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Der Russe redet
(Duitsch van Alexander Eliasberg)
(Slot)
Ich habe es sehr gern, wenn ich Fieber habe, und ich glaube, dass der Mensch krank sein muss. Früher war ich niemals krank, und glaubte an keinen Schmerz. Aber jetzt verstehe ich alles und hab sogar mit Lust Lesen und Schreiben gelernt...
Mitten im Walde ein Kreuz, jemand liegt da begraben. Ich setzte mich hin und hatte keine Angst... Um Mitternacht stieg der Nebel unter den Tannen auf, der Nebel hauchte mich kalt an, da packte mich der Gram am Herzen... An meinen ganzen Kummer musste ich denken... Der ist wohl einen schweren Tod gestorben, dass er mitten im Walde beerdigt ist... Hat wohl viel Leid empfangen, wenn er auch nach dem Tode Gram um sich sät...
Gräme dich nicht, Bursch, trauere nicht, wirst nicht viel von deinem Schicksal verlieren. Bist noch jung. Der Krieg wirft die ganze Welt um, aber eine einzelne Seele wird wie eine Erbse im Sack ruhig ans Ziel kommen. Wenn du nur dein Leben schonst...
Uns sind nur fromme Bücher erlaubt, du bemühst ganz umsonst die Schwester, sie hat kein Recht. Erzähl dir lieber selber was, das ist besser. Wenn ich liege, schliesse ich die Augen und sehe alles, was ich will... Ich habe
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es gelernt. Nur eines kann ich nicht erreichen: eine Tür kann ich im Geiste nicht aufmachen. Wenn ich zu einer Tür komme, muss ich mir wieder etwas neues ausdenken...
Ich möchte gern die fremden Länder nicht als Soldat besuchen. Ich hab es furchtbar satt, um mich herum Angst wie Korn auszustreuen. Nein, friedlich möchte ich sie besuchen, als Mensch... Wenn ich jetzt in eine Stadt komme, schäme ich mich, ich weiss selbst nicht warum. Ich fürchte den Menschen in die Augen zu schauen... Man sagt: alles ist so, wie es sein muss... Warum kann man dann den Menschen nicht in die Augen schauen?.. Eine böse Sache ist der Krieg ...
Meine Seele habe ich im Kriege begriffen. Ich bin ein braver Mensch und gut gegen die Leute. Hier habe ich nichts zu suchen. Ich habe nichts eigenes, alles ist Kommiss... Sogar meine Seele gehort mir nicht... So will ich gern alles hergeben, auch die Seele...
Da ich weiss, dass das Tier keine Seele in sich hat, so ist es auch keine Sünde, es zu erschlagen, man braucht es nicht zu beichten. Das liebe Vieh braucht nicht lang zu leben, denn es hat keine Sünden abzubeten. Wir haben aber Mitleid mit dem Tiere, weil dem Menschen eine grosse Seele gegeben ist. Er kann sich alles leisten: seine Seele langt selbst für den seelenlosen Stein, darum hat es mit allem Mitleid...
Was feilschst du mit mir? Wenn du mich liebst, so werde für immer mein. Du kommst aber mit Fragen: ob ich trinken werde, ob ich dich schlagen werde, ob ich andere Mädels lieben werde? Wenn du es mir nicht selbst ohne jede Ueberlegung glaubst, so liebst du mich nicht, und ich will dicht nicht...
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Asuch unsereins erlebt im Kriege Wunder. Was es war, weiss ich nicht. Ich konnte nicht weiter, blieb zurück und legte mich in einen Graben. Ich denke mir: sie gehen nicht weit, ich hole sie noch ein... Ich liege da und höre: sie gehen und gehen... Der Morgen ist schon nahe, ich kann aber nicht aufstehen... Ich höre, sie gehen noch immer, lauter Infanterie. Die Stiefel hallen laut, sie gehen stramm im Schritt undTritt... Ich denke mir: Mein Gott, was ist es denn? Wir haben hier gar nicht so viel Soldaten, - sind es am Ende Deutsche?... Ich hebe den Kopf über den Grabenrand und sehe: die ganze Chaussee ist, so weit man sehen kann, voller Leichen... Sie sind nach den Truppenteilen aufgestellt und haben alle weisse Totenhemden an... Man hört das Trampeln, sie schweben aber wie Nebel daher, regen sich nicht... Da erstarrte ich vor Schreck...
