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Okkulte Erlebnisse
Von Thomas Mann
(Slot)
Und die allgemeine Unterhaltung beginnt. Sie muss beginnen, das Medium verlangt es. ‘Unterhalten!’ flüstert es lallend, gegen mein Ohr vorgebeugt, und ich gebe die Parole weiter. Man hat Kette gebildet, sitzt Hand in Hand, vielleicht eine Reminiszens an spiritistische Gesellschaftsspiele, vielleicht auch eine organische Notwendigkeit, ich weiss es nicht. Willi jedenfalls besteht darauf und mahnt häufig flüsternd, die Kette recht fest zu schliessen. Auch mein Nachbar zur Linken hält Berührung mit mir, seine Rechte auf meiner Schulter, meinem Arm. Man spricht ins Dunkel, redet, was einem einfällt, während man kaum weiss, wen man neben sich hat. Das ist nicht leicht, das Gespräch reisst immer wieder ab, der Redestoff schrumpft zusammen und geht aus, denn die wahre Aufmerksamkeit ist nicht bei der Not- und Pflicht-Unterhaltung. Dennoch wird uns ein allzu eifriges Ausspähen nach Phänomenen widerraten. Der Versuchsleiter empfielt eine ‘schwebende’ Aufmerksamkeit, ohne Gier, ohne hinstarrende Ungeduld, und ein wenig wird sie begünstigt durch die Musik, die sich in das geräuschvoll-künstliche Worte machen mischt, die Klänge der Handharmonika, die der Zoölog in der zweiten Reihe nun mit Fertigkeit, Fauchen und Dideldum in Bewegung gesetzt hat. Flotte Märsche spielt er, einen nach dem andern, er weiss immer noch einen. Und wenn er aufhört, löst ungesäumt die Spieldose mit
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ihrem mechanisch perlenden Melodiechen den Orgelbalg ab.
Kuriose Veranstaltung. Ich begreife, dass eine Wissenschaft, die auf sich hält, die an die Würde der Exaktheit, an die nüchtern-sachliche Stimmung des Laboratoriums, die reinlich-abstrakte Arbeit mit Apparaten und Präparaten gewöhnt ist, sich von dieser allzu menschlichen Art des Experimentierens abgestossen fühlen muss. Dem Laien geht es nicht anders. Sollte er suggestive Stimmung, eine Atmosphäre der Weihe und des Geheimnisses erwartet haben, so findet er sich enttäuscht. Was ihn umgibt, ist eher danach angethan, eine gewisse Geschmacksabneigung und geistiges Mistrauen durch Erinnerungen an banale Aufpulverungsmethoden der Heilsarmee zu erzeugen. Kordial ermunternde Zurufe, die häufig aus der Kette an das Medium oder vielmehr an die amtierende ‘Minna’ gerichtet werden - ‘hallo, Minna! Mut! nur zugegriffen! Zeig, was du kannst, Minna!’ - tragen zu diesem Eindruck bei. Etwas Mystisches - und zwar nicht in geisterhaften, sondern in einem zugleich primitiven und erschütternden, organischen Sinne Mystisches gewinnt die Situation allein durch das ringend arbeitende, unter Stössen sich hin und her werfende, flüsternde, rasch keuchende und stöhnende Medium, dem meine Neugier vor allen gilt, und dessen Zustand und Thätigkeit auffallend, unzweideutig und entscheidend an den Gebärakt erinnert. Sein Kopf ist bald weit zurückgeworfen, bald sinkt er an meine Schulter oder hinab auf unsere Hände, die nass sind von Schweiss, und die ihren Zugriff erneuern müssen, damit sie einander nicht entgleiten. Seine Anstrengungen kommen wehenartig, in Anfällen; es gibt Pausen zwischendurch, Zustände vollkommener Ruhe und Unzugänglichkeit, während denen er mit seitlich auf die Brust hängendem Kopfe schlafend neue Kräftesammelt.
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Das ist Tief-Trance. Dann rafft er sich auf und beginnt seine zeugerisch-kreissende Arbeit aufs Neue.
Eine männliche Wochenstube im Rotdunkel, mit Geschwätz, Dideldum-Musik und fröhlichen Zurufen! In meinem Leben war mir nichts Aehnliches vorgekommen. Ich dachte, dass, wenn garnichts weiter geschehen sollte, der Weg sich immerhin gelohnt haben werde. Und wirklich schien nichts weiter geschehen zu sollen. Das ‘Kind’ blieb aus. Nichts Uebernormales wollte sich ereignen. Es gab Solche, die in ihrer Begierde dergleichen schon sehen, schon wahr haben wollten. Zwei Leuchtnadeln staken nicht mehr in Willis Schlafrock, obgleich sie fest und tief hineingesteckt worden waren; sie lagen am Boden, auf dem Teppich, die eine ziemlich weit von ihm entfernt. Man sagte, sie seien ‘genommen’ worden, allein die Möglichkeit, wenn nicht die Wahrscheinlichkeit, bestand, dass sie durch Willis Arbeit herausgeschleudert worden waren. Wie war es, von ihnen abgesehen, mit den beiden Leuchtringen, die dort hinten unmittelbar vor dem Vorhang lagen? Sie hatten davor gelegen und nicht zum Teile dahinter, sie waren ursprünglich nach ihrem ganzen Umfang sichtbar gewesen, im Laufe der letzten Minuten aber hatte sich das geändert, sie waren nur zu einem Drittel noch sichtbar, der Vorhang war vorgetreten oder die Ringe ihrerseits waren von der Stelle gerückt, und wenn man sie länger in Obacht hielt, - seht, so änderte allmählich die Sachlage sich abermals: sie waren nun wieder ganz sichtbar, frei vor dem Vorhang, nicht unter ihm, und das war ein Phänomen. - Ein unsicheres, klägliches, kleines Phänomen. Man musste es auf sich beruhen lassen. Den kühlen Hauch dagegen hatte ich doch wohl verspürt, der vom Medium her in den Kreis ausgegangen war, und dessen Auftreten anzeigte, dass Erscheinungen sich vorbereiteten? - Nein, rund he- | |
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raus, ein kühler Hauch wäre mir durchaus willkommen gewesen, doch war mir nichts dergleichen
bemerklich geworden.
