Schoolopstellen.
Man wundert sich, dasz die deutschen Schüleraufsätze, selbst die der Primaner, so dürftig sind, dasz Schüler, die schon in der Kinderstube so lebhaft, überzeugend und anmutig zu sprechen wuszten, bald nach Eintritt in die Schule mit der Sprache nicht mehr heraus wollen, dasz ihre Zunge mit den Schuljahren immer träger, immer unbeholfener wird, dasz sie selbst im schriftlichen Ausdrucke so langsame Fortschritte machen, und als Sekundaner oder Primaner Briefe schreiben, die ihren jüngeren Schwestern zum Gespötte dienen. Mich kann all das nicht in Verwunderung setzen, denn ich habe die Ursache davon schon längst erkannt. Ich frage Sie, mein Verehrtester, können Sie denn schreiben, wenn Ihnen jemand über die Schultern sieht und bei jedem Worte Einspruch erhebt, können Sie sprechen, wenn ein strenger Kritiker, der Macht über Ihr Fortkommen hat, Ihnen gegenübersitzt? Ich kann es nicht. Mir schnürt sich die Kehle zu, meine Gedanken werden flügellahm, ich denke überhaupt nicht mehr an das, was ich zu sagen hätte, sondern nur noch an die Wirkung, die meine Worte auf den zweifelsüchtigen Menschen machen könnten, der nur darauf lauert, mir seine Ueberlegenheit fühlbar zu machen. So fragt denn auch der Schüler sich beim Aufsatze: Wie will Er die Disposition haben? - dieses blöde Ding, mit dem man geflissentlich alles unmittelbare Leben einfängt, um es in Kästen einzupacken, diese Wonne aller Kanzlistenseelen, die nur Ordnung suchen, Ordnung der Gedanken, wenn sie ach so leer und dürr sind wie Stroh und altes Leder. Welche Ubergänge liebt Er? Wie lang soll die Einleitung sein? Darf ich auch den Ausdruck brauchen? Ist das schriftgemäsz? d.h. dem weltfremden Schrifttume des Schulaufsatzes gemäsz?
Ludwig Gurlitt Der Deutsche und seine Schule (blz. 172).