Nederlandsch Museum. Vierde Reeks. Jaargang 3
(1893)– [tijdschrift] Nederlandsch Museum– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Duitsche brieven
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II.Cöln 4 April 67. abends. Lieber Herr Flemmich, Heute früh empfing ich die zwei Paketen, und nachmittags Ihren Brief. Ich bin ein Bischen unwohl (styve nek, und was dazu gehört) und möchte gern daran | |
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Schuld geben wenn ich nicht weis wie ich für Alles meinen Dank aussprechen soll. Doch das würde nur halbwahr sein, denn die Krankheit ist so schlimm nicht, schon beinahe ganz vorüber, und doch kann ich 's nicht sagen wie ich Ihre Herzlichkeit fühle. Und die Zeilen Ihrer Frau! Ich bin gar nicht Puritanisch - In meinen Ideën werden Sie finden: Men meent dat ik opsta tegen alles... och, als men wist hoeveel ik voor heilig houd! Dazu gehöhrt wahr sein. Nicht das plumpe Quäkerische Wahrheit sagen, das zu sündigen meint durch ‘niet t'huis’, wenn man ein Besuch abwehren will, oder durch ein conventionelles ‘Dienstvaardige Dienaar’ als Unterschrift eines Briefes an Jemand dessen Diener man um Alles in der Welt nicht sein möchte, doch das wahr sein, als Geschenk der Freundschaft. Ich würde Ihre Herzlichkeit nicht haben tragen können, ohne dafür das einzige zurückzugeben, was ich zu geben hatte: Aufrichtigkeit, so weit es einem Menschen gegeben ist! Denn: niets is geheel waar. Um gut in allen Nuancen zu erklären was ich Ihrer Frau sagte, würde ich Jahre Zeit, und eine neue Sprache nöthig haben. Man erzählt keinen langen, Inhaltsschweren Roman in einer Stunde! Doch verstand sie gut und schnell. Ich fühlte das. Und auch Ihnen wird das leichter fallen, wenn Sie sich durch Havelaar u.s.w. werden durchgearbeitet haben. Darin werden Sie so vielen. Fehler finden, dass auch die grössten Ihnen ganz natürlich scheinen werden. Sie werden sehen oder ahnen vielmehr dass mein Leben sehr voll ist, dass ich lang und viel getragen habe, und entlieh Sie werden den Fehler nicht machen des Garnisonssoldaten der sich wundert über die zerrissenen Kleider seines aus dem Schlachte heimkehrenden Kameraden. Fehler? O ja... ohne Zahl! In der Sache aber woran ich jetzt denke, habe ich gut gethan. Ich könnte nicht anders ohne Feigheit. Doch davon nicht mehr für heute.
5 April. Als ich gestern Abend das kleine Zettelchen nach der Eisenbahn gebragt hatte, war meine Absicht lang und viel zu | |
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schreiben. Habe 's aber nicht gethan. Mein styve nek ist mir in Schulter und Brust gezogen. War 's darum dass ich nicht schreiben könnte? Ich weis nicht. Ich war verstimmt. Als ich Sonntag abreiste war ich einigen Augenblicke ganz betäubt. Ich hatte in Antwerpen so viel empfunden! Der Herr der mit mir im Coupé sass bot mir Cigarren an, obschon er sah dass ich welche hatte. Er meinte seine Cigarren waren so ausgezeichnet gut, und darin hatte er Recht. Warum aber so freundlich? Weil Sie ihm über mich gesprochen hatten. Also folgte mir noch auf der Reise Ihre herzliche Fideliteit. Wie Gensd'armen ihren Gefangenen von Station zu Station überzugeben gewohn sind, hatten Sie mir dem Dr Semal übergegeben. Er war sehr liebenswürdig, und hat Ihrer Empfehlung Ehre gemacht. Doch fühlte ich das Bedürfniss allein zu sein. Später, nachdem Dr S. mich verlassen hatte kamen zwei Herren in meinem Coupé die über Veuillot's ‘Odeursde ParisGa naar voetnoot(2)’ sprachen. ‘Cela pue’ sagte der eine der aussah wie ein Artiste doch (oder und) Mitglied der ersten Kammer war. ‘Cela pue... impossible de lire ce livre jusqu'â la fin... cet amalgame de sainteté et de salopperie m'a dégouté.’ &c. &c. Ich hatte von Veuillot's Buch viel gehört. De Geyter hatte es mir mitgegeben, und ich will es lesen. Wahrscheinlich wird es mir nicht degoutiren, denn (wie ich schon meine kleine Nonni habe sagen hören): ‘er is geen vuil’. Wenn Veuillot über alledem was es in Paris ekelhaftes gibt, die Wahrheit sagt, hat er Recht dazu, und es ist unmöglich über Koth zu sprechen ohne Koth zu berühren. Ich dachte an Kappelman der seinem Sohn lehrte nie etwas unsauberes... zu nennen. Der Artiste-Senateur sah mir nicht aus als Jemand der so fürchterlich prude und Mädchenfaft sein würde, so bald es etwas zu sehen und zu thun geben würde. Nur das gedruckte Wort ärgerte ihm. Bei vielen scheint Anstand zu Typographie zu gehören. Die Schriftstellerei hat viel Boses gethan. Sie hat zweierlei Moral erfunden, nein, eine dritte Moral eingeführt. So thut man, war 's erste. So spricht man, das zweite. Und... so schreibt man, das hässliche dritte. | |
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Nun, ich bitte mir nur ein Criterium aus, dieses: dass ich immer that wie ich sagte und schrieb. Was man übrigens darüber urtheilt, ist mir gleichgültig. Und darum wünschte ich dass Sie und Ihre Gattin so schnell möglich gelesen hätten was ich schrieb. O denn ist die Frage nicht ob Sie alles beistimmen? Das kann nicht. Die Frage ist nur ob Sie mich und meine Bücher für wahr halten, das heist ob Sie glauben dass ich so wahr sein will wie es mir möglich ist? Weiter beanspruche ich nichts. ‘Agis comme tu penses.’ Einen höheren Richter als unsere Meinung gibt es nicht. Das ist die einzige Moral. Was man gewöhnlich Moral nennt ist eigentlich nur Ordnung. Moral würde man mit sich führen, auch da wo geselschaftlihe Ordnung aufhört, in Steppen, Prairien. Ordnung ist nöthig, und gehört zur Moral, wie lesen und schreiben zur Bildung. Lesen und schreiben allein ist darum noch keine Bildung - im Gegentheil! Doch nicht daruber wollte ich Ihnen schreiben. Ich wolle Sie bitten dass Sie beim lesen des Havelaar beachten dass ich nicht wusste wie populär das Buch werden sollte. Wer daran nicht denkt, muss es lächerlich finden dass ich soviel und so von mir spreche. Ich meinte als dritte Person (Mult.) sagen zu können, was ich nicht würde gesagt haben als erste. Später habe ich eingesehn dass mein Hochmuth naif war. Leb...Ga naar voetnoot(3) heisst Lebak. (Unterprovinz). B... heisst Bantam. (provinz). P.. K.. heisst Parang-Kudjang (Kreis in Lebak). B... heisst Saïdjah's dorf Badur in Parang-Kudjang. T. oder T.K. Tjilang-Kahan, dorf an der Seeküste, wo Saïdjah verbotenes Salz machte mit seinem Vater, (Salz ist Monopol) und von wo er später nach dem Lampongschen Provinzen segelte. Raden: ein Javaniser Adelstitel. Adhipatti: ein höher idm. pajong - Sonnenschirm als distinctiv von Geburt oder des Ranges. | |