Und die Zeit vergeht. Es ist nicht leicht zu beurteilen, wieviel davon schon vergangen ist, aber drei Viertelstunden schätze ich, mögen es wohl sein. Zweifellos hat das Medium gegen Hemmungen zu kämpfen. Man befragt es in diesem Sinn, aber es verneint und müht sich weiter. Man fragt, ob alles in Ordnung ist, und es bejaht. Ich aber glaube ihm nicht; denn mir allein gab ich im Stillen die Schuld an unserer Erfolglosigkeit. Von vornherein hatte ich heimlich bezweifelt, dass meine Natur dem guten Willi bei seiner Arbeit werde behülflich sein können und war jetzt gewiss, dass er diesen meinen Zweifel an der Förderlichkeit der Situation in seinem Jenseits teilte. Leugnete er es, so war das blosse Höflichkeit, - obgleich es sonderbar klingen mag, von somnambuler Höflichkeit zu sprechen. Nach meinen Beobachtungen sind in diesem Zustande die Hemmungen der Gesittung und der humanen Rücksicht keineswegs ausgeschaltet, und Willi leugnete nicht einmal unbedingt. Er flüsterte: ‘Wenn ihr wollt, dass die Phänomene schneller komen -’ Nun? was dann? - Er schwieg. - Ob er eine Pause wünsche? - Stillschweigen. Dann aber fängt er an, mit dem Fuss aufzuschlagen, und man zählt mit. Er schlägt fünfzehn mal. Schön, eine Pause von fünfzehn Minuten. Und man bricht ab für den Augenblick.
Vor Einschaltung des Weisslichtes lässt man dem Medium Zeit zu sich zu kommen. Er traf wunderliche Vorkehrungen, bestehend in schabenden Bewegungen der Hand und des Armes an seiner Flanke, Bewegungen, die, wenigstens in seiner Vorstellung, dem Wiedereinziehen der ausgesandten, aber noch nicht zur Manifestation gelangten organischen Kräfte dienen. Er er- | |
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wachte ruckweise, in zwei oder dreimaligen Aufzucken, und blinzelte blöde ins Licht. Man verzog sich ins Nebenzimmer.
Cigaretten wurden angezündet. Auch Willi, in seinem Kostüm auf dem Sofa sitzend, rauchte die seine. Man besprach die Sachlage. Sie war fern davon, etwas Entmutigendes zu haben. Solch vorläufiges Versagen, die Notwendigkeit, zu pausieren, war keine Seltenheit. Rein negative Sitzungen kamen bei unserem Willi sehr selten vor. Nichts war verloren. Willis Pflegemutter, Frau P., erzählte zur allgemeinen Aufrichtung Geschichten von zu Hause. Sie würden in der Wohnung nicht bleiben können, würden schliesslich doch ausziehen müssen, der anderen Parteien wegen. Unerwünschte Dinge ereigneten sich beständig in des Jungen Umgebung, Spontan-Phänomene, Zeichen und Wunder. Es klopfe an die Wände wie mit Fäusten. Hände thaten, wozu niemand sie eingeladen. Ein Phantom hatte sich urplötzlich an der Thür des Esszimmers gezeigt. Die Köchin selbst hatte es gesehen und war mit Gekreisch entwichen. - Alles gut, nur waren wir leer ausgegangen bis jetzt. Der junge Kliniker mit dem Blutdruckapparat nahm eine neue, vergleichende Messung an Willi vor, über deren Ergebnis er sich mit Dr. von Schrenck besprach. Fünfzehn Minuten! Der Baron gab das Zeichen zur Wiederaufnahme der Sitzung.
Ueberzeugt, dass Willi die Pause vor allem in der Absicht erwirkt hatte, dass nachher die Kontrolle gewechselt werden möge, erbot ich mich dringlich zur Aufgabe meines Amtes. Doch wollte der Hausherr davon nichts wissen. Nein, nicht jeder Laune und Empfindlichkeit Minna's dürfe man nachgeben. Für meine Eindrücke sei es wichtig, dass ich das Medium selbst in Gewahrsam hielt. Allenfalls mochte ich an zweite Stelle treten, an die der Frau P. Als erster Kontrolleur mochte ein
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anderer einrücken, Reicher oder Herr von K. - am besten dieser. ‘Kommen Sie, K.! Reissen Sie, wie gewöhnlich, die Sache heraus!’
Von K., das war der polnische Maler mit der harten Aussprache und der warmen Stimme, ein Mensch von herzlichem und unmittelbarem Wesen, des Mediums Lieblingskontrolleur; letzte Zuflucht der Laboranten, wenn eine Sitzung ergebnislos zu bleiben drohte. Wenn er Willis Hände hielt und seine fröhliche Behandlungstechnik spielen liess, so kam fast immer etwas zustande. ‘Grüss Gott, Minna, - was? Da sind wir alten Freunde wieder beisammen! Das wird famos, meine ich, und Du bist sicher derselben Meinung. Siehst Du, da drückst Du mir meine Hände. Schön von dir, schön von dir, aber höre mal, nicht zu stark, au, du kugelst mir ja die Schultern aus, Minna, ist das deine Liebe?’ In diesem Stil. Willi braucht diese Art und sie hilft fast immer. Rasch war er, nach hergestelltem Rotdunkel, wieder in magnetischen Schlaf verfallen. Die Spieldose perlt, die Handharmonika löste sie ab. Die Geburt nahm ihren Fortgang.
