De Stem. Jaargang 1
(1921)– [tijdschrift] Stem, De– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Der Sinn des Lebens
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festen des Bestenenden zu rütteln. Diese ewige Unzu-friedenheit wird nicht sosehr von der Hoffnung auf ein bestimmtesBesseres angetrieben, sie entspringt vielmehr der innerenLeere undSinnlosigkeit des eigenen Daseins. Denn das ist das psychologische Grundprinzip aller Re-volutionen im ökonomischen wie im Geistigen: die Un-zufriedenheit mit sich selbst, der Mangel eines Sinnes, der leicht zum Hass gegen alles Sinnvolle und Seiende überhaupt, zum Nihilismus ausarten kann. Menschen, die mit ihrer Tatigkeit zufrieden sind, weil sie einen Sinn in ihr spüren, wollen nicht Umsturz und Auflösung, auch wenn sie einiges entbehren, denn das Leben, das Sinn in sich selbst tragt, entschadigt für manchen Genuss. Andere vollbringen Arbeit, aber sie finden ihren Sinn nicht heraus, sie arbeiten nur um Lohn, wollen mit mög-lichst wenig Arbeit möglichst viel Geld verdienen. Sol-che Arbeit ist nicht der Weg, der Leben und sachliche Welt in eine organische Beziehung setzt, sondern nur ein Mittel für anderes, meistens fürs Geniessen. Ein grosser Teil des Lebens wird vergewaltigt, getötet, um - wie dies schon früher als eines der Surrogate gezeigt worden ist - in gewissen umgrenzten Zeitabschnitten doch noch einen Sinn zu finden. Diese Arbeit ist nicht kulturfördernd, sondern kulturhemmend. Dabei können aber doch sachliche Güter hervorgebracht werden - ein tiefer Widerspruch und Konflikt alles menschlichen Lebens. Wir mussen also diese Art zu arbeiten beiseite lassen, wenn wir von der Arbeit sprechen, die einen Zu-sammenhang zwischen lebendigem Dasein und objektiv Wertvollem, zwischen Seinsreihe undSachreihe schafft. Weil sich das Wesen der wahren Arbeit, die Arbeit, die ihren Sinn in sich selbst tragt, vielen Menschen nicht erschlossen hat, darum ist es ein immer wiederkehren-der Irrtum zu glauben, der sachlich Tatige versaume das Leben. Wenn ein Tun dem Menschen so sehr an- | |
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gemessen ist, wie das Denken dem geborenen Denker, das Bilden dem geborenen Künstler, so erfüllt ein sol-cher Mensch denkend, bildend auch seine unmittelbarè Seinsreihe aufs vollkommenste, das heisst er führt sein Leben auf die intensivste, einheitlichste und ihm ge-masseste Art. Der Sinn des unmittelbaren Lebens und der Sinn des auf ein objektives gerichteten Lebens kön-nen hier so glücklich zusammen fallen. dass jene hohe Erfüllung des Lebens gewonnen wird, die man Harmonie nennt. In der Regel allerdings vollzieht sich der Ausgleich zwischen Leben und Schaffen nicht so reibungslos, eines krankt oft am andern, wird zu Gunsten des andern geschadigt. Die Antinomie stellt sich schliesslich so dar: Ist es die echte Aufgabe des Menschen, seine eigene kleine Welt, den Kosmos seines Ich aufzubauen und auszubauen; oder soll er am grossen Kosmos der Menschheit bauen helfen? Das ist ein un-Iösbarer, ein echt tragischer Zwiespalt, denn der Mensch einer Hochkultur empfindet beides als Zwang: sich selbst zu vollenden und an der Vollendung der ob-jektiven Wertreihe mitzuarbeiten. Die Frage wird immer nur die sein, ob das innerste Streben einer Seele mehr dahin oder mehr dorthin neigt, und diese Frage ist objektiv nicht zu beantworten, immer nur für den einzelnen Menschen aus seiner Natur heraus. Aber die beiden Reihen wirken noch in einem anderen Sinn auf einander, nicht hemmend, sondern befruchtend. Die ganze Kulturwelt, die aus der Arbeit vieler Menschen, aus ihrer Werkreihe hervorgegangenist, fördert selbst wieder in unendlichem Masse die Vertiefung und Vereinheitlichung anderer Menschen der Seinsreihe. Wie deutlich sich auch im allgemeinen der auf persön-liche Verinnerlichung von dem auf objektiveGestaltung gerichteten Typus unterscheidet, einer ernahrt und er-höht doch den andern. | |