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pelitah: ein kleines Lämpchen. lalayang: cerf-volant. (holl: vlieger) Hierin ist die Javanische Dorfsjugend sehr geübt. Sie wissen ihre lalayangs in der Luft hin und her gehen zu lassen und schneiden einander den Faden ab. Es ist ein beliebtes Spiel von Dorf gegen Dorf, als cricket in Engeland. Saidjah hatte gegen Adindah gezürnt weil er meinte dass durch ihre Schuld eine interessante Partie, wobei die Ehre des Dorfes im Spiel war, verloren gegangen war. Vielleicht war der kleine Djamin Schuld daran, der geworfen hatte mit ein Stückchen Glas. (Das thun sie sehr geschickt) Batik } Sarong=unterkleid, Rock ohne genähten Falten. Die Sarong } Falten sind wie es fällt, und dadurch schöner und Kapala } malerischer als die Europäischer weise absichtlich gemachten plis. Batik ist das aus der Hand malen von eigenthümliche Dessins. Das thun die Frauen und Mädchen. In den Dessins ist Bedeutung, Seele, Herz. Die Dessins werden in Europäische Fabriken nachgedruckt, und sehr billig in Java verkauft, doch stehen in Werth gegen die ächte als Druck gegen Manuscript. Nur arme Leute tragen gedruckte Sarongs. Das Dessin sagt nichts, spricht nicht. In der Ächter hat die Farbe, jede Linie seine Bedeutung. Kapala=Haupt, Kopf, ist - sehen Sie hier Kapala
unmassgebliche Probe a und b wird zusammen genäht, doch nicht immer. Bisweilen | |
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trägt man den Sarong ungenäht, und denn heist es slendang. Wenn eine Adinda für ihren Saïdjah batikt, weis er was jede Linie, jedes Pünktchen bedeutet. a könnte z.b. die Menge ihrer thränen sein. Die Linie b etwas als Schwung der Hoffnung, u.s.w. Doch Sie begreifen dass mein Muster gar keinen Werth hat. Es ist nur dass Sie sich vorstellen, was es sein kann. Die hässlichste Dessins sind oft die Werthvollste für den, der sie versteht. (Nota. Seit 2½ Jahrhundert sind Europäer da, und bis jetzt hat niemand auf diese javanische Poesie Acht gegeben. Man suchte nur Pfeffer, Kaffe und Zucker! verwschuitje. Ein Wort das ich machte. Es ist das... Töpfchen womit die Batikerinnen ihre Dessins zeichnen. Darin ist die Farbe. Ungefahr so: 4.6 mahl grösser. Vier, sechs dergleichen Töpfchen stehen neben der Arbeiterin, und jede enthält eine andere Farbe. Das Leinwand (selbst gesponnen, und aus der Hand gewebtes Baumwoll, Kattun) ist gespannt auf ein chevalet. (holl, ezel) Etwas eigenthümliches ist das nach den Indischen Schönheitsbegriffe nie eine Zeichnung etwas bestimmtes vorstellen soll. Keine Blume, kein Bild, kein Haus, nichts als... Alles. d.h.: phantaisie, nur verständlich für wer es weis: ‘Adinda teekende droefheid op haar weefsel, want zij had Saïdjah treurig gezien.’ Das war ihr Geheimniss, und dazu ein Beweis dass sie nicht mehr Kind war. Pontianak. Ein Spuk, das in Bäume sich aufhällt und den Mannern kein Leid thut, doch nur Frauen neckt und plagt, besonders schwangere Frauen. Daher ‘de inkerving in den boom om den Pontianak te bezweren die schuld had aan de tandpijn eener vrouw kort voor de geboorte van baar kind.’ Saïdjah erinnerte sich das, und fand an dem Zeichen den Baum wieder. | |
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Der ganze Saïdjah ist sehr correct, weil ich alles was er sagt und thut, und was ihm wiederfahrt in's Malaiisch gedacht habe. Auf einen Fehler hat mir Prof. Veth in Leiden aufmerksam gemacht. Wo ich erzähle das ihm sein Büffel das Leben rettet sage ich: ‘wat indedaad geschied is.’ Als wie alles andere gelogen war. Wahr ist es aber das ein kleiner Knabe auf die erzählte Weise durch seinen Kerbo (Büffel) vertheitigt und gerettet ist. Was übrigens die Wahrheit der ganze Geschichte von Saïdjah angeht, darüber verantworte ich mich in den Havelaar selbst, wo ich frage ob die schöne Parabel des verlorenen Sohnes wahr ist? Und Uncle Tom's cabin? In den Minnebrieven werden Sie weitere Beweise finden. Doch ich brauche keine Beweise mehr da alles jetzt anerkannt ist. Meiner erwähnt man aber dabei nicht. Wahrscheinlich kommen in den Havelaar mehrIndiismen vor, doch ich habe das Buch nicht. Notiren Sie gefälligst was Sie wissen wollen. Es wird mir eine wahre Freude sein Ihnen darüber zu sagen was ich weis. aloon-aloon. Grosser freier Platz vor einer Javanischer Regenten Wohnung. krisGa naar voetnoot(4). Javanischer Dolch, oft vergiftet. Ist nicht so sehr ein Waffen als zur Schmuck gehörig. Es gehöhrt zur Kleidung. Darin ist viel Luxus. Der Griff von: kamuning. Eine sehr schöne Wurzelholzsort, besonders für Krisgriffe geeignet. Die Javanesen poliren es sehr schön, und schneiden darin allerlei phantatische Figuren. Der Kris selbst ist gewöhnlich schlangenformig die scheide... (‘en ook aan de punt was een plaatje zilver’) | |
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pusakka. Erbschaft. Doch gewöhnlich heilige Erbschaft, die man nicht ohne impietät veräussern darf. Der Kris den Saidjah's Vater an einem Chinesen zu verkaufen genöthigt war, war pusakka. klambu. Gardine einer Betstelle, oder (im Japanischen Steinhauer) eines Baldachin's. pendieng. Gurtel von Metallener Plättchen. ikat-pendieng. Das Schloss, die Agrafe, die Broche davon. Bei wohlhabenden Leute ist dieser Ikat von Gold, und oft mit Diamanten besetzt. tudung (toedoeng). Hut, gross, flach, leicht, von Stroh geflochten. Das facon so einfach möglich. Ein grosser Schüssel, nicht sehr hohl, mit nur einen kleinen cirkelförmige Rand in der Mitte, die auf dem Kopf passt. B... K... Bantam Kidul, d.h. Süd-Bantam = Lebak. (Das die Ortsnahmen nur mit Buchstaben gedrückt sind, ist meine Schuld nicht.)
