, der ebenfalls einen kurzen vokal (urn. *ainu) vorgefunden hat. Man könnte einwerfen, die westg. formen seien unter andern bedingungen entstanden als got. ainnō. Im ags. enden ja alle acc. sg. masc. starker adjectiva auf -ne, und im as. wenigstens noch manche andere. Es scheint sich also jedesmal nur um einen einzelbeleg für eine dialektische gesetzmässigkeit zu handeln. Dass man so nicht argumentieren darf, zeigt am deutlichsten das as. ēnna. Diese form ist bei einzelsprachlicher betrachtung ein schwerer stein des anstosses, denn sie durchbricht durch ihre herrschende stellung in den handschriften der bibeldichtung die gesetze für die verteilung von -an und -(a)na, die vom as. standpunkt erkennbar sind (vgl. Schlüter, Untersuchungen z. gesch. d. as. sprache 131 ff., besonders 135), und die sonst nur einzelne, inkonsequente ausnahmen leiden. Im lichte des nordisch-gotischen materials gesehen, wird as. ēnna | |
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sofort begreiflich; es zeigt, dass die nord.-gotische regel auch westg. gegolten hat. Auch andere spuren dieser regel finden sich im as.: Genesis 231 steht thῑnne, im Monacensis des Heliand zweimal thῑnna (V. 1067. 1589). Das ist = an. þinn. Hel. 3417, 3822 ist überliefert sílofrinna, silubrinna, eine form, die sich schwerlich wie hēlagna erklärt, sondern bei der ursprünglichen länge ihrer ableitungssilbe eher wie gehalōdan, liggandan (Schlüter 136) zu beurteilen ist, also wol an. gullinn, heitinn gleichzustellen. Sonst sind von stämmen auf -n nur die possessivpronomina ‘mein’ und ‘sein’ belegt, die nur mīnan und sīnan bilden, also der analogie der gewöhnlichen adjectiva und besonders wol von ūsan, iuwan unterlegen sind. Die vereinzelt vorkommenden lefna, gōdene erklären sich wol als entgegengesetzte analogiewirkungen. Dass die durchgehenden -ne des ags. nicht alle lautgesetzlich sind, sondern verallgemeinerung vorliegt, ist von vornherein anzunehmen. Die umgekehrte verallgemeinerung haben wir im ahd., wo der kasus immer auf -an ausgeht. Zu grunde liegen dürfte in beiden sprachen ungefähr der as. zustand (hardan, aber ēnna; mikilan, liggandan, aber hēlagna). Für dessen ursprünglichkeit spricht seine nahe verwantschaft mit dem nord. Dass die beiden nachbarsprachen nicht genau das gleiche bild zeigen, ist nur, was wir erwarten. Im nord. erscheint -n aus -nō auch nach -r (was weder aus as. ōðerna noch aus skīrana, skīrianne sicher als as. erschlossen werden kann), die konsonantische beschränkung gilt aber auch für ableitungssilben, bei denen dafür kurze wurzelsilbe keine ausnahme schafft (farinn wie heitinn). Wahrscheinlich sind im as. die ableitungen auf -n das vorbild geworden für die andern. Der vokal, der synkopiert wurde, war nicht a, sondern i. Das zeigen der stein von Strand, in dessen abgelegener gegend dreisilbige formen wie mīninō - man beachte wieder n-n - nach im 6. jh. lebendig gewesen zu sein scheinen, und der umlaut in ags. aenne. Auch. got. ainnōhun müssen wir danach zunächst auf *aininō- zurückführen. Dieses i lässt sich zwang- | |
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los auffassen als unter dem schwachton aus a entstanden.Ga naar voetnoot1) Das nord. i, das in bundinn, Òðinn aus a entwickelt ist, bewirkt keinen umlaut. Das braucht nicht die folge seiner qualität zu sein; es erklärt sich auch aus seiner entstehungszeit. Die urgerm. i aus unbetontem e dagegen bewirken umlaut. Es dürfte unbedenklich sein, diese kraft da, wo der i-umlaut am frühesten und am leichtesten sich einfindet, auf anglofries. boden, auch einem i zuzutrauen, das aus ə, a urgerm. entstanden war. Die vereinzelung des (mehrfach belegten) got. ainnōhun erklärt sich daraus, dass im got., der starken gleichmachungstendenz dieser sprache gemäss, der vollere endungstypus den kürzeren fast ganz verdrängt hat, so dass letzterer nur beim verneinenden ainshun erhalten blieb. Lautgesetzlich wäre *ainna, *meinna usw. (wenn letzteres Mth. 11, 10 im Cod. arg. geschrieben erscheint, so ist das jedenfalls nur ein lapsus calami). Auch in den andern dialekten, mit einziger ausnahme des ags., hat blindan um sich gegriffen. Die synkope trat ja nur in einer minderheit von wörtern ein. Der schwund zwischen n-n ist nicht, wie Boer meint, ein sonderbar beschränkter fall der nordischen synkope, sondern ein älteres lautgesetz, einer der vorläufer der nord. synkopen. | |
