De Nieuwe Gids. Jaargang 45

[p. 570]

Renaissance der katalanischen Literatur von R. Kaltofen.

Trotz jahrhunderterlanger zentralisitischer Verwaltung haben sich in den spanischen Landschaften überall selbständige Kulturen erhalten, bei den Basken und Galiziern, bei den Kastiliern und bei den Kataluniern. Als durch die Heirat Ferdinands mit Isabella 1469 die Vereinigung Kastiliens mit Aragonien erfolgte, verlegte sich unwillkürlich das Schwergewicht nach Kastilien Verstärkt wurde diese Entwicklung durch die Einnahme Granadas, wodurch Spanien von den Mauren frei wurde. Kastilien wurde damit geografisch der Mittelpunkt der Halbinsel, während Katalunien zu einer Randprovinz herabsank. Die Entdeckung Amerikas und des Seeweges nach Ostindien verlegte auch die wirtschaftlichen Zentren an die Häfen des atlantischen Ozeans, während der Hafen Kataluniens, Barcelona, seine alte Bedeutung verlor. Dieser wirtschaftliche Niedergang lähmte das kulturelle Leben Kataluniens in den nächsten Jahrhunderten. Handelsvorrechte an die kastillischen Städte verstärkten diesen Rückgang.

Erst als gegen Ende des 18. Jahrhunderts die europäische industrielle Entwicklung nach Spanien schlug, die Handelsvorrechte aufgehoben wurden, erwachte Barcelona und ganz Katalunien zu neuem Leben. Barcelona wurde das Zentrum der Seiden- und Textilindustrie. Seine Bevölkerung vergrösserte sich schnell. Mit diesem Aufblühen entwickelte sich auch neues kulturelles Leben. Bereits hatte man geglaubt, das katalunische sei im kastilianischen aufgegangen in den vorangegangenen Jahrhunderten zentrali-

[p. 571]

stischer Herrschaft. Plötzlich zeigte sich, dass das Volk seine Sprache und andre Kulturgüter sich erhalten hatte.

Die Gedanken der Aufklärung erfassten die Intelligenz. Offenen Blickes sah man die kulturellen Schätze seiner engeren Heimat. Man beschäftigte sich mit seiner Sprache. Unter dem Einfluss Kastiliens hatte man bisher das Katalanische als rauh, bäurisch und jeder feineren Regung unfähig abgelehnt. Jetzt veröffentlichte ein Priester Ballot i Torrer 1814 nach jahrelangen Studien seine ‘gramatica y apologia de la langua catalana’. Noch aber blieb er ein Rufer in der Wüste, obwohl er bereits zeigte, wie biegsam auch die katalanische Sprache ist. Erst 1836 kam die Bewegung in Fluss, als aus der Feder Torres Amats in Madrid - noch in kastilianisch geschrieben - das ausgezeichnete ‘Diccionario der katalanischen Schriftsteller von den ältesten Zeiten bis zur neuen Zeit’ erschien. Datmit war das Eis gebrochen, auch das Werk Ballot i Torres fand seine berechtigte Anerkennung. Schon 1837 veröffentlichte Piferrer (ebenfalls in kastilianisch) seine ‘Recuerdes y bellezas de Esapna’, in denen er den Blick für das Heimatliche weckte. Mit der Romanze ‘Don Juan y Don Ramos’ in der Zeitschrift ‘La Palma’ (Mallorca) 1840 durch Quadrado wurde der Sinn für die Schätze der Volkspoesie aufgeweckt.

Den Weg vom Klassizismus zum Romantismus in Katalunien, aus dem sich die Renaissance entwickelte, beschritt Mila i Fontanals, der damit zum intellektuellen Führer wurde. Mila i Fontanals wirkte als Professor der Literatur in Barcelona. In seinen Werken spiegeln sich die europäischen und kosmopolitischen Gedanken des Romantismus wieder. 1853 erscheinen die ‘Romancerillo’, noch in klassischem Stil. Das Vorwort ist die beste Betrachtung der Volkspoesie aus spanischer Feder. 1864 kam ‘Rensenya historia i critica dels antiche poetas catalans’ heraus, dessen deutsche Uebersetzung im gleichen Jahre im Jahrbuch für romanische und englische Literatur veröffentlicht wurde.

In Katalunien selbst wird von dieser Zeit an die Literatur vom Romantismus beherrscht. Nur auf den Inseln (Balearen) behauptet sich ihrer abgeschieden Lage wegen der Klassizismus weiter. Der bekannteste Schriftsteller dieser Inseln ist der vor einisen Jahren verstorbene Alcover. In Katalunien tritt der klassizistische Gedanke nur vereinzelt auf, wie bei Carles Riba, dem Uebersetzer

[p. 572]

vieler Klassiker. Daneben entstammen seiner Feder englische, französische und deutsche Uebertragungen, wie die Gottfried Kellers.

Den Spuren Mila i Fontanals folgte der Priester J. Verdaguer. Seine Werke ‘Atlandida’ 1877 und ‘Canigò’ 1886, die stark mystisch sind, prägten den Stil der katalanischen Sprache, während sie sonst heute ohne jeden Einfluss sind. In gleicher Richtung schuf Mestres, der in vielem La Fontaine ähnelt - bekannt ist seine Heineübersetzung -, und Mossen Costa i Slobera.

