Queeste. Tijdschrift over middeleeuwse letterkunde in de Nederlanden. Jaargang 2006
(2006)– [tijdschrift] Queeste– Auteursrechtelijk beschermd
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‘Clarette, die nine vaect’
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wenig Klarheit besteht bis heute darüber, für wen und für welches intendierte Publikum dieses umfangreiche Werk zusammengestellt worden ist.Ga naar voetnoot4 Der RmM wurde in der Lancelotkompilation hinter der Queeste vanden Graale eingefügt. Die Kompilationsversion ist der einzige vollständige Textzeuge dieses faszinierenden Werkes. Da bisher keine altfranzösische (oder anderssprachige) Vorlage ermittelt werden konnte, kann nicht eindeutig festgestellt werden, welchen Umfang Kürzungen und eventuelle Eingriffe in den Romanverlauf seitens des Kompilators tatsächlich haben. Als Vergleichsobjekt steht nur ein kurzes Fragment einer von der Kompilation unabhängigen flämischen Version, auch Ur-RmM genannt, zur Verfügung, die zwischen 1230 und 1320 in Flandern entstanden sein muss. DerVergleich lässt vermuten, dass der Kompilations-RmM wahrscheinlich nur einem Viertel der ursprünglichen Version entsprichtGa naar voetnoot5 Auf die Bearbeitungsstrategie des Kompilators werde ich am Ende dieses Artikels ausiführlich eingehen. Mir ist bewusst, dass auf Grund fehlenden Vergleichsmaterials Aussagen über Umarbeitungen seitens des Kompilators zum Großteil spekulativ sind, lade jedoch dazu ein, mir auf diesem Weg zu folgen. Auch die wünschenswerte Einbettung der Analyse in den Zusammenhang der Lancelotkompilation kann in diesem Rahmen nur ansatzweise erfolgen. Ein gattungsspezifisches Merkmal der Artusepik ist die schon bei Galfred von Monmouth angelegte Rolle der Frauen, vor allem der Königin und ihrer Hofdamen. Besonders in Versromanen nach dem Vorbild Chrétien de Troyes treten neben den männlichen Protagonisten weibliche Handlungsträger auf. Ein für diese Art der Konstellation typisches Werk Chrétiens ist Erec et Enide. Der weiblichen Hauptperson kommt dabei oft der Part der ritterlichen Inspiration des Protagonisten als Minnedame zu. Die herausragende Rolle von Frauen in diesen Texten wird jedoch von der Forschung vor allem als eine literarische Fiktion betrachtet. Es kann kaum davon ausgegangen werden, dass sie dem steigenden Einfluss von Frauen an den im europäischen Mittelalter tonangebenden Höfen und damit der historischen Wirklichkeit entspricht.Ga naar voetnoot6 Auch wenn in den Romanen weibliche Handlungsträger oftmals eine bedeutende Rolle spielen, galt das Interesse der Rezipienten der Artusepik lange Zeit in erster Instanz zumeist den männlichen Protagonisten, wie die heute in der Forschung übli- | |||||||||||||||||||||
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chen Titel der Epen zeigen. Zumindest für den deutschen Sprachraum gilt, dass mit Titel überlieferte Werke meist nach den männlichen Protagonisten benannt sind; war kein Titel vorhanden, weil zum Beispiel der Anfang des Romans verloren gegangen ist, wurden die Werke oft schon im Mittelalter nach dem ersten wichtigen männlichen Handlungsträger benannt, auch wenn die (meist französische) Vorlage den Namen der männlichen und der weiblichen Hauptperson im Titel führte.Ga naar voetnoot7 Auch der RmM ist nach seinem Protagonisten benannt, wobei nicht auszuschließen ist, dass der Titel des Ur-RmM anders lautete und der jetzige Titel dem Kompilator zuzuschreiben ist, der demWerk als erste Kapitelüberschrift mitgab: Dat begin vanden Riddere metter Mouwen (Der Anfang des Ritters mit dem Ärmel). Der heute in der medioniederlandistischen Forschung allgemein anerkannte Titel des Romans lautet Roman vanden Riddere metter Mouwen. Dabei hätte man demWerk auch einen anders lautenden Titel mitgeben können, wie zum Beispiel Roman vanden Riddere metter Mouwen ende Clarette, da neben einigen weniger wichtigen Frauenfiguren vor allem die dem Protagonisten beigestellte Partnerin, die Hofdame Clarette, prominent im Text anwesend ist.Ga naar voetnoot8 Mit der Darstellung der Hofdame Clarette hat es jedoch etwas merkwürdiges auf sich: Hat sie im ersten Teil des Romans eine wichtige epische Funktion als Initiatorin der Minnehandlung und als Minnedame, reduziert sich ihr Anteil im zweiten Teil des Romans auf eine Nebenrolle. Dieser Kontrast wurde in der medioniederlandistischen Forschung bisher zwar angemerkt, aber noch nicht ausführlich untersucht.Ga naar voetnoot9 Deshalb wird im vorliegenden Artikel die Darstellung der Protagonistin des RmM eingehend analysiert. Dadurch sollen Erkenntnisse zur Vorgehensweise des Kompilators in Bezug auf die weiblichen Romanfiguren gewonnen werden, um einen durch die gender- Forschung inspirierten Ansatz zur Lösung des Rätsels um die Identität des Kompilators und der noch immer ungeklärten Rolle Velthems bei der Entstehung der Kompilation aufzuzeigen. Des Weiteren bildet dieser Artikel eine Einheit mit Wuttke 2005: im letztgenannten Artikel stand der männliche Protagonist zentral, nun steht die weibliche Protagonistin im Rampenlicht. Kurz zum Verlauf des Romans.Ga naar voetnoot10 Im ersten Teil wird ein unbekannter Jüngling am Artushof zum Ritter geschlagen, er bekommt von Clarette einen Ärmel ihres Gewandes als Minnezeichen und wird somit zum Ridder metter Mouwen. Er zieht daraufhin aus, um dieser Würde durch ritterliche Taten Ehre zu erweisen. Am Ende des ersten Teils kehrt er nach einigen Abenteuern und Krisen an den Artushof zurück, wo er in einem Turnier die Hand Clarettes gewinnt und auf seine Mutter trifft, die er als Findelkind nie kennen gelernt hat. Nachdem sich herausgestellt hat, dass seine Mutter Königin ist und seinVater Ritter an ihrem Hof war, heiraten Clarette und Mirau- | |||||||||||||||||||||
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dijs, so des Ridders wirklicher Name. Die zweite Abenteuerreihe wird durch ein Ereignis im ersten Teil des Romans ausgelöst: Am Anfang des Romans beleidigt der Hofmarschall Keye den Ridder, wofür sich dieser in einem Zweikampf rächt, in dem er Keye ziemlich unritterlich behandelt. Der Ritter Galyas, ein Verwandter Keyes, fordert dafür im zweiten Teil des Romans Genugtuung und beleidigt den Ridder auf Grund seinerVaterlosigkeit. Daraufhin zieht der Ridder aus, seinen Vater zu finden, was ihm auch gelingt. In der Zwischenzeit wird der Artushof vom König von Irland bedroht und nur die Ankunft des Ridders rettet Artus. Der Ridder besiegt Galyas und versöhnt seine Eltern, die daraufhin heiraten. | |||||||||||||||||||||
Clarettes Anteil am Romanverlauf im ersten TeilClarette wird sehr früh, noch vor dem Titelhelden, in den Roman eingeführt. Am Ende der einleitenden Beschreibung des Artushofes wird berichtet: Ende Lanceloet ende Ductalas/Leetden Claretten, sijt seker das (und Lanceloet und Ductalas geleiteten Clarette, seid dessen gewiss, V. 37f).Ga naar voetnoot11 Während des folgenden Festmahls wird gattungstypisch die Ordnung des Artushofes durch eine Neuigkeit, die Nachricht vom Tode des berühmten Liebespaares Tristram und Ysaude (Tristan und Isolde), gestört. Daraufhin verlassen alle Ritter außer dem Hofmarschall Keye den Hof und der Erzählstrang folgt dem Ridder. Der Nennung Clarettes am Ende der allgemeinen Beschreibung muss besondere Bedeutung beigemessen werden. Nähere Betrachtung zeigt, dass sie die erste Frau ist, die explizit namentlich genannt wird. Dadurch wird Clarette von alien weiblichen Figuren am Artushof unterschieden und ihre erzähltechnische Funktion vorbereitet.Ga naar voetnoot12 Der Anfang der Karriere des Ridders ist stark von Frauen geprägt.Ga naar voetnoot13Königin Genevre schlägt ihn zum Ritter und nachdem sie ihm das Schwert umgebunden hat, erscheint Clarette und überreicht ihm einen weißen Ärmel, der ein Zeichen dafür sein soil, dass er fortan ihr Ritter und vrient ist:Ga naar voetnoot14 ‘Dese erenberge, here, nu siet,
Die gevic u hier to desen,
Dat gi altoes min ridder selt wesen
Ende min vrient, waer gi sijt.’
