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Der Muhme Garten
Von
Ludwig Wilser.
‘Ich hab' eine alte Muhme, die ein altes Büchlein hat’ - ja freilich, das hatte sie auch, die gute Frau M., deren liebes, freundliches Gesicht heute wieder einmal in meiner Erinnerung auftaucht, ehrwürdige Hauschroniken und Erbauùngsbücher in schön gepressten Lederbänden mit silbernem Beschlag, doch fehlte mir damals, besonders in der herrlichen Ferienzeit, für solche Dinge noch jedes Verständnis, aber etwas Anderes habe sie, worauf ich mich das ganze Jahr über freute, einen Garten, so eigenartig, so traulich, so - kurz einen Garten, wie es heutzutage gar keinen mehr gibt.
In grossem Bogen flog mein Schulranzen von der Stubetür bis in meine Lernecke - hurra, die Stunde der Freiheit hatte geschlagen, und morgen ging es, wie alljährlich, wieder nach dem geliebten P., ins gastliche Haus meiner Grosseltern. Hastig suchte ich zusammen, was mir gerade das Liebste war, Bogen und Pfeile, Bleisoldaten, Brummkreisel oder Holztierchen, und war meiner guter Mutter uberall beim Packen im Wege, denn die freudige Ungeduld liess mir keine Ruhe. P., ein altertümliches, vom Weltverkehr damals noch wenig berührtes Landstädtchen, war das gelobte Land meiner Jugend; bot es doch so manches, was meiner als langweilig verschrieenen Vaterstadt gänzlich abging, vor allem Wasser und Berge mit rauschenden Wehren und klappernden Mühlen, mit waldverlorenen Försterhaüschen und sagenumsponnenen Ritterbergen.
In aller Frühe aus unruhigem Schlummer geweckt, wurde ich mit Eltern, Geschwistern und Kindermädchen in einen grossen Reisewagen verladen - denn in dieser Richtung ging damals noch keine Eisenbahn - und mit lustigen Peitschenknallen fahren wir in den taufrischen Herbstmorgen hinein. Eine schnurgerade, staubige Pappelallee war bald überwunden, dann bog der Wa- | |
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gen ein Seitental ein, und die bergig-waldige Landschaft wurde immer anmutiger und abwechselungsreicher. Die Strasse führte durch mehrere malerisch am Wasser gelegene Dörfchen mit gackernden Hühnern und schnatternden Gänsen, wo wir besonders die kleinen Bauernkinder wegen ihrer einfache Bekleidung - oft nur ein nicht allzu langes und sauberes Hemdchen, bei Jungen allenfalls noch eine Pelzmütze - Eindruck machten. Ein Bild hat sich unauslöschlich meinem Gedächtnis eingeprägt: auf einer Haustreppe sassen ubereinander drei oder vier Kinder, von denen jeweils die auf höherer Stufe befindlichen ihren Untergebenen den üppigen Haarwuchs nach unliebsamen Gästen àbsuchten - ländlich, sittlich!
Nach den Dörfern kam ein grosser, düsterer Wald; seitwärts vom Wege lag ein einsames, in früheren, wilderen Zeiten als Räùberherberge verrufenes Wirtshaus, dessen unheimlicher Name ‘Siehdichfür’ mir ihner eine Gänsehaut verursachte. Endlich lichten sich die insteren Tannen und wir erreichen eine freie Höhe, von der man unser Reiseziel, die Stadt mit ihren Mauern und Türmen, unten am blinkenden Flusse liegen sieht. Freudig schnauben die Pferde dem Stall und der Krippe entgegen, in raschester Gangart rollt unser schwerbeladenes Fuhrwerk die gewundene Landstrasse hinab, etwas langsamer durch die engen und holperigen Gassen des Städtchens und hält endlich vor dem mit Jubelrufen begrüssten wohlbekannten Haus mit seinem hohen Dach und geräumigen, mit einem Laubenganzumgebenen Hof. In der grossen Stube steht schon die dampfende Suppenschüssel auf dem Tisch, und, vom lieben Grossmütterchen und der zärtlichen Tanten der Reihe nach abgeküsst, lassen wir uns nach der langen Fahrt das ‘lecker bereitete Mahl’ nach Kraften schmecken. Kaum aber habe ich die Gabel aus der Hand gelegt, so frage ich auch schon, wegen dieser ungebùhrlichen Hast von der guten Grossmutter mit sanften Worten zurecht gewiesen: ‘wann gehen wir zùr Fraù Bas?’
Das war nämlich die Besitzerin besagten Wundergartens. Sie stammte aus dem Herzen des Schwabenlandes und hatte, als weitläùfige Verwandte des Grossvaters, in dessen kinderreichem
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Hause wirtschaften gelernt und sich auch sonst weiter ausgebildet. Ein wohlhabender Handwerksmeister, der das frische, allzeit fröhliche Schwabenkind dort kennen und lieben lernte führte sie als Hausfrau heim in sein angastammtes, ober am Schlossberg gelegenes Besitstum. Als ich sie kennen lernte, war sie eine rüstige wohlerhaltene Wittwe, die das Geschàft ihres Mannes -er war Kupferschmied gewesen - mit Hilfe tüchtiger Gesellen erfolgreich weiterbetrieb.