In Antwerpen fragte mir Jemand (der glaube ich, dafür aus Holland gekommen war) ob ich wirklich die Häuptlinge meiner Provinz so angeredet habe, als im Havelaar zu lesen steht? Ich glaube ja! Es muss so gewesen sein, denn ich fühlte so. Und was die Ausdrückungsweise angeht (es soll so ‘mooi’ sein) das ist ganz einfach Malaiisch. Das werden sie überal finden wo ich etwas aus meinen Indischen Erinnerungen in's Hollandische ubersetze. In's Malaïsche würde man es nicht anderssagen können. Auf diese Weise bin ich also zu wohlfeil an meinen Ruf von ‘mooiheid’ gekommen. In meinen Ideen sage ich es oft dass das ganze Geheimniss der Schriftstellerei darin liegt dass mann sich nicht zum Schriftsteller mache. Wer sich bestrebt wahr zu sein schreibt gut. Wer schön schreiben will, schreibt hässlich. Jetzt finde ich selbst meine Anrede an den Lebakschen Häuptlinge schön - und ich kann es sagen weil ich sie nicht machte. Wer hätte in den Umstände die ich da erzähle, anders sprechen können. Ist nicht der ganze Havelaar wie das gegil | |
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der Mutter die ihr Kind in's Wasser sahGa naar voetnoot(5)? Und begreifen Sie warum ich kein Schriftsteller sein kann? Und wie es mir ekelt wenn man meint dass ich's bin?
Die Braut von obenGa naar voetnoot(6)! So! Wollen Sie es spielen lassen? Dazu ist es gut genug, - doch hie und da muss die Scheere hineingesetzt, ohne Mitleid. Es gibt der Phrasen zu viele darin, und das ganze ist schrecklich ordinär. Es ist von 43, und ich war damals mehr unter den Eindruck von was ich gelesen hatte, als von meinen Erlebnisse. Ich wusste damals das einfachste noch nicht: dass alles geschehene unendlich interessanter ist als das geschriebene. Ich hatte um mich, in mich sehen sollen um Drama's zu suchen. Doch ist etwas von mir darin, - doch nur wenig. Und das wenige habe ich noch falsch verschriftstellert. Ich liebte. Gut doch ordinär. Ich meinte unglücklich zu sein. Auch gut doch auch ordinär. Ich meinte ein Martyrer zu sein. Allerordinärst, und nicht einmal wahr. (Sie finden davon etwas im Havelaar) Kurz und gut, das Ding ist ein Muster wie man nicht schreiben soll. Die Holländer sind böse, weil ich es jetzt, nachdem sie es beklatscht haben, ein ‘vod’ genannt habe. (Een en ander, pag. 82Ga naar voetnoot(7). Haben Sie das? Und die ‘Herdrukken?’ Ich bin gewiss das Sie sich damit amusiren werden. Doch erst Havelaar und Minnebrieven.
In den Ideen ist viel lokales und auch viel was sich nicht so sehr zum Vorlesen eignet, z.b. die kurze Sprüche. Ich hoffe dass Sie daraus Anleitung finden zur Besprechung. Da ich hohen Werth darauf stelle bei Ihnen zu sein mit meinen Gedanken bitte ich mir fortwährend zu schreiben wie weit Sie gefordert sind. Ich sehne mich danach dass Sie die Minnebrieven und die Ideen lesen. Vielleicht weil ich aus Havelaar viel vergessen habe. Ach, es sollen doch auch Ideen darin stehen, und dan ist es mir eins. Hat Ihre Frau gelacht über Droogstoppels Predigt an Fritz? Ist das schnelle wechslen von Ton und Styl nicht ermüdend? Im Anfange verstand man nichts davon in Holland. Man meinte ich sei der Kaffemakler. | |
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In einer Zeitung protestirt man. Wogegen, meinen Sie? Ein Kaffemakler hehauptete das Buch war nichts werth ‘want een fatsoenlyk makelaar woonde in een fatsoenlyker buurt dan de lauriergracht’. Ach, du lieber Gott, wahr ist es, aber ich wusste damals noch so wenig von fatsoen. Jetzt weis ich 's. Das werden Sie sehen in mijn Een en ander, wo ich das Holländische ‘fatsoen’ mit einem gemeinen Matrosenfluch erwidre. Ja, ich möchte so gern Ihre Frau lachen sehen bei Droogstoppels Analyse von Heine! Doch hat Dr. bisweilen recht, und der Philister kann nicht grausamer poetische Blumen zertreten als es sehr oft der Dichter selbst thut. Les extrêmes se touchent. Kühle, dumme, falsch-realistische Herabsetzung im Munde des Spiesbürgers ist sehr oft in Einklang mit der sarkastischen Unzufriedenheit des Poeten. Droogstoppel zieht das höhe nach unten. Heine sah das höhe unter sich. Beiden nannten es niedrig, das ist ganz einfach.
Ich weiss dass mein Deutsch schändlich schlecht ist. Ich kann es wohl ein Bischen besser, doch dann würde ich Acht geben müssen, und langsam schreiben. Das würde zu langweilig sein.
