De Nieuwe Taalgids. Jaargang 74
(1981)– [tijdschrift] Nieuwe Taalgids, De– Auteursrechtelijk beschermd
[pagina 309]
| |
Koningklyke herderin Aspasia im Urteil ihrer BearbeiterEgbert KrispynIm Verhältnis zu dem Umfang seines Werkes, oder dem Ausmaß und Dauer seiner Popularität, hat die Literaturwissenschaft sich nur spärlich mit Jacob Cats beschäftigt. Dat gilt besonders für sein einziges Theaterstück Koningklyke herderin Aspasia, das bis vor kurzem von den Kritikern kaum je der Erwähnung wert geachtet wurde. Wo das Stück ausnahmsweise berücksichtigt wurde, geschah es in recht abfälligen Worten. Es sei von dem Werk ‘in geen enkel opzicht iets goed te zeggen,’ es sei ‘eene slechts zeer middelmatige dramatisering,’ oder sogar ‘een ostentatieve mislukking.’ In einer etwas ausführlicheren Untersuchung wurde die ‘dramatische eenheid,’ ‘karaktertekening’ und ‘indeling in vijf bedrijven’ des Spiels bemängelt.Ga naar voetnoot1 Die wohl einzige andere, einigermaßen eingehende Betrachtung erscheint im Rahmen einer deutschen Dissertation der Jahrhundertwende, deren Autorin dem Stück auch nicht gerade wohlgesinnt ist. ‘Der Mangel an dramatischem Leben,’ die ‘Moralisierungslust,’ das ‘langschleppende Alexandrinergewand,’ die ‘weit ausholenden Dialoge und endlosen Monologe’ und ‘Zedepreeken’ werden als Ursachen der angeblichen Bühnenunfähigkeit des Dramas gerügt.Ga naar voetnoot2 Die negative Meinung über die Aspasia war so tief eingewurzelt, daß sie ohne weiteres auch dem Theaterpublikum des siebzehnten Jahrhunderts zugeschrieben wurde: ‘Die Geduld der Zuschauer mag denn auch, als [das Drama] 1656 zum ersten Mal in der Amsterdamer ‘schouwburg’ aufgeführt wurde, auf eine harte Probe gestellt worden sein.’Ga naar voetnoot3 Die Aufführungsgeschichte der Aspasia, wie sie an Hand von dem Theaterarchiv rekonstruiert worden ist, wiederlegt jedoch die These eines gelangweilten Premierenpublikums. Die Erstaufführung war derart erfolgreich, daß im Laufe der Saison noch neun weitere Vorstellungen folgten. In den nächsten fünfzehn Jahren kam es zu zwölf weiteren Aufführungen, die bis zu 850 bezahlende Zuschauer zählten. Es war eines der einträglichsten Dramen jener Zeit, und die angesehensten Schauspieler traten in ihm auf, einschließlich des Ehepaars Adriana und Jillis Nozeman, das die Hauptrollen besetzte.Ga naar voetnoot4 Schon auf Grund dieses beachtlichen zeitgenössischen Erfolges ist die Vernachlässigung des Stückes, bzw. das Postulat seiner Bühnenunfähigkeit schwer zu rechtfer- | |
[pagina 310]
| |
tigen. So ist es besonders zu begrüßen, daß in den letzten Jahren die Aspasia einer längst fälligen, genaueren Untersuchung unterzogen worden ist. In einer Reihe von Aufsätzen in dieser Zeitschrift sind neue Perspektive auf das Werk geöffnet worden. Es stellt sich heraus, daß Cats und sein Bühnenstück viel komplizierter sind, als bisher angenommen wurde. In einer drastischen Revision der gängigen Auffassung, sieht D.J.M. ten Berge in Aspasia ‘een satirisch en volstrekt heidens toneelstuk,’ in dem ‘een speelse, spotzieke auteur erudiet divertissement geeft in een toon, waaraan de beruchte Catsiaanse ‘dreun’ ontbreekt.’Ga naar voetnoot5 Zur Begründung seiner Anschauung untersucht Ten Berge in Einzelheiten die literarhistorischen Beziehungen zwischen dem ‘bly-eyndend spel’ von Cats, und der renaissancistischen Dichtung seiner Zeit. Hierbei kommt er zu dem Ergebnis, daß das Stück mit satirischen Absichten charakteristische Züge der pastoralen Dichtung aufgreift, um die Exzesse dieser Gattung so der Lächerlichkeit preiszugeben.Ga naar voetnoot6 Maria A. Schenkeveld-van der Dussen bezweifelt die Stichhaltigkeit mancher von Ten Berge angeführter textlicher Beziehungen, besonders wo es sich um allgemein verbreitete topoi handelt, und verwirft ausdrücklich die Idee, daß Aspasia eine antipastorale Satire wäre. Obgleich sie dem Drama die Bühnenwirksamkeit nicht abspricht, paßt es ihrer Ansicht nach als ‘smakelijk verpakte lering’ doch in dem Bild von Cats als einem moralisierenden Didaktiker.Ga naar voetnoot7 Angesichts der Spärlichkeit der Sekundärliteratur erscheint es angebracht, als Hintergrund zu dieser anregenden Polemik auf Reaktionen auf das Werk aus früheren Jahrhunderten hinzuweisen. Es dürfte eine zeitgenössische Anerkennung der Bühnenfähigkeit des Stückes bezeugen, daß wenige Jahre nach der Uraufführung im Amsterdamer Theater im Jahre 1656, eine handschriftlich überlieferte Bearbeitung im Geiste des Wiener Volkstheaters entstand.Ga naar voetnoot8 Verständlicherweise fehlt hier die lehrhaft calvinistische Einführung ‘Aen de Aenschouwers,’ womit Cats entweder die moralische Orientierung seines Stückes anzeigt, oder mögliche politische Konsequenzen des allzu heidnischen Inhalts desselben vorzubeugen sucht.Ga naar voetnoot9 Dafür aber wird der Geschmacksrichtung des Volkstheaterpublikums ausgiebig Rechnung getragen in den vielen Zutaten und Änderungen, durch welche sich diese Wiener Bearbeitung von dem niederländischen Original unterscheidet. In dem einzigen ausführlicheren Kommentar auf die Wiener Fassung ist in diesem Zusammenhang die Rede von ‘derben, unflätigen Witze[n]’ und ‘Rüpelscenen,’ während der letzte Teil des Werkes fast ganz ‘in das Gebiet des Burlesken’ gehöre.Ga naar voetnoot10 | |
[pagina 311]
| |
Die drastische Erweiterung des humoristischen Elements äußert sich auch in der Einführung einer zusätzlichen komischen Figur. In der Aspasia von Cats ‘kam ein höfischer Fool namens Phryx vor, und der deutsche Bearbeiter stellt ihm in Styx, dem Diener des unglücklichen Liebhabers der Aspasia, einen bäurisch tölpischen Gegenspieler in der Art Pickelhärings zur Seite.’Ga naar voetnoot11 Otto Rommel betrachtet diese neue Rolle als mustergültiges Beispiel für das Bestreben des volkstümlichen Dramas, auf italienischen Einfluß hinweisende Elemente mit traditionell einheimischer Komik zu verknüpfen, indem ‘man Pickelhäring neben den fremden Spaßmacher stellte.’Ga naar voetnoot12 Diese Beobachtung impliziert, daß der Verfasser des Wiener Texts in der Aspasia von Cats Züge humanistischer Überlieferung feststellen zu können glaubte. Die potentielle stilistische Reichweite des Stoffes kommt sehr deutlich zum Ausdruck in der Tatsache, daß am 13. August 1672, etwa zehn oder zwölf Jahre nach der volkstümlichen Wiener Fassung, eine andere deutsche Bearbeitung zu Ehren des achtundfünfzigsten Geburtstags des Herzogs August von Sachsen-Weißenfels aufgeführt wurde. Die ausgeprägt höfische Natur des betreffenden Stückes zeigt sich in den opernhaften Liedeinlagen, wie in der Einführung von nicht weniger als acht allegorischen Figuren. Wie in der Wiener Fassung, aber aus anderen Gründen, ist auch in dieser höfischen Bearbeitung die von Cats in seiner Einführung hervorgehobene metaphysische Dimension gänzlich verschwunden. Hier dient die Säkularisierung nicht nur dazu, den unterhaltenden Aspekten des Stückes freien Spielraum zu gewähren, sondern auch, wie es einer herzöglichen Geburtstagfeier paßt, die temporale Autorität zu verabsolutieren. Obgleich also die zwei erwähnten Bearbeitungen einander gesellschaftlich und stilistisch diametral entgegengesetzt sind, liegt für beide der Wert ihrer niederländischen Vorlage in ihren nichtreligiösen Elementen. Diese waren jedoch von entscheidender Wichtigkeit für Barthold Feind, der Aspasia für den 1714 erschienenen sechsten Band der deutschen Gesamtausgabe der Werke von Cats übersetzte.Ga naar voetnoot13 Sein Text ist eine genaue Übertragung des Originals, und in seiner Vorrede preist er den niederländischen Schriftsteller für die christlich lehrhafte Tendenz besonders dieses Werkes: ‘Aus allen Zeilen... leuchtet die heilsahme Intention des Autoris hervor; nemlich die Erbauung seines Neben-Christen/ um/ so viel an ihm/ ein Stück Landes wieder zu gewinnen/ welches der Fürst der Finsterniß seinem rechtmäßigen Besitzer entrissen.’Ga naar voetnoot14 Acht und fünfzig Jahre nach der Amsterdamer Erstaufführung der Aspasia bezeichnet also dieser bürgerliche protestantische Jurist das Werk als ein religiöses Erbauungsstück. Schließlich sei noch auf eine spätere Bearbeitung hingewiesen, die 1744 im fünften Teil der Deutschen Schaubühne von Gottsched veröffentlich wurde.Ga naar voetnoot15 Der Verfasser | |
[pagina 312]
| |
war der 1720 geborene Schauspieler und Vielschreiber Adam Gottfried Uhlich. Er hat wahrscheinlich sowohl die Übersetzung von Feind, wie das niederländische Original benutzt, aber das Werk den theatralischen Regeln seiner Zeit angepaßt. Er hat auch die Namen der Charaktere und den Ort der Handlung geändert. In seiner Vorrede bemerkte Gottsched, er mache sich ‘die Hoffnung, daß dieses Stücke die Unschuld des ehemaligen Schäferlebens, wiewohl in der Nachbarschaft eines Hofes, und in Vergleichung städtischer Sitten, auf eine ganz natürliche Art abschildern wird.’Ga naar voetnoot16 Mit seiner Betonung des in der arkadischen Literatur üblichen Motivs der Gegenüberstellung des pastoralen, höfischen und städtischen Lebens, besonders auch durch das implizierte Werturteil in den Worten ‘die Unschuld des ehemaligen Schäferlebens,’ greift Gottsched ein traditionelles didaktisches Element auf, das durchaus mit der typisch aufklärerischen Ansicht der lehrhaften Funktion der Dichtung im Einklang ist. Zugleich aber widerspiegelt diese Einstellung auf säkulärer Ebene die Auffassung von der Aspasia als moralisierend erbauliches Lehrstück. Dieser Überblick über die deutschsprachigen Bearbeitungen des Stückes Koningklyke herderin Aspasia von Jacob Cats zeigt also, daß es in der ersten Periode nach der Amsterdamer Erstaufführung auf diametral entgegengesetzten Seiten des gesellschaftlichen Spektrums nicht als vorwiegend religiös-didaktisches Werk aufgefaßt wurde. Die betreffenden Bearbeiter benutzten die Fabel der Aspasia als Grundlage für ein populäres, bzw. höfisches Unterhaltungsstück, und bescheinigten so dem niederländischen Text wenigstens potentiell bühnenwirksame Qualitäten. Catsens Berühmtheit auch außerhalb von den Grenzen seines Geburtslandes könnte die Vermutung nahelegen, daß die Autoren dieser Fassungen seine Aspasia aufgriffen, weniger wegen irgendwelcher dem Text innewohnender Eigenschaften, als um den Ruf des ursprünglichen Autors auszunutzen. Gegen diese Annahme spricht jedoch die Tatsache, daß Cats in der Wiener Handschrift und dem Druck des Weißenfelsischen Stückes nicht erwähnt wird. Das niederländische Drama wird also den deutschen Verfassern wohl als solches brauchbar vorgekommen sein. Wo diese im engeren Sinne zeitgenössischen Fassungen die Anschauungen ihrer jeweiligen Autoren nur indirekt, in ihrer eigenen Textgestaltung andeuteten, gab der Übersetzer Feind, mehrere Jahrzehnte später, seine Einstellung zu der Aspasia von Cats ganz unzweideutig zu Protokoll. Er sah das Stück in erster Linie als religiöses Bekenntnis, und bejahte ausdrücklich die von ihm als erbaulich empfundene Tendenz des niederländischen Schriftstellers. Gottsched hatte an dem Stück auszusetzen, daß Cats ‘sich wenig oder gar nicht nach den theatralischen Regeln gerichtet,’ aber implizierte, daß Aspasia den moralisch-didaktischen Impulsen der Aufklärung entgegenkam.Ga naar voetnoot17 Nur aus dieser Anpassungsfähigkeit des Werkes an die verschiedensten künstlerischen, gesellschaftlichen und philosophischen Ansprüchen, erklärt sich wohl die ungewöhnlich lange und abwechslungsreiche internationale Karriere der königlichen Schäferin.
Comer, Ga. |
|