Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde. Jaargang 22
(1903)– [tijdschrift] Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Aus dem Wortschatz der Kopenhagener St. Lutgart.Willem van Afflighem, der interressante verfasser der von Van Veerdeghem herausgegebenen St. Lutgart, gebraucht häufig adverbiale verbindungen mit ginde (aus gehinde, lautliche nebenform von gehende, nnl. heinde), deren bedeutung in der ausgabe nicht überall so überzeugend dargelegt ist, wie es wünschenswert wäre und, bei grösserer ausführlichkeit als sie die kurzen anmerkungen gestatteten, auch nicht so schwer ist. Auch in anderen texten kommt es wie hier vor, dass das eigentlich ja ‘nahe’ bedeutende adverbium sich mit praepositionalverbindungen mit in oder binnen zusammenfügt. So in folgenden beispielen, die ich dem Mnl. Woordenb. entnehme: in enen cloester, die daer lach bi, in ses milen gehinde na den castele. Verdam übersetzt, auch fürs deutsche am zutreffendsten, ‘in einem abstand von 6 meilen vom Kastell’, wie er auch bei bi sagt dass es zuweilen das selbe bedeute wie van - af; twee milen bi ‘op twee mijlen afstand’. Hoffentlich kommt darauf hin nicht jemand und sagt dass gehende und bi die gegensätzlichen bedeutungen ‘nahe bei’ und ‘im abstand von’ in sich vereinigen. Ich führe ausserdem nur noch das beispiel binnen vijftien milen ghehende an. Man könnte zunächst meinen, in und binnen seien in diesen ausdrücken wirklich räumlich zu verstehn, ‘in einem umkreise von 6 meilen’. Doch dürfte sich eine vorstellung mit räumlich gemeinter praeposition in oder binnen nicht so leicht rechtfertigen lassen. Wir würden dabei eher auf die praeposition auf, nl. op kommen, wie in der mnl. und nnl. verbindung op .... na: op drie dachvaert na, op verre na (Mnl. Wdb. IV 2047 f.), die sonst geeignet ist, das synonyme in (binnen) .... ghinde zu erläutern. In und binnen sind aber vielmehr in übertragener bebedeutung aufzufassen, sie stehen, um, wie Verdam es ausdrückt, | |
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‘de grens aan te duiden, welke men bij het bepalen eener maat al of niet overschrijdt’. Sie geben also das mass an, innerhalb dessen die annäherung oder die entfernung zu verstehn ist. So ist bei, die praepos. der annäherung, gebraucht in unserem bei weitem, und entsprechend auch mnl. bi in bi ere milen Cortrike ghehinde (anderseits auch der genitiv bi der Joyosergarde ghehinde ere halver mile). Die notwendigkeit dieser auffassung von in und binnen ergibt sich auch aus den gleich anzuführenden verbindungen binnen velen u. ä. In der Lutgart begegnen nun folgende ausdrücke in zeitlicher anwendung, die nach dem was hier vorausgeschickt ist ohne weiteres klar sind: der vrowen vite Die ic in ellef ijaren ghinde Volseget hebbe in twee der deele III 30 ‘die ich bis auf ihre letzten elf lebensjahre in den beiden ersten teiles meines buches zu ende erzählt habe’; Die vite brengen toten inde, Dis ic in ellef ijaren ghinde Volcomen ben III 112 im gleichen sinne; doe si in ellef ijaren ghinde Was comen na des lives inde III 131; Doe si in VII dagen ghinde Genaket was hars lives inde III 3345; doe die godes brut In enen ijare ghinde al ut Har oude leven hadde bracht III 2312; doe noch die maget .... bat was genaket Der uren van des lives inde, Dat was in XII dagen ghinde Of daer omtrent III 2560; Dat gi in corten dagen ghinde Vollevet hebt ende uwen inde Sijt harde nakende III 2479 ‘bis auf wenige tage’; dat si in corten tiden ghinde Genaket es des lives inde Ende saen bekoren moet der doet II 12685 ‘bis auf kurze zeit’. In übertragener bedeutung heisst es Die schone exempele ende waer Dire ic elwaer in velen ghinde So groet din koever [vorrat] niet ne vinde II 10389 ‘in grossem abstand nicht, bei weitem nicht’; Want die u des in velen ghinde Berechten soude, en wart geboren In hondert ijaren hir te voren III 1930 ‘in grossem abstand, auch nur annähernd’. Genau so wie hier in velen ghinde wird sonst - ohne ghinde - binnen velen gebraucht: ic wane niet dat enich ridder so goet si binnen velen; want ic en weetse niet binnen velen; auch ic wane noit man en sach binnen der helt so diere graveele ‘auch nur halb so | |