Mein guter, lieber Wolfgang! Das gute Kind! Ich freue mich so dass er das Leben so glücklich durchgehen wird, denn das steht auf sein Gesichtchen. Er ist gutmüthig und zufrieden. Er hat, glaube ich recht gethan dass er in der Welt gekommen ist. Es gibt Kinder (und Menschen!) den man es anseht dass sie aus Irrthum Platz nahmen. Für Ihnen ist es ein grosser Schatz, dass die liebe Natur ganz allein die Erziehung besorgen wird. Ich denke dass Sie nichts zu thun haben als nie absichtlich etwas unwahres zu lehren. Das ist eine leichte Aufgabe. Ja, das wird Alles sein, was Eltern zu thun haben. Doch scheint es bisweilen schwer zu fallen.
Ihre Cigarren sind vorzüglich. Ich habe 9 davon geraucht, weil ich werth darauf stelle haushälterisch damit umzugehn. | |
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5 April abends. Noch habe ich Ihre Gedichte nicht. Warum sind Sie so modest? Ist es um mich zu beschämen? Meinen Sie wirklich dass Ihre Arbeit keinen Werth hat? Ich kann es nicht glauben. Die arme, allein durch 's Unglück nicht vergessene Tanne hat mich gerührtGa naar voetnoot(8). Was können Sie mehr wollen? Dass die Mythologie Ihrer Jugend noch immer eine Rolle spielt, ist natürlich. Das würden Sie auch finden in meinen früheren Versuchen. Es ist nicht die höchste Poesie, das weis ich wohl. Diese bedarf keiner Unwahrheit, sey es auch die falsch-religiöse, das vermeint-erhabene. Doch so lange man glaubte, war Gott, und was dazu gehört, wahr, und poetisch brauchbar. Sonnst könnten Homerus, Virgilius, Tasso, und die Profeten des alten Testaments keine Dichter gewesen sein. Schade dass später so vielen gemeint haben man könnte nicht Dichter sein ohne Olymp, ohne Parnas, ohne Pegasus. Wie gewöhnlich hat man Mittel für Zweck genommen, und weil Propheten sich begeisterten durch den Gedanken an Ihren Jehovah, meinte man dass es zur begeisterung des Lesers oder der Zuhörer nöthig war immer den armen Jehovah hinein zu schleppen. So begreifen vielen keine Liebe ohne Rose, Thau, Himmel. Ach! Immer Lerchen, Nachtigallen u.s.w. Dem Poeten solle jede Stein etwas zurufen, und ihm soll Alles schön sein auch das conventionell-hässliche. ‘Wie in de Waarheid geen poesie vindt, zal steeds een sober poeetje blijven daarbuiten!’ Ein bekanntes Steinchen ist uns mehr, gibt besseren Stoff zur dramatischen Behandlung als ein unbekannter Gott. O, o, Poesie ist eins mit Philosophie. Fühlen, wissen, begreifen, 's ist alles eins. Doch werden Sie - Ach du lieber Gott, ich bin pedant. Das kommt von der Schriftstellerei. Vergessen Sie nicht mir ihr TannengrünGa naar voetnoot(9) zu schicken.
Ich habe in Antwerpen so unendlich viel Herzlichkeit empfangen, dass es mir wirklich Leid thun würde, wenn dadurch - ich weis nicht wie ich es sagen soll. Um mich kam vieles zusammen, was nicht zusammen gehörte und ich fürchte | |
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dass daraus Streit entstehen wird, oder schon entstanden ist. Dieser Gedanken wird mir schwer auf's Herz liegen, wenn ich wiederkomme. Und wie wenig Zeit wird mir gelassen werden für Ihre freundliche Wohnung. Doch will ich mir dazu Freiheit bedingen, denn die Gespräche mit Ihre liebenswürdige Frau wirkten wohlthätig auf mein Gemüth. Auf mein Gemüth das verstimmt ist. Seit Monate hör ich nur einen Ton: ‘Zerschmelze doch dies al zu feste Fleisch’ und was folgt im Hamlet. Ich habe vieles und schweres zu thun, und brauche tagtäglich meine Kraft für ordinärste - Ja, ich habe vieles zu thun, und darum Adieu für heute. Das war falsch, denn was ich zu thun habe ist anderer Art: Man wartet in Indie! Mit oder ohne mich wird Insulinde bald reif sein. Und ich glaube das Recht zu haben dabei zu sein. - Adieu, lieber, guter Freund. Glaube doch das ich für Alles herzlicher danke als ich es sagen kann. Ihr
Max.
Morgen schreibe ich Ihrer lieben Frau. Ich hätte es gleich thun wollen, doch dan wird's zu spät. | |
III.Cöln 6 April abends. Sehr geehrte Frau, liebe Freundin, Ich weis wohl, kann aber nicht gut sagen warum ich erst jetzt danke für den schönen Brief, den Sie die Güte hätten mir zu schreiben. Was auch die Ursache sei, Undankbarkeit war 's nicht. Auch nicht weil ich nichts zu sagen hatte. Im Gegentheil. Ich hatte und habe Ihnen viel zu sagen, und ich denke dabei an Idee 501Ga naar voetnoot(10). Es ist mir so angenehm verstanden zu werden. Ja, wem nicht? Es gibt aber verstehen und verstehen, und es war oft mein Loos meinen besten Zuhörer nicht zu finden unter den Herren der Schöpfung. Darüber habe ich zwar in Antwerpen nicht zu klagen gehabt - doch das wird sich ändern! Nach meiner Erfahrung profezeie ich eine sehr verdriessliche Reaction, | |
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und ich fürchte dass man mich bald so weit unter meinen Werth stellen wird, als man aus Güte (und anderen Ursachen) bis jetzt mich viel zu hoch stellte. Das weis ich, das erwarte ich, das muss sein. Und ich werde es tragen können. Doch sehr schwer würde mir der Verlust fallen Ihrer Gewogenheit. Eine gebildete Dame mit Herz und zartes Gefühl ist mir, auch was wissen und urtheilen angeht, unendlich mehr werth als alle Professoren der Welt. Mein eigenes Wissen ist auch beinahe immer nur fühlen. Ohne Herz begreife ich nichts. Ich habe irgendwo demonstrirt dass wissen und lieben eins istGa naar voetnoot(11). Ich weis recht gut wie fremd dieser Satz ausseht, doch ich fühle dass es wahr ist. Sie werden darüber vieles finden in den Ideen. Wenn Sie so weit sind, wollen Sie dann daran denken dass ich Sie darauf aufmerksam machte in diesem