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Die Urheimat des Menschengeschlechts
von Dr Ludwig Wilser.
‘Asien, die Wiege des Menschengeschlechts’. Wie oft kann man diese Worte hören und lesen, entweder im Brustton der Ueberzeugung von Lehrstühlen und Rednerbühnen herab verkündet oder als etwas Selbstverständliches und Unbestreitbares wissenschaftlichen Abhandlungen wie volkstümlichen Büchern vorangestellt! Und doch hat sich diese teils auf kindlichen Vorstellungen vom ‘Garten Eden’, dem wonnesamen, leider durch den Fürwitz unserer Aeltermutter verscherzten Aufenthalt des ersten Menschenpaares, teils auf der hergebrachten Ueberschätzung des Morgenlandes mit seinen zweifellos durch hohes Alter ehrwürdigen Denkmälern menschlicher Gesittung beruhende Behauptung, im Lichte neuzeitlicher Forschung als durchaus unbegründet, ja nachweislich falsch erwiesen.
Die Frage nach unseres Geschlechtes Urheimat, nach dem Lande, wo - ganz langsam selbstverständlich und allmählich - die Fortentwicklung des tierähnlichen, aber schon aufrechtgehenden Vormenschen (Proanthropus erectus) zum tiefstehenden Urmenschen (Homo primigenius, nach der von mir vor einem Jahrzehnt in die Wissenschaft eingeführten Bezeichnung) stattgefunden hat, ist eine rein naturwissenschaftliche, denn von jener unendlich weit zurückliegenden Uebergangszeit fehlt jede Ueberlieferung, geben weder Erzeugnisse der Menschenhand noch die ältesten Sprachwurzeln Kunde, ja sie gehört, da doch der Mensch die Krone der Schöpfung bildet, zu den vornehmsten Aufgaben des Naturforschers. Für die Wissenschaft vom Menschen, die Anthropologie, ist sie von grundlegender Bedeutung: wie es eine wahrhaft wissenschaftliche Völkerkunde nicht geben konnte, so lange man den Bildungsherd der höchstentwickelten Menschenart am verkehrten Ende suchte, so musz auch die Lehre von der Reihenfolge und demZusammen hang der Ausgestorbenen; von der Abstammung, Verwandtschaft und Ausbreitung der lebenden Menschenrassen, für jeden ein Buch mit sieben Siegeln bleiben, der in Bezug auf die Grundfrage im Dunkeln tappt,und von falschen Voraussetzungen über Ursprung und Herkunft unserer ältesten menschlichen Vorfahren ausgeht.
Es gibt nur eine Wahrheit, eine zusammenhängende, unteilbare
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Wissenschaft. Darum ist die Frage nach der Herkunft der Menschen nicht zu trennen von der nach Ursprung des Lebens und seiner Ausbreitung über den Erdball. Aus dem gleichen Urquell haben sich nacheinander Wellen niederster, dann immer höherer, zuletzt der höchsten Lebewesen ergossen. Wer die Urzeugung, den Aufbau lebendigen Urschleims (Protoplasma) leugnet, verwirft damit die ganze Entwicklungslehre, wer sie auf anderen Weltkörpern sucht, verlegt damit nur den Schauplatz, wer an ein dereinstiges Erlöschen der Lebensflamme glaubt, musz folgerichtig auch deren erste Entzündung voraussetzen.
Dasz die Abkühlung der Erde nicht gleichmäszig erfolgt, sondern von den Polen nach dem Gleicher zu fortschreitet, bedarf keiner Erörterung: wir müssen annehmen, der langsam erstarrende Glutball habe zuerst zwei Polarkappen festgewordenen Schmelzflusses getragen, die sich stetig ausbreiteten und einander entgegenwuchsen, gerade wie, trotz allen Schwankungen und Rückzügen, gegen Ende aller irdischen Entwickelung das Polareis am Gleicher sich begegnen musz. Da ohne Wasser jede Lebensregung unmöglich ist, können die ältesten und einfachsten Lebewesen erst entstanden sein, nachdem sich, ohne Zweifel wieder zuerst im äuszersten Norden und Süden, aus dem erkaltenden Luftkreis tropfbar flüssiges Wasser niedergeschlagen und einen Teil seiner Hitze verloren hatte. Nach Art des Packeises aus einzelnen Schollen zusammengeschoben, konnten die Anfänge der festen Erdrinde keine ebene Fläche bilden, sondern waren jedenfalls im wildesten Durcheinander zerrissen und zerklüftet. An den tiefsten Stellen entstanden Ansammlungen kochenden Wassers, das begierig alle erreichbaren und löslichen Stoffe in sich aufnahm, - und solche Tümpel heiszer, gesättigter Lösung, eine Mutterlauge in des Wortes eigentlichster Bedeutung, müssen als Quellen des ersten Lebens auf Erden betrachtet werden. Die ältestbekannten Vertreter des Tier- und Pflanzenreiches sind sämtlich Wasserbewohner.
Wäre die Verteiling von Wasser und Land auf der nördlichen und südlichen Halbkugel eine vollkommen oder doch annähernd gleichmäszige, so würde sich das Leben von zwei verschiedenen Bildungsherden aus über das Erdenrund verbreitet haben.
Beim Zusammentreffen in der Nähe des Gleichers müszte dann zwischen den beiderseitigen Tieren und Gewächsen, da die arten
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bildenden Kräfte im Norden und Süden unmöglich ganz gleich gewesen sein können, ein heftiger Kampf ums Dasein entbrannt sein, der mit dem Sieg der Wiederstandsfähigeren und Bessergerüsteten, mit der Vernichtung oder doch Zurückdrängung der Schwächeren und Minderwertigen geendet haben würde. Es sind aber keinerlei Tatsachen bekannt, es gibt weder lebende noch versteinerte Tiere und Pflanzen. die zur Annahme einer doppelten Schöpfung nötigen; im Gegenteil sprechen alle Erfahrungen über die Verbreitung des Pflanzenwuchses, der Tierwelt wie der Menschenrassen für eine einheitliche Entwicklung, für einen einzigen Schöpfungsherd. Alle Arten und Abarten weisen auf gemeinsame Stammväter zurück und lassen sich zur Genüge durch Anpassung an verschiedene Lebensbedingungen, durch Sonderentwicklung infolge räumlicher Trennung erklären. Der Grund, warum eine an sich ja denkbare Lebensentfaltung auf der südlichen Halbkugel in Wirklichkeit nicht stattgefunden hat, liegt meines Erachtens in der grundverschiedenen Gestaltung der Polargebiete.
Die mit der fortschreitenden Erkaltung des Erdinnern notwendig verbundene Schrumpfung vergröszerte die Unebenheit der Rinde noch ganz bedeutend: hier erfolgten Einbrüche, dort Faltungen und Aufstauungen. Ungeheure, aus der Lufthülle sich niederschlagende Wasserfluten füllten die Täler, und so vollzog sich allmählich die Scheidung von Festland und Meer. Warum auf der Nordhälfte der Erdkugel das eine, auf der Südhälfte das andere so entschiedenes Uebergewicht hat, läszt sich mit Sicherheit nicht ermitteln, wenn es auch zweifellos auf einfachen natürlichen Ursachen beruht. Merkwürdigerweise verhalt sich aber die nächste Umgebung der Pole gerade umgekehrt, im Norden ist die Kuppel eingestürzt, und bildet wie ein rings von Festland umgebenes Meeresbecken, im Süden ist sie als meerumschlungenes Eiland allein stehen geblieben. Für die aufsteigende Entwicklung des vom Wasser aus das trockene Land erobernden Lebens war dieser Zustand im Norden denkbar günstig, im Süden dagegen äuszerst ungünstig, so dasz, wenn je auch hier ein Anfang gemacht war, er doch bald wieder zu Grunde gehen muszte, ohne erkannbare Spuren in der groszen Urkunde der Versteinerungen zu hinterlassen.