(‘Betrachtet nun diesen Ärmel, Herr, den ich Euch gebe, als Zeichen dafür, dass Ihr immer mein Ritter und Freund sein werdet, wo immer Ihr Euch befindet’, V. 192-195). | |||||||||||||||||||||
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Das mittelniederländische Wort vrient kann verschiedene Bedeutungen haben, in diesem Kontext und auf Grund der Reaktion des Ridders und des weiteren Romanverlaufs ist die Bedeutung ‘Geliebter’ oder ‘Beminnter’ sehr wahrscheinlich.Ga naar voetnoot15 Die Liebesbeziehung zwischen Clarette und dem Ridder nimmt im RmM eine herausragende Stellung ein. An ihr müssen die anderen Liebesverhältnisse im Roman gemessen werden.Ga naar voetnoot16 Schon der Anfang der Beziehung ist ungewöhnlich. Nur selten trifft der Protagonist der Artusepik zu Beginn des Romans am Artushof auf seine spätere Partnerin, meist trifft er diese während einer Queste.Ga naar voetnoot17 Ein besonderer erzähltechnischer Zug ist folgende Szene: Doe quam Clarette gegaen/Ute ere cameren ende gafhem saen/Ene witte mouwe (dann kam Clarette aus einem Raum gelaufen und gab ihm geschwind einen weißen Ärmel, V. 175-177). Der Ärmel ist ein Minnegeschenk, ein Bestandteil des höfischen Liebesspiels, mit dem eine Dame ihre Liebe zeigt oder die Leistungen eines Ritters anerkennt, indem sie ihn aus der Masse der Ritter hervorhebt. Dass Clarette dem unbekannten Jüngling eine solche Ehre erweist und somit die Liebeshandlung initiiert, eröffnet ihm ungeahnte Möglichkeiten.Ga naar voetnoot18 Der Ärmel Clarettes ist das zentrale Objekt des Romans, dem der Protagonist nicht nur seinen Ritternamen verdankt, sondern das auch symbolisch für die thematische Ladung des Werkes steht.Ga naar voetnoot19 Der Frage, was sich der moderne Leser im Detail unter Clarettes Ärmel vorstellen muss und welche Rolle dieser Ärmel für die Interpretation des Romans spielt, hat Simon Smith jüngst einen sehr aufschlussreichen Artikel gewidmet, auf dessen Ergebnisse ich dankbar zurückgreife.Ga naar voetnoot20 Es handelt sich wahrscheinlich um einen Zierärmel, einem Teil des Obergewandes, mit dem er lose verbunden ist. Im 12. Jahrhundert wurden in der höfischen Mode sowohl bei Männern als auch bei Frauen äußerst lange Zierärmel populär. Diese hatten keine praktische Funktion und führten als Zeichen besonderer Prunksucht zu Kritik seitens der Geistlichkeit. Sehr oft wird in der mittelalterlichen Epik der Brauch beschrieben, dass eine Dame während eines Turniers einem Ritter einen solchen Ärmel als Glücksbringer überreicht. Der Ärmel eines Frauengewandes scheint demnach für einen Ritter ein erotisches Symbol gewesen zu sein, das bestens dafür geeignet war, dem Ritter außergewöhnliche Kräfte zu verleihen, besonders dann, wenn der Ärmel direkt vom Gewand der Dame stammte. In der mittelalterlichen Kultur, in der oft ein Teil symbolisch für das Ganze steht, ist die Geste, dass Clarette dem Ridder einen Teil ihres Gewandes gibt, keinesfalls unschuldig, auch wenn die Farbe Weiß und der Name Clarette eventuell zu dieser Sichtweise verleiten.Ga naar voetnoot21 Clarette macht dem Ridder durch die Ärmelübergabe ein symboli- | |||||||||||||||||||||
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sches Angebot. Mittels ihres Geschenkes verspricht sie ihm, dass er, sollte er sich würdig erweisen, als Belohnung ihren Körper bekommen wird. Diese bewusst erotisch konnotierte weibliche Tat formt den Auftakt der Minnehandlung im Roman.Ga naar voetnoot22 An sich ist es nicht ungewöhnlich, dass Clarette die Initiative ergreift. In Liebesdingen ergreifen Frauen in der mittelalterlichen Epik diese relativ oft. Der Gegensatz zur eher passiven Frauendarstellung im Minnesang ist jedoch weniger groß, als man vermuten würde: Die Frauen entsprechen zwar mit ihrem Verhalten nicht dem Unnahbarkeitsanspruch, die Märnier aber befinden sich mit ihrer Passivität im Erotischen durchaus in der Tradition des sublimierenden, schwärmenden Troubadours. Zumindest galt ein gewisser Grad an Zurückhaltung [...] als Tugend und wurde wohl für Vertreter beiderlei Geschlechts als Vorbild empfunden. Die Grenzen zwischen propagandistischer Absicht und parodistischer Auflösung sind schwer zu ziehen. Vielleicht spiegelt dieses Werbungsverhalten, das die Frauen zum aktiven Teil werden lässt, auch ein Dilemma in der Epik wider, das einerseits die männlichen Figuren in der Rolle des Zurückhaltenden belassen will und gleichzeitig das epische Geschehen vorantreiben muss; auf Kosten der Frauen, die gezwungen sind, eine Rolle zu übernehmen, die gegen das ‘für das höfische Verhalten zentral erkannte [...] Ideal der“Distanz” verstößt’.Ga naar voetnoot23
Die weiblichen Figuren ‘mussen’ in der Epik den aktiven Part am Anfang der Minnebeziehung übernehmen, damit die männlichen Romanfiguren dem passiven Rollenbild aus der Minnelyrik näher bleiben können. Die Frauen ‘dürfen’ deshalb die Romanhandlung initiieren, ohne dafür moralisch verurteilt zu werden.Ga naar voetnoot24 Dieses modern anmutende, emanzipierte Verhalten der Frauen entspricht vom mittelalterlichen theologischen Standpunkt durchaus dem Bild der Frau als Verführerin, dies heißt jedoch nicht unbedingt, dass die Epiker Frauen ausschließlich als sündige Evastöchter darstellen wollten: Schließlich ist es [...] möglich, dieses vermehrte Auftreten einer von der Frau ausgehenden Aktivität als Kompensation für ein von kirchlichen Keuschheitsgeboten und höfischen Konventionen geprägtes passives, sittenstrenges und abweisendes (also tatsächlich unnahbares) Verhalten seitens der Damen, mit dem die Dichter und ihre Leser/Hörer tatsächlich konfrontiert waren, zu lesen. Eine Kritik an der platonisch-augustinischen Tradition mit ihrer Erbschuldlehre schließt auch eine Kritik an der ‘höfischen Minne’ mit ein und vice versa, da kirchliche und höfische Interessen und Ansichten in einem wesentlichen Punkt, nämlich dem der Triebsublimierung, zusammenfielen.Ga naar voetnoot25
Auch im mittelniederländischen Artusroman Ferguut ergreift eine Frau die Initiative in der Minnehandlung. Hier ist es Galiene, die dem sowohl mit dem ritterlichen Verhaltensregeln als auch mit den Regeln des Minnedienst unerfahrenen Ferguut ihre Liebe | |||||||||||||||||||||
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gesteht. Galiene hat sich bei der ersten Begegnung sofort in Ferguut verliebt. Als sie dann neben ihm sitzt, traut sie sich aber nicht ihn anzusprechen und ihm ihre Gefühle zu offenbaren. Sie hat Angst, ihren Ruf zu gefährden. Letztendlich wechselt sie während des ganzen Abends kein einziges Wort mit ihm. Nachdem sie lange Zeit wach gelegen hat, beschließt sie dem Jüngling doch ihre Minne zu gestehen und sucht ihn in seinem Zimmer auf. Er weist sie jedoch zurück.Ga naar voetnoot26 Lange Zeit lag in der Forschung der Nachdruck darauf, dass Ferguut durch seine Zurückweisung gegen den höfischen Code verstößt, später wurden auch einige Stimmen laut, die Galiene unhöfisches Verhalten vorwarfen, weil sie sich ihm quasi anbietet.Ga naar voetnoot27 Obwohl sie selbst sehr an ihrer Tat zweifelt und sich vorwirft, unehrenhaft gehandelt zu haben, wird ihre Initiative an keiner Stelle des Romans verurteilt, auch nicht von der Erzählinstanz. Gerade Galienes Zweifel zeugen von einem besonders stark entwickeltem Ehrgefühl.Ga naar voetnoot28 Um zum RmM zurückzukehren, auffällig ist weniger Clarettes Initiative und die Ärmelübergabe an sich, sondern dass ihre Tat anfänglich nicht durch Minnegefühle motiviert zu sein scheint. Keiner der beiden Protagonisten verliebt sich in den anderen auf den ersten Blick, wie in vielen anderen Texten beschrieben.Ga naar voetnoot29 Die Ärmelübergabe im RmM muss deshalb im Zusammenhang mit dem oben beschriebenen Turnierbrauch betrachtet werden: um die durch diese Handlung implizierte Belohnung zu bekommen, muss sich der unbekannte Jüngling ritterlich beweisen.Ga naar voetnoot30 Clarette schenkt dem Ridder den Ärmel, weil es ihr Part des höfischen Liebesspiels ist, sich einen Ritter auszusuchen, dem sie ihre Gunst schenkt. Durch ihr Minnegeschenk motiviert, kann dieser Großes erreichen. Ihre Wahl trifft einen am Artushof unbekannten Neuankömmling. Das war es vielleicht, wovon die meist chancenlosen, nicht-erbberechtigten Jünglinge träumten: Eine hochgestellte Dame schenkt ihnen ohne Vorbedingungen ein Zeichen ihrer Gunst und wenn sie sich dieser würdig erweisen, dürfen sie heiraten.Ga naar voetnoot31 Von dem Moment an, dass Clarette die Minnehandlung auf diese Weise initiiert hat, steht ihr Ansehen auf dem Spiel, da sie jetzt von den Leistungen des Ridders abhängig ist. In diesem Zusammenhang gewinnt Keyes Kommentar am Anfang des Romans an | |||||||||||||||||||||
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Bedeutung: Maer Clarette heeft wel bespiet / Haer scoenheide tegevene enen man / Die vele bat derschen can /Ofte met ere ploech eren, / Dan vor enen riddere hem verweren (‘Clarette hat sich das gut ausgesucht, ihr kostbares Geschenk [den Ärmel] einem Mann zu geben, der viel besser mit dem Dreschflegel umgehen oder mit einem Pflug das Land bearbeiten kann, als sich wie ein Ritter zu verteidigen’, V. 210-214). Abgesehen davon, dass Keye den Ridder beleidigt, scheint er auch Clarettes Handlung zu missbilligen. Im Moment der Ärmelübergabe weiß sie nichts über den Ridder und seinen Hintergrund und demzufolge ist es unsicher, ob er sich dieser Ehre würdig erweisen wird. Keye könnte mit seinem Kommentar, dass sie sich einen tumben Bauerntölpel ausgesucht hat, durchaus Recht behalten. Dagegen spricht jedoch das von Anfang an vorbildliche höfische Benehmen des Ridders.Ga naar voetnoot32 Es ist nicht nur außergewöhnlich, dass unser Held vor Beginn der ersten Queste auf seine zukünftige Partnerin trifft, sie ist auch diejenige, die ihn in die Tugenden der Ritterschaft einweist. Zu diesem Zweck hält Clarette nach der Ärmelübergabe ihre längste Rede. Fast zwanzig Verse erteilt sie Ratschläge, wie man sich als guter Ritter zu verhalten hat. Smith weist auf die Parallele zum Moriaen hin, wo Walewein den noch recht ungeschliffenen Titelhelden in die Finessen höfischen Verhaltens einweist. Wie oben bereits angesprochen, mangelt des dem Ridder jedoch nicht an höfischen Umgangsformen, er muss sich im Verlauf des Romans als (Minne-) Ritter bewähren.Ga naar voetnoot33 Nach der Übergabe des Ärmels tritt Clarette für längere Zeit nicht mehr als agierende Figur auf, weil gattungstypisch der Fokus auf die Queste des Ridders gerichtet ist. Er besiegt den Ritter, der die Jungfrau vor dem Artushof misshandelt hat und schickt letzteren zusammen mit der Jungfrau zur Berichterstattung an den Hof. Er bittet die Jungfrau, Clarette heimlich von seiner minne und seinen Bemühungen, ein guter Ritter zu sein, zu berichten (V. 336-353). Sie verspricht, den Auftrag zu erfüllen und hat damit Erfolg: Oec deetsi hier na wel bekinnen / Claretten van des ridders minne / Ende brachse oec in selken sinne, / Dat sine minde, sonder waen (Auch erzählte sie danach Clarette über die Minne des Ritters und brachte auch sie in einen solchen Gemütszustand, dass sie ihn minnte, seid dessen gewiss, V. 439-442). Erst an diesem Punkt setzt Clarettes Verliebtheit ein: der Ridder hat sich durch seine Taten würdig bewiesen und der Bericht der Jungfrau erweckt die eigentlichen Minnegefühle in Clarette. Die Mitteilung, dass der Ridder Clarette minnt, ist an dieser Stelle etwas merkwürdig. In der folgenden Episode übernachtet der Ridder bei der Jungfrau Egletine und der Leser erfährt, dass Egletine und ihre Jungfrauen aus Liebe zu ihm nicht schlafen können, von minnebedingter Schlaflosigkeit des Ridders ist jedoch nicht die Rede (v. 500-503). Erst die Grenzüberschreitung in den unheilvollen Wald, genannt tFelle Wout sonder Genade (Der gefährliche Wald ohne Gnade, V. 546), bringt ihn auf dieses höhere Bewusstseinsniveau. Diese Übergangsfunktion hat der Wald in der Literatur | |||||||||||||||||||||
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des Mittelalters des Öfteren.Ga naar voetnoot34 Ab diesem Moment ist Clarette wieder indirekt im Text anwesend. Es wird mehrmals erwähnt, dass der Ridder beim Anblick des Ärmels an sie und ihre Minne denkt (z.B. in V. 666-675 und 1050-1052). Der Ärmel spielt eine wichtige Rolle für den Verlauf der Abenteuer des Ridders im Wout, da das minnegepeins (Nachdenken über die Liebe) und die Minnevision, in die der Held durch den Anblick des Ärmels verfällt und durch die er den ihn herausfordernden Ritter Elyconas überhört (V. 761ff), Anlass für das erste Duell im Wald geben.Ga naar voetnoot35 In Vers 717-737 finden wir einen interessanten Kommentar des Ich-Erzählers. Unter Anderem weiht er den Leser darin ein, dass es für den Ridder nicht leicht sein wird, Clarette für sich zu gewinnen. Er ist nicht der Einzige, der diesbezüglich Ambitionen hat: Die Riddere metter Mouwen, dat wet,
Behoeft te hebbene goet geval,
Sal hi dese maken al
In Claretten herte onmare
Ende selve sijn gemint van hare.
(Der Ritter mit dem Ärmel, seid dessen gewiss, muss großes Glück haben, wenn er alle diese [Männer] aus Clarettes Herzen vertreiben möchte, um selbst von ihr geliebt zu werden, V. 733-737). Der Erzähler nennt auch einige Namen anderer Mitdinger, wie z.B. Gastolus van den Gronen Dale, Carados vander Riviren und Marchelijs vander Linden, bestreitet aber das Gerücht, dass sogar Lanceloet Clarette verfallen wäre (V. 717-737). Diese Textstelle macht auf Grund der seltsam klingenden geografischen und floralen Namen auf mich einen komischen, vielleicht auch ironischen Eindruck.Ga naar voetnoot36 Zusätzlich bekommt der Leser einen Informationsvorsprung, denn auch des Ridders späterer Gegner, Amelant vander Montaengen, der Bruder des Elyconas, wird als Werber um Clarette genannt. Im Kampf mit Elyconas verleiht der Anblick des Ärmels dem Ridder, wie auch in anderen Passagen des Romans, schier unmögliche Kräfte (V. 827ff, u.a. auch V. 877ff), sodass er den Sieg erringt. Daraufhin erscheint ein anderer von einem Löwen begleiteter Ritter namens Amelant, der Bruder des Toten. Der Ridder besiegt den Löwen, woraufhin sich Amelant ergibt.Ga naar voetnoot37 Beide Kämpfer sind schwer verwundet. Amelant ruft | |||||||||||||||||||||
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seinen heilkundigen und mit einem magischen Ring ausgestatten Zwerg herbei. Der Ridder erinnert sich an Clarettes Ratschlag, keinem Zwerg zu trauen und findet sich in einem tiefen Konflikt zwischen der Loyalität zu Clarette und seinem eigenen Überlebenswillen wieder. Die starke Anspannung führt dazu, dass er in Ohnmacht fällt. Erzähltechnisch wird der Konflikt dadurch gelöst, dass der Zwerg den Ridder während seiner Bewusstlosigkeit heilt.Ga naar voetnoot38 Darüber ist der Ridder jedoch sehr verzweifelt und beklagt, dass er Clarette verraten hat. So weiß Amelant über des Ridders Gefühlslage Bescheid und es stellt sich heraus, dass beide um Clarette werben: ‘Mare dat mi naest sal gaen,
Dats van Claretten, alsi mi kint,
Want ic hebse lange gemint.’
Doe pensde di Riddere metter Mouwe:
‘So minne wi beide ene joncfrouwe;
Dies ons lettel es te bet.
So menech spreiter om sijn net.
Woudesi mi minnen, sekerlike,
In coerre niet vore Arturs rike.’
(‘Aber was mich wirklich berührt, ist, ob Clarette mich erkennen wird, denn ich habe sie lange geminnt.’ Da dachte der Ritter mit dem Ärmel bei sich: ‘So minnen wir beide die gleiche Jungfrau, das nützt uns nichts. So manch einer hat sein Netz um sie gewoben. Wenn sie mich lieben würde, fürwahr, zöge ich [ihr] Artus' Reich nicht vor’,V. 1175-1183). Die Antwort des Ridders beinhaltet zwei wichtige Aussagen. Zum einen ist es ihm bewusst, dass er nicht der einzige ist, der um Clarette wirbt. Zum anderen ist für ihn Clarettes Liebe wichtiger als das Artusreich. Natürlich ist es möglich, dass es sich bei dieser Aussage um eine hyperbolische Wendung handelt, es ist jedoch nicht auszuschließen, dass an dieser Stelle eventuell Kritik am Artushof geübt wird. Katty De Bundel und Geert Claassens haben aufgezeigt, dass in den nach der Queeste vanden Grale in die Lancelotkompilation eingefügten Romanen die Ideale der Artuswelt nicht mehr das Nonplusultra allen Strebens sind und Kritik an der moralischen Einstellung des Artushofes geäußert wird.Ga naar voetnoot39 Vor allem im Kompilationszusammenhang wird deutlich, dass die moralische Überlegenheit dieses Reiches bei weitem nicht mehr gegeben ist, wie die Entwicklungen und der letztendliche Untergang der Artuswelt in Arturs Doet +++illustrieren.Ga naar voetnoot40 Auch der Ridder findet letztendlich seine Bestimmung nicht am Artushof, sondern im Reich seiner Geliebten in Spanien. Der Ridder hat mit seinen Bemühungen um Clarettes Gunst Erfolg, denn als die Jungfrau, die er im Wald rettet, den Artushof erreicht, wird berichtet: ‘In weet des ridders name niet,
Maer ic secge u wel hoemen hiet:
Den Riddere metter witter Mouwe.
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Het gafse hem ene scone joncfrouwe,
Doen hi riddere ward gemaect.’
Dit hord Clarette, di nine vaect.
Si ward van sire minnen ontsteken,
Soe sere haer dochte therte breken.
(‘Ich kenne den Namen des Ritters nicht, aber ich kann Euch sehr wohl berichten, dass man ihn den Ritter mit dem Ärmel nannte. Diesen gab ihm eine schöne Jungfrau als er zum Ritter gemacht wurde.’ Dies hörte Clarette, die niemals unaufmerksam ist. Seine Minne setzte sie so sehr in Flammen, dass sie glaubte, dass es ihr das Herz bräche, V. 1354-1361). Wissbegierig auf Neuigkeiten über den Ritter, ist Clarette, die nine vaect (Clarette, die niemals unaufmerksam ist, V. 1359) herbeigeeilt. Auch auf dieses erneute Lob des Ridders reagiert sie mit typischen Anzeichen von Minne. Smith führt zum Liebeskonzept im Roman aus, dass die Liebe auf Seiten des Ridders durch langwierige Qualen gekennzeichnet ist, das Objekt der Begierde jedoch keine pine (Schmerz) zu erleiden hat. Doch ist im oben angeführten Zitat zumindest von Qualen der Liebe auf Seiten Clarettes die Rede.Ga naar voetnoot41 Dass diese Thematik nicht weiter ausgebaut wird, ist eventuell eine Folge der Bearbeitung. Das Wiedersehen des Paares gestaltet sich zum Triumph des Ridders, da er den Artushof vor dem Gefolge der Brüder Elyconas und Amelant rettet (V. 1471-1520). Die Ereignisse werden vom Artushof beobachtet: Si prisden sere sine manlijchede:
‘Hi heeft gedaen dat noit man dede.’
Die doe Claretten hadde gesien,
Hoe si ginc merken ende spien
Naden riddere, dat seldi weten,
Hine hads nembermer vergeten.
Si mercte hem, soe dedi hare.
(Sie priesen seine Tapferkeit sehr: ‘Er hat etwas getan, was noch keiner vor ihm erreicht hat.’ Wer damals Clarette gesehen hätte, wie sie nach dem Ritter Ausschau hielt, seid dessen gewiss, er hätte es nie wieder vergessen. Sie behielt ihn im Auge, er tat das Gleiche, V. 1532-1538). Man hat es geradezu bildlich vor Augen, wie Clarette versucht, einen Bliek auf den Ridder zu werfen. Dann betrachten sie einander mit Gefallen. Völlig unerwartet kommt es zu diesem Zeitpunkt nicht zu einem glücklichen Ende, da der Ridder erneut aufbricht und, nachdem er schwer verwundet wurde, in ein Kloster eintritt. Seine einzige Bedingung ist, dass er das Kloster verlassen darf, wenn sich eine Chance ergeben sollte, Clarette für sich zu gewinnen. Als ein Bote das Kloster erreicht und dort ein Turnier verkündet, dessen Ziel es ist, einen geeigneten Heiratskandidaten für Clarette zu finden, weiß er, dass es jetzt für ihn um alles geht, und er bricht zum Artushof auf.Ga naar voetnoot42 | |||||||||||||||||||||
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Das Turnier wurde ausgerufen, um auf diesem Weg den spurlos verschwundenen Ridder wieder zu finden. Das mittelalterliche Turnier ist ein gesellschaftlicher Akt, bei dem die Ritter ihre Kampfeskraft unter Beweis stellen, während die Damen und der Rest des Hofes zuschauen und den besten Ritter auswählen. In der Epik ist die Beschreibung eines Turniers eine der wenigen Erzählsituationen, in denen Frauen die Betrachter und Bewerter, Männer die Betrachteten sind.Ga naar voetnoot43 Clarettes Position ist im Vergleich zum Romananfang recht unkomfortabel. In dieser Szene kann sie keine Wahl treffen, da sie der Preis in diesem Turnier ist. Konnte sie ihn am Anfang noch durch ihre Wahl und die damit verbundene Ärmelübergabe aus der Masse der anderen Ritter herausheben, muss nun ihr Einsatz als Lockvogel zeigen, ob ihr Geliebter überhaupt noch am Leben ist. Viele mächtige Herrscher sind zum Kampf angetreten, denn Clarette ist als Waleweins Nichte eine ‘gute Partie’. Ihre hohe soziale Stellung ist im Kompilationstext Clarettes wichtigste Eigenschaft, sie wird zweimal erwähnt (V.1547f und 1556). Andere individuelle Eigenschaften werden ihr nicht verliehen. Darauf werde ich am Ende des Artikels zurückkommen. Da sich der als Mönch gekleidete Ridder erst nicht zu erkennen gibt, sieht es ganz danach aus, als würde der Plan fehlschlagen: Clarette heefter oec na gesien / Ende hemelijc sere na doen spien, / Maer sine condens vinden niet (Auch Clarette schaute sich nach ihm um und hielt heimlich sehr nach ihm Ausschau, aber sie konnte [keine Spur] von ihm finden, V. 2006-2008). Dann müsste sie jemand anderen heiraten. Man spürt deutlich ihre Erleichterung, als der Ridder am dritten Tag seine Mönchskutte abwirft und sie ihn erkennt: Doe des Clarette ward geware,
Doen riep si lude al in een,
Sevenwerf eer si gefeen:
‘Dits hi, dits hi, die wi menen!
Desen willic ende el ne genen!’
(Als Clarette dies [den Ärmel] sah, rief sie sofort mehrmals, bevor sie nachließ: ‘Das ist er, das ist der, den wir meinen! Diesen und keinen anderen will ich!’, V. 2099-2103). Clarettes Ausruf ist in zwei Hinsichten interessant. Zum einen gibt sie durch den Gebrauch von wi kund, dass das Turnier im Interesse des ganzen Hofes war. Durch das Turnier sollte der beste Ritter ermittelt werden. Sie ist der Einsatz, um den die Ritter kämpfen. Auch wenn es im Rahmen der Geschichte feststeht, dass sich nur der | |||||||||||||||||||||
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Ridder als bester Ritter erweisen kann, bleibt der Fakt bestehen, dass Clarette als Lockvogel für ihren Geliebten auch als Objekt betrachtet wird. Sie ist eine Trophäe und scheint selbst keinen Einwand dagegen zu haben. Die zweite Aussage betrifft nur sie selbst. Es ist ihre Freude, dass sich zum Glück der beste Ritter als ihr Geliebter zu erkennen gibt. Nur diesen möchte sie, dies ist derjenige, den sie sich erwählt hat. Sie hat einen eigenen Willen, den sie aber im Notfall auch hinter die Interessen des Hofes stellen würde. Damit ist die Spannung gelöst.Ga naar voetnoot44 Die Aufmerksamkeit wendet sich von Clarette ab, es folgt eine Episode, in der der Ridder seine Mutter wieder findet.Ga naar voetnoot45 Erst zweihundert Verse später tritt Clarette wieder auf: Ende doen die coninc Artur verstoet,
Hoe hem sine dinge sijn vergaen,
Gaf hi heme Claretten saen,
Die hi begeerde vor alle vrouwen
Ende si hem weder, met goder trouwen.
(Als König Artus vernommen hatte, wie es ihm ergangen war, gab er ihm sofort in guter Absicht Clarette [zur Frau], die [der Ridder] mehr als jede andere Frau begehrte und sie ihn auch, V. 2225-2229). In dieser Szene liegt der Erzählfokus auf dem Ridder.. Ein wichtiger Aspekt der Paarbeziehung wird hervorgehoben: die Gegenseitigkeit der Liebe. Ein anderer wichtiger Aspekt wird kurz zuvor in den Versen 2208-2210 angesprochen: die Entwicklung des Ridders im ersten Teil des Romans ist einzig und allein Clarettes Liebe geschuldet. Clarette erfüllt deutlich die epische Funktion der Minnedame. Sie inspiriert den Ritter zu großen Taten, was unter anderem daraus hervor geht, dass wiederholt die Rede davon ist, dass der Gedanke an Clarette den Ridder auch in ausweglosen Kampfsituationen die Kraft zum Sieg verleiht. | |||||||||||||||||||||
Clarettes Anteil am Romanverlauf im zweiten TeilWar Clarettes Rolle im ersten Teil des RmM relativ wichtig, verliert sie im zweiten Teil an Bedeutung. Da die zweite Queste des Ridders nicht auf sie, sondern auf die Vatersuche gerichtet ist, hat sie keine prominente epische Funktion mehr. Das bedeutet nicht, dass sie für den Ridder völlig aus dem Blickfeld gerät, man denke nur an die Szene, in der er ihren Ärmel als offizielles Wappenzeichen wählt (V. 3080-3085). Clarette ist jedoch nicht mehr seine wichtigste Motivationsquelle, da das Ziel dieser Minnebezie- | |||||||||||||||||||||
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hung, die Hochzeit, erreicht ist und die Auslebung der Beziehung nicht problematisiert wird, wie zum Beispiel in Erec und Enide oder im Chevalier au Lion. Im letzten Teil dieses Artikels werde ich mich der Frage widmen, wie dieses Ungleichgewicht zustande gekommen sein könnte und wie es zu bewerten ist. Zuvor werde ich jedoch die Szenen zusammentragen, in denen Clarette im weiteren Romanverlauf auftritt. Am Anfang des zweiten Teils steht ein Hoftag, zu dem auch Clarette ende haer man (Clarette und ihr Mann, V. 2244) anreisen. Interessant ist, dass hier Clarette namentlich genannt wird und nicht der Ridder. Es hat den Anschein, als ob sie an dieser Stelle in einer anderen Version des Romans wichtiger gewesen ist als der Ridder. Nachdem Keyes Verwandter Galyas den Ritter zum Zweikampf herausgefordert hat, bricht der Ridder erneut zu einer Queste auf, um die abgebrochene Vatersuche zu vollenden. Dabei tritt eine Inkonsistenz im Text auf, die ein Indiz dafür ist, dass der Romanverlauf an diesem Punkt ursprünglich anders gewesen sein muss: Clarette ist auf einmal nicht mehr am Hof!Ga naar voetnoot46 Auch die nächste Szene, in der Clarette auftritt, trägt Spuren der Bearbeitung. Während der Ridder seinen Vater sucht, wird das Artusreich vom König von Irland angegriffen (V. 2838ff). Artus befindet sich in großer Not und will sich mit seinen Baronen beraten. In diesem Moment tritt ein Bote auf, der berichtet, dass Clarette in ihrem Reich in Spanien vom König von Aragon bedroht wird, weil sie ihm den Ridder vorgezogen hat.Ga naar voetnoot47 Der Bote fragt nach dem Verbleib des Ridders, worauf Artus antwortet, dass er darüber nichts wisse.Ga naar voetnoot48 Artus weigert sich, Clarette beizustehen: Die coninc ontseit hem algader
Ende seide, al waer hi Claretten vader,
Hi soude bescermen sijns selfs lant,
Eert quame in eens anders hant.