II.S. 214 f. führt Boer die verschiedenheit in der entwicklung der praeteritaltypen *dugaiðō (dugða) und *kallōðō (kallaða) darauf zurück, dass durchaus überwiegend der erste kurzsilbigen, der zweite lang- und mehrsilbigen stämmen zugehört. Der schwund langen mittelvokals ist lautgesetzlich unmittelbar nach kurzer tonsilbe, sonst nicht. Diese auffassung kaun zunächst befremden. Denn sie scheint dem zu widersprechen, was die synkope im praet. der iann- | |
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verben einwandfrei lehrt, nämlich dass nach kurzer tonsilbe auf die folgesilbe ein stärkerer akzent fiel als nach langer. Hierauf gestützt, benutzt A. Kock umgekehrt die kürze der wurzelsilbe der meisten ai-verba dazu, um die bewahrung des ai als a im part. lifat zu erklären (Sv. ljudhist. 4, 168). Und dieser gedanke Kocks muss wol richtig sein; die gegenbeispiele horft, skort sprechen deutlich genug. Zunächst sei festgestellt, dass zwischen dieser folgerung Kocks und der lehre von Boer ein widerspruch nicht besteht. Wie Boer ausführt (und wie schon zfda. 49, 315 von mir betont wurde), standen die mittelvokale im praet. und in den wichtigsten formen des part. unter verschiedenen bedingungen. Wir haben einerseits die betonungs- und quantitätenfolge , andererseits . Nur bei langer, später nicht synkopierter dritter silbe war der lange vokal der mittelsilbe so schwach betont, dass er schwand. (Dagegen ist bei langer wurzelsilbe die beschaffenheit der ultima gleichgültig: kallaðr wie kallaða.) Daran schliesst sich die frage, wie sich die festigkeit des i in dem typus taliðō, talða zu dem schwund des ai in *dugaiðō, dugða verhält. So viel scheint klar, dass dieser schwund zunächst nicht mit der bewahrung jenes i zusammengestellt werden muss, sondern damit, dass es ebenfalls schliesslich geschwunden ist. Wahrscheinlich wurde ai über ē zu i und schwand dann mit dem i von *taliða zusammen. Das betonungsschema war in beiden fällen seit alters dasselbe: . Die mittelsilbe war also die schwächst betonte des wortes. Ihre akzentstärke nahm mit der zeit ab, so dass ihr vokal reduziert und schliesslich das wort zweisilbig wurde. Auch dieses rätsel scheint sich also zu lösen.Aber wir müssen weiter fragen: warum zeigt sich ein solcher parallelismus in der entwicklung langer und kurzer mittelvokale nicht auch bei langer tonsilbe? warum erleidet *dṑmiðō frühe synkope, aber *kállōðō überhaupt keine? Die ursache kann nur darin liegen, dass nach langer ton- | |
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silbe auf den langen mittelvokal - und nur auf diesen - ein starker nebenton fiel: . Er ist bekannt aus der metrik: er hann váknàði, httkállàði (vgl. ags. swā rxòde, secg wsàde). Das zeugnis der stabreimverse wird bestätigt durch das der altdeutschen endreimkadenzen: gode tháncṑdun, the sīn beidṑdun. Boer sagt: *kallōðō wurde in zwei sprechtakten gesprochen. Dies hat einen guten sinn, wenn gemeint ist: auf der zweiten silbe setzt ein neuer starkton ein (später bedeutet ‘sprechtakt’ aber bei Boer etwas anderes). - Dagegen kurzer mittelvokal war ganz schwach betont, schwächer, als wo er nach kurzer tonsilbe stand, wie die gemeingerm. frühen synkopen zeigen. In diesem falle stand der nebenton auf der dritten silbe. Die eröffnete den zweiten sprechtakt.