Was hab ich denn gewollt? Kein Blut vergiessen, sondern wie ein Christ im Kriege Hilfe spenden... Ich hatte Glück und kam in eine Sanitätsabteilung... Ich fahre die Verwundetentransporte und versehe die Pferde... Das ist meine ganze Arbeit... Mein Herz lechzt aber nach mehr, ich kann ja lesen, habe Mitleid mit den Menschen und verstehe fast alles... Ich müsste ein Examen ablegen... Mancher andere macht keinen Unterschied zwischen einem Pferd, einem Verwundeten oder einem Buch... Wenn er nur zu fressen kriegt... Mich zieht es aber zu grossen Sachen hin. Ich würde gern hungern, wenn ich nur alles zeigen könnte, was ich kann...
Am meisten würde mich interessieren, einmal ein Telegramm zu bekommen. Ich habe noch nie eines bekommen, ich würde wohl mehr als vor einer Bombe erschrecken...
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Ach, wer soll uns lieben, wir sind ja ausserlich gar zu unansehnlich. Die Herrschaften können nicht essen, wenn sie uns anschauen. Die meisten schauen uns auch nicht an, und wer uns anschaut, der sieht uns nicht. Wer hat Lust dazu...
Wieviel verstümmelte Kinder ich hier gesehen habe! Einen Judenjungen kann ich gar nicht vergessen. In einer einzigen Stunde haben ihn die Soldaten zu einer Waise gemacht. Seine Mutter erschlugen sie, seinen Vater hängten sie auf, seine Schwester schändeten sie und quälten zu Tode. Und so blieb er allein, ist nicht mehr als acht Jahre alt und hat noch ein Brüderchen, einen Säugling bei sich. Ich will recht freundlich zu ihm sein, gebe ihm Brot, will ihm den Kopf streicheln. Er schrie aber auf wie ein Vampyr und rannte davon über Stock und Stein. Er war mir schon aus den Augen verschwunden, aber ich hörte noch immer, wie er vor Kummer und Verwaistheit wie ein Tier heulte...
Ueber eines muss ich mich wundern: alle Soldaten, die ich kenne, ohne Ausnahme schämen sich vor einem Klavier. Es gibt manchen frechen Kerl, der im Stande ist, mitten auf der Strasse alles zu machen, kaum legt er aber die Hand auf die Tasten, so muss er erröten. Sagt nichts, flucht nur unflätig. Die Herren kennen diese Scham nicht, das macht die Gewohnheit...
Es kommt vor: wenn ich etwas Gutes erlebe, wenn ich einen Brief von daheim bekomme, in dem man mir schreibt, dass alles in Ordnung sei und dass alle mich grüssen, so wird meine Seele lokker, und ich fange an, mir allerlei zu denken und in Gedanken zu sündigen. Nein, der Mensch muss eine gespannte, straffe Seele haben, damit die Seele immer nur an eines denke, nur
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so kann man der Sünde aus dem Wege gehen...
Ich las hier ein Büchlein von der Liebe... Es kommt mir so sonderbar vor, ich kann es nicht recht glauben. Vielleicht ist es bei den Herrschaften so... Wenn ich es mir so überlege, so stimmt es, dass es am Wichtigsten ist, das Allerbeste zu finden. Aber das glaube ich nicht, dass der Mensch wegen seiner Liebe sein Brot und seine Wohnung opfert... Bei uns ist die Liebe schwer und meistens tief in der Seele verborgen... Aber unser Leben ist vernünftig...
