Gottfried Benn
Nocturno
Anni...
Da ginger zu Bekannten. Ein Mann und eine Frau, der Mann spielte. Sein Kopf hing aus einem Urwald hervor. Um seine Arme wanden sich dicke feuchte Ranken.
Die Frau lag vor ihm. Sie hatte Netze von blauer Mütterlichkeit über den Augen. Das tat ihm wohl, der er nicht hatte, wo er sich bergen sollte. Dann sah er auf ihr Haar. Das war fruchtbar, schwer, der Liebe gehörig. Ein Reif darin sang rauh aus grünen Steinen: wie sind die Nacken der Frauen so sanft!
Da sah er sie und ihren Mann sich begehren und stillen, und wie hernach die Erde gegen sie wuchs und sie an sich nahm und trug, und die Nacht, die über sie sank.
Da durchstach ihn seine Einsamkeit. Da krümmte ihn ein Schmerz. Da fühlte er seinen Leib dürr, krank geschlagen, mit einer lächerlich großen Wunde. -
Nun fühlte er sie stärker noch als schon den ganzen Tag und alles, was er verloren hatte: die ganze wehende Süße, wenn sie neben ihm geschritten war, der Stirne prunkende Gebärde, das Haar - nicht zu denken an dies Haar!
Die Zähne schlugen ihm aufeinander. Er sah dies Haar sich vor einem andern Manne öffnen. Der strich darüber. Das war es nun. In Oberitalien würde es sein. Auf den Borromeischen Inseln vielleicht. In einem Hotel: die Tür zum Balkon stand offen und ließ die Nacht herein und das Meer.
Er hörte einen Schrei. Die ganze Erde schrie, als es dann geschah. Ein Röcheln war es wie aus einem fernen Untergang. -
Da erhob er sich und ging. Wenig Menschen kamen. Ein Fräulein kam mit Ohrringen. Wohlwollen heischend war die dunkelrote Form von ihrem Hut. Ein Trupp junger Männer kam. Froh, laut, voll beruflichen Ansehens, denen wenig fehlschlug. Sie lachten und waren vorbei. -