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kostbaren sand’ (s. Mnl. Woordenb. s.v. binnen). Weiter finden wir bei van Afflighem Want hi niet ne mochte Genaken hare in verren ghinde II 5107 ‘auch nur von weitem’ und schliesslich so dat si was bi niwte ghinde Welna volcomen toten inde Van haren live ende op die doet II 7203 ‘so dass Lutgart (infolge eines grossen blutverlustes) in einem abstand von beinahe nichts am tode war’. Niewet hat also durchaus nicht, wie der herausgeber glaubt annehmen zu müssen, hier seine negative bedeutung abgelegt. Zu weiterer verdeutlichung der ausdrücke mag noch auf die bekannten mnl. nergens na, niewer na in der bedeutung ‘in keiner weise beinahe’, d.h. ‘bei weitem nicht, lange nicht, ganz und gar nicht’ hingewiesen werden, die von De Vries in Taalk. Bijdragen II 46 ff. und im Mnl. Wdb. behandelt sind. Niet in verren ghinde oder in velen ghinde niet in den obigen beispielen könnten mit niewer na vertauscht werdenGa naar voetnoot1) Das wort metsamheide II 907, in der erzählung wie Jacob von Vitry durch Lutgarts eifrige fürbitte von einer sündigen liebe befreit wird, so das er sent nemmermeer ne gherde der metsamheiden van der vrouwen, erfordert jedesfalls eine besprechung. Der herausgeber hat seinerseits nichts darüber bemerkt. Möglicherweise hat er an eine bildung von der praeposition met gedacht mit der bedeutung ‘gemeinschaftlichkeit, verkehr’. Er könnte sich dafür auf medesamicheit ‘das Zusammensein’ bei Schiller-Lübben VI 216 berufen. Aber an der betreffenden | |
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stelle, wo von frundlike und lefflike medesamicheit und bywesen die rede ist, wird wohl das selbe wort gemeint sein auf das mich Verdam verweist. Durch den artikel medesam in seinem Mnl. Woordenboek dürfte allerdings die möglichkeit eines metsamheide ‘freundlichkeit, freundlicher umgang’ für unsern text gerechtfertigt sein. Indessen scheint diesem midisam der begriff des mildfreundlichen, gutmütigen vor allem anzuhaften, der mir in diesen zusammenhang nicht sonderlich passt. Dazu kommt der wettbewerb eines anderen wortes, das unter umständen graphisch gar nicht von dem verschieden ist, was hier als metsamheiden gelesen ist, nämlich nietsamheiden. Nietsam ist allerdings nach dem Woordenb. bis jetzt im Mnl. auch nicht belegt, doch scheint mir unsere stelle nachdrücklich genug wenigstens für die möglichkeit zu sprechen, dass dies wort, ahd. nietsam ‘desiderabilis, angenehm’, as. niudsam ‘hübsch’ auch mnl. noch lebendig gewesen sei. Nietsamheide wäre hier wohl am zutreffendsten mit ‘reize’ zu übersetzen. Das grundwort niet gebraucht der verfasser in der bedeutung ‘eifer’ öfters, z.b. II 956; 3922. II 6020 staie ist vielmehr das afranz. (e)stage; vgl. wegen der schreibung z.b. 10583 Gaies = Gages. Das lehnwort war schon im Mnl. weiblich, wie die neuere form étage im Nl. und Deutschen. Man hat für das entlehnte staie = stage, staedse, sonst ‘tribüne, erhöhter platz’, die hier notwendige bedeutung bezweifelt. Aber ohne grund, denn dem auf einer bildung *staticus von stare beruhenden worte kommt die bedeutung durchaus zu; im Afrnz. sind belegt u.a. ‘wohnung, verbleibplatz, auch aufenthalt in abstractem sinn; aufenthaltsort, standort’. An unserer stelle kann ‘platz’ in mehr abstractem sinn gemeint sein oder auch ‘der für eine einzelne person besonders zugerüstete platz’. Eine andere erklärung für staie bleibt gar nicht übrig. Jedesfalls sollte man es heute nicht mehr in diesem text als lautliche entwicklung eines wortes stade ‘platz’ erklären, das zudem gar nicht einmal besteht. Die bedeutung von livecheide II 7189 und sonst würde ich | |
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etwas einfacher umschreiben als der herausgeber: livech ist ‘am leben seiend’, livecheide das entsprechende substantivum, also ‘das lebendigsein’; so was hare al benomen van livecheiden die gedane ‘sie hatte das aussehen des am leben seins verloren, sie zeigte die totenfarbe oder ein totenangesicht’. Arger(e) II 9925 ist keineswegs ein unserm ärger entsprechendes abstractum sondern nicht anders wie II 12205 das nomen agentis für den teufel, und zwar in der bedeutung ‘schädiger’, nicht ‘verderber’. In uut chelkine II 11200 ist das erste u um so eher als v zu nehmen, als uu in unserer handschrift keine schreibung für û ist. Wir haben es dann höchst wahrscheinlich mit einem diminutivum des wortes vutsel, futsel bei Kiliaan, nwestfläm. futsel ‘fetzen’ zu tun. Die formen der mittleren consonanten lassen sich für unsere handschrift nicht mit aller sicherheit bestimmen, doch kann tatsächlich vutchelkine gemeint sein, mit ch als zeichen für scharfes s, wofür die hs. öfters c, in geecele, loecen, Prucen u.