Von dem das kreisrunde Nordpolarmeer rings umgebenden Festland ragen heute nur noch einzelne zerrissene Trümmer über den Meeres- | |
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spiegel empor; in früheren Zeiten aber, als sich noch nicht soviel Wasser aus dem Dunstkreis niedergeschlagen hatte, musz es eine viel gröszere Ausdehnung und einen nur weinig unterbrochenen Zusammenhang gehabt haben, so dasz beispielsweise Nordamerika über Grönland, Island, Spitsbergen mit der Alten Welt, in Verbindung stand. Diese Länder müssen wegen der Fülle von Versteineningen, die sie, zum Teil auch in ihren überfluteten Teilen, geliefert haben, als wichtigster Schöpfungsherd, als Wiege der die Erde bevölkernden Tierwelt betrachtet werden.
Vor einigen Jahren habe ich ein ‘Verbreitungsgesetz’ aufgestellt, das für Pflanzen und Tiere, für ausgestorbene wie für lebende Arten Geltung hat: Enthalten erdgeschichtlich gleichalterige Schichten Versteinerungen von ungleicher Entwicklungshöhe, so sind die höher stehenden, also jüngeren, dem Bildungsherd näher geblieben, kommen Arten oder Abarten fossil und lebend vor, so stehen erstere örtlich und zeitlich der gemeinsamen Wurzel näher; von den lebenden haben sich die in der Entwicklung am meisten zurückgebliebenen am weitesten von ihrem Ursprungsgebiet entfernt Wenden wir dieses Gesetz, von dem mir keine Ausnahmen bekannt sind, und das für den Pflanzenwuchs besonders durch die auf der nördlichen Halbkugel so mächtigen Steinkohlenflöze bestätigt wird, auf den Menschen. an, so zeigt sich, dasz die leiblich und geistig am tiefsten stehenden Vertreter unseres Geschlechts: Feuerländer, Buschmänner, Wedda, Andamanesen, Toala, Australneger, am äuszersten Rande und in den südlichsten Spitzen des mit drei groszen Strahlen in die Südsee vorspringenden nordischen Festlandsgebietes angetroffen werden, während man versteinerte Knochen der Urmenschen bis jetzt nur in der nördlichen Hälfte unseres eigenen Weltteils ausgegraben hat.
Auch von unseren nächsten Seitenverwandten, den menschenähnlichen Affen sind versteinerte Ueberbleibsel nicht, wie Darwin vermutet hatte, in afrikanischem, sondern mit einer einzigen, leicht zu erklärenden Ausnahme (Siwalik Hills) in europäischem Boden gefunden worden. Daraus ergibt sich unabweisbare Schluszfolgerung, dasz mit den anderen groszen Säugerstämmen auch die ältesten Menschenhorden vom Norden aus sich Schritt für Schritt, wobei hauptsächlich Europa die Brücke bildete, über alles zugängliche und bewohnbare Land verbreitet haben.