(Der König schlug ihm dieses [Hilfegesuch] ganz und gar ab und sagte, selbst wenn er Clarettes Vater wäre, würde er sein eigenes Land beschützen, damit es nicht in die Hand eines anderen fällt, V 2868-2871). Mit dieser Weigerung verletzt Artus seine Pflicht als Lehnsherr.Ga naar voetnoot49 Seine Ritter fühlen sich jedoch an ihren moralischen Auftrag, den Schutz der Wehrlosen, gebunden. Sie folgen entgegen des Königs Willen dem Aufruf Waleweins, Clarette beizustehen. An dieser Stelle tritt erneut eine Inkonsistenz auf (V. 2938-2945). Eventuell wurde diese Szene durch den Kompilator bearbeitet oder sie ist sogar aus seiner Feder geflossen.Ga naar voetnoot50 | |||||||||||||||||||||
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Obwohl Clarette weiß, dass der Ridder auf Vatersuche ist, fragt sie nach seinem Verbleib, als die Artusritter ihren Hof ohne ihn erreichen. Die Ritter antworten ihr, dass der Ridder krank sei. Die negative Darstellung König Artus' in dieser Episode ist eine thematische Parallele zu anderen nach der Queeste eingefügten Romanen, wie Torec oder Walewein ende Keye, in denen der Artushof nicht mehr das Zentrum höfischen Verhaltens ist.Ga naar voetnoot51 In dieser Episode erfüllt Clarette eine wichtige epische Funktion: an ihrer Figur wird die Thematik des nachlässigen Königs eingeführt und Kritik an der Artuswelt geübt. Nach dieser Episode begeben sich die Ritter zurück zum Artushof. Zusammen mit anderen Frauen betrachtet Clarette den entscheidenden Kampf zwischen dem Heer König Artus' und dem Heer des Königs von Irland. Wie zuvor im Turnier sind die Frauen Betrachterinnen und Bewerter männlicher Leistungen. Erneut hängt Clarettes Schicksal, ja das Schicksal der Artuswelt, von den Leistungen des Ridders ab. Erst sein Auftreten entscheidet den Kampf. Er tritt mit Clarettes Ärmel als Wappenzeichen auf, sie erkennt ihn sofort und feuert die Artusritter an:Ga naar voetnoot52 Doen Clarette die mouwe sach,
Riep si al dat si ropen mach:
‘Weerd u, gi heren. Op mine trouwe,
Hier comt die Riddere metter Mouwe,
Mijn vrient, mijn live man,
Met menegen riddere di hem volcht an.’
(Als Clarette den Ärmel sah, rief sie so laut sie konnte: ‘Wehrt Euch Ihr Herren. Bei meinem Ehrenwort, hier kommt der Ritter mit dem Ärmel, mein Geliebter, mein lieber Ehemann, und viele Ritter, die ihm folgen’, V. 3146-3151). Interessant an dieser Passage ist Clarettes Gebrauch von vrient und live man in einem Atemzug. Da in diesem Kontext vrient nur ‘Geliebter’ und man nur ‘Ehemann’ bedeuten kann, stellt sich die Frage, ob sich hier zwei Konzepte gegenüber stehen, oder ob zwischen beiden Begriffen kein Unterschied gemacht wird. Beide Möglichkeiten haben Auswirkungen auf die Interpretation dieser Szene. Im ersten Fall ist durchaus denkbar, diese Stelle als Hinweis auf einen ursprünglich anderen Verlauf des Romans zu werten, wo zu diesem Zeitpunkt Clarette und der Ridder noch nicht verheiratet waren, im zweiten Fall wäare davon auszugehen, dass in der Liebeskonzeption des Romans kein Unterschied zwischen Geliebten und Mann gemacht wird. Wie dem auch sei, im weiteren Verlauf des Romans wird der Ridder weiterhin als Ridder metter Mouwen, als Ritter im Minnedienst, bezeichnet. Dies ist ungewöhnlich, da er sich nach der Hochzeit mit Clarette nicht mehr im Minnedienst befindet, und sein wirklicher Name Miraudijs von seiner Mutter enthüllt worden ist. Der Ärmel ist im zweiten Teil des Romans jedoch nicht mehr die direkte Quelle der ritterlichen Kraft des Roman- | |||||||||||||||||||||
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helden, sondern er avanciert vom Minnezeichen zum Wappenzeichen (siehe V. 3081-85), ein im Mittelalter durchaus üblicher Brauch.Ga naar voetnoot53 Es ist auffällig, dass der Ridder seine Identität an das Minnezeichen Clarettes und nicht an die Herkunft und Wappenzeichen seiner Eltern koppelt, deren Identifizierung erst so wichtig erschien. Dies unterstützt die Annahme, dass der RmM ursprünglich als Liebesroman konzipiert war. In den folgenden achthundert Versen bis zum Ende des Romans tritt Clarette nur noch als ‘Schmuckwerk’ des Ridders auf. So lauscht sie freudig seinen Erlebnissen während der Vatersuche, verliert aber kein Wort darüber, wo er denn gewesen sei, als sie in Gefahr schwebte (siehe V. 3176-3180 und V. 3218-3222). | |||||||||||||||||||||
Die Bearbeitungsstrategie des KompilatorsCodikologische Details weisen darauf hin, dass die Lancelotkompilation in verschiedenen Phasen entstanden ist.Ga naar voetnoot54 Ursprünglich sollte das Manuskript nur die mittelniederländische Versübersetzung des altfranzösischen Prosazyklus enthalten. Während der Arbeit am noch erhaltenen Band wurde dieser Plan geändert, um weitere Romane in die Handschrift einzufügen. So wurden letztendlich zwischen dem Lanceloet und der Queeste vanden Grale die Romane Perchevael und Moriaen eingefügt sowie vor Arturs Doet die Romane Die Wrake van Ragisel, De Ridder metter Mouwen, Walewein ende Keye, Lanceloet en het Hert met de Witte Voet und Torec. Es hat den Anschein, dass die Entscheidung, den RmM in die Kompilation aufzunehmen, erst sehr spät getroffen wurde. Anlass zu dieser Vermutung gibt der Umstand, dass die Lage, auf dem der Roman geschrieben wurde, in vielen Punkten von den anderen Lagen des Manuskriptes abweicht. Es können verschiedene Personen identifiziert werden, die einen Beitrag zur Entstehung der Handschrift geleistet haben. Geschrieben wurde die Handschrift von fünf Schreibern (A-E), wobei Schreiber B nicht nur gelegentlich die Arbeit seiner Kollegen korrigierte, sondern auch den Hauptteil der Schreibarbeit leistete. Außerdem spricht einiges dafür, dass Schreiber B als Herausgeber oder sogar als Kompilator der Lancelotkompilation betrachtet werden kann. Wie bereits in der Einleitung angesprochen, wird oft der Name des mittelniederländischen Dichters Lodewijk van Velthem mit der Person des Kompilators in Verbindung gebracht. Schreiber B könnte unter seiner Aufsicht und Anleitung gearbeitet haben. Es ist jedoch auch nicht auszuschließen, dass es sich bei Schreiber B, dem Kompilator und Velthem um ein und dieselbe Person und bei der Lancelotkompilation um ein sehr seltenes mittelalterliches Autograph handelt. Eine weitere Person, die an der Entstehung der Handschrift beteiligt war, ist der so genannte ‘Korrektor’, der die Schreiber gelegentlich verbessert und Randbemerkungen hinzufügt hat, die eventuell der Vereinfachung des Vortrages dienten.Ga naar voetnoot55 Im RmM hat der Korrektor keine Spuren hinterlassen. | |||||||||||||||||||||
