Onze Taaltuin. Jaargang 6
(1937-1938)– [tijdschrift] Onze Taaltuin– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
[pagina 84]
| |
Ein Österreichischer Dichter und Türkischer Diplomat in HollandAM 30. Mai 1936 jährte sich zum 100. Mal der Tag, an dem in Wien Franz Xaver Werner geboren wurde. Sein gleichnamiger Vater entstammte einer sudetendeutschen Familie und besaß Güter in Kroatien, weshalb er nach dem dort bis 1848 geltenden Gewohnheitsrecht als Edelmann angesehen wurde, ohne jedoch von den Adelstitel Gebrauch zu machen. Seine Mutter war die Tochter eines Wiener Großkaufmanns, nach deren frühem Tode der halbverwaiste Knabe in Wien aufwuchsGa naar voetnoot1). Als Schüler des dortigen Piaristengymnasiums kam er häufig ins Burgtheater, wo vor allem Schillers Dramen ihn begeisterten. Auch trat er selbst in Dilettantenvorstellungen auf. 1852 holte ihn der Vater nach Kroatien ab. Hier umfing ihn bald ein wildromantisches Leben. 1853 nahm ihn das Husarenregiment in Ungarisch-Weißkirchen als Kadetten an. Zu Beginn des Russisch-Türkischen Krieges 1854 befand sich seine Garnison in Galizien. In diesem Jahre erhielt er - man vermutete ein Zerwürfnis mit dem Obersten des Regiments - seinen Abschied. Werners Abenteuerdrang und Wandertrieb führten ihn alsbald in den Orient. Die hauptsächlich von polnischen Offizieren geführte Truppe der sogenannten Roten Kosaken in der Türkischen Armee stellte ihn als Leutnant ein. Als osmanischer Untertan wählte er jetzt den Namen Murad, blieb aber auch in der Folge dem katholischen Glauben treu. Während des Krimkriegs rückte Murad zum Rittmeister auf, dann wählte er den Dienst bei der Verwaltung, wo er infolge seiner ausgebreiteten Bildung und reichen Sprachkenntnisse rasch von Stufe zu Stufe stieg. Bald wurde aus dem Sekretär des Staatsmannes Mehemed Kübrisli Pascha ein Diplomat. Der berühmte Graf Anton Prokesch-Osten, Osterreichs Botschafter am Goldenen Horn, schenkte ihm seine besondere Aufmerksamkeit. Und da die Türken auf die Freundschaft mit der Donaumonarchie Wert legten, kam ihm dies nur zu statten. | |
[pagina 85]
| |
1864 befand sich Murad als Türkischer Konsul im Banat, u.zw. in Temeschwar, dessen Oberschicht damals rein deutsch war. Vom dortigen Deutschen Theater holte er sich die dem katholischen Oberschlesien entstammende Heroine Henriette Ebell als Gattin heim. Auf dieser Bühne erfolgte 1871 auch die Uraufführung seines Erstlingsdramas Selim III. Inzwischen hatte Murad einen Band Gedichte Klänge aus dem Osten (1869) dem kunstsinnigen Herzog Ernst von Sachsen-Koburg-Gotha gewidmet und sich darin als feuriger Nachfahr des farbenliebenden Freiligrath erwiesen. Eine Reise zu dem gastfreundlichen Fürsten selbst zeitigte ein weiteres Bändchen Gedichte Durch Thüringen (1870), in dem er auch seiner nationaldeutschen Gesinnung Ausdruck geben konnte. Wie Otto Prechtler, Robert Hamerling u.a. Dichter aus dem damaligen Osterreich hielt er an dem Gedanken einer Einigung aller deutschen Stämme und Landschaften unverbrüchlich fest. 1874 als Generalkonsul nach Venedig versetzt lernte Murad auch italienisches Volksleben kennen und lieben. Die fünf folgenden Jahre verbrachte er in gleicher Eigenschaft in Dresden, mit Literarhistorikern wie Hermann Hettner, Adolf Stern, Dichtern und Schriftstellern Umgang pflegend. 1879 endlich traf er als Gesandter der Pforte für die Niederlande und für Schweden im Haag ein. Damit begann sein letzter kurzer Lebensabschnitt, für seine dichterische Geltung freilich der wichtigste. Nicht nur die Ausgabe letzter Hand seines vielgespielten ‘Selim III’, sondern auch die Sammlung seiner dramatischen Werke in drei Bänden wurde in Leiden bei E.J. Brill gedruckt. König Wilhelm III. verlieh ihm eine große Goldene Medaille mit persönlicher Widmung. Übersetzungen in das Niederländische verbreiteten hier den Ruhm des Dichters. Auch aus andern Ländern folgte eine Anerkennung der andern. Da machte am 14. September 1881 ein Schlaganfall seinem Dasein ein Ende. Auf dem katholischen Friedhof im Haag fand er sein GrabGa naar voetnoot2). Die bisherige Kritik und Literaturgeschichte beging den Fehler, Murad Efendi einseitig als Dramatiker zu behandeln und zu beurteilen, während seine poetische Bedeutung eigentlich auf einem andern Gebiet als auf dem des Dramas beruht. Gewiß wurde bereits sein erstes Bühnenwerk, das den Reformator auf dem Throne des Kalifen zu Napoleons | |
[pagina 86]
| |
Zeiten als tragischen Helden in den Vordergrund stellte, wiederholt erfolgreich gegeben, so 1872 im Wiener Burgtheater, und in Reclams Universalbibliothek aufgenommen. Kein Geringerer als Laube erwärmte sich für Murads Revolutionsstuck Mirabeau und ließ es 1875 im Wiener Stadttheater spielen. Auch die in der Zwischenzeit entstandene Tragödie Marino Falieri (1871), die Eduard Castle in seiner ‘Deutschösterreischischen Literaturgeschichte’ (3. Bd., 5. Abteilung, Wien 1929, 695) für die bedeutendste Schöpfung des Dichters hält, erregte Aufsehen selbst außerhalb des deutschen Kulturkreises, denn sie gelangte 1875 sogar im Tschechischen Nationaltheater in Prag zur AufführungGa naar voetnoot3). Franz Dingelstedt wieder verhielt sich gegenüber dem im portugiesischen Mittelalter spielenden Drama ‘Ines de Castro’, das Murad 1872 vollendet und in einer völligen Umarbeitung später beim Burgtheater eingereicht hatte, ablehnend: die neue Fassung sei zwar besser, aber Überlastung mit neuen Stücken schließe seine Annahme aus. (Vgl. Karl Glossy, Aus der Mappe eines Burgtheaterdirektors, Wien 1925). Zum Unterschied von dieser schwankenden Beurteilung des dramatischen Schiller-Epigonen fehlt eine literarhistorische Einordnung des Epikers und Folkloristen Murad Efendi so gut wie gänzlich. Als solcher besitzt er Eigenwert von bleibender Bedeutung und wird er von andern Mitstrebenden kaum übertroffen. Seine glänzenden zweibändigen Türkischen Skizzen (1877) gehören zum Besten dieser Art in der ganzen deutschen Literatur. Hier war er mehr als bloß ‘ein pikanter Feuilletonist der Wiener Schule’. Seine packende Geschichte aus den Schwarzen Bergen Die Wahlgeschwister erschließt uns das bis dahin poetisch unbeachtet gebliebene Montenegro. Vollends aber sein humorvoller Osmanischer Eulenspiegel Naszreddin Chodia (1. Aufl. 1878, 4. Aufl. 1894) wirkte als unvergleichliche Darstellung des türkischen Volkscharakters lang noch selbst nach des Dichters Abschied vom Leben in weitesten Kreisen Deutschlands nach. Dann geriet auch dieses Werk in unverdiente Vergessenheit. Ein Neudruck würde sich lohnen. Allerdings könnte erst eine vollständige Erforschung gerade dieser Seite seines literarischen Schaffens Wesen und Wert des Dichters endgültig bestimmen. | |
[pagina 87]
| |
Nemo propheta in patria! Dieser sprichwörtliche Satz trifft auf Murad Efendi vollkommen zu. Zur Jahrhundertfeier seiner Geburt gab es im Wiener Rundfunk keine Gedenkstunde. Keine österreichische Zeitung, keine österreischische Zeitschrift brachte damals auch nur eine Zeile über den ausgezeichneten Diplomaten, beachtenswerten Dichter und einzigartigen Menschen, der dem Namen Osterreich im Ausland so viel Ehre eingelegt hatte. Freiheit und Frieden gehörten zu den von Murad Efendi am heißesten erstrebten Idealen. Daher mag es auch kein Zufall sein, daß in dem Lande, wo der Unruhvolle seine letzte Heimstatt gefunden hat, das die Freiheit am treuesten hütet und den Frieden am schönsten verkörpert, daß gerade in Holland sein Name alte Erinnerungen weckt und aufs Neue erklingt. Nijmegen. WILHELM KOSCH |
|