Nicht fertig, und vollendet, wie Athene aus dem Haupte des Zeus,
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ist der Urmensch auf die jungfräuliche Erde gesprungen, sondern erhatte, um von tierähnlichen zu menschlichen Zuständen aufzusteigen einen unendlich langen und mühsamen Weg zurückzulegen; darum müssen den ersten Verbreitungswellen des Menschen solche des Vormenschen vorangegangen sein, und wir haben Grund zu der Annahme, dasz auch deren Spuren in Gestalt versteinerter Knochenteile gefunden sind. Die überraschende, vor sechzehn Jahren durch einen hollandischen Militararzt auf Java gemachte Entdeckung und der dadurch entfesselte Gelehrtenstreit sind noch in lebendigster Erinnerung. Im letzten Jahre hat man auf der gleichen Fundstätte neue Nachforschungen angestellt, aber, wie ich vermutet hatte, keine weiteren Gebeine des Vormenschen, dagegen auszer zahlreichen Ueberbleibseln einer dort vollständig ausgestorbenen Tierwelt nach dem Zeitungsbericht eines ungenannten Teilnehmers der ‘Selenka-Expedition’ (spätere sind Dr Carthaus unterzeichnet), angeblich auch von Menschenhand bearbeitete Knochenstücke ausgegraben, die des ersten Fundes Bedeutung in Frage stellen sollen. Es ist jedoch, wenn wirklich die fraglichen Knochen von Menschen bearbeitet und nicht durch Naturkräfte zersplittert und abgeschliffen sind, wohl zu beachten, dasz die einzelnen Teile des Fundes von Trinil, vom Wasser verschwemmt und in eine vulkanische Asche eingebacken, vielleicht verschiedenen Zeitaltern entstammen. Ehe all diese Einzelheiten aufs genaueste untersucht und festgestellt sind, tun wir gut daran, den vom Entdecker Dubois als Pithecanthropos, von mir als Proanthropus erectus bezeichneten Vormenschen als durch fossile Knochen belegt, zu betrachten Einem ähnlichen, gleichfalls einer dem wirklichen Menschen vorausgeeilten Verbreitungswelle angehörenden Wesen, musz wohl auch ein schon vor vielen Jahren im südamerikanischen Pampaslehm gefundener, kürzlich
von Lehmann-Nitsche Revista del Museo de la Plata XIV) beschriebener Halswirbel (Atlas) zugeschrieben werden, der seiner Bildung nach weder der eines tiefstehenden Menschen, noch der eines groszen menschenähnlichen Affen sein kann, wohl aber auf einen kleinen Schädel mit unentwickeltem Gehirn und aufrechten Gang schlieszen läszt. Da demnach sein Träger ganz dem ostindischen Verwandten entspricht, würde ich statt des vorgeschlagenen naturwissenschaftlichen Namens Homo neogacus lieber Proanthropus neogacus wählen. Erdgeschichtlich ungefähr gleichaltrige Spuren des Vormenschen - besteht ein
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Unterschied, so ist die amerikanische noch älter - aus so weit von einander entfernten Ländern sprechen, entschieden für ein Ursprungsgebiet, von dem aus beide Fundorte gleich gut zu erreichen waren, und auch diese Erwägung führt uns somit wieder nach Norden, in den Verbreitungsbereich des Urmenschen (Homo primogenius). Dasz in Europa keine vormenschlichen, sondern nur ausgesprochen menschliche Gebeine, wenn auch von hohem Altertum, neben solchen ausgestorbener Groszaffen gefunden worden sind, berechtigt zu der Annahme, das eigentliche Werdeland des Menschen müsse noch weiter nördlich, nämlich in Gebieten gesucht werden, die heute von Meeresfluten oder mit ewigem Eise bedeckt sind. Zurzeit ist keine einzige paläontologische oder tiergeographische Tatsache bekannt, die mit dieser Voraussetzung im Wiederspruch stände.
In unserer, von allerlei mehr oder weniger begründeten Rassentheorien beherrschten und bewegten Zeit gewinnt die erörterte Frage eine ganz besondere Bedeutung; denn durch ihre richtige oder unrichtige Beantwortung sind alle weiteren Schluszfolgerungen über die erdgeschichtliche Reihenfolge und damit die verhältnismäszige Entwicklungsstufe der einzelnen Menschenrassen bedingt. Die verhängnisvolle und folgeschwere Irrlehre von der Einwanderung unserer Vorfahren, reinblütiger Vertreter der höchstentwickelten Rasse (Homo europäeus) aus Asien, die nun sogar von ihren hartnäckigsten Verteidigern, den Sprachforschern, aufgegeben ist, wäre unmöglich gewesen, wenn man in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zutreffende Vorstellungen über Ursprung und Herkunft des Menschen überhaupt gehabt hätte.
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