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[Nummer 1-4]
Gallische und germanische Namen im Latein
Jeder, der mit der Aufnahme einer Mundart oder einer anderen schriftlosen Sprache zu tun hat, kommt, wenn er sich auf unser normales Alphabet beschränken muß, nicht selten und manchmal sogar immerfort, in hoffnungslose Schwierigkeiten, weil es zu viele Sprachlaute gibt, für welche dies Alphabet keine Zeichen hat. Für das Altgermanische hat die Schrift unter anderm mindestens acht Zeichen für Reibelaute nötig, aber die lateinische Schrift hatte nur zwei, f und ch und die zweite auch nur mit Rücksicht auf das Griechische. Man schrieb in Rom zwar Christus, sprach gemeinhin aber Kristus, so wie wir es ja auch immer noch tun. Aber die gebildeten Römer kannten das ch aus dem Griechischen, ohne das unsere alten Quellen unter anderm den Reibelaut, der einst von k zu h hinüberleitete (in Chatti, Cheruski usw.) überhaupt nicht hätten bezeichnen können.
Schlimm war es auch mit dem Wortton. Denn für ihn hatte und hat die lateinische Schrift keinerlei Zeichen, und so kam es, daß wir alle in römischer Schrift bezeugten alten gallischen und germanischen Namen nach den Regeln der lateinischen Grammatik betonen oder dies doch versuchen. Aber von Konsequenz sind wir da sehr weit entfernt. Es kommt ja nicht auf sie an, und das tat es auch vor 2000 oder 1500 Jahren ganz geewiß nicht, und das damals vor allem in der Schrift. Wir dürfen es jedenfalls als sicher nehmen, daß uns die alten Schreibformen hundertfach irre leiten. Daran wird viel zu wenig gedacht. Dies ist die erste und wohl auch schwerste Fehlerquelle. Doch wird es, abgesehn von manchen bloßen Abschreibfehlern in den Handschriften, nicht oft glücken, solche nachzuweisen. Ich will es trotzdem an einem Beispiel versuchen. Der Flußname Weser, den die Römer Visurgis schrieben, hat sicher nie ein g besessen. Aber sein Suffix enthielt doch leicht ein j, welches dort, wo g zumeist ein stimmhafter Reibelaut war - wie in unsrem Nordwesten weithin noch heute - wohl auch mit dessen Zeichen geschrieben werden konnte. Das Alt- und Angelsächsische taten es oft.
Es sind jedoch nicht nur manche Einzellaute der gallischen und germanischen Dialekte, die den Römern Schwierigkeiten machen mußten, sondern sicher auch allerlei Lautverbindungen, ungewohnte Konsonantengruppen und dazu wohl auch Diphthonge, die das Latein
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nicht hatte. Dies besaß nur noch au und ae (= ai), und hier und da ist auch eu gebraucht, das die gebildeten Römer aus dem Griechischen kannten. Dies wurde dem, was die fremden Namen forderten, schwerlich gerecht.
Viele Menschen wissen gern, was die Namen, die sie brauchen, bedeuten, und sie erliegen, wo dies unklar ist, leicht der Versuchung, mit einer Änderung der Namenform nachzuhelfen, sie hiermit verständlich zu machen, den Namen damit aber meist in eine falsche Richtung zu lenken. Dies kann auch ohne Absicht geschehn. Solches muß auch im Altertum dagewesen sein, und wir Philologen sind darin im Grunde vielleicht nicht viel besser als die Laien. Dies sollte uns davor warnen, Namenformen, die aus irgendeinem Grunde solcher Verfälschung verdächtig sind, blind zu trauen und sogar auf ihnen weiterzubaun. Und doch ist dies oft geschehn und geschieht auch immer noch. Die Aufgabe lockt und das Papier hat Geduld. Dies ist eine zweite große Fehlerquelle - die aber oft mit der ersten zusammenwirkt -. Um sie ist es mir hier vorzüglich zu tun.
Die alten Namenformen, die auf solche Art verfälscht worden sind, geraten, soviel ich sehe, am meisten dadurch in Verdacht, daß ihnen das Latein zu einem annehmbaren Sinn verhilft, der ihnen vorher gefehlt haben kann. Etwas zu großes Mißtrauen ist hier besser als keins. Ich nenne nun als Beispiele einige derart belastete altgallischeund-germanische Namen, zuerst ein paar normale Fälle und dann einzelne, die schwieriger sind und uns hier und da zwingen, noch etwas weitere Fragen hineinzuziehn. Die Namen, die ich bringe, erscheinen mir sehr ungleich belastet, ein Teil nur schwach, bei einigen bin ich jedoch sicher, daß es so steht, wie ich argwöhnen durfte.
Nun die Beispiele:
1. | Aquitani. Das Aqu- dieses Volksnamens kann auf Anpassung an lat. aqua ‘Wasser’ beruhn, doch weiß ich nicht, was ihm zugrundeliegen mochte, und seine Suffixform -āni ist mit Sicherheit lateinisch - wenn sie auch wohl nicht nur lateinisch war -. Dagegen kann der Name der Aquilis (zum untersten Po) mitsamt dem der Stadt Aquilēia, die an ihr liegt, seine Stammