Ich nehme die behauptung Müllenhoffs wider auf; sehe mich freilich genötigt, ihr eine ganz andere wendung zu geben. Während Müllenhoff mit seiner karolingischen hofsprache die vorherrschaft einer mundart vertreten hat, immer darauf aus gewesen ist, die materialen elemente der sprache, die grammatischen formen und einzellaute als regelmässig oder schriftsprachlich zu erweisen, handelt es sich jetzt um dier formale seite unserer überlieferung, um gewisse den schreibgebrauch regelnde orthographische tendenzen.
Diese normen konnten nach den herrschenden strömungen keines andern ursprungs sein, als unter den für die schreibung des neuen karolingischen lateins in die praxis umgesetzten regeln. In welcher weise die herstellung einer gleichmässigen, leicht lesbaren schrift stattgefunden hat, ist im einzelnen noch nicht bekannt, aber es steht seit den untersuchungen Leopolde Delisle's fest, dass der anstoss zu der kalligraphischen reform in Deutschland vom hofe ausgegangen ist. Es ist die schrift, in der die mehrzahl der althochdeutschen sprachdenkmäler überliefert ist; sie ist bekanntlich rasch im 9. jahrhundert in einhcitlichem ductus durchgedrungen und von den individuellen varietäten abgesehen gleichmässig in den litterarisch tätigen schreibstuben der deutschen klöster eingebürgert (Pauls Grundr. 12, 277 fg.).
Von derselben tragweite ist die reform der lateinischen orthographie gewesen. Dafür hat sich der kaiser Karl lebhaft interessiert und es ist ihm ein ebenso rascher erfolg beschieden gewesen; ‘indem lehre und methode, anregung und eifer sich in unzählige schulen und klöster fortpflanzte, wuchs eine ganze generation in höherer bildung heran und wurde speciell auch befähigt ein correctes, wenn auch einfaches latein zu reden und zu schreiben’ (Th. Sickel, Lehre von den urkunden der ersten Karolinger s. 156 fg.). Doch hat sich vieles erst unter Ludwig durchgesetzt; während der regierungszeit Karls des grossen kehren noch immer archaismen unter den neumodischen correctheiten wider. Das ist uns längst nicht bloss aus den urkunden, sondern auch aus den lateinisch-deutschen sprachdenkmälern geläufig (Sickel a.a.o.s. 150 fgg.).
Aber dadurch wird das verdienst der vom hofe Karls ausgehenden orthographiereform nicht herabgesetzt. Der name Alcuins ist mit diesem ruhmreichen werk vor allen andern verknüpft: erst seine schüler haben diese reformen in die klöster getragen.
Für die althochdeutsche grammatik ist es nun aber von grundsätzlicher bedeutung zu erkennen, wie mit dieser reform der lateinischen orthographie eine reform des deutschen schreibgebrauchs parallel läuft.
Citaten van Fr. Kauffmann, Das Keronische glossar, etc.
Zeitschrift für Deutsche Philologie, 32 (1900), blz. 145 vv. -