Und er kam ins Jenseits. Vor ihm erhebt sich ein graues Tor, ist mit rostigen Schlössern zugesperrt. Das Tor und die Schlösser sind so gross, dass er sich gar nicht ausdenken kann, wie durch das Tor zu kommen. Er klopft mit seiner sterblichen Hand, es klingt aber so leise, wie wenn ein Spatz übers Dach geht. So steht der Mensch alle Zeiten vor dem Tor und kann nicht erfahren, was hinter dem Tore ist: die Hölle oder das Paradies. Diese Strafe hat der Herr für die Kleingläubigen erdacht...
Du sagst, alles sei eins. Was ein Mensch nicht alles sagen kann! Aber ein Klotz bleibt sein Lebtag derselbe, die Würmer nagen ihn sogar immer neu. Doch der Mensch... Es gibt auf der Welt den Tag und die Nacht, es gibt auch allerlei Sonnenauf- und -untergänge. Und der Mensch ist zu jeder Stunde verschieden. Die Seele ist wohl dieselbe, aber sie gibt zu jeder Stunde einen anderen Widerhall. Mit der Sonne fühlt sie Freude und Leben, mit der Nacht - Trauer und Tod; der Schlaf ist wie eine Mutterhand: er schliesst einem die Augen und gibt ihm Ruhe und Liebkosung. Schau dich nur im- | |
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mer um und pass auf alles auf, dann wirst du manches sehen. Du sagst aber ‘alles sei eins’!
Ueber die ganze Welt hat sich der Krieg ausgebreitet.. Es gibt nur einen Ausweg aus ihm: ins Jenseits.. Wenn ich wüsste, was dort für ein Leben ist, wäre ich schon längst weg...
Der deutsche Kopf ist wie eine gute Fabrik: du ölst ihn, und er arbeitet vortrefflich, ohne Störung. Was sind wir dagegen!... Vor allen Dingen hat man uns zu viel geschlagen. Auch mir träumt auch heute noch nichts als Schläge. Lehren tut man uns nichts, nur quälen und peinigen...
Ich werde mich wohl am Flusse hinlegen, aber an einem See oder einem anderen stehenden Wasser tu ich es auch um einen Tausender nicht. Ich habe dieses erlebt. Ich verzankte mich einmal mit meiner Alten, ging zum Schenker ins Kirchdorf nach Schnaps und setzte mich auf dem Heimwege ans Ufer eines solchen Sees. Ich esse zum Schnaps Kringel und wünsche meiner Alten alle Teufel an den Hals. Ich betrank mich ein wenig und schlief dann, bis der Mond aufging... Wie der Mond aufgeht, öfïne ich die Augen und sehe auf dem Wasser Kreise... Wie wenn ein Fischchen darin spielte... Aber ganz wie ein Fischchen... Es sind aber keine Fische, sondern grüne Menschengesichter, ohne Mund, mit hervorquellenden Augen... Die Gesichter schliessen sich zu einem Kreis und strecken sich wie auf Stengein aus dem Wasser dem Monde entgegen... Der Stengel ist dünn wie eine Saite, und die Gesichter erheben sich wie die Sonnenblumen über dem Wasser, und rollen die Augen hinauf... Da begriff ich, dass es Totengesichter sind...
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Man liess mich ein, und ich sah mir die verschiedenen Tiere und Vögel an. Eine unsagbare Herrlichkeit. Die Vögel haben Federn wie der Regenbogen und Augen darin wie Edelsteine. Und es gibt solche Tiere, dass man es kaum glaubt. Da ist beispielsweise der Löwe, der König der Tiere. Um ihn herum stehen die Leute und gaffen, er aber liegt unbeweglich da und schaut durch einen hindurch, als ware es ein leerer Platz. Er sieht wohl etwas Eigenes, was wir nicht begreifen. Unter seinem Fell fühlt man eine Kraft wie Gusstahl, und seine Ruhe ist schrecklich...
Er war een merkwürdiger Mensch. Man fürchtete ihn und schämte sich vor ihm, aber es war nicht zu verstenen, was für eine Kraft in ihm war. Er war schwach und kränklich, trug eine Brille auf der Nase und ging immer mit einer Krücke. Aber seine Seele war licht und mitleidsvoll, und in dieser Seele lag die grosse Kraft...