Brief, und mir darüber etwas sagen? Das erste was ich jetzt thue, um mein Wissen oder Können in Einklang zu bringen mit mein Gefühl, ist so gut möglich - oder so wenig schlecht möglich - Deutsch zu schreiben. Wenn Sie nun nur nicht aus zu vielen Sprachfehlern den Schluss ziehen dass ich Ihnen hasse. - Dass Sie mich vermissten als ich fort war, ist mir lieb gewesen - doch traurig stimmt es auch. Beim Abfahren dachte ich - nein denken ist 's Wort nicht - ich hörte die Musik von Mendelssohn, auf: ‘Es ist bestimmt in Gottes Rath’ u.s.w.Ga naar voetnoot(12). Es war mir - doch wozu das? Ich bin so oft getrennt von was mir werth war - so oft wird es noch geschehen - wer das nicht zu tragen versteht, versteht das Leben nicht. Die ganze Natur wirkt nur das eine: verbinden und trennen, d.i. wieder verbinden mit etwas anderes. Jedes atoom ist ewig dauernd ein untreuer Brautigam. Gleich nach der Verlobung hüpft er fort und macht Hof an anderen Atomchen, die ihrerseits nicht treuer sind. Während ich diese Bemerkung schreibe, haben die Atomen die mein Ich machen, unzahlbaren Male Hochzeit gehalten - Kommen einmal getrennten Atomen einst wieder zusammen? | |
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Nein. Jede Verbindung ist neu. Und wir, Menschen, einmal getrennt, werden wir wieder zusammenkommen? Ja, weil wir einen Willen haben, und unsere Verbindungen wählen können. Doch kommt nichts zurück was einst war! Jede Verbindung wird anders sein. Schöner, besser? O, Nicht immer. Gerade das was wir am liebsten wieder empfanden, kommt nie zurück. Bei jede neue Erscheinung von das ersehnte, sagen wir (wenn es uns gegeben ist aufrichtig zu sein, was sehr selten ist) als der Mann den man die Lieblingsspeise seiner Kindheit vorsetzt: ‘Ach, die Pfannkuchen meiner Mutter schmeckten mir doch besser!’ Ich glaube es gern. Seine Phantasie hat sie gezuckert! Wann werden Sie wieder Fleisch auf mein Teller legen? Also Trugbilder heisst man es, wenn das Auge 40 Sekunden lang treu ist an dem Bilde das es 40 Sekunden sah? Dummes Wort, Trugbilder! Die Farben ändern sich, doch die Umrisse bleiben. Ist das nicht schon sehr viel? Kann man von Augen mehr verlangen? Das Herz kann es kaum. Treubilder sollte es heissen.
Sonntag Abend. Ich war und bin verstimmt.
Und ich bin so sehr verdriesslich
Weil ich so verdriesslich bin.
So steht in Wolfgang's Büchlein. Das Cilinder meiner Lampe ist auch gesprungen. Wie vielen Tausende Atomen haben sich dazu trennen müssen. Doch scheint es Weh gethan zu haben, denn es geschah mit Larm. Doch jetzt fühlen die gebrochenen Stückchen Glas nichts mehr davon, und wissen 's nicht einmal was geschah. Man sollte wünschen ein zerbrochenes Lampencilinder zu sein. Ich schreibe Ihnen nicht wie ich es wollte. Ich fühle etwas unwahres in mein Ton. Ich sage was ich nicht sagen wollte, und was ich sagen wollte, sage ich nicht. Gewiss haben Sie es schon bemerkt, und wahrscheinlich wissen Sie besser als ich selbst was davon die Ursache ist. | |
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Ich sollte Ihnen Bildchen schicken, und kann es nicht. Das eine ist zu hübsch, das andere zu hässlich. Meine gute edle Tine seht aus wie ein Chinese, und ich kann es nicht leiden dass sie einen unangenehmen Eindruck machen sollte. Vom kleinen Max (mein Eduard, der jetzt so klein nicht mehr ist) habe ich hübsche und hässliche Bildchen, zu hübsch, und zu hässlich. Nur Nonnie ist ziemlich treu wiedergegeben, - glaube ich. Denn wie kann ich es wissen, ich habe das liebe Kind in zwei Jahre nicht gesehen! Das ist doch zu grausam. Und ein anderes Bild schicke ich nicht, weil es wieder zu hübsch ist. Das sagte sie selbst. Ich nehme lieber Alles mit wenn ich wiederkomme, dan kan ich dabei sagen was dabei gesagt werden muss.
‘Man muss entsagen können’ sagen Sie. Gewiss. Doch damit ist die Sache nicht aus. Wenn es nur das wäre! In Romane heisst es immer; ‘je pars pour l'Italie!’ Das sind Bücher-Redensarten. Man schleudert ein handvoll Alpen oder Pyreneen zwischen sich und den Gläubigern seiner Seele, und die Geschichte ist aus. So geht es in 's Leben nicht. Glauben Sie mir, wenn nur von Entsagen die Rede war, würde schon längst Alles in der Ordnung sein. Napoleon hat einmal, vor der Schlacht, seinen Soldaten versprochen dass er sich der Gefahr nicht ausstellen würde. ‘Mes amis, je vous promets que je ne m'exposerai pas.’ Er muss gewusst haben dass er das Recht hatte feig zu scheinen. Erlauben Sie mir egoist zu scheinen. Das Verhältniss wovon sie sagen: es muss gelöst werden' darf nur so gelöst werden als meine Interesse fordern. Nicht meine Frau, nicht meine Kinder, nicht sieGa naar voetnoot(13) - ich allein muss behalten bleiben. Denn, wenn ich falle, fällt Alles. Wenn ich mich selbst wieder bin (was seit 3, 4 Jahre nicht der Fall war) ist Alles gerettet. Die Nadelstiche haben mich ermattet. Entsagen? Seit Jahre thue ich nicht Anders. Entsagung war es als ich Frau und Kinder verliess aus Armuth! Entsagung als ich sie aus Brüssel abreisen liess, ohne da die Schulden bezahlen zu | |
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können, die da gemacht waren, immer hoffend die Zeit würde kommen dass man in Holland meinen gerechten Ansprüche Recht widerfahren lassen sollte. Entsagung war es als ich die sehr schwere Verantwörtlichkeit auf mich nahm die ihre Treue, ihr Leiden um meinentwillen, ihre Verlassenheit mir zur Pflicht machte. O, ich brauche es Ihnen nicht zu sagen, doch die Welt ist dumm, und urtheilt wie ein Schulknabe, und oft wird als Genuss angerechnet was Opfer war.