Vorgebeugt, in unbequemer Haltung, ohne Rückenstütze, aber unempfindlich gegen solche Nachteile umklammerte ich Willis Handgelenke, ergriffen von seiner ringenden Mühsal. Er schüttelt uns, pumpt, zittert, wirft und windet sich, flüstert keuchend: ‘Unterhalten!’ ‘Die Kette!’ - ‘Die Kette!’ widerholt von K. mit spasshaft-herzlicher Ergebenheit. ‘Was ist denn? Das kann meine Minna doch wohl verlangen, dass ihr die Kette ordentlich schliesst!’ Je länger wir sitzen, desto öfter will das immer wieder zur Neige gehende und abreissende Gespräch befeuert sein. Der Baron hilft ihm auf. ‘Unterhalten, meine Herrschaften! Professor G., Sie schlafen ja. Dr. Mann, plaudern Sie? - ‘Doch, Baron, ich plaudere nach meinen Fähigkeiten.’ Man
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rafft sich zusammen, man redet das Ueberflüssigste ins Dunkel hinein. Der Schauspieler Reicher hilft sich mit sonorem ‘Rhabarber, Rhabarber!’ Die Musik ist quälend. Man ist des Melodiechens der Spieldose bis zur Gereiztheit müde, doch wenn die Harmonika faucht und orgelt, sehnt man sich nach dem schoningsvolleren Geklingel zurück. Wenn Willi es schwer hat, - wir haben es nicht leicht. Fast eine Stunde ist abermals seit der Pause vergangen. Mein Rücken schmerzt, aber ich achte seiner nicht. Das Medium zuckt aus Tief-Trance auf. Es nimmt einen leidenschaftlichen Anlauf und scheint mit seitwärts schleudernden Bewegungen des Oberkörpers stossweise etwas aus sich herauszujagen. ‘Brav, Minna!’ schmeichelt von K... ‘Nur zu! Nur heraus damit! Du bist ja drauf und dran, man sieht es genau, nichts fehlt als dass du zupackst, das wird ein Hauptspass, nochmal so gern werde ich dich haben!’ Umsonst. Nichts regt sich. Auch Herrn von K's. Bonhommie scheint heute nichts auszurichten. Verzicht schleicht sich in aller Herzen. Und ich, ich habe kein Glück mit den Geheimnissen. Ich werde fortfahren, das Verschiedenste für möglich zu halten, gesehen haben aber werde ich nichts. Desto schlimmer für mich. Hartgesottene Materialisten, feindselige Verfechter der Betrugshypothese und zornmütige Ritter der physikalischen Schulgesetze sind hier gewesen und haben gesehen, was sie bis zum nächsten Morgen in ihrer sogenannten Skepsis wankend machte. Und meine Skepsis, die Glaube ist im Vergleich mit der ihren, ein Glaube an nichts und alles - wie soll ich ihn kennzeichnen? - wird sich als unproduktiv-nihilistischen Wesens erwiesen haben. Leichte Bitterkeit, wie man sieht, wandelte mich an. Doch waren die Eindrücke des Abends ja immerhin mitzunehmen gewesen....
Da versuchte der Hausherr ein letztes Reizmittel. Er
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zog strenge Saiten auf und sprach: ‘Nein, Minna, alles was recht ist. Wir sitzen nun über zwei Stunden, du kannst nicht sagen, dass wir es an Geduld haben fehlen lassen. Aber alles hat seine Grenzen. Wir geben dir jetzt noch fünf, noch zehn Minuten. Passiert nichts bis dahin, so machen wir Schluss, und die Herren gehen nach Hause, und mancher von ihnen wird allerdings denken, dass du nichts kannst und nichts vermagst und wird es herumerzählen und die Skeptiker werden sich freuen.’ - ‘Aber nein’, sagt von K. und sekundiert den Baron, indem er ihm zu widersprechen scheint. ‘Aber nein, Herr Baron, was sagen Sie da, sie ist dicht ja daran, das weiss sie ja selbst am besten, immer noch hat sie es selbst am besten gewusst, meine Minna, wenn sie ihr Aermchen weit genug entwickelt und ausgestreckt hatte, um ordentlich.... Wie? Was sagst du? Still die Musik!! Was hast du gesagt, liebe Minna?’ In seine Worte hinein hat das Medium etwas geflüstert. Die Musik schweigt, wir alle schweigen. Eskommt noch einmal, schwer lallend: ‘Das Taschentuch!’
‘Das Taschentuch!’ wiederholt befehlshaberisch von K... ‘Sie weiss genau was sie will, sie wird es schon machen, alles wird sie uns machen, meine Freundin, die Minna...’
‘Selbstverständlich’, sagt der Baron. ‘Wenn es weiter nichts ist, hier ist das Taschentuch.’ Und er zieht es aus der Brusttasche, sein grosses, weisses, nur wenig gebrauchtes Schnuptuch, nimmt es am Zipfel und lässt es neben dem Tischchen zu Boden fallen. Da liegt es, schwach schimmernd sichtbar. Vorgereckt starrt alles darauf hin!
‘Den Tisch weiter zurück!’ flüstert Willi, dessen Gesicht auf seinen Händen liegt, die wir halten. ‘So recht?’ - Nein, nicht so. Er sieht nichts, aber er weiss in seinem Traum, was geschieht, und dass es noch nicht
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genau so geschieht, wie er will; ungeduldig korrigiert er das Thun des Barons, als sähe er ihn: Mehr dorthin will er das Tischchen haben, erst etwas links und dann nähe zum Hausherrn, so ist es recht. Der Raum zwischen Tisch und Taschentuch ist nun grösser... ‘Die Kette’ flüstert Willi und man drückt sich die Hände. ‘Unterhalten!’ flüstert er, und man macht diensteifrig: ‘Jawohl, jawohl, Rhabarber, Rhabarber’. Auch ich wende mich zu meinem Nachbarn, dem Polen, um etwas Gleichgültiges zu parlieren. Ich habe angefangen zu sprechen, da höre ich jemanden mit künstlicher Ruhe sagen: ‘Es kommt.’ Ich werfe den Kopf herum...
Erinnert man sich an die Stelle im ‘Lohengrin’, I Akt, wenn nach Elsas Gebet der Chor mít einer Einzelstimme einsetzt: ‘Seht! Welch seltsam Wunder!’? So ähnlich war es. Das Taschentuch hatte sich vom Boden erhoben und war aufgestiegen. Vor aller Augen, mit rascher, sicherer, energischer und fast schöner Bewegung, stieg es aus Schattengründen in den Lichtschein der Lampe empor, der es rötlich färbte, - stieg auf, sage ich, aber das ist nicht richtig, nicht so war der Vorgang, dass es leer und flatternd emporgeweht wäre, es wurde genommen und erhoben, eine tätige Stütze steckte darin, die sich oben in knöchelartigen Erhebungen darunter abzeichnete und von der es faltig herniederhing; von innen her wurde lebendig damit manipuliert, drückende und schüttelnde Umgestaltungen wurden damit vorgenommen in den zwei oder drei Sekunden, während welcher es frei ins Lampenlicht gehalten wurde - und dann kehrte es mit ebenso ruhiger und sicherer Bewegung zum Boden zurück.