ä., einmal auch sc und in chinxen III 3339 gleichfalls ch hat. III 12766 ist verssaget zu lesen mit ss für scharfes s, wie in den Inleiding XLIV angeführten beispielen, ferner z.b. verssaget II 1723; 1758, gessalueert II 12362; III 808. - III 855 scheint gerivet nicht zu passen, während geriset in der alten bedeutung ‘zukommen’ sehr passend wäre. - III 4572 verduren ist ‘überdauern, überleben’, das selbe was 4636 mit verleven ausgedrükt ist. II 11867 verwrachtt ‘ingesloten, weggeborgen’, auch 12935, kommt nicht von verwerken sondern, wie die form verwrachtet II 12040 beweist, von verwrachten, einer ableitung von *wracht ‘einfriedigung, zaun’. Fürs Mnd. werden wrechte und wrechtunge ‘zaun, einfriediging’ angeführt, n.westfäl. frächtung ‘einfriedigung von weiden und ackerland’. Doch ist das angebliche wrechte wohl nichts anderes als der plural jenes wracht, woneben im östl. mnl. und mnd. auch wrucht (eigentlich fries.?) vorkommt. Das collective gewrechte, auch mnd., ist im Teutho- | |
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nista ausgiebig bezeugt als ‘einfriedigung, zaun, eingefriedigter ort, schafpark, schranke im gerichtssaal und am altar’ (s. Verdams ausgabe). Das von wrechtunge vorausgesetzte verbum, mnl. wrachten findet sich auch im älteren Nd.: Westhoffs Dortmunder Chronik (Chroniken d. deutschen Städte, Bd. 20) s. 421, 11 ff. Die van Dortmunde seint ..... uetgezogen und hebben nicht geringen tael van tunen dale geretten, damit unbillicher wise etliche gemeine heiden und weiden, so in behoef der gemeinen verschaffet [wohl burschaft zu lesen] to Brechten und ander darumb her unbewrechet [wohl in unbewrechtet zu bessern] solten open liggen, umbtuent worden; und dusses lants also umbtuent und bewrechtiget heft ungeveerlich over 200 morgen lants in sich gebat. Mit diesem bewrechten, bewrachten berührt sich merkwürdig bewerken, das im Mnl., Mnd. und Mhd. dieselben bedeutungen hat wie jenes. Von den formen bewrachte, bewracht und, wenn wir nach dem nomen wrucht auch ein bewruchten, bewrochten annehmen dürfen, so auch von den formen bewrochte, bewrocht wird also kaum zu entscheiden sein, ob sie zu dem einen oder dem andern gehören. Ist das subst. wracht gleich germ. wraht, so kann es, wie ich schon in meinem Etym. Wdb. unter wreken angenommen habe, zur sippe von rächen gehören; vgl. besonders gr. εἴργειν ‘einschliessen’, εἱργμός, εἱρϰτή ‘verschluss, gehege’, skr. vrjánam ‘umhegung, umfriedigter platz’, vrajás ‘zaun, umhegung, stall’, ir. fraig ‘wand’, gael. fraigh ‘wand aus flechtwerk’. Auch ags. wraxlian, fries. wraxlia ‘ringen, wursteln’ kämen in betracht. Als germ. *wrāht aus *wranht dagegen könnte es sich zur sippe von engl. to wrench, nl. wringen und als *wraiht - mit entwicklung des vocals wie in fracht - zu got. wraiqs und der sippe von nl. wreef oder wriggelen, wrikkelen fügen. Ob wrucht etwa secundäres u für e haben kann oder alten ablaut enthält, weiss ich nicht zu sagen. Die zusammenstellung unserer sippe mit gr. εἴργειν bleibt aber wohl das wahrscheinlichste. II 694 bedeutet ter vighen leggen, wie mir scheint, ‘mit der feige (oder feigbohne) vergleichen’, wie sonst legghen mit teghen | |
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gebraucht wird, Mnl. Woordenb. IV 319 no. 6. - II 1504 und 8285 ist warr statt wart zu lesen; das richtige steht 6113; 11643. Entsprechend ist II 8060 darr zu schreiben statt dart. - II 2506 wohl geknilt statt geknikt, wie auch sonst steht, z.b. 2562 - II 7151 ist tride eher für stride verschrieben. Jedesfalls scheint mir cride mit der auffassung des herausgebers abzuweisen. Ich benutze die gelegenheit, um noch II 1640 f. zu verbessern, wo anders zu interpungieren und goet von ondergaen abhängig ist, sowie 5740, wo, mit vorangehnden punkt Din wech ..... Vant hi gelesen werden muss. Es wäre aber ausserdem noch eine reihe anderer stellen in ordnung zu bringen durch andere interpunction oder sonstige kleinere änderungen, anderseits auch öfters der text gegen änderungsvorschläge des herausgebers zu verteidigen.
Bonn. j. franck. |
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