Doch eigentlich liegt nicht darin das Schwerpunkt der Sache. Ich muss wieder ganz mich selbst sein, weil ich schweres zu thun habe. Das bin ich jetzt nicht. Also Aenderung. Gut. Alber nicht jede Aenderung wird mich nützen. Wie kann ich mich verständlich machen? Denn ich will verstanden sein. - Ein Mann hatte, einen schweren Fracht tragend, einen weiten, weiten Weg abzulegen. Er war müde. Ein grosser Sack mit Gold (O Gott, Gold ist sie!) drückte ihm am schwersten. Ist die Aufgabe sich seinen Last zu erleichteren dadurch gelöst dass er sein kostbares Gold von sich werft? Befreien, ja! Wegwerfen? Das würde ihm seinen weiten Weg nicht leichter machen. Dadurch würde er nur die Bürde von seinem Schulter auf dem Herzen verlegt haben. O, hätte er irgendwo ein zuverlässiges Plätzchen, ein Freund dem er sein Gold hätte zutrauen können!
Entsagen? Meinen Sie dass sie es nicht kann? Sie will es. Doch wie? Mich allein lassen, ohne zu wissen wenn und wo meine Tine zu mir kommen kann? Denn das wissen wir bis jetzt noch nicht. Um zu expliciren wie schwer das ist, muss ich Geldgeschäfte berühren, und das will ich nicht. Was vielen ganz einfach scheint, ist oft sehr schwer wenn man sich nicht gehörig bewegen kann, und darum ärgert es mir so wenn die Leute so schnell sagen: ‘ich würde...’ und Bücher: ‘je pars pour l'Italie!’ In der sehr complicirten Lage, worin ich mich befinde darf nur eines Hauptzweck sein: das ich ungestört denken und arbeiten kann. Dazu muss ich meine Frau und Kinder zurückhaben, doch ohne zu schwere | |
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Armuth. Meine Frau schickte mich oft vom Hause um mich zu schützen gegen den Eindrück den unsere Lage auf mich haben würde. Und ich gieng, weil ich mich sparen musste.
Adieu für heute, liebe Freundin. Dieser Brief ist nicht fertig. Ich schreibe wieder. Für heute Abend herzlich herzlich gegrüsst. Max. | |
IV.Cöln 12 April 1867. Lieber Herr Flemmich, Ich habe Ihren Brief vom 8n. Dass ich nicht antwortete (und auch heute noch nicht) hat seine Ursache darin dass ich sehr nervös war. Ich habe einen schweren Crisis zu untergehen. Wenn er vorbei ist, schreibe ich gleich. Danke für Ihrem Prolog an Schillens GeburtstagGa naar voetnoot(14). Ich finde es sehr schön, hören Sie, - Sie al zu modester Mensch, und man braucht nicht eine gewandte ‘Schauspielerinn’ zu sein um die Schönheit auskommen zu lassen. Strafen Sie, und ihre liebe Gattin mich für mein nichtschreiben nicht, durch auch nicht zu schreiben. Das würde grausam und ungeregt sein. Im Gegentheil, sagen Sie, bitte ich, Ihrer Frau dass es ihre Freundespflicht ist mir etwas von ihren Gedanken mitzutheilen, da ich es nöthig habe. In wenig Tagen werde ich Ihnen, und Ihr, zeigen dass mein Schweigen keine Gleichgültigkeit ist. Meinen herzlichsten Gruss.
Ihr
DD. Bonjour, mein Guter Wolfgang, liebes Kind. | |
V.Cöln SonntagGa naar voetnoot(15). Liebe, gute Freundin, Ich wollte lieber sprechen als schreiben, und wenn es mir möglich wäre, käme ich zu Ihnen. Doch ich kann nicht! Gestern Abend spät schrieb ich Ihnen dass es geschehen warGa naar voetnoot(16). Ich weis nicht ob ich gut gethan habe. Ich | |
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fürchte beinahe dass es eine Feigheit war. Doch musste es, meine ich - und wenn das so ist hören alle Bedenkungen auf. Doch warum musste es? Nicht weil meine Frau es verlangte, oder selbst wünschte. Es wird ihr Leid thun mich allein zu wissen, übergeliefert an allerlei kleinen Quälereien, die für mich grosse Plage sind. Auch habe ich kein Geld genug um allein zu sein. Sie war erfinderisch, und wusste von wenigen Groschen - O Gott, nein, darum musste sie nicht fort, die Welt hinein - nach Wien, um da vielleicht (sehr vielleicht!) eine Stelle zu bekommen. Das habe ich durchsetzen können! Ich weis nicht ob ich gut gethan habe! Ruhig bin ich nicht! Sie hatte alles geopfert um nur bei mir zu sein, und jetzt! Hundertmal sage ich mir selbst dass es musste, und jetzt da es geschehen ist frage ich: Warum? Um die Welt? Die Welt gab mir nie etwas. Die Welt hat kein Recht auf mich. Ich behaupte besser als die Welt zu wissen was gut oder nicht gut ist. Ich fühle dass ich das zu lehren habe, nicht zu lernen. Ich bin sehr traurig. - Da steht das kleine Kesselchen, das sie einmal kaufte, als sie zum ersten male versuchen wollte selbst zu kochen. Oft assen wir Brot allein, Tage lang! Oft auch nichts. Nichts als unreife Aepfel und Bohnen, die wir Abends im Dunkel pflückten. Und nie klagte sie! Im Gegentheil, sie freute sich und war stoltz auf unseren Armuth. Doch eines verlangte sie immer: ich sollte nur an sie denken, nur mit ihr mich beschäftigen. Dazu hatte ich nicht Liebe, nicht Herz, nicht Talent genug. Denn ich hatte anderes (und vieles!) zu lieben, zu wollen, und zu thun! Sie war eifersüchtig - nicht im gewohnen Sinne, doch auf meinen Gedanken. Sie wollte jede Knospe pflücken, und ich habe, leider! Blüme und Früchte nöthig die ich verkaufen muss. - Ich sagte Ihnen: ich muss meine Frau und Kinder wiederhaben. Jeder Andere wird meinen zu begreifen dass Mimi darum fort musste, doch jeder würde sich irren, denn nicht weil meine Frau kommen wird, ist sie abgereist (ich wünschte dass ich so weit wäre) doch um mich das Arbeiten | |
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möglich zu machen, damit ich entlich Mittel finde um meine Frau kommen zu lassen. J'aime l'allemand quand je le lis, quand vous me parlez, mais ça me coûte de l'écrire.