Das war nicht möglich, - aber es geschah. Und Blitz soll mich treffen, wenn ich lüge. Vor meinen unbestochenen Augen, die ebenso bereit gewesen wären, nichts zu sehen, falls nichts da sein würde, geschah es, und zwar
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nicht einmal, sondern alsbald aufs neue: Kaum unten, so kam das Tuch schon wieder empor ins Licht, schneller diesmal, als zuvor, und jetzt sah man mit unverkennbarer Deutlichkeit das von innen erfolgende Hinein- und Uebergreifen der Glieder eines Greiforgans, das schmäler als eine Menschenhand, klauenartig erschien. Hinab und wieder herauf... zum dritten mal oben, wird das Tuch von etwas Unsichtbarem kräftig geschwenkt und gegen das Tischchen geworfen - nicht recht darauf, nicht gut gezielt, es bleibt an der Kante hängen und fällt auf den Teppich.
Bravorufe und laute Lobeserhebungen für ‘Minna’ hatten das Phänomen begleitet, und mehrmals hatte der Baron zu mir herübergefragt, ob ich sähe, ob ich alles gut sehn könne. Gewiss, wie hätte ich das wohl nicht sehn sollen. Ich hätte die Augen schliessen müssen, um es nicht zu sehen, - während ich diese meine Augen doch niemals im Leben gespannter offen gehalten hatte, als jetzt. Ich hatte Grösseres gesehen auf Erden, Schöneres, Würdigeres. Aber dass etwas Unmögliches, trotz seiner eigenen Unmöglichkeit geschah, das hatte ich noch nicht gesehen, und darum wiederholte ich nur erschüttert: ‘Sehr gut! Sehr gut!’, obgleich mir nebenbei auch etwas übel war. Hier hielt ich Willis Handgelenke mit den Trikotärmeln darüber in meinen Händen, und unmittelbar neben mir sah ich seine Knie im Gewahrsam des Polen. Keine Rede davon, kein Gedanke daran, auch nicht der Schatten einer Möglichkeit vorhanden, dass der schlafende Bursche hier hätte gethan haben können, was dort drüben geschehen. Wer sonst? Niemand. Es war niemand da, der hätte thun können, und dennoch wurde gethan. Das schuf mir gelinde Uebelkeit.
Die Taschentuch-Elevation, hörte ich sagen, bildet regelmässig das Eröffnungsphänomen. Der Bann war
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gebrochen. Das Medium, das während der Geschehnisse sich seltsam still verhalten hatte, richtet sich auf, erzittert und flüstert: ‘Die Spieldose wegstellen! Die Glocke!’ - ‘Die Glocke!’ ruft im wärmsten Entzücken von K. ‘Was ist denn? Wo bleibt die Glocke für meine Minna? Die Glocke auf den Korb! Jetzt sind wir im Zuge!’ Und der Baron folgt der Anordnung. Er entfernt die Spieldose, stellt die Tischglocke auf den Papierkorb. Da steht sie, - ihre Leuchtbandstreifen schimmern im Dunkel, und ausserdem gibt ihr Metall einen rötlichen Lichtreflex, Willi führt seine Hände nebst den unsern an seine Stirn. Er seufzt. Da wird die Glocke genommen, - sie wird, unmöglicher Weise, von einer Hand genommen, denn womit sonst, als mit einer Hand, kann eine Glocke am Stiel genommen werden? Wird aufgehoben, in schräger Lage hochgehalten, kräftig geläutet, im Bogen ein Stück durch den Raum geführt, noch einmal geläutet und dann mit Schwung und Geklapper unter den Stuhl eines der Umsitzenden geworfen.
Leichte Seekrankheit. Tiefste Verwunderung mit einem Anfluge - nicht von Grauen, sondern von Ekel. Laut und unaufhörlich wird Minna belobigt. Ein Neuling ruft: ‘Unglaublich!’ Ihr Kopf... was sage ich. Sein Kopf, Willis Kopf also sinkt schräg zu mir hin, er legt seine Schläfe an meine, wie ein kleines Kind. Guter Kerl, das ist ja fabelhaft, was du da anstellst! Gerührt und achtungsvoll lasse ich seinen Kopf an den meinen ruhen. Der Baron aber sagt:
‘Hier, Minna, habe ich etwas Neues. Du kennst es noch nicht, aber es ist leicht zu benutzen. Es ist eine Druckglocke. Man schlägt von oben darauf, siehst du, so. Dann klingt sie. Thu das auch, Minna. Hier hast du die neue Glocke.’
Und er stellt das Gerät auf den Korb. Erwartung. Und
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schon hört man es an der Glocke tasten, - man sieht nichts, aber man hört, wie unsicher daran gefingert wird. Es nimmt sie, es schüttelt sie leise; das klingt, aber es ist nicht das Wahre.
‘Nicht so’, sagt der Baron, ‘Du verstehst es noch nicht. Entschuldige mal. Weg da. So wird es gemacht.’ Und er schlägt auf den Knopf. - ‘Die Kette!’ flüstert Willi an meiner Wange und zittert. Aber der Baron kann ja nicht gleichzeitig Kette bilden und mit der Druckglocke ein Beispiel geben. Das bittet er Minna zu begreifen. Kaum sitzt er wieder, so fängt das Fingern und versuchende Tasten von neuem an. Und endlich gelingt das Kunststück. ‘Man’ hat es heraus, ‘man’ schlägt von oben her auf die Glocke, schwach, kindlich und ungeschickt, aber grundsätzlich ist die Aufgabe gelöst, der Klöppel klingt an.
‘Brav, Minna’! ruft der Kreis. ‘Phantastisch!’ sagt jemand. Aber man hat nicht Zeit, sich seinen Empfindungen zu überlassen. Es geht weiter. Kaum hat der Baron die Glocke vom Korbe genommen, fängt dieser zu wackeln an. Es stösst daran, er schwankt, er fällt um, und wie er liegt, wird er genommen und hochgehoben, hoch-hoch, gehoben und in der Luft gehalten, halb aufrecht, im Rotdunkel, mit schimmernden Leuchtstreifen, schwebt er dort zwei oder drei Sekunden lang und purzelt zu Boden.