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Der Kompilationstext des RmM beruht auf einer flämischen Vorlage, die wahrscheinlich bedeutend länger war als die überlieferte Version. Zur Bearbeitungsstrategie des Kompilators liegen bereits Ergebnisse vor.Ga naar voetnoot56 Der Kompilator ist insgesamt kürzend vorgegangen (den 320 Versen des Fragments stehen nur 95 der Kompilationsversion gegenüber), wobei er oft auf den Wortlaut seiner Vorlage zurückgreift. Er fasst längere Passagen zusammen, lässt seines Erachtens unwichtige Passagen weg und lenkt den Leser weniger durch Vor- oder Zurückblicke als der Erzähler der Vorlage. Besonders die Kommentare des auktorialen Ich-Erzählers scheinen Kürzungen zum Opfer gefallen zu sein. Teilweise wurden diese durch die für die Entrelacement-Erzähltechnik typische unpersönliche Erzählinstanz davonture (altfranzösisch li contes) ersetzt, da im ganzen Roman (wie auch in den anderen interpolierten Romanen) nachträglich eine Entrelacement-Struktur angebracht wurde, die für die Erzählweise des Prosazyklus und auch der Lancelotkompilation typisch ist. Auch hat der Kompilator Textteile verschoben und damit teilweise in den Verlauf des Romans eingegriffen. Dazu kommt, dass er auch vor inhaltlichen Änderungen nicht zurückscheute. So findet im Fragment das Turnier um Clarettes Hand auf Initiative der Königin statt, im RmM ist es Artus' Idee. Auf diese Szene werde ich im Folgenden ausführlicher eingehen, da diese Änderung einen entscheidenden Hinweis auf die Vorgehensweise des Kompilators bei der Umarbeitung des Romans in Bezug auf die weiblichen Romanfiguren enthält. Zuvor jedoch einige Überlegungen zu der Hypothese der großflächigen Umarbeitung des Romans durch den Kompilator und der Darstellung weiblicher Romanfiguren in der höfischen Epik. Einige der oben angesprochenen Inkonsistenzen im Text führen zu der Frage, ob der Kompilator tief gehend in die Struktur des Romans eingegriffen hat. Simon Smith geht davon aus, dass der Roman ursprünglich ein linearer Liebesroman gewesen ist, der nach einem langen Leidensweg des Ridders in der Heirat des Paares gipfelte. Seiner Ansicht nach wurde die jetzige Doppelwegstruktur des Romans erst vom Kompilator angebracht. Besonders der Erzählstrang um die Figur Galyas hat den Anschein einer Interpolation des Kompilators zum Zweck der Motivation der zweiten Abenteuerfahrt des Ridders.Ga naar voetnoot57 Sollte Smith mit seiner Vermutung Recht haben, ist es gut möglich, dass Clarettes marginale Rolle im zweiten Teil des Romans darauf zurückzuführen ist, dass ihr bei der Konzeption des zweiten Teils keine besondere Rolle zugeteilt wurde. Das Paar ist verheiratet und die zweite Queste basiert nicht auf | |||||||||||||||||||||
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einem Konflikt zwischen Minne und Ritterschaft sondern ist auf die Identitätsfindung des Ridders in Form der Vatersuche konzentriert. Deshalb besteht kein zwingender Anlass, Clarette oder die Minnebeziehung der Protagonisten hervorzuheben.Ga naar voetnoot58 Intertextuelle Verweise im RmM führen zu der Annahme, dass der Dichter des Ur-RmM bei der Konzeption seines Romans in den Fußspuren Chrétien de Troyes wandeln wollte.Ga naar voetnoot59 Gerade Chrétien widmet der Darstellung der weiblichen Romanfiguren, ihrem Aussehen und ihren Gefühlen, oftmals große Aufmerksamkeit. So wird Enides Aussehen sehr ausführlich beschrieben, wobei diese Passage nicht die einzige dieser Art ist.Ga naar voetnoot60 Geht man an den RmM mit den gleichen Erwartungen hinsichtlich der Ausgestaltung der Frauenfiguren heran, wird man enttäuscht. Es gibt von Clarette, außer allgemeinen Bemerkungen über ihre besondere Schönheit, keine Beschreibung ihres Aussehens, ihrer Kleidung (abgesehen von V. 32-34, wo wir erfahren, dass alle Jungfrauen prächtige, seidene Gewänder tragen) oder ihres Charakters.Ga naar voetnoot61 Im Kontrast zu den langen Beschreibungen der Minnegefühle des Ridders zum Beispiel im Wout sonder Genade, werden Clarettes Gefühlen meist nicht mehr als ein oder zwei Verse gewidmet. Die einzige Passage längerer direkter Rede Clarettes ist auf den Ridder bezogen (V. 177-196). Trotz ihrer wichtigen epischen Funktion im ersten Teil des Romans enthält Clarettes Darstellung wenig Einzelheiten. Sowieso sind die Beschreibungen im RmM weniger detailreich als die Beschreibungen bei Chrétien oder bei anderen in seiner Schreibtradition stehenden Dichtern, wie Wolfram von Eschenbach oder Penninc und Vostaert (die Dichter des Walewein). Dies ist auf die allgemeine Bearbeitungsstrategie des Kompilators zurückzuführen, der die Erzählung vor allem auf die Handlung konzentriert hat und dabei viele Beschreibungen, Kommentare und psychologische Details weggelassen hat.Ga naar voetnoot62 Anders als zum Beispiel beim Roman van Walewein ende Keye haben wir beim RmM das Glück, dass wir zumindest einige Verse des Romans mit einer ursprünglicheren Version vergleichen können. Im Fragment ist unter anderem die Ausrufung des Turniers um Clarettes Hand überliefert: Doe soene soe droeve sach van sinne
Was sijs sere tongemake
Ende seide: ‘Here, bi eere zake
Suldine gecrigen, wetic wel,
Den ridder ende niewet el.
Doet eenen tornoy gebieden,
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Ende maket cont uen lieden,
Die drie dage geduren sal,
Ende dien gevet geval,
Dathi op tfelt den prijs bejaget,
Men sal hem geven die scone maget,
Claretten, teenen wive [...].’
‘Als hi gevreyschet dese niemare,
Hi sal ten tornoye comen,
Deerst dat hijt heeft vernomen,
Es levende hi ende gesont.