Zusammenfassend können wir sagen: die synkope in dreisilbigen wörtern richtet sich nach der lage des zweiten akzenthubs, insofern sie vor diesem eintreten muss und nur das treffen kann, was noch unter den ersten, den hauptakzent, fällt. Wenn dieser mehr als eine silbe deckt, so kommt diesem 'mehr' nur so viel nachdruck zu, wie die erste silbe übrig lässt. Eine kurze silbe aber lässt mehr nachdruck übrig. als eine lange. Daher hatten in *táliðṑ und in dúgaiðṑ die mittelsilben mehr nachdruck als in dṑmiðṑ und erlagen der synkope weit später. Aber synkopiert werden alle mittelvokale, die sozusagen nur von akzentresten leben. Erhalten bleiben nur solche mit eigenem akzent, und das sind die langvokalischen hinter langer oder mehrsilbiger wurzel. Warum tritt nur hinter langer oder mehrsilbiger wurzel neuer akzent auf, und nicht auch hinter kurzer? Boer sagt: wenn die erste silbe kurz ist, kann sie nicht einen sprechtakt füllenGa naar voetnoot1). Das ist ganz richtig, obgleich es gar nicht grammatisch klingt, sondern metrisch. Es ist eine tatsache, dass dúgaiðṑ nach dem betonungsschema von kállōðō zu sprechen | |
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die grössten schwierigkeiten macht, nicht bloss im verse. Wir bedürfen zwischen zwei nachdrucksgipfeln einer senkung und stellen diese, wenn sie nicht durch eine schwachtonige silbe dargestellt wird, dadurch her, dass wir die erste nachdruckssilbe dehnen, ihr einen nachdruckslosen anhang geben. Das geht aber nur, wenn die silbe ‘lang’ ist. Ist sie kurz, so können wir uns höchstens durch einlegen einer pause helfen. Pausen mitten im wort aber sind eine anomalie. Daher wäre *dúgaō eine durchaus unwahrscheinliche, um nicht zu sagen: unmögliche betonung, während *kállō normal ist. Ebenso ware *talō ausgeschlossen, dagegen *dṑmō möglich. Wenn dieser letzte typus unvertreten bleibt, vielmehr die lautgeschichte darauf hinweist, dass die betonung *dṑmiðṑ die allein übliche gewesen ist, so erklärt sich dies aus analogischer durchführung der betonung -iðṑ, die hinter kurzsilbigen wurzeln entwickelt war. Ebenso ist die betonung -aiðṑ von den kurzsilbigen verben auf die - numerisch stark unterlegenen - langsilbigen ausgedehnt worden. Bei den
ian-verben bedurfte es des gewichtes der zahl nicht, weil die quantitätsverhältnisse die steigende akzentbewegung begünstigten.
Wesentlich dieselben betonungsgesetze wie im urnord. haben im ahd. gegolten. Das ist bisher, soweit ich sehe, nur zum teil, und zwar zum unwichtigsten teil, erkannt worden. Ahd. hōrta neben nerita weist auf die gleiche feste akzentfolge -iðṑ und auf den gleichen nachdrucksunterschied der schwachen i wie die nordischen verhältnisse bei doemði, talði (dasselbe gilt von as. dunida neben nōdda und von ags. dēmde neben fremede). Die parallele reicht aber noch bedeutend weiter. Sie erstreckt sich auch auf den unterschied zwischen nebensilben mit eigenem akzent und solchen, die vom rest des hauptakzents leben. Zwar sind im ahd. (as. und ags.) auch letztere zum teil noch erhalten (nämlich soweit sie hinter kurzer wurzel stehn), doch ihr schwacher akzent ist aus der metrik zu ersehen. Diese kennt bei kurzstämmigen dreisilbi- | |
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gen verbalformen nur betonungen wie ginéritì, spárōtì, ságētà, lébētà, während entsprechende langstämmige formen normalerweise anders rhythmisiert werden (s.o.). Auch wenn es nicht aus sprachgeschichtlichen anzeichen - wie der entwicklung von ahd. súlīchè, wélīhhè - hervorginge, dass die betonung
ságētà sprachgemäss war und nicht etwa nur eine metrische erscheinung istGa naar voetnoot1), so würde doch hieran nicht zu zweifeln sein wegen der schlagenden übereinstimmung mit dem befund der nordischen synkopen. Ahd. zélitùn, ságētà, lébētà veranschaulichen die vorstufen von an. talðun, sagði, lifði, wie ahd. dánktà die von an. þakkaða. Wie die ahd. betonungen dadurch gesichert werden, so lehren sie umgekehrt die richtige beurteilung der nordischen formen. Sie bestätigen meine these, dass in an. lifði ein langer mittelvokal = got. ai synkopiert ist, und ebenso die these Boers, dass diese synkope bedingt ist durch kurze wurzelsilbe.