‘Haben Sie es gesehen? Gut gesehen?’ fragte der Baron in seinem Stolz. Wir bekannten uns zu unseren Eindrücken. Willi, im Tieftrance, hing seitlich vom Stuhl. Begreiflicher Weise ist man ruhebedürftig und sinkt ins Traumlose, nachdem man so angestrengt geträumt, dass ausser einem die geträumten Handlungen wirklich geschehen. Halt! Nachgedacht! Steige in dich und versuche, zu ahnen: Wo ist der Punkt, die magische Wende, da eine Traumvorstellung sich objektiviert und vor
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den Augen Anderer im Traum zur Wirklichkeit wird? Seekrankheit... Zweifellos liegt er nicht auf der Ebene unseres Bewusstseins, unserer Erkenntnisgesetze, dieser Punkt. Wenn irgendwo, so ist sein Ort in jenem Zustande, worin ich den Burschen hier vor mir sehe, und der gewiss eine Pforte ist - wohin? Hinters Haus, hinter die Welt... Aber ich gebe zu, dass das kein Denken ist, sondern eher eine gelinde Form der Seekrankheit... Die Stockung zu überwinden setzte der Baron die Spieldose in Gang. Auch einen Wechsel in der Kontrolle ordnete er nun an. Von K. und ich wurden abgelöst. Im Dunkel tastete ich mich ans andere Ende der Kette hinüber und fand dort an Reichers Seite Platz, der gleich neben dem Hausherrn sass. Ich hatte das Tischchen vor der Nase. Und kaum bin ich auf meinem Stuhl und habe die Hände meiner Nachbarn gefunden, als es vor meiner Nase an der Spieldose zu fingern beginnt, die auf dem Tischchen steht. Der Baron beeilt sich, das konzertierende Instrument zu stoppen. Und in der Stille, vor meinen Augen, die nichts sehen, kratzt, raschelt und tastet es heimlich dort an dem Hebel der Dose, bemüht, ihn umzulegen. He, du verstecktes und lichtscheu undenkliches Wesen aus Traum und Materie, was treibst du da vor unserer Nase?... Knacks, da wierd der Hebel gewendet, das Spielwerk geht. ‘Kommandieren Sie halt!’ sagt der Baron. Und auf mein Wort wird abgestellt. ‘Los!’ Und die Dose spielt. Dies einige Male. Man sitzt vorgebeugt und kommandiert das Unmögliche, lässt sich von einem Spuk gehorchen, einem scheuen kleinen Scheusal von hinter der Welt....
Eine Pause. Da entsteht allerlei Unruhe unter den Leuchtringen drunten auf dem Teppich. Sie werden hin und her gerückt, von Ort zu Ort geworfen.... Einer steigt auf, die schimmernde Schnur hängt davon herunter, er wird hochgehalten, durch den Raum geführt, zum
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Tischchen getragen. Dort will ‘es’ ihn niederlegen und thut es mit einem Ungeschick, das auf Blindheit schliessen lassen könnte, wenn nicht wahrscheinlich Feigheit und Augenscheu der Grund wäre, Furcht, sich allzuweit im Lichtkreis des Lämpchens auf der Tischplatte vorzuwagen: Linkisch, mit einem gewissen Druck, sodass der Filz an dem Holz kratzt, wird der Ring auf die äusserste Tischkante geschoben, grade nur eben so weit, dass er nicht Uebergewicht nach unten hat, und dabei stösst ‘es’ vor blindem, ängstlichem Ungeschick an den Tisch, stösst daran, hart gegen hart, sodass er wackelt. Pfui, hinterweltliche Unnatur, was stösst du da heimlich vor unserer Nase mit scheusäligem Knöchel an dies ehrbare Tischchen? Und wie ich es denke, plautz, fliegt mir ein Ring ins Gesicht, mit Schwung hat man ihn mir hineingeworfen, en fällt hinunter auf meine Kniee und von dort zu meinen Füssen hin. Was für ein humoristisches Scheusälchen! Man lacht - und ist doch melancholisch berührt von dem frostigen Uebermut eines Etwas, das vielleicht nur eine trübselig verwickelte Abart des Betruges ist. Aber es ist civilisiert, wie ich sagte. Es hat mir nicht die Spieldose ins Gesicht geworpen oder die Schreibmaschine, sondern es wählte taktvoll den kleinen weichen Ring. Man hat Backenstreiche erlebt und anderen Schabernack, so, dass jemandem die Armbanduhr vom Handgelenk geschnallt und im Zimmer umhergeführt, dass selbst jemandem ein Stiefel aufgeschnürt wurde. Aber niemandem, so wird einstimmig versichert, ist je von den Kräften etwas Ernstliches zu Leide geschehen, und das beweist intelligentes Zartgefühl. Dennoch ist eine Neigung zur Demoralisation, zum Unfug und planlosem Kraftmeiertum unverkennbar; die Notwendigkeit beständiger Ueberwachung und pädagogischer Anleitung und Zielgebung
besteht ohne Zweifel, wie sich
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deutlich zeigte, als, nach dem Wurf in mein Gesicht, das Teufelszeug sich daran machte und hartnäckig darauf bestand, die auf dem Tischchen stehende Spieldose umzustürzen. Der Baron fürchtete nicht wenig für sein Instrument und bat himmelhoch ihm doch die Schererei zu ersparen, die heutzutage mit einer Reparatur verbunden sei. Umsonst, ‘es’ versteifte sich eigensinnig darauf, das Kästchen umzukippen, auf dem obendrein das Schiefertäfelchen und der Kreidestift lagen, im Begriffe, herunterzufallen und zu zerbrechen.