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Es gibt Menschen, die Mittler zwischen dem persön-lichen und dem sachlichen Leben sind, Lehrer, Jünger, Liebende. Sie finden den Sinn ihres Lebens im Dienen - sei es indirekt dem Sachlichen durch das Medium eines anderen Menschen hindurch dienend, sei esunmittelbar, helfend, tröstend. Der echte Lehrer, der wahre Seelsorger wirken auf lebendige Menschen, doch immer mit der Richtung zum Objektiv-Wertvollen, sie führen die werdenden Menschen zum Guten und zum Wahren und stehen so mitten inne zwischen Seinsreihe und Sachreihe. Der Missionär, der reinen Herzens in die Welt geht, um sich fremden Menschen und durch sie hindurch einer Idee darzubringen - er findet den Sinn seines Lebens in dieser Vermittlung zwischen Persön-lichem und Sachlichem. Aehnlich verhalt es sich mit dem Jünger. Das ist ein Mensch, der ein grosses Werk oder eine grosse Idee nicht selbst zu schaffen vermag, der ihnen aber als Helfer dient, denn er bringt alle seine Liebe, alle seine Kraft einem Menschen dar, der wie kein anderer zur Schöpfung des Sachlich-Wertvollen berufen ist. So vermag auch der Jünger seinem Leben einen Sinn der objektiven Bedeutung nach zu geben, indem er seinem Meister, dem tatigen Schöpfer in der Werkreihe, dient. Diese Art, sein Leben zu erfüllen, ist oft den Frauen natürlich. Manche stellt schweigend alle ihre Krafte in den Dienst eines geliebten Mannes oder Kindes. Solch ein Leben birgt einen tiefen Sinn in der Unmittelbarkeit seines Daseins, die doch aufs Objektive Bezug hat, umsomehr wenn das bewegende Motiv Liebe ist und nicht Pflicht. Ja auch die Lust, zwei Leute glücklich zu machen und Enen zu stiften (die man den Frauen übel anzukreiden pflegt), entspringt dem Trieb, dienend und helfend zu vermitteln. Es ist merkwürdig und bedeutungsvoll: Menschen, die intensiv auf das eigene innere Erleben eingestellt sind | |
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und gar nicht die Welt der Dinge und Werke vor Augen haben, werden ohne Absicht in die objektive Wert-feihe verstrickt. Ein Mensch, der ununterbrochen an der eigenen Vervollkommung arbeitet, wirkt auf jeden, der ihm nahe kommt, wie ein Vorbild und tragt so unmit-telbar einen Teil seines Lebenssinnes in die Werkreihe hinein. Diese letzte Einheit von Lebenswert und sach-lichem oder Kulturwert offenbart sich am vollendetsten im Religionsstifter. Von ihm gibt es zweierlei Typen. Der eine ist von Anfang an durchaus auf das Sach-liche, auf die Geisteswelt gerichtet, er fühlt sich nicht eigentlich als Schöpfer seiner Idee, sondern als Bringer, als Beauftragter einer höheren Macht, als Abgesandter und Apostel, der alles Persönliche ablehnend die Wahr-heit verkündet. Solche Menschen sind Moses, Mohammed, Calvin. Moses hat die Tafeln des Gesetzes aus den Handen der Gottheit selbst empfangen und achtet seiner selbst nicht und nicht der Menschen, die er unbedenklich um seiner Wahrheit willen tötet. Sein Leben ist ihm nicht Sinn und Wert an sich selbst, sondern nur ein Mittel zur Verkündigung des Objektiven, des Ideellen, er ist reiner Repräsentant der Werkreihe. Im gegenüber steht Jesus völlig im unmittelbaren Er-leben.. Nie hat ein Mensch wie er die Kraft besessen, jedes Wort, jede Tat, jedes Erleiden ganz mit der Seele zu empfangen und in eine letzte Einheit seines Lebens zu bringen. Er ist das ewige Vorbild für jenes Schwere und kaum zu Erreichende: einem persönlichen Leben absoluten Sinn zu verleihen, jede Begegnung zum Symbol eines durchaus Sinnvollen zu gestalten, Wort und Antwort über den Augenblick hinaus zur Endgül-tigkeit zu erhöhen. Wir ahnen hier wie sonst nie das grosse Ratsel des Menschen: die Verstrickung des Einzelnen ins Allgemeine, des persönlichen Erlebens in den objektiven Kulturwert. Denn gerade aus dieser | |