Altertümlicher als die an. verhältnisse sind die ahd. auch insofern, als es die gleichmachung der betonung durch ganze verbalklassen im ahd. nicht so gibt wie im nord. Kurzsilbige ō-verba betonen wie kurzsilbige ē-verba (sítōtì, spárōtì, bádōtà, bétōtùn); langsilbige ē- wie langsilbige ō-verba (fólgḕtun, gihártḕti; doch auch einmal nirsmhētìn). Hierdurch musste der übertritt aus einer klasse in die andere erleichtert werden. Die nord. akzentschematisierung ist aber doch nur die fortsetzung einer gemeingerm. entwicklung, nämlich der festlegung des nebentons auf der endsilbe von -iðṑ, im Gegensatz zu dem freien wechsel von -ṑðō: ōðṑ, aìðō: aiðṑ. Im nord. sind auch diese typen uniformiert worden.
Lachmann hat über die betonung der ahd. dreisilbler eine kurze regel aufgestellt. Weil der versgebrauch lehrt, dass bei kurzer wurzelsilbe der nebenton regelmässig auf der dritten silbe liegt, folgerte Lachmann, bei langer wurzelsilbe liege der nebenton regelmässig auf der zweiten. Ein solches schlussver- | |
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fahren kann nicht überzeugen; es ist zu schematisch. Man darf nun aber auch nicht den spiess umdrehen und etwa aus der synkope in hōrta den obligatorischen nebenton auf der dritten silbe des typus ableiten. Die betonung im praet. der ian-verba ist, wie wir sahen, das ergebnis eines systemzwangs. Anderswo kann es sehr wohl die betonung gegeben haben. Die rhythmisierungen bei Otfrid im versinnern sprechen dafür, dass die betonung des gleichen wortes schwankte, je nachdem ob die folgesilbe betont oder unbetont war (Wilmanns zfda. 27, 133; Der altdtsche. reimvers 108 f.). Dies gilt auch von dreisilblern mit langer mittelsilbe (so man drúhtne scal - zi theru drúhtīnès giburti, thúrnīnà coróna). Das streben nach abwechslung stärker und schwächer betonter silben, das sich hier zeigt, ist eine spracherscheinung, nicht etwa ein ausfluss des metrischen jambenschemas. Das bestätigen die synkopen, deren stelle im längeren wortkörper sich nach demselben prinzip verschiebt wie die nebentöne bei Otfrid. Der nebenton in wörtern wie druhtīn, sālida folgt dem hauptton auf dem
fusse, wenn die dritte silbe nach diesem wieder gehoben ist; er rückt auf die zweite silbe nach dem hauptton vor, wenn erst die vierte silbe wieder gehoben ist. Damit vergleiche man einerseits urg. gen. pl. *haílàgizḕ > an. heilagra, ace. sg. *haílàginṑ > as. hēlagna, andererseits acc. sg. *haílagànō > an. helgan. Auch für den nebenton auf langer mittelsilbe bezeugen nord. and ags. synkopen ein derartiges schwanken: nom. pl. gullnar (ahd. guldīno), aber gen. pl. gullinna (ahd. guldīnero). Die betonung gúldīnò, gúldīnàz wäre im ahd. verse nur möglich in verbindungen wie guldīnaz gireiti. Die nord. synkope dagegen weist darauf hin, dass solche betonung auch sonst möglich war. Dafür sprechen ferner fälle wie an. lausnar = got. lauseinais. Der starke nebenton auf der zweiten silbe von *kállṑðō ist ebenso wie die betonung -iðṑ nur eine an die formkategorie gebundene gewohnheit; eine regel, wonach lange mittelsilbe nach langer wurzel immer nebentonig sein müsste, gibt es