Da galt es Ablenkung, und der Baron brachte eindringlich die Schreibmaschine in Erinnerung, die dort vor dem Vorhang am Boden stand, mit eingezogenen Papierbogen, fertig zur Benutzung. ‘Schreibe, Minna’, sagte er. ‘Beschäftige dich nützlich! Wir werden dir zuhören, und dann werden wir die Schrift haben, zum Zeichen, dass wir nicht arme Halluzinierte sind, wie einige deiner Feinde behaupten.’ Und es hat ein Ohr für verständige Gründe, es lässt ab von der Dose. Wir warten. Und bei meiner Ehre, so wahr ich hier sitze, da fängt vor unsern Ohren die Schreibmaschine dort unten am Boden zu ticken an. Es ist verrückt. Es ist, auch nach allem noch, was zuvor geschehen, verblüffend, lächerlich, empörend durch seine Absurdität, und anziehend durch seine Abenteuerlichkeit bis zum Aeussersten. Wer schreibt auf der Maschine? Niemand. Niemand liegt dort im Dunkel auf dem Teppich und bedient das Gerät, - aber es wird bedient. Willis Extremitäten sind gehalten. Mit dem Arm, gesetzt, dass er einen frei machen könnte, würde er bei Weitem nicht bis zur Maschine reichen. Auch mit dem Fuss nicht, wenn er einen frei bekäme, und reichte er auch mit ihm bis dorthin, so könnte er doch mit dem Fusse die Tasten nicht einzeln schlagen, sondern nur viele auf einmal niedertreten, - Willi kommt nicht in Betracht. Aber sonst ist
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niemand da! Was bleibt zu thun, als den Kopf zu schütteln und kurz durch die Nase zu lachen? Es arbeitet scheinbar ganz nach der Kunst, eine Hand schlägt die Tasten, das ist klar, aber ist es wirklich nur eine? Nein, das müssen, wenn man mich fragt, unbedingt zwei Hände sein, die da in Thätigkeit sind: das Getipp geht zu rasch, als dass es nur eine sein könnte, es geht wie bei einer geübten Kontoristin, schon ist die Zeile zu Ende, das Glöckchen schlägt an, man hört, wie der obere fahrende Theil der Maschine mit Geräusch zurückgeschoben wird, die neue Zeile beginnt, sie reisst ab, eine Pause tritt ein.
Da ereignet sich, etwas weiter hinten, vor dem dunklen Hintergrunde des Vorhangs, rasch, eilig und flüchtig folgende kleine Offenbarung. Eine Erscheinung tritt dort hervor, ein längliches Etwas, schemenhaft, weisslich schimmernd, von der Grösse und ungefähren Form eines Unterarmstumpfes mit geschlossener Hand, - nicht exakt zu erkennen. Es steigt ein paar mal hastig demonstrativ vor unsern Augen auf und ab, beleuchtet sich, während es das thut, aus sich selber durch einen kurzen, weissen, die Form des Dinges völlig verwischenden Blitz der von seiner rechten Flanke ausgeht - und ist weg.
‘Da haben Sie eine Materialisation’, sagte der Hausherr, indem er mit dem Finger darauf wies. ‘Es ist ganz gut, dass Sie das noch sehen. Warten Sie, vielleicht macht es uns einen Abdruck!’ Und er gab gute Worte, dass Minna ihre Hand in Mehl abdrücken möge, dem Mehl im Teller auf dem Tischchen. Aber ich glaubte keinen Augenblick, dass sie das thun werde, und sie that es auch nicht, wir warteten vergebens. Es war recht hel auff der Tischplatte, allzu schutzlos hätte das Phantom sich dort unsern prüfenden Blieken ausgesetzt, und das hätte nicht mit dem Bilde übereingestimmt, dass ich
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mir schon von dem scheu-kecken, flüchtigen, versteckten und vexatorischen Charakter dieser Irrwische gemacht hatte, - einem Charakter, zu unbedeutend, um bösartig zu sein, vielmehr gefällig, aber verschämt und schwach. - Es geschah nichts mehr. Ermüdung, so schien es, hatte Platz gegriffen. Willi flüsterte: ‘Gute Nacht!’ Man schloss die Sitzung.
Es war eigentümlich, im nüchternen Weisslicht den Filzring zu meinen Füssen liegen zu sehen, der nicht auf rechte Art dorthin gekommen war. Es war auch merkwürdig, die getippte Schrift auf dem Bogen zu betrachten, die nichts als Unsinn darstellte, zwei Reihen wirr an einander gefügter grosser und kleiner Buchstaben, - was mutmasslich anders gewesen wäre, wenn Willi sich aufs Maschinenschreiben verstünde. Er lag noch schlaftrunken zur Seite über den Arm des einen Kontrollierenden gebeugt. Ich trat zu ihm, klopfte ihn auf die Schulter und sagte ihm, dass das eine glänzende Sitzung gewesen sei, - worauf er mit verschlafenen Augen und einem gutmütig melancholischen Lächeln stumm zu mir aufblickte.
Man kehrte allmählich in die Bibliothek zurück, lebhaft das Geschehene besprechend. Es gab Thee, was sehr wohltat. Und alles endete damit, dass Reicher Theatergeschichten erzählte.
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Was habe ich denn nun also gesehen? Zwei Drittel meiner Leser werden mir antworten: ‘Schwindeleien, Taschenspielerei, Betrug.’ Eines Tages, wenn die Erkenntnis dieser Dinge weiter vorgeschritten, das Gebiet popularisiert sein wird, werden sie leugnen, je so geurteilt zu haben, und schon jetzt, wenn sie denn also mich für einen leichtgläubigen und suggestiblen Rauschbold
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halten, sollte das Zeugnis geschulter Experimentatoren, wie des französischen Gelehrten Gustave Geley, sie stutzig machen, der seinen Bericht mit der kategorischen Erklärung schliesst: ‘Ich sage nicht: es wurde in diesen Sitzungen nicht betrogen, sondern: die Möglichkeit zu einem Betruge war überhaupt nicht vorhanden.’ Das ist durchaus mein Fall, und die so reizvolle wie vertrackte innere Lage ist eben die, dass die Vernunft anzuerkennen befiehlt, was wiederum die Vernunft als unmöglich von der Hand weisen möchte. Das Wesen der geschilderten Erscheinungen bringt es mit sich, dass auch Dem, der mit Augen sah, der Gedanke an Betrug, besonders nachträglich, sich immer wieder aufdrängt; und immer wieder wird er durch das Zeugnis der Sinne, durch die Besinnung auf seine ausgemachte Unmöglichkeit widerlegt und ausgeschaltet.