Am anderen Morgen - länger war gewöhnlich meine Ungeduld nicht zu zügeln - wanderte ich dann mit einer der Tanten oder meiner älteren Schwester den Berg hinauf, wo mir schon von weitem das stattliche Haus der Frau M. - sie trug einen altschwäbischen Namen, der an das langobardische Königsgeschlecht der Lothringer, sowie an Amlethus und Wiglethus der nordischen Heldensage erinnert - mit seinen grünen Läden und der braunen, messingbeschlagenen Tür über der breiten Freitreppe fremdlich entgegengrüsste. Mit heller, wohllautender Stimme hiess die Frau ‘Bas’ das ‘Vetterle’ aus der Hauptstadt aufs herzlichste Willkommen und suchte mit rasselndem Schlüsselbund in Schränken und Truten nach einem Leckerbissen für ihre Gäste; aber was waren alle gebackenen Leckereien, Lebkuchen, ‘Springale’ und dergleichen, gegen das köstliche Obst im Garten, zu dem es mich mit allen Fäsern hinzog, so dass ich kaum stillsitzen konnte, bis die nótigen Begrüssungsworte ausgetauscht und gegenseitigen Fragen beantwortet waren. Endlich hiess es: ‘Nun kommt aber mit in den Garten und seht, was diesjahr die Bäùme getragen haben!’
Schon der Eingang, ein schmaler, ùber einen alten Festungsgraben fùhrender Steg, war eigentümlich und ungewohnlich; der Garten selbst aber, ganz anders als alle mir sonst bekannten, hatte keine ebene, rechtwinkelige Grundfläche, sondern bestand aus verschieden gestalteten Abteilungen von ungleicher Höhe, zu denenman auf Steintreppen emporstieg und deren Scheidemauern mit Reben und Spalierobst bepflanzt waren. Ueberhaupt, welche Fülle schmackhafter Früchte, Trauben, Aepfel, Birnen, Pflaumen, Mirabellen, Hasel- und Wallnüsse, dann wieder ver- | |
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steckte Himbeerhecken zahlreiche Sträucher mit ‘Hausträubehen’ aller Farben und nicht zu vergessen gelben und roten Stechelbeeren (dort ‘Grusselbeeren’ genannt, verwandt mit lat. Grossularia, franz. Groseilles) mit ungewöhnlich dünner Hext und von ganz besonderem Wohlgeschmack. Auch allerlei Küchenkraùter wurden in wohlgepflegten Buten gezogen, aber denn hausbackene Nüchternheit war verdeckt durch den üppigste fertenreichsten und duftigsten Blumenflor, mächtige Hundertblat und zarte Moosrosen, Goldlack, Reseden, Lówenmaal, Eisenhut, Rittersporn, Winden und Malven, meist Blumenarten, wie man sie in dem heutigen Tiergarten nicht mehr zu sehen bekommt. Wenn ich mich in dieses Paradies meiner Kindheit woich stundenlang spielen und träumen konnte zurückversetze, umfängt mich doch heute ein ungemein wohliges Gefühl, steigt ein unvergleichliches und unvergessliches Stimmungsbild vor meinem innern Auge auf: tiefblauer Himmel und goldener Sonnenschein, warme, wärzige, von Blütenduft erfüllt Luft mit gaukelnden Faltern, dazu einschläfernde Gesumme honigsuchender Bienen und grùnschillernder Fliegen.
Ueber die Wege huschten zierliche Eidechsen, denen die alten Mauern zahlreiche Schlupfwinkel boten, und an den Baumstämmen hingen mildliche, buntgestreifte, Schneckenhäùschen, die ich eifrig sammelte, und sie auf dem steinernen Tisch eines mit Efen und Schlingrosen umsponnenen Gartenhäùschens in Ruh und Glied aufzustellen. Wenn dann die Trägsten ihrer zusassen meiner eindringlich wiederholten Aufforderung.
Schneck, Schneck, streck d'Hörner, 'raus,
Oder ich werf' dich über d'Stadtmauer 'naus!
nicht folgen wollten, so konnte ich die Drohung des Kinderreims sofort wahrmachen, denn dass Gartenhäùschen stand ja unmittelbar an der alten Stadtmauer von der man in einen tiefer am jenseitigen Rand mit hohen Baümen bestandenen Gruben hinabschaute. An der Ecke der Mauer ragte noch trotzig ein grünumrankter Werthurm empor, den man nur mühsam auf Leitern erklimmen konnte und von dessen tiefem, moderigem Verliess man sich schauerliche Geschichten erzählte. Tatsächlich waren in demselben auch Schädel und Knochen, sowie mehrere
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eiserne Kanonenkugeln verschiedener Grösse gefunden worden, die ich oft in den Wegen des Gartens hier und her rollen liess. In einer Mauerritze soll ein spielendes Kind etwas glànzendes entdeckt und eine lange goldene Kette hervorgezogen haben; doch kann ich die Wahrheit dieser Geschichte, die ich von einer mit blühender Einbildungskraft begabten, von uns Kindern als unermüdliche und fesselnde Erzählerin verehrten Märchentaube gehört habe, nicht verbürgen.
Leider ist, wie so manches Schöne auf dieser Welt, auch dieser friedliche und stimmungsvolle Erdenwinkel der Zerstörung anheimgefallen. Der einzige Sohn der Besitzerin, der gern den grossen Herren spielte und nicht mehr Kupferschmied wie seine Vorfahren, sondern ‘Metallwaarenfabrikant’ sein wollte, liess nach dem Tode seiner Mutter auf dem Grundstück des Gartens ein Giesshaus erbauen und grosse Werkstàtten errichten, verkrachte aber noch vor Vollendung derselben und wanderte nach Amerika aus. Als ich nach Jahren wieder einmal an dem Lieblingsplätzchen meiner Jugend vorüberkam und diese sinn- und zwecklose Verwüstung sah, konnte ich mich, obwohl schon Mann, kaum der Tränen erwehren; o selig, o selig, ein Kind noch zu sein!
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