L'idée me pèse que vous croiriez que j'aie jugé le départ de cette noble fille nécessaire pour contenter ma femme. Au contraire! Si j'avais demandé son avis, je suis assuré qu'elle m'aurait conseillé, prié même, de ne pas me priver d'un soutien, dont j'ai besoin à défaut d'elle même. C'est d'elle que Mimi a reçu la mission d'avoir soin de moi, tandis qu'elle tâcherait de sauver les enfants. La pauvreté m'a chassé de chez moi. La pauvreté en deux manières. La petite, qui se montre en manque de nourriture; la grande, qui se présente sous forme de dettes. Ma femme me chassa pour tenir tête, elle seule, à ces misères. Elle savait que, toute douleur d'ailleurs égale, soit de voir manquer le nécessaire aux enfants, soit d'avoir à répondre à un créancier trop exigent, les conséquences étaient plus pernicieuses pour moi que pour elle. Car cela m'anéantissait, et nous ôtait le seul bien qui nous reste: mes pensées, mon travail! Un rien peut me rendre impuissant, et tout d'un coup une petite contrariété peut me renverser. Voilà pourquoi elle me confia à Mimi. Et celle-ci a voulu remplir sa mission avec grandeur. Seulement elle n'a pu s'effacer. Elle donna tout, et de gaieté de coeur, mais ne put jamais s'habituer à ne rien recevoir. Hélas, tout ce que j'ai dans l'âme, je le dois à mon éditeur, au public, à tant par feuille, à mes enfants qui attendent leur éducation du métier de leur père. Et ne croyez pas que Mimi n'a pas voulu autrement. Hélas, j'ai été témoin de ses efforts à ne rien vouloir, à se taire, à être contente de ma taciturnité, jusqu'à que moi-même, touché de sa bonne volonté, recommençai à m'épancher, et de faire justement le contraire de ce que j'avais exigé d'elle. Comme j'ai été cruel souvent! Avant-hier encore! ‘Comme il me sera doux, dit-elle, de savoir que tu désires me revoir.’ Comprenez-vous que ce souhait m'a fait éclater en reprôches? | |
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‘Voilà, ai-je dit, ta faute! Ta grande faute! Tu me souhaites le chagrin de ton départ, tu veux que je souffre de ton absence. Il fallait me souhaiter l'oubli, pour que je puisse tranquillement ramener mes idées vers le travail, le travail payé qui doit faire vivre mes enfants. Tu ne penses qu'à toi, qu'à ton amour, qu'à ton amour-propre même, oui, c'est de l'égoïsme que d'aimer de cette manière! Tu veux une trop grande part de mon âme, &c &c. Elle pleura, puis m'embrassa sur le front, et dit: je serai comme tu veux.
Oh, la vie est dûre! Et de penser que j'aurais assez de coeur pour répondre à tout, pour tout payer, amitié pour amitié, pensée pour pensée, amour pour amour même, si je n'avais besoin de ce pauvre riche coeur pour vivre! Ou faut-il encore une fois, comme dans les ‘MinnebrievenGa naar voetnoot(17)’ faire parade de mes blessures pour récolter l'aumône du public? Faut-il vendre ce coeur qui saigne? C'est dégoûtant! Et c'est bien heureux encore que cela ne se peut pas. Qui sait ce que je ferais, pressé par le besoin des miens! Mais, c'est impossible. On ne le fait pas deux fois. C'en est déjà assez d'une! Et le Public répondrait: ‘Connu, connu, nous connaissons cette pièce. Faites nous un conte plus amusant. Assez de vos douleurs.’
Montag morgen. Mein Tag war sehr traurig. Ich hörte eine Stimme die mir zurief: Jetzt bist du allein, wo sind nun die erhabenen Gedanken die sie dir raubte, wie du meintest? Mein Zimmer ist nun schrecklich leer, und ich habe geweint. Wenn es möglich wäre, kam ich zu Ihnen, ich kann aber nicht. Wie lange wird es dauern vor ich wieder mich selbst bin? Mein Herz ist grösser als ich fürchtete, und als sie hoffte. Das Wort hoffen is unrecht. So meinte sie es nicht. Wenn ich nur meinen kühlen einfachen Verstand wieder hatte! Doch es wird kommen, nicht wahr? Man kann doch von einem Verwundeten nicht fordern dass er gleich wieder munter sei, nach einer schweren Amputation? Schwer war es! Gestern habe ich den ganzen Tag | |
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allerlei versucht, doch nichts gelang. Selbst das schreiben an Sie nicht. Und heute geht 's nicht viel besser. Das sehen Sie. Doch weis ich das alles heilt. Das ist gerade was ich so erbärmlich finde in unsere Natur. Wir haben nicht einmal die Kraft Schmerz zu bewahren. Alles vernarbt. Wenn ich nur wusste gut gethan zu haben. Das wird sich zeigen. Wenn ich forthin arbeite, so das ich Geld bekomme um meine Frau und Kinder kommen zu lassen, und bei mir zu behalten, dan habe ich gut gethan. So nicht, nicht. Dan würde ich umsonst ein treues edles Herz gebrochen haben. Adieu, liebe Freundin, Ich schreibe bald wieder und mehr. Doch warten Sie nicht darauf, denn Ihre Briefe sind mir sehr werthvol.
Montag Abend. Meine Wohnung ist nicht weit vom Bahnhof. Mein Absicht war heute Morgen diesen um 1¾ Uhr dahin zu bringen. Ich sah aber dass es schon etwas später war. Auch ist es gleich, denke ich. Was heute Abend ankommt wird erst Morgen früh bestellt, und was heut Abend spät abgeht auch. Also habe ich noch ein paar Stündchen - Abendstündchen für Sie. Ich liebe die Abende. Man fühlt besser. So fühle ich zum Beispiel dass ich nur über mich selbst schrieb. Schmerz ist egoist. Glücklich dass jeder Tag seinen Abend hat, wo man es einseht, und doppelt glüchlich wenn man noch Zeit hat um Verzeihung zu bitten. Das thue ich.