Aber, wird man mir vorhalten, drei Viertel aller Medien sind Schwindler und als Schwindler entlarvt. - Das ist eine schlimme verwirrende Thatsache, umso verwirrender, als in vielen dieser Fälle, ich möchte annehmen in den meisten, die böse Absicht des Betruges, der Dolus fehlt. Ich bin überzeugt, dass auch unser braver Willi, wenn man ihn frei liesse, zu wagen versuchen und so seine Sache schwer kompromittieren würde: denn es ist glaubhaft, dass er in seinem Traum keinen Unterschied macht zwischen dem, was er mit eigener Hand und dem, was er auf ‘andere’ Weise thut, und da er den begreiflichen Wunsch hegt, etwas zu leisten, so würde er, unkontrolliert, zugreifen, würde ertappt werden und, wie ich sagte, Verwirrung gestiftet haben, ohne dass thatsächlich gegen die okkulte Echtheit der Phänomene, die zustandekamen, als man ihn gut verwahrt hielt, das Geringste bewiesen sein würde. Die Angelegenheit, einigermassen insipid ihren Formen nach, scheint mir wichtig genug, um Erklärungen ern- | |
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sten und selbst feierlichen Charakters zu rechtfertigen. Nachdem ich gesehen, halte ich es für meine Pflicht, mich öffentlich dafür zu verbürgen, dass bei den Experimenten, denen ich beiwohnte, jede Möglichkeit mechanischen Betruges, taschenspielerischer Illusíonierung nach Menschenermessen ausgeschlossen war. Möge man eine solche Bürgschaftleistung waghalsig finden: die Vernunft verpflichtet und zwingt dazu, - indem sie selbst freilich sofort danach trachtet, einen Mittelweg zu erspähen, - und der Alternative von Betrug und Wirklichkeit, sei es auch nur durch ein Wort, zu entkommen. ‘Gaukelei’ ist ein solches Wort, dessen Tiefe durch Trübheit undeutlich gemacht wird. Die Begriffe der Realität und des Truges mischen sich darin, und vielleicht ist das eine Mischung und Zweideutigkeit mit
echtem Lebensrecht, die der Natur weniger fremd ist, als unserem bideren Denken. Ich sage also: Bei dem, was ich sah, handelt es sich um eine okkulte Gaukelei des organischen Lebens, um untermenschlich - tief verworrene Komplexe, die, zugleich primitiv und kompliziert, wie sie sein mögen, mit ihrem wenig würdevollen Charakter, ihrem trivialen Drum und Dran, wohl danach angethan sind, den aesthetisch stolzen Sinn zu verletzen, aber deren anormale Realität zu leugnen nichts als unerlaubtes Augenschliessen und unvernünftige Renitenz bedeuten würde.
Uebrigens steht ihre wissenschaftliche Erforschung nicht mehr gradezu in den ersten Anfängen; zum mindesten hat die Wissenschaft sich ein technisches Vokabular dafür angelegt, mit dessen Hülfe sich auf anständige Weise darüber reden lässt. Was ich sah, waren telekinetische Phänomene, Erscheinungen der ‘Fernbewegung’, in deren Hervorbringung grade dieses Medium, der junge Willi G. besonders stark ist, und die in engem ursächlichem Zusammenhange mit dem okkulten
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Naturphänomen der Materialisation, d.h. der transitorischen Organisation von Energie ausserhalb des medialen Organismus, der Exteriorisation also, steht. Es ist unter verständigen Leuten ausgemacht, dass das Agens, welches die beschriebenen Spielereien vollführt, die Glocke schwingt, das Taschentuch aufhebt, die Schreibmaschine bedient, nicht irgend eine spiritistische ‘Intelligenz’ namens Minna, auch nicht Aristoteles oder Napoleon, sondern das teilweise exteriorisierte Medium selber ist. Nur freilich ist damit für die rationale Zugänglichkeit des Problems sehr wenig gewonnen, - im Gegenteil, an rein gedanklicher Klarheit und Simplizität ist die populär spiritistische Hypothese der Gelehrten bei Weitem überlegen, und das okkulte Problem der Exteriorisation und Materialisation offenbart je länger je mehr eine scheinbar geradezu auf Verhöhnung des Menschengeistes angelegte Kompliziertheit. Was Wunder aber, dass dem so ist, da es letzten Endes mit dem angeblich nicht okkulten Problem des Lebens selbst zusammenfällt!
‘Das was das Leben beherrscht’, hat Claude Bernard gesagt, ‘ist weder die Chemie noch die Physik noch etwas Aehnliches, sondern das ideëlle Prinzip des Lebensprozesses.’ Ein eigentümlich verschwommenes Wort für einen grossen Gelehrten, der obendrein Franzose war, ein vag nach einem Geheimnis tastendes Wort, welches beweist, dass gerade grosses Gelehrtentum die innere Fühlung mit dem Geheimnis niemals verliert und nur Schul-Durchschnitt der Gefahr wissenschaftlichen Dünkels erliegt, uneingedenk, wie wenig vollkommen, wie sehr von Geheimnis und vielleicht nie zu lösendem Rätsel durchsetzt all sein ‘exaktes’ Wissen von der Natur, vom Leben und seinen Funktionen ist. Als gesicherte Tatsache des Okkultismus kann heute gelten, dass jenes in der normalen Physiologie wirkende bil- | |
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dende Prinzip in gewissen Fällen teleplastischen Charakter gewinnt, d.h. die Grenzen des Organismus überschreitet und ausserhalb seiner (‘ektoplastisch’) wirkt, - nämlich so, dass es aus der exteriorisierten (in ihrem Hervortreten und ihrer Formenbildung übrigens schon ziemlich genau beobachteten) organischen Grundsubstanz Formen, Glieder, körperliche Organe, namentlich Hände, vorübergehend ins Dasein ruft, die alle biologischen Eigenschaften und funktionellen Fähigkeiten normal physiologischer Gebilde besitzen, biologisch lebendig sind. Diese teleplastischen Endorgane bewegen sich scheinbar frei im Raum, stehen aber allen Beobachtungen zufolge mit dem Medium in physiologischem und psychologischem Rapport, dergestalt, dass jeder durch das Teleplasma empfangene Eindruck auf den medialen Organismus zurückwirkt, - und umgekehrt. Man beachte hier, wie sich die supranormale Physiologie mit der normalen in dem Bestreben findet, die Einheit der organischen Substanz zu erweisen. Denn jenes Fluidum, das,
in verschiedenem Dichtigkeitszustande, als amorphe, nicht organisierte Masse den Körper des Mediums verlässt, und aus dem die verschiedenen teleplastischen Organisationen, Hände, Füsse, Köpfe sich gestalten, um sich nach ephemerem, aber aller Attribute des Lebens teilhaftigem Dasein wieder aufzulösen, und durch den medialen Organismus reabsorbiert zu werden, - dies Fluidum, diese Substanz, dies Substrat der verschiedenen organischen Bildungen ist einheitlich, undifferenziert; es unterscheidet sich da nicht etwa eine Knochensubstanz von einer muskulären, einer viszeralen, einer nervösen; es gibt nur die eine Substanz, die Basis und das Substrat des organischen Lebens.