Hier ist es so traurig ohne Vögel. Wenn ich mich an meine Kindheit erinnere, muss ich nicht nur an die Schläge, sondern auch an die Vögel denken. Wenn der Vater mich nicht fortlässt, übernachte ich in den Gemüsefeldern. Da gibt es viele Hollunderbüsche, für die Vögel sind sie das grösste Vergnügen, und Beerenstraucher ringsum. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, aber im Gebüsch regen sich schon die Vögel und probieren ihre Stimme. Ihre Stimmen haben des Morgens ihre eigene Sonne. Eine solche Freude liegt in ihnen, dass die Sonne gar nicht anders kann, als auf diese hellen Rufe zu erscheinen, sie hält es einfach nicht aus...
Alles is Betrug, du bist dumm, wenn du allem glaubst... Da flattert eine Schwalbe, und du glaubst, sie habe keine
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Sorgen... Sie flattert aber nur, um sich den Magen zu füllen... Alle sind so, jedes Weib und jede Hündin; du aber glaubst, sie freue sich nur der Sonne... Alles ist Betrug... Dass aber der Mensch glauben muss, dagegen sage ich nichts... Man sage mir nur, woran ich glauben soll, ohne dass es dumm sei... Ich weiss, wenn der Mensch seine Seele auftun könnte, wenn er sie wenigstens sich selbst öffnen würde, so würden die Menschen begreifen, was man glauben muss...
Abends vor dem Einschlafen war es oft sehr interessant. Wir redeten miteinander, bis es uns übel wurde. Was wir da nicht alles durchnahmen: mit Gott fingen wir an und mit den Frauenzimmern hörten wir auf... Daheim habe ich aber niemand, mit dem ich ein Wort reden könnte. Habe mich müde gearbeitet, lege mich hin und versinke sofort ins Jenseits. Ich werde doch nicht mit meiner Frau diskutieren...
Der Traum ist die einzige Freude... Wenn man nicht schläft, so lebt man nicht... Im Traume sieht man sein Heim und redet mit allen wie ein Mensch... Was erbitte ich mir jetzt, wenn ich vor dem Einschlafen bete und mir die Stirne bekreuze?... Ich spreche wohl die vorgeschriebenen Gebete, dann aber: ‘Herr, lass mich von meinem Heim träumen...’ Wenn man nicht die Träume hätte, so wäre es viel schwerer...
Hier habe ich Freunde. Daheim habe ich keine gehabt. Nur eine Frau und Kinderchen. Ich härme mir ihretwegen wohl das Herz ab, aber sprechen kann ich mit ihnen nicht... Doch hier habe ich angefangen, klüger zu werden, habe gelernt, den Menschen zu verstenen, und bin fähig, eine Heldental zu verüben. Daheim macht der Bauch unser Leben viel zu schwer...
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In alten Zeiten war das Leben anders. Das Volk, besonders die älteren Männer und Frauen wussten alles und sahen in jedem Ding den Sinn. Wir aber fühlen, dass das Ding wohl einen Sinn hat, können ihn aber nicht erf assen. Nehmen wir z. B. diese Blumen, diese roten Mohnblumen, die zwischen den Drahtverhauen in den Himmel wachsen; sie blühen sicher nicht umsonst, und ragen nicht nur ihrer selbst wegen zum Himmel empor... Vielleicht tragen sie Gebete für die Krieger hinauf... Die Grossväter härten es vielleicht gewusst... Wir aber fühlen es wohl, verstehen es aber nicht zu erklären...
Ich meine, der Mensch lebt mehr als einmal auf dieser Welt. Manchmal träumt man, dass man im eigenen Hofe in einem wunderbaren Lande wohne. Und das träumt man nicht ein Mal, und nicht zwei Mal, sondern fast jede Nacht. Wenn man so was auf einem Bilde sieht, versteht man es nicht sogleich, im Traume kommt man sich aber wie ein Fisch im Wasser vor...
