Deutscher Neuphilologentag 1970 mit Niederländisch.
Auf dem diesjährigen Neuphilologentag in Münster waren die ‘Niederländer erstmals mit einer eigenen Veranstaltung vertreten. Herr OStR. H. Combecher von der NATO-Schule in Südlimburg und Lektor der Anglistik in Köln sprach zum Thema ‘Niederländisch - wertvolle Schulfremdsprache’ vor der Fachgruppe Niederländisch, die inzwischen nach Abstimmung der Delegierten in den ‘Allgemeinen Deutschen Neuphilologenverband’ aufgenommen wurde.
Herr Combecher widerlegte zunächst deutsche Vorurteile zum Hochsprachencharakter des Niederländischen, der für den Fachmann nie zweifelhaft gewesen sei. Dank der relativ leichten Erlernbarkeit auf grund der Sprachverwandtschaft sei das Niederländische von fast 20 Mill. EWG-Partnern Hollands und Belgiens besonders wertvoll, zumal dies mit einer völlig anderen Mentalität und Lebensweise einhergingen, die die deutsche durchaus ergänzen könnten. Die Niederlande als Fremdsprachenpartner lägen dazu in grenznaher Reichweite der deutschen Ballungszentren. Da auch die Flamen auf eine sprachliche Erwiderung ihrer Vorleistung und freundschaftlichen Hältung gegenüber dem Deutschen warteten, erhöhe sich der Wert dieser (in NRW offiziellen) Schulfremdsprache als Kulturmedium zweier Nachbarstaaten, die übrigens mehr Sprecher zähle als sämtliche nordgermanischen Sprachen zusammengenommen, wobei das kapholländische Afrikaans nicht einmal mitzähle. Die niederländischsprachige Schülerschaft sei dank ihrer Deutschkenntnisse für Deutsche ein besonders gut vorbereiteter und geeigneter Gesprächs- und Austauschpartner.
Auch literarisch könnten die Niederlande und Deutschland einander ergänzen. Eine Beeinflussung gab es bereits einmal, als im 17. Jh. die Niederländer die Lehrmeister der Deutschen waren. Das Niederländische rege auch zum Nachdenken über die Entstehung der eigenen Muttersprache und ihre ‘ungelebten Möglichkeiten’ an, Möglichkeiten, die das Niederländische sehr wohl verwirklicht habe, während der verwandte deutsche Nordwesten vom Hochdeutschen überlagert wurde.
Zu lange ist dieser Sprach- und Kulturraum mit seinen interessanten Übergangsaspekten zum Romanischen und Englischen ignoriert worden, - obwohl die zu etwa 85% niederländischsprachige BENELUX, die vierte Welthandelsmacht, der beste Wirtschaftspartner der BRD ist. Hans Combecher forderte abschließend die Deutschlehrer auf, sich für eine Unterrichtsreihe zu qualifizieren, in der sie das rechte Verhältnis der Schwestersprachen Niederländisch und Deutsch in wissenschaftlich vertretbarer Weise lehren könnten. So ließen sich allerlei Mißverständnisse allmählich abbauen.
Nach den offiziellen Tagungen in Den Haag und Bonn war damit auch Münster, an dem einst die Niederlande ihre politische Selbständigkeit erhielten und das unter dem Flamen Prof. Dr. Goossens einen eigenen Niederländistik-Lehrstuhle besitzt, ein bedeutsamer Wendepunkt für die deutsche Schul - Niederländistik geworden. Neben dem Westdeutschen Rundfunk - ‘In Holland staat een Huis’ - war übrigens auch der Vorsitzende des niederländischen Neuphilologenverbandes, Herr De Vries, zu dieser Veranstaltung erschienen und bot für die Zukunft seine Unterstützung an. Diese wird sich angesichts des katastrophalen Niederlandistenmangels in den beiden Anrainer-Bundesländern NRW und NS vor allem auf die Vermittlung von Lehrkräften erstrecken müssen, die u.a. auch Niederländisch geben können. Daß latenter Bedarf besteht, hatte eine Umfrage allein an einer Anzahl Realschulen in NRW ergeben, von denen etwa 35 stärker an niederländischer Sprache und Kultur interessiert sind. Inzwischen hat auch eine große Landtagsfraktion (C.D.U.) in Düsseldorf ‘verstärkten Niederländischunterricht an allen Schulformen’ des linken Niederrheins in ihr offizielles Wahlprogramm für 1970 aufgenommen. Die Nachbarn im Westen sollen nicht länger ‘ein weißer Fleck’ auf der kulturellen Landkarte NRWs bleiben und ihre konkrete Verständigungsvorleistung soll endlich auf der Basis einer vernünftigen Gegenseitigkeit honoriert werden.
Josef Kempen