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nicht. Wenn guldīn und andere stoffadjectiva noch mhd. ihr ī und also ihren nebenton bewahren, so ist das eben auch eine formkategorie gewesen. Die kategorie der practerita auf -ōta, seit ahd. zeit gespalten in die typen dánkṑta und bádōtà, hat ihr ō, abgesehen von dialektischen resten, nicht bewahrt; schon Notker schreibt skadotôn, skaffoên, minnoe ohne zirkumflex auf dem o, was akzentlosigkeit bedeutet (Braune Ahd. gramm. §§ 310 a. 5. 366 a. 2). Die stoffadjektiva auf -ïn selbst zeigen nicht bloss im nord., auch im ags. frühen rückgang des nebentons, so dass sie den adjektiven und part. auf -in lautlich gleichstehen: ags. gylden wie bunden, an. gullinn wie bundinn; und auch in den synkopen äussert sich diese gleichstellung. Wahrscheinlich ist das ī in den nördlichen mundarten früh gekürzt worden. Das wird ausgegangen sein von betonungen wie got. tríweinà. Allerdings sind die kurzsilbigen stämme in dieser kategorie sehr selten. Es müssen also andere gründe hinzugetreten sein. Der dat. sg. ahd. guldīnemo erscheint ags. und nord. mit schwund der letzten, bewahrung der vorletzten silbe als gyldnum, gullnu(m); hatte also einst die betonung got. gúlþeinàmma (vgl. ahd. ḗwīngan u. dgl.), welche kürzung und weiterhin schwund des ī
zur folge hatte. Dieser gerade bei stoffadjektiven nicht seltene kasus (vgl. an. meðgullnu laufi, gullnum stóli á) konnte, unterstützt durch sandhi-gruppen wie gúldīnàz gireiti, die vermischung mit den in-bildungen herbeiführen. In dem typus an. lausn = got. lauseins dürfte die synkope zusammenhängen mit dem alten schleifton auf der endung -aiz > -ar des gen. sg. der i-stämme.
Immer handelt es sich um entscheidungen von kategorie zu kategorie. Besonders lehrreich sind die fem. abstracta auf iðō. Das nord. und ags. zeigen sie in gestalten wie an. maerð, ags. maerðu, die sich zu got. mëriþa nicht anders zu verhalten scheinen als an. doemða, ags. dēmde zu got. dōmida und also den schluss auf das allgemeingültige betonungsschema scheinbar begünstigen. Aber das ahd. hat trotz hōrta gleichwohl mārida, sālida usw. Und im as. gehen māriða, diuriða,
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hēriða mit diurða, hōnða, sālða durch einander. Man könnte diesen zustand erklären wollen durch einfluss kurzsilbiger stämme. Aber solche sind nur in verschwindender minderheit vorhanden. Andererseits schafft man durch die wohlfeile annahme solcher analogiewirkungen das gesamtbild nicht aus der welt, das von süden nach norden hin eine allmähliche verschiebung von einem extrem ins andere zeigt und entschieden den eindruck macht, dass es sich um verschiedene altersschichten handelt. Dieser eindruck wird verstôrkt durch die beobachtung, dass z.b. ahd. sālida mhd. saelde wird; das hd. erreicht also mit der zeit ebenfalls die stufe des ags. und nord. Die längere bewahrung des mittelvokals kann aber keinen andern grund haben, als dass dieser noch einen nebenton trug, den er weiter nördlich schon verloren hatte. Diesen nebenton bezeugt uns Otfrid durch seine massenhaften versbetonungen wie slida. Die sandhi-betonung zi sālidòn gizaltēr veranschaulicht daneben, wie sich die schwächung des i schon früh angebahnt hat.
Der betonungstypus slìda hat es Lachmann angetan. Weicht er doch so stark ab von dem uns geläufigen, und hat er doch etwas reizvoll kräftiges an sich. Lachmann hat seine bedeutung überschätzt, ihn in falschem lichte gesehen. Aber er hat ihn doch entdeckt, und das bleibt sein verdienst. Man sollte diese entdeckung nicht leichtsinnig preisgeben, indem man in einem Eddaliede die betonung ‘váknaðí’ für möglich hält.
Charlottenburg. gustav neckel. |
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