Ich wünschte Worte finden zu können um Ihnen gut verständlich zu machen wie ich an Antwerpen denke. Ich sehne mich nach Ihrem Hause - das begreifen Sie wohl. Doch, doch, ich fürchte dass ich in A. su vielen Bekannten habe, und Alles nicht gehörig erwiedern kann. Malgré tout, und in Widerspruch mit meiner unabhängigen Moral scheine ich doch ehrlich geboren zu sein, denn es drückt mich fürchterlich wenn ich mehr empfange als ich geben kann. ‘Sie werden zu Hause bleiben’ sagen Sie? Auch das würde gênirt sein, für Sie für | |
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mich. Und es gibt leider noch andere Ursachen die mein Aufenthalt in Antwerpen für längeren Zeit unmöglich machen. Ich habe Ruhe nöthig, und in Brüssel habe ich Schulden. Um alles abzumachen werde ich erst viel arbeiten müssen, und das kann nicht, solang ich jeden Tag fürchten muss dass man mich um Geld fragt. Doch würde ich gestern gekommen sein wenn es mir möglich gewesen wäre. Doch ich hatte kein Geld, voilà. Daraus entstand auch mein abgebrochenes (oder nicht) schreiben der letzten Tage. Es war bestimmt dass M. abreisen sollte. Sie hat dazu Ihrem Vater um das nöthige Geld gebeten. Es kam, doch nicht gleich, und nicht auf einmal. Das alles verlängerte den Crisis. Was endlich kam war genug, ja, doch auch nicht mehr als genug, denn die Garderobe des armen Kindes war elend. Dazu kommt dass sie gar keine Sicherheit hat in Wien gleich eine Stelle zu finden, und es schaudert mir als ich daran denke, wie sie es da machen wird, wenn sie nicht bald irgendwo anständig unterkommt. Ihr Vater ist Obrist, hat vielen Kinder. Sie wissen wie Offiziere bezahlt werden.
So, haben Sie, und Herr Flemmich um meinentwillen streit zu führen gehabt? Das wird wieder, und oft, vorkommen. Doch es lohnt gewöhnlich die Mühe nicht, denn Sie werden sehen das man oft nicht einmal weis wovon eigentlich die Rede ist. Herr Engels sagte den Havelaar gelesen zu haben, und ein Augenblick später fragte er: ‘ob ich in Indien Beambter gewesen?’ Die ersten drei, vier Monate nach dem Havelaar, war Alles vol von meinen Lob. (Es würde der Mühe werth sein Alles zusammen zu suchen, was man damals schrieb. Ich habe nichts davon. Immer umherirrend habe ich nichts bewahren können, doch wohl kann ich noch, wenn ich wieder in Holland bin, und etwas loisir habe, alles zusammen suchen. Alle Periodische Schriften, alle Zeitungen von 1860.) Damals war ein | |
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sogenanntes Conservatives Ministerium an 's Ruder. Die sogenannten Liberalen meinten darum ich gehöhrte zu Ihnen. In hundert Stellen von Ideen, Minnebrieven, überal werden Sie finden wie ich urtheile über die Parteien in Holland. Lesen Sie zum Beispiel was ich sagte auf dem Congrès international, Ideen II 399Ga naar voetnoot(18). Sobald ich nach den Havelaar Anerbietungen bekam von liberale Seite, und dieselbe ziemlich roh abgewiesen hatte, zählte ich meine Feinde in beiden Lager. Und auf anderen Terrein! Feinde überal! ‘Also Sie allein haben recht!’ sagte die unfreundliche Dame aus Moskou. Ja! Ja! Ja! Denn ich frage Antwort! Und niemand hat den Muth dazu. Unzählbare Male rufe ich meine Gegner, oft bei Nahme auf, mir etwas zu antworten, und Alles schweigt. Dédain kann es nicht sein, denn in den Kammern ist es anerkannt geworden dass ich ein Schauder durch's Land habe gehen lassen. Dédain kann es nicht sein, denn jeder weis dass alles was ich schreibe gelesen wird. Auch ist es in Holland ein Axioma geworden dass ‘Niemand den Muth hat gegen mich aufzutreten.’ Sie werden sehen wie oft ich damit spotte (z.b. Ideen II 395) und wie derb ich meine Feinde herausfordre. Alles schweigt. Ja es geht so weit dass man mir mit Furcht lobt, weil man weis dass ich das litterarische Loben nicht leiden kann. (Natürlich. Sehe Don Juan, Chresos &c in den Minnebrieven. Ich liebe die Schriftstellerei nicht)
Eh bien, gegenüber das fatale Schweigen steht das ewige Anfallen wo ich nicht bin. O, Ihr Antwort ist nicht schwer: ‘Er kämpft öffentlich. Alles was er sagte, kann man für einigen Gulden kaufen, für wenigen Cents lesen. Sein Terrein ist publik. Antworten Sie ihm da!’ Warum thun das nicht Minister, Parlementsmitglieder, Professoren, Domine's, Allen die ich attaquirte? | |
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In meinen Herdrukken werden Sie einen Brief finden den mir ein Domine schrieb, und mein Antwort. Sobald er, und seine Glaubensgenossen erführ dass ich nicht vom wahren Glauben war, war es aus mit ihrer Sympathie. Fragen Sie, wenn man mich wieder anfallt, ‘ob ja Jemand etwas wiedersprochen hat was ich im Havelaar (oder wo man will) sagte? (Ja, einmal, das will ich Ihnen später erzählen, denken Sie daran! es war eine karakteristike Geschichte, doch für heute zu lang).
Meine letzte Broschüre: ‘Een en ander’ ist besprochen, und zwar durch ein Mann der in Holland für einen sehr scharfen Kritiker passirt (ich glaube mit Recht) Busken Huet. (Zeitschrift Nederland, Heft April) Er sagt unendlich viel Gutes von mir, doch leider meist nur über die Schriftstellerei. Das ist mir nichts werth. Es ist mir als ob man sie loben würde weil Sie gut stricken oder kochen könnten. Es ärgert mich, denn ich behaupte Anderes und besseres gethan zu haben als schreiben. Ich habe gearbeitet, gehandelt, gedacht und gelitten. Die Schriftstellerei ist Nebensache, nicht wahr?
Jetzt grüsse ich Sie und Ihren lieben Herr F. und den guten Wolfgang sehr sehr herzlich. Ich habe so eben von Ihrem Thee getrunken. Ach, konnte ich Ihnen gut sagen wie ich an Alles denke.
Ihr
Max.
Schreiben sie bald? und viel? Herr Flemmich hat jetzt doch wohl den Brief an Mad. P. gefunden? Er steht im Anfange des zweiten Theils Ideen. Ach, dass ich nicht Deutsch schreiben kann wie ich es wollte! Ich adressire an Herrn F. Dan gilt mein Brief für Beide. Das ist eins nicht wahr? Schicken Sie mir das Bildchen zurück? |
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