Wahrscheinlich bedeutet alles geordnete Denken und Reden über dies abenteuerliche Thatsachengebiet, alles
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theoretische Interpretieren heute nur voreilige Schein-Klärung. Jedenfalls aber hiesse es über das Materialisationsphänomen, wie über das Rätsel des Lebens überhaupt, aufs unzulänglichste denken und reden, wenn man nur seine physisch-materielle Seite ins Auge fasste und nicht auch die psychische. Es war Hegel, der gesagt hat, dass die Idee, der Geist als letzte Quelle anzusehen sei, aus der alle Erscheinungen fliessen; und diesen Satz zu beweisen ist die supranormale Physiologie vielleicht geschickter, als die normale, - ja, sie unternimt es, den philosophischen Beweis des Primates der Idee, des ideellen Ursprungs alles Wirklichen neben den biologischen von der Einheit der organischen Substanz zu stellen.
Ganz unbelehrter Weise und auf eigene Hand habe ich mir die telekinetischen Vorgänge als magisch objektivierte Traumvorstellungen des Mediums gedeutet. Die gelehrte Literatur gibt mir recht, indem sie mit einer ehrfurchtgebietenden Häufung von Kunstausdrücken erklärt, die Idee des Phänomens, lebendig im sonnambulen Unterbewusstsein, mit dem sich übrigens dasjenige der sonst Anwesenden vermische, werde mit Hülfe psychophysischer Energie ‘durch eine biopsychische Projektion ektoplastisch auf eine gewisse Entfernung hin umgesetzt und ausgeprägt, d.h. objektiviert’. Man ruft, mit anderem Worte, eine unerforschte ideoplastische Fähigkeit der medialen Konstitution zu Hülfe, - ein Wort, ein Hülfsbegriff von platonischem Zauber, nicht ohne schmeichelhafte Eigenschaften für das Ohr des Künstlers, der schnell bereit sein wird, nicht nur sein eigenes Handwerk, sondern auch die gesamte Wirklichkeit als ideoplastisches Phänomen zu deuten; ein Wort, ein Begriff bei alldem von genau so trüber Tiefe, wie der von mir vorhin angezogene der ‘Gaukelei’, und kraft seiner foppenden Mischung aus Elemen- | |
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ten des Traums und der Realität direkt ins krankhaft Widersinnige führend.
Ich will dafür ein einziges, aber schlagendes Beispiel geben. Es ist wiederholt versichert worden, dass die ideoplastischen Gebilde, so lange sie eben vorhanden sind, alle Eigenschaften des wirklichen Lebens besitzen. Sie haben sich, wenn sie bei Laune waren, nicht nur sehen und abtasten lassen; man hat ihre objektive Realität nicht nur durch die Photographie und durch Apparate sicher gestellt, die ihre telekinitischen Leistungen registrierten: man hat sie sogar in Gips abgegossen, und zwar so, dass man Hände transcendentaler Herkunft veranlasste, sich in geschmolzenes, auf warmen Wasser schwimmendes Paraffin zu tauchen. Dadurch bildet sich augenblicklich um das Geisterglied eine Gussform, die in der Luft erstarrt, und aus der keine Menschenhand sich befreien könnte, ohne sie zu zerbrechen. Das teleplastische Organ aber löst sich daraus, indem es sich dematerialisiert, und man giest den im Laboratorium niedergelegten Paraffinhandschuh mit Gips aus, um einen Abguss zu gewinnen, der die Form der Materialisation in allen Einzelheiten wiedergibt. Wohlgemerkt: die so gewonnenen Handformen wiesen nach Gestalt und Linienlauf keine individuelle Aehnlichkeit mit den Händen des Mediums, noch mit denen eines der übrigen Theilnehmer auf. In einer Sitzung mit Willi G. nun ereignete sich folgende Verrücktheit (und es ist nicht die einzige ihrer Art!). Bei sorgfältigster Kontrolle des Mediums zeigte sich über einem auf dem Tischchen stehenden Block aus grauer Tonerde, ‘von oben und hinten kommend’, ein Handartiges, rosa leuchtendes Gebilde mit Vorderarm, das auf der Oberfläche der Tonerde herumhantierte. Nach der Sitzung stellte man sechs flache Eindrücke auf der vorher glatten Oberfläche fest. In dem Nagelbett von Willis linkem kleinen Finger aber
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und auf dem Rücken des vierten Fingers derselben Hand fanden sich Spuren von Tonerde.
Ich frage Natur und Geist, ich frage die Vernunft, die thronende Lohik: Wie, wann und wo war die Tonerde an Willis Finger gekommen?
Nein, ich werde nicht mehr zu Herrn von Schrenck-Notzing gehen. Es führt zu nichts, oder doch zu nichts Gutem. Ich liebe das, was ich die sittliche Oberwelt nannte, ich liebe das menschliche Gedicht, den klaren und humanen Gedanken. Ich verabscheue die Hirnverrenkung und den geistigen Pfuhl. Zwar habe ich bisher nur einige Flocken Höllenfeuers gesehen, allein das muss mir genügen. Ich möchte freilich einmal, wie das anderen geschehen, eine solche Hand, ein solches metaphysisches Gaukelbild aus Fleisch und Bein in meinen halten. Und vielleicht erschiene auch mir einmal, wie er Anderen erschienen, über die Schulter des Sonnambulen Minna's Kopf: ein schöner Mädchenkopf von slavischer Bildung und mit lebendig blickenden schwarzen Augen. Das müsste, wenn auch abwegig, so doch sehr seltsam sein. Ich werde also versuchsweise noch ein oder das andere Mal mich zu Herrn von Schrenck-Notzing begeben, zwei oder dreimal, nicht öfter. Das kann mir nicht schaden, ich kenne mich. Ich bin der Mann der kurzen Leidenschaften, ich werde sehen, dass es zu nichts führt und mir das Ganze für immerdar aus dem Sinne schlagen. Ich will auch nicht zwei oder dreimal noch dorthin gehen, sondern nur einmal, nur noch ein einziges Mal und dann nie wieder. Ich will nichts weiter, als einmal noch das Taschentuch vor meinen Augen ins Rotlicht aufsteigen sehen. Das ist mir ins Blut gegangen, ich kann's nicht vergessen. Noch einmal möchte ick, gereckten Halses, die Magennerven angerührt von Absurdität, das Unmögliche sehen, das dennoch geschieht.
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