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einen persönlichen Seinsreihe ist eine Sachreihevon allerhöchster kultureller Bedeutung hervorgegangen, das persönliche Erleben weist hier so sehr den Charak-ter eines durchaus Sinnerfullten auf, dass jede einzelne Handlung fast unmittelbar - manche auch erst durch Umbildung - in ein objektiv Wertvolles verwandelt werden konnte. Die persönliche Erlebnisreihe eines Menschen hat sich in eine objektivé Wertreihe umge-setzt, in das System des Christentums. Ein einmaliges historisches Leben ist so bis in seine letzten Fasern intensiv und sinnvoll geworden, das Menschlich-Persönliche hat sich so sehr in objektiven Wert verwandelt, dass die nachfolgenden Geschlechter nicht mehr verstehen konnten, wie es sich hier um einen Menschen gleich anderen Menschen handeln sollte. Mit innerer Notwendigkeit ist eine Gestalt aus ihm her-vorgegangen und durch die Jahrhunderte weiter ausge-bildet worden, die mehr als menschlich ist, unter dem Namen Christus hat sie sich in die ewige Idee alles Sin-nes verwandelt. Wir mussen ferner an Goethe denken. Er war be-strebt und je alter er wurde, desto entschiedener be-strebt, jedes Element seines unmittelbaren Lebens mit Wert-Charakter zu impragnieren. Er hat dies durch mancherlei Aussprüche, besonders aber dadurch bekun-det, dass er Tagebücher, Aufschreibungen aller Art führte und so gezeigt hat, wie teuer ihm alles Erfahrene und Erlebte und wie wichtig ihm dessen Umwandlung in Wertvolles, Dauerndes, Ewiges ist. Er beruf t schliess-lich Eckermann, damit der den Gang seines taglichen Lebens festhalt, und weiss auch, dass andere Manner seiner Umgebung die Worte niederschreiben, die er spricht. Er will es so. Und wenn er sagt, dass jede wahxe Dichtung vom Augenblick eingegebenes Erlebnis ist, besonders aber wenn er sagt, dass alles, was er dichtet, | |
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erlebt ist, wenn auch niemals gerade so erlebt, wie es in ktinstlerischer Form beharrt - so hat er damit diesen letzten Zusammenhang zwischen Erlebnis and objektiv gewordener Gestaltung, zwischen Seinsreihe and Werkreihe festgelegt. Er opfert kein Lebens-Element, urn sein Werk vollkommener zu machen, eher noch ist er geneigt(in schwacheren Gelegenheits-Dichtungen) den Bedürfnissen des Lebens einen zu grossen Einfluss auf das Sachliche zuzugestehen - offenbart sich so mehr alsunmittelbar lebendiger denn als demObjektiven ganz hingegebener Geist- and Kunstmensch. Eine so selbstverstandliche and unbeabsichtigte Einheit wie bei Jesus kann hier allerdings nicht denkbar sein, weit Goethe ja bewusst an sich arbeitet and durchaus in die Werkreihe verwoben ist, weil er den Sinn seines Lebens wenigstens teilweise im Sachlichen finden muss. Das Eenmalige bei Jesus ist ja eben, dass das unmittelbar Gelebte so intensiv and mit solcher Notwendigkeit empfangen wird, dass es als Glied auch der objektiven Reihe fungieren kann. - Die beiden Möglichkeiten, dem Leben einen Sinn zu verleihen, setzen sich öber das begrenzte Leben hinaus in die Ewigkeit fort. Auf zwei entsprechende Arten kann Unsterblichkeit gedacht werden. Unsterblichkeit ist ja im Grunde nur die Ueberzeugung and der Glaube, dass das Leben einen absoluten Sinn hat, dass dieser Sinn starker ist als der Tod, dass der Sinn des Lebens das Ende des Lebens fiberdauern muss. Liegt nun alles Schwergewicht im Leben selbst, so weist das sinnvoll gefuhrte Leben fiber seine irdischen Grenzen hinaus, fordert eine persónliche Unsterblichkeit.Ga naar voetnoot1) Findet aber | |