Zu derselben Zeit entwickelte sich aus das katalanische Theater. Während Pitarra noch Anklänge an das spanische Vorbild zeigt, haben sich seinz Nachfolger Guimerà, Rusinol und Iglesias davon völlig gelöst. Bei ihnen ist der Einfluss des Ostens und Nordens deutlich zu spüren: Ibsen, Strindberg, Hauptmann, Tolstoi.

Pitarra veröffentlichte 1866 ‘La Joyas de la Rosa’ in Barcelona und schuf damit das katalanische Theater. Stark improvisierte Wendungen, psychologische Unvollkommenheiten, nachlässige Form zeigen den Einfluss des spanischen Vorbildes Die Arbeit Pitarras setzte Guimerà fort, zuerst noch romantisch. In ‘Mar i Cel’ 1886 beweist er seine Sicherheit des Geschmacks, wählt die Effekte gut aus und arbeitet die Charaktere gut durch. Sein Hauptwerk ist ‘Terra Baixa’, das mit seiner Aufführung 1897 den Typ des modernen Dramas schafft. In ‘Terra Baixa’ ist der Einfluss des Naturalismus zu spüren, der Mensch tritt wieder mehr in den Vordergrund. Ueber die europäischen Bühnen ging ‘Terra Baixa’ nach der musikalischen Bearbeitung durch D'Albert als ‘Tiefland’.

Rusinol, der Freund und Uebersetzer Leon Daudets, einst der beliebteste Dramatiker, ist heute ohne Wirkung auf die jungen Generation. Seine Dramen wie ‘Mutter’ usw. sind reich poetisch und fantastisch, wenngleich er Einzelheiten scharf beobachtet und manchmal mit grausamer Satire zeichnet.

Der bei Guimerà sich anbahnende Naturalismus prägt sich bei Ignasi Iglesias stärker aus, soweit das Theater in Frage kommt. Auf dem Gebiet der Prosa bezeichnen Narcis Oller und Maragall diesen Uebergang.

Als armer Eisenbahnerssohn kannte Iglesias von Kindheit auf die Not und das Elend des Arbeiterlebens. Alle diese Erlebnisse

[p. 573]

spiegeln seine Dramen wieder. Nie hat er den Zusammenhang mit den breiten Massen verloren. Die Arbeiter aber fühlten, dass hier einer der Ihren ihr Leid und ihre Hoffnung ausdrückte. So folgten die Arbeitermassen Barcelonas seinen Sorg, als er vor 2 Jahren starb.

In seinen Werken, die anarchistisch, mit einem leisen romantischem Einschlag, sind, glimmt bereits das soziale Theater auf. In den Kampf um eine Alters- und Unfallversorgung der Arbeiter griff er durch sein Drama ‘Els Vells’ (Die Alten) ein. Die Arbeiter, die gealtert aus den Fabriken hinausgeworfen werden, bilden seinen Inhalt. Ueberall bringt er den Arbeiter und den Ausgebeuteten auf die Bühne. Menschlichkeit und Gerechtigkeit zum Siege zu führen, Vorteilen und Ungerechtigkeiten entgegenzutreten, sah er als seine Aufgabe an.

Maragall (gestorben 1911) zeigt in seinem Gedichten stark realistische Züge. Er gilt noch heute als der beste Poet Kataluniens. 1898 erschienen ‘Poesias’, 1900 ‘Visions i Cants’, 1906 ‘Enlla’. Daneben stammen von ihm Uebersetzungen Göthes, dessen Einfluss er stark unterworfen war, Nietzsches und Novalis.

In der erzählenden Literatur gewinnt der Naturalismus durch Narcis Oller Einfluss. Nebensei sei hier bemerkt, dass in Katalunien die Novelle vorherrscht. Sie ist frisch und eigenartig, ihr Stoff mest das bäuerliche oder kleinbürgerliche Leben Kataluniens. Der Roman ist wenig entwickelt, was wahrscheinlich auf den begrenzten Leserkreis zurückzuführen ist, der die Ausgaben für den Druck grösserer Werke nicht zulässt.

Narcis Oller, der heute hoch in die 70 ist, war der Freund Zolas, dessen Ideen auch ihn beinflussten. In Frankreich wurde er durch seine beiden Novellen ‘Lo Baylet del Pa’ und ‘Trasplantat’ bekannt. Seine Entwürfe sind Menschen, die Opfer ihrer Güte und Einfachheit werden. In ‘L'escanza pobres’ haben wir die malerische Skizze des Lebens Olaguers, seines Aufstieges und seines elenden Todes, da ihn seine Frau nicht auslöst. als er von Banditen gefangen wird.

Durch die Sicherheit der Durchführung fallen die Romane einer Frau, die unter dem Pseudonym Victor Català schreibt, auf. Ihr bestes Werk ist ‘Solitud’. Mit einem Realismus, der unbestechlich und wahr bleibt, schildert sie das ländliche Leben, den herben und

[p. 574]

harten Menschenschlag, wo Rache und Grausamkeit herrscht. daneben aber wieder zarte Bilder von Liebe und Opfersinn aufleuchten.

Von der Malerei kam Prudenci Bertrama zur Literatur. Er lehnte sich an französische und russische Vorbilder an. Vor ca. 20 Jahren erschien ‘Josefat’, die Liebesgeschichte eines Priesters, den die Konflikte zwischen Beruf und verschmähter Liebe zum Selbstmord treiben. Sein letzter Roman ist ‘Jo’. Es ist die Geschichte seines Freundes, eines Arztes, dessen Frau schön, aber geistlos ist. Alle Freunde sehen nur die Larve, da zerstört er künstlich ihre Schönheit. Jetzt erkennen alle, wie wertlos diese Frau ist, der sie bisher huldigten.

Einen ausgezeichneten Stil schreibt J. Ruyra in seinen Erzählungen aus dem Leben der Matrosen, Bauern und Arbeiter: ‘Marines i Boscatyes’. Vor allem durch seine publizistische Tätigkeit an der ‘Publizitat’, einer grossen Tageszeitung, ist J. Carner bekannt. Unter den Jüngsten (beide Mitte der 2e) sind Rauvell und Escalasans versprechend. Escalasans tritt mehr als Kritiker in der Vordergrund, von Rauvell erschienen mehrere Dramen und Novellen, wie die ‘Söhne’ usw.

Aus dem Kreis der Naturalisten kommt auch Puig i Ferreter, doch weisen seine Werke vielfach schon über das rein literarische hinaus. Sozialistische Gedankengänge klingen an. Allerdings fehlt ein klassenmäsiger und klassenkämpferischer Zug. Ein Mangel, der sich aus dem Fehlen der Grossindustrie und der sich um diese lagernden Proletariermassen erklärt.

Nachdem Puig i Ferreter zuerst als Lehrer, dann als Apotheker ausgebildet war, ging er plötzlich auf die Wanderschaft. Diese Vagabundenjahre lieferten ihm den Stoff seiner ersten Erzählung ‘Els camins en Francia’. Ihr Erfolg ermöglichte ihm weitere literarische Tätigkeit. Seine Dramen eroberten die Bühnen Kataluniens. Es sei nur an die ‘Fröhliche Dame’, ‘die Schule der Verlobten’ und andre erinnert. Sie zeigen viel Aehnlichkeit mit Pirandello. Die politische Lage liess ihn plötzlich verstummen. Er beschäftigte sich mit Romanentwürfen und überprüfte sein bisheriges Schaffen kritisch. Die Frucht dieser Arbeit war sein Roman ‘Vida interior de un escritor’. Dieses Werk zeigte seine weitere Entwicklung, stilistisch und gestaltlich. Diese Lebensbeichte und Auseinander-

[p. 575]

setzung mit literarischen Fragen, die ihn beengt hatten, schuf ihm die innere Freiheit zu neuem Schaffen. Einige Sätze nur seien herausgegriffen. ‘Ich habe meine Kraft daran gesetzt,.... die Dinge so zu erfassen, wie sie sind, sie kraftvoll und genau darzustellen. Mein Wunsch war, Sicherheit und Ungezwungenheit zu erreichen neben lebendiger Durchpulsung.... Der Stil muss der Bewegung, dem Leben einer Arbeit angepasst sein.... Welchen Stil schrieb Shakespeare? Er schrieb einen jeglichen. Darum war er das Ideal eines Schriftstellers. Keinen festen Stil zu haben, um jeden einzelnen im gegebenen Augenblick anwenden zu können, je nachdem, wie es die Arbeit erfordert.... Nicht hinter Erfolg und Applaus herlaufen. Aufsehen erregen zu wollen, ist beim Künstler das erste Zeichen, dass er wenig Wert hat. Kämpfen! Darin liegt die Disziplin.... Wenn Du anfängst, jedermann zu gefallen, bist Du nahe daran, dich zu verlieren. Such einen andren Weg.... Sei gleich jung in Hoffnung, Mutlosigkeit und Zweifel.... (aus Vida de un escritor)’.

In rascher Folge erschienen ‘Els tres Allucinats’ und ‘El cercle magic’. In ersterem zeichnet er die Geschichte eines Menschen, der der Menschheit Glück und Sorglosigkeit bringen möchte, dies in seinem kleinem Kreise zu verwirklichen sucht und doch in seinem Innern keine Ruhe findet. Die Gestalt dieses Grüblers, der sich zuletzt selbst entleibt, aus Verzweiflung dies Leben nicht verstehen zu können, ist psychologisch gut herausgearbeitet.

Zum Schlusse seien noch der jugendlche Sanchez-Juan, der beste der Futuristen, und der durch seinen geschliffenen und sicheren Stil hervortretende Alomar erwähnt. Als Uebersetzer vor allem der modernen Russen tritt A, Nin in Erscheinung, während Jordi Arquè durch seine in marxistischer Ideologie gehaltenen Artikel über Philosophie und Kultur auffält.

Kaltofen, 1929.