Want hi hevet lange stont
Claretten gemint, wetic wel,
Vele meer dan iemen el. [...].’Ga naar voetnoot63
(Als sie [die Königin] ihn [den König] so traurigen Gemüts sah, war sie sehr unglücklich und sagte: ‘Herr, es gibt nur eine einzige Möglichkeit, den Ritter zu finden. Ruft ein dreitägiges Turnier aus und gebt es Euren Leuten bekannt und wer das Glück hat, dass er sich auf dem Turnierfeld besonders auszeichnet, dem soll man die schöne Jungfrau Clarette zur Frau geben [...].’ ‘Wenn er diese Neuigkeit vernimmt, wird er zum Turnier kommen, wenn er am Leben ist und gesund. Denn schon seit langem minnt er Clarette viel mehr als jeder andere, das weiß ich sehr wohl. [...]’). Im Fragment stammt die entscheidende Idee, wie man den Ridder zurück an den Hof locken könnte, von der Königin. Ganz anders ist der Sachverhalt im Kompilationstext geschildert: Alse hijs vinden niet en mach,
Dedi crieren ter selver uren
Enen tornoy, die soude geduren
Drie dage, om Clarette wille,
Ende dine verwonne lude oft stile,
Datmen hem Claretten geeft.
Dus salmenne vinden, eest dat hi leeft,
Want si wisten wel ant horen,
dat hi Claretten hadde vercoren.
(Als er ihn nicht finden konnte, ließ er zu diesem Zeitpunkt ein dreitägiges Turnier um Clarettes Hand ausrufen, und demjenigen, der das Turnier gewinnen würde, sollte man Clarette zur Frau geben. Auf diese Weise würde man ihn finden, wenn er am Leben ist, denn es war allen bekannt, dass er Clarette minnte, V. 1799-1807). In dieser Passage weicht der Kompilationstext zweimal zu Ungunsten der Königin von der Lesung des Fragments ab. Zum einen ist es hier Artus selbst, der die Idee der Ausrufung des Turniers hat, zum anderen wird nicht mehr betont, dass die Königin so sensibel war, zu merken, dass der Ridder um Clarette wirbt. Die Änderungen im Text haben zur Folge, dass in dieser Passage die Rolle der Königin abgeschwächt und die des Königs hervorgehoben wird. Dabei ist die Darstellung der Königin oder der Ehegattin als Ratgeberin des Mannes ein relativ verbreitetes Motiv in der epischen Dich- | |||||||||||||||||||||
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tung des Mittelalters. Dass der Kompilator trotzdem Anlass zu einer Änderung sah, könnte ein Hinweis dafür sein, dass er den weiblichen positiven Anteil am Romanverlauf weniger stark akzentuieren wollte. Ausgehend von dieser Passage stellt sich die Frage, ob bei der Kürzung des Romans der Erzählfokus und der Erzählschwerpunkt zu Gunsten des Ridders und der mit der männlichen Hauptfigur verbundenen Problematik verlagert wurde. Während wir noch relativ viel über den Ridder erfahren, der zum Beispiel eine recht lange innere Beschauung über das Wesen der Minne hält, werden Details zu Clarette vorenthalten. Es hat den Anschein, als ob eine detaillierte Darstellung ihrer Person dem Kompilator nicht dienlich war. Um am Ende dieses Artikels auf Lodewijk van Velthems Verbindung zur Lancelotkompilation zurückzukommen, möchte ich die Frage aufwerfen, inwieweit die aufgezeigte frauenfeindliche Tendenz bei der Bearbeitung des RmM zum Frauenbild in anderen Werken Velthems passt. Interessant in diesem Zusammenhang ist der äußerst misogyne Epilog zu seiner Merlijn-Continuatie:Ga naar voetnoot64 Van Merline [en] vindic niet meer bescreven
In dat Walsc, ende om die saken
En willics niet meer in Dietsce maken,
Want hem hevet een wijf gevaen,
Daer hi nemmer en mach ontgaen,
No emmermeer vernemet van hem man;
Wat mach men daer meer of secgen dan?
Negeen dinc, so help my God,
Dan dat hi was een fijn sot;
Al heet hi vroet ende conde vele,
Nochtan heeften een wijf, by horen spele,
Datsi hem toende menechfoude,
Bracht int nette daer si woude;
Daerby en was met niet so vroet man,
Opdat daer wives herte alteen leide an,
Si en hoendene wel int leste.Ga naar voetnoot65
(Mehr kann ich auf Französisch nicht über Merlijn finden, darum will ich auch auf Niederländisch nichts mehr weiter dichten, denn ihn hat eine Frau gefangen genommen, der er nie wieder entkommen konnte, auch hat man nie wieder etwas von ihm gehört, was soll man also noch über ihn berichten? So wahr mir Gott helfe, nichts weiter, als dass er ein vollkommener Trottel war; auch wenn man ihn klug nannte und er viel konnte, hat ihn eine Frau, durch ihre Liebeskünste, die sie oftmals unter Beweis stellte, in dem Netz gefangen, in dem sie ihn haben wollte; weil es keinen noch so klugen Mann gibt, den eine Frau, auch wenn sie ihm längere Zeit ihr Herz schenkt, nicht letztendlich betrügen würde). | |||||||||||||||||||||
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Es spricht für kein besonders positives Frauenbild Velthems, wenn die Moral seiner an die 36 000 Verse langen Geschichte um Merlin ist, dass Männer immer wieder von Frauen betrogen werden. Ein kursorischer Blick auf sein Oeuvre lässt vermuten, dass er keine besonders positive Meinung über Frauen hatte. Zwar kommen in dem von ihm geschriebenen Teil des Spiegels Historiael auch ehrenhafte Frauen vor, an anderen Stellen werden jedoch auch lüsterne Frauen dargestellt, die problemlos ihre Männer betrügen.Ga naar voetnoot66 Um diesen Eindruck zu verifizieren, lohnt meines Erachtens als nächster Schritt eine eingehende Untersuchung der Darstellung von Frauen in den Werken Velthems, auch die anderen in der Lancelotkompilation enthaltenen Werke müssten diesbezüglich untersucht werden. Dabei gilt es festzustellen, inwieweit die Ergebnisse auf Eingriffe des Kompilators zurückzuführen sind. Möglicherweise findet sich dann auch eine Erklärung für die völlig andere Darstellung der Jungfrau, die mit Lanceloet einen keuschen Liebesbund eingeht.Ga naar voetnoot67 Die gewonnenen Erkenntnisse zu Velthems Oeuvre könnten dann zur Bearbeitungsstrategie des Kompilators der Lancelotkompilation und dem sich daraus erschließenden Frauenbild in Bezug gesetzt werden. Sollten sich entscheidende Übereinkünfte zeigen, wären diese eventuell weitere Indizien für Velthems mögliche Autorschaft der Lancelotkompilation. | |||||||||||||||||||||
SamenvattingVanuit genderperspectief wordt hier het beeld onderzocht dat in de Middelnederlandse Arturroman De Ridder metter mouwen, zoals overgeleverd in de Lancelotcompilatie, wordt geschetst van Clarette, het vrouwelijke hoofdpersonage. Aanleiding is de sterk verschillende uitwerking van deze figuur in de twee delen van de roman. In dit artikel wordt betoogd dat de verdwijning van Clarette in de loop van het tweede deel het gevolg is van de bewerkingsstrategie van de compilator van de Lancelotcompilatie. Aangezien er nog steeds onduidelijkheid heerst over de daadwerkelijke inbreng in de Lancelotcompilatie door Lodewijk van Velthem wordt voorgesteld om de uitkomsten van dit artikel te relateren aan het overige werk van Velthem en de bewerkingsstrategie van de compilator met betrekking tot de uitwerking van vrouwen in de Lancelotcompilatie.
Adres van de auteur: Ulrike Wuttke Wisbyer Str. 45 d-13189 Berlin ulrike.wuttke@web.de | |||||||||||||||||||||
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Literaturverzeichnis
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