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ein Leben seinen eigentlichen Sinn and höchsten Wert in seinen Ergebnissen, in seinen Taten, in seinem Beitrag zum objektiven Schatz der Menschheit, so bedeutet ihm Unsterblichkeit die Unsterblichkeit geistiger Werte, die Unsterblichkeit nicht nur seines persönlichen Werks, sondern höher hinauf aller Kulturwerte überhaupt, ohne Beziehung auf den Menschen, dem sie entsprungen sind. Hier tritt der Schöpf er vor dem Werke zurück, weit er all, sein Wesen so lebendig and stark hineingelegt hat, lass er, was in ihm sinnvoll ist, im Werk empfindet, nicht in seiner Person. Er hat den tiefsten Sinn seines Daseins and damit dessen Verewigung im Unsterblichkeitssehnen seinera Werk ubergeben. Aus einero solchen Gefühl ruft Beethoven auf dem Sterbebett, nachdem ier wiederholt an der Wassersucht operiert worden ist: ‘Besser Wasser im Bauch als in der Musik!’ - Dieses derbe Wort spricht den heroischen Gedanken aus, dass der eigentliche Sinn nicht im personlichen Leben, sondern im Werke rukt, dass Unsterblichkeit des Werks gefordert wird and nicht Unsterblichkeit der Person. - Der lebendige Mensch and der Schöpfer zugleich (asst in Goethe beide Arten der Unsterblichkeit zusammen: ‘Wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke, so ist die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinen Geist nicht ferner auszuhalten vermag.’ | |
IVWenn wir abschliessend von dem Sinn des einzelnen | |
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Menschenlebens, der ihm durch Anlage und Erlebnis-willen vorgezeichnet ist, einen kurzen Bliek auf den Sinn aller menschheitlichen Existenz werfen, so werden wir erkennen, dass die beiden Grundmöglichkeiten des individuellen sinnvollen Lebens auch bei Vólkern und bei der ganzen Menschheit ihre Bestatigung finden. In der Entwicklung der Menschheit haben lange Zeit überhaupt nur Zwecke der Nützlichkeit bestanden. Neben oder hinter ihnen machte sich aber schon früh, noch im sogenannten Naturzustand, das Bedürfnis geltend, dem Leben der Gesammtheit einen gewissen Sinn zu ver-leihen, es irgendwie einheitlich zu formen. Hier setzt die Religion ein und was mit ihrzusammenhangt. Allefrühen Religionen wollen das Leben der Menschen in irgend einen Zusammenhang bringen, wollen es deuten und ihm ein Heil schaffen. Spater bildet sich die zweite Art sinnvoll zu handeln aus. Sie entsteht wohl so, dass irgend eine tagliche Arbeit, die ursprünglich nur unternommen wurde, um sich das Leben leichter und angenehmer zu machen, an und für sich Interesse weckt, schliesslich wichtiger genommen wird als das Bedürfnis, das sie erfüllen soll, selbst Zweck geworden ist. In diesem Augenblick ist der Gedanke eines objektiven, eines sachlichen Kulturwertes festgestellt und damit beginnt die zweite Aera der Menschheit, die Kultur, die das Na-turdasein nicht ablöst, sondern überbaut. Diese zweite, sachliche Art, dem Leben einen Sinn zu finden, ist also, auf die ganze Menschheit angewendet, mit der Schöp-fung und Weiterführung der Kultur identisch. Wie der einzelne Mensch kann ein Volk, kann die Menschheit den Sinn ihres Daseins in ihrem persönlichen Leben, in ihrem Schicksal oder in der aus ihr hervortretenden Welt objektiver Werte, in ihrer Kultur, finden. |
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