Ach, das hübsche Mädchengesicht! Es bewirkt keine gemeine Tat. Im Gegenteil, es erweicht die Seele. Wenn so eine hübsche Beere lächelt, hat man Lust, nur Gutes zu tun. Man ist bereit, alles zu verschenken; das einzige Schlimme daran ist, dass man sich selbst zuwider wird, wegen irgendeiner alten Gemeinheit...
Warum lieben mich die Weiber so? Ich kan die Strengste besanftigen und verlocken. Auch ein Mädel kann ich leicht verführen. Nur weil ich so freundlich bin. Unsere Weiber sind es aber nicht gewohnt. Ich locke sie durch Lachen heran, und wenn sie etwas zutraulich geworden ist, weine ich mit ihr über ihr Leid. Dann kann ich sie einfach mit den Händen nehmen, sie ist ganz mein...
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Die Häslein kommen aus der Häsin in einem Sack heraus... In einer Art Fischblase. Wenn der Sack draussen ist, zerplatzt er, und die Häslein fliegen nach allen Seiten und in die Höhe... So lernen sie springen. Ebenso ist es mit allen anderen Springern, auch mit den Flöhen...
Ich arbeitete im Felde bis zur Dunkelheit, wurde müde und legte mich auf eine Garbe schlafen. In der Nacht fühle ich etwas Warmes neben mir. Ich taste mit der Hand, es ist ein Mädel... Da hüpfte mein Herz vor Freude... Ich schmiege mich an sie, sie sagt nichts, ich liebkose sie, sie wehrt sich nicht... Nachher wollte ich gerne wissen, wer sie sei... Ich rieb leise ein Zündholz an... Hübsch ist sie, und ich kenne sie gar nicht. Weder bei uns, noch imKirchdorfe habe ich eine solche gesehen... Die Augen sind schwarz und streng... Sie stand auf und ging... Ich halte sie an der Hand, habe mich noch nicht sattgeküsst, aber sie leidet es nicht mehr... Ich ging ihr nach. Auf der Strasse steht ein Zigeunerwagen, eine Alte sitzt darin und kleine Kinder wie Käfer... Kein einziger Mann dabei. Die Meine stieg in den Wagen, sah sich nach mir nicht mehr um und trieb das Pferd an... Und sie verschwanden alle im Schritt... Es war wie ein Traum...
So unansehnlich ist sie, man möchte sie gar nicht anschauen. Ist nur faustgross, hat einen grossen Kopf, böse Augen, sträubt die Federn, und hoekt sich immer hin wie eine Kröte. Wenn sie aber zu singen anfängt, so kommen aus ihrer Kehle zarische Klänge und englische Stimmen...
So rein kann man sich nur im göttlichen Tau waschen. Sie singt so und so, frohlockt wie ein lachendes Kind, dann wiederholt sie die Klagen der Heiligen über die
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sündigen Menschen, - man kann seinen ganzen Lebensweg vergessen. Und sie singt immer anders, immer neu, auf andächtige Gedanken bringt einen so eine Nachtigall...
Adam sieht: die Sonne zieht aus der Erde einen weissen Stengel heraus. Der Stengel wird immer länger, und die Blüte auf dem Stengel ist weiss und rot. Die Augen sind blau, ein goldener Zopf fällt auf die Schultern, der Sinn ist leicht, die Stimme klingt süsser als Vogelgesang, und sie schmeichelt wie ein Kätzchen...
Eine Mutter hat immer zu leiden. Es war einmal eine alte Mutter, ihre Söhne hatte man erschlagen, einen nach dem andern hatten sie die Feinde umgebracht. Alle ihre Tränen hatte sie ausgeweint, beweinte den letzten mit Blut statt Tränen. War eine schmerzensreiche Mutter, man nannte sie auch die Schmerzensreiche. Mitihrem Schmerz füllte diese Mutter die ganze Erde. Bis ans Ende der Zeiten ist der Schmerz der Mutter der allergrösste...
Ich war von Kind auf furchtsam. Besonders fürchtete ich den Donner. Wenn es donnerte, konnte ich mich vor Schreck kaum halten. Hier verliere ich vor Angst alle Kraft. Nicht den Tod fürchte ich: mein Leben ist hier sehr schwer. Alle zeigen auf mich mit den Fingern, ich sei ein Feigling. Bin ich aber dessen froh?... Ich würde mein Leben wie eine Zwiebel dafür hergeben, wenn ich nicht fürchten könnte: hier, nehmt es... Ach, ich bin hier gar nicht am richtigen Platz, ich gehöre in ein Lazaret, um den Verwundeten zu dienen. Ich bin mitleidig und habe eine leichte Hand... Aber dieses Glück erlebe ich nicht...
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In die Stube trat ein kleiner grauer Mensch. Sein Gesicht ist trocken und dunkel, und die Augen sind scharf. ‘Ich werde,’ sagter, ‘deine Seele holen kommen, wenn du mich selbst rufst. Jetzt geb ich dir einem Apfel. Wenn du ihn isst, lebst du aufs Neue. Aber merke dir. Ich werde dir nichts sagen, aber dein Tod kann nur durch mich kommen. Leb wohl...’ Und er verschwand. Der Bauer zittert und schaut immer den Apfel an. Er denkt sich: ‘So werde ich bis zum Ende der Welt leben, werde ihn aber selbst nicht rufen.’ Und er ass den Apfel. Und er war auf einmal reich und schön, aufs beste gekleidet und hatte einen vollen Geldbeutel. Und von dem Tage an begannen seine Leiden. Anfangs fürchtete er immer, das Gold und die Kraft zu verlieren, als er aber merkte, dass sein Geldbeutel sich niemals erschöpfte, fing er an, sich allerlei süsse Sachen zu verschaffen. Anfangs befriedigte er nur seinen Bauch und seine Wollust, aber sehr bald fing er an, Menschen zu peinigen und zu töten. Dann aber wurde seine Seele schwach, und er konnte all das Süsse nicht mehr aufnehmen. Sein Leben wurde schwärzer als die Nacht. Nur dem Teufel zum Trotz bewahrte er noch seine Seele. Aber als er das Aeusserste erreichte, rief er den Tod. Der Graue kam am Abend, nahm seine Seele, und nun ist sie in der Hölle bis ans Ende der Zeiten...
Ist denn ein Toter hier schrecklich? Hier fürchtet man ihn nicht, hier ist keine Seele in ihm, und sie ist auch nicht um ihn herum... Hier haben wir alle eine gemeinsame Seele... Wenn du etwas von ihr in dir hast, so erschreckst du nicht...
Es ist, wie wenn ein unsichtbares Netz ringsum gespannt wäre... Wir gehen sorglos umher, bis wir in dieses Netz geraten... Ist man aber hineingeraten, so ist est gleich um die Menschenseele geschehen...
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Wenn du hier einen tötest, so lobt man dich noch dafür... Aber man hat davon gar kein Vergnügen... Es gibt doch nichts Schlimmeres, als eine Menschenseele umzubringen; wenn man aber schon eine umbringt, so soll es wenigstens verboten sein... Dann wird man viel leichter mit seinem Gewissen fertig... Man bezahlt die Sünde mit ihrem vollen Preise und ist sie los...
Ich meine, es gibt keine Sünde... Wenn ich etwas tue und Gott alles sieht, so ist es doch sein Wille, es zuzulassen oder nicht zuzulassen... Wenn mein Söhnchen ins Feuer geht, so ziehe ich es heraus und gebe ihm eins auf den Hintern, und wenn ich es vorher sehe, so lasse ich es nicht zu... Gott sieht aber alles... Wenn etwas Böses geschieht, so ist auch das Gottes Wille... Für Gott gibt es keine Sünde...
Und wenn es auch die Sünde gibt, so ist sie wahrlich nicht gross... Ich lache immer, wie die Menschen die Sünde fürchten... Alles ringsum ist aber voller Sünde... Wenn man alles mit glühenden Kohlen bezahlt bekäme, so wäre das Paradies leer... Auch die grössten Heiligen zerdrücken einen Floh und zertreten das Gras...
Ich sah bei ihnen ein spassiges Gefäss auf einen höhen Fuss; es mag ein Weinglas gewesen sein. Sieht wie ein Fisch aus. Und in diesem Glase sind allerlei Farben, so freundlich und süss für das Auge wie eine Frühlingsnacht mit Mondschein...
Das Mitleid drückt mir zuweilen das Herz wie mit einer Hand zusammen. Alles auf Gottes Welt tut mir so leid, dass ich weinen könnte. Alles liebe ich, alles bemitleide ich, jedes Ding ist mir wie mein eigen Kind. Dann gibt es für mich weder einen Deutschen, noch einen Tataren.
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Ob Käfer oder Katze, ob Mensch oder Stein, alles ist schön, alles ist mir lieb, alles tut mir leid. Wegen dieser zärtlichen Gefühle liebte ich ja Schnaps zu trinken...
Die Arbeit hat uns furchtbar ermüdet. Früher glaubte man noch an das Gebot, dass vieler Mühen wegen viele Sünden vergeben werden. Wenn man sich aber sagte, dass man beim Arbeiten keine Zeit zum Sündigen habe, so fühlte man sich so mächtig zur Sünde hingezogen, als gäbe es auf der Welt nichts Besseres als die Sünde. Ich glaube, dass zu viel Arbeit für das Seelenheil nicht sehr nützlich ist...
Ich meine, das Wichtigste in der Welt sind die Feiertage. Nur des Feiertags wegen nimmt man die Arbeit auf sich...
Als der liebe Gott die Sonne in den Himmel setzte, da fing auch das Lachen bei den Menschen zu blühen an. Man sagt, auch der Sonne sei ein Tod beschieden. Der ist wohl nicht mehr fern. Schon bei meinen Lebzeiten haben die Menschen angefangen, wenigerzu lachen...
Krieg ist Krieg, aber er ist nichts für die Menschenseele. Wenn wir auf dieser Welt genug Zeit hätten, so würde es sich auch lohnen, über den Krieg nachzudenken. Aber das Leben ist kurz, und in dieser kurzen Spanne muss man seine Seele für ewig lebend erhalten. So kitzelt der Krieg einem nur das Feil, man hat nur eine Sorge: sein Seelenheil zu bewahren, sei es im Kriege, sei es im Frieden...
Er bittet: Gott, lösche dieses Feuer, lass mich wieder auf die Erde, ich habe jetzt gelernt, ich werde ein neues Leben anfangen. Das Feuer erlosch, und die Erde tat
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sich auf. Er sprang auf die Erde und hatte im Fluge sein Gedächtnis verloren. In seinem neuen Leben stellte er solche Sachen an, dass man ihm nach seinen Tode ein dreimal so starkes Feuer anzündete...
Halt, schweig, hör auf ein feuriges Wort. Der Himmel redet jetzt und die Hölle. Die Menschenrede ist verstummt. Wer die Geschütze und die Flugzeuge erdacht hat, weiss ich nicht. Ich weiss nur das Eine, dass dadurch eine grosse Ernte für den Tod bereitet ist. Wenn der Krieg aufhört, so wird es keinen Tod mehr auf Erden geben. Und wenn es einen geben wird, dann nur einen stillen und bescheidenen. Der Tod wird wie ein satter Blutegel abfallen...
Schreibe dir dieses wahre Wort auf: unser Leben ist jetzt so, dass man es sich für ewig merken muss. Kannst du es nicht, so lebe lieber nicht und stirb... Wenn wir unser jetziges Leben verschlafen, so werden uns auch die Posaunen des jüngsten Gerichts nicht wecken können. Man soll es sich nicht nur merken, sondern auch sein Leben lang bis zum Tode nach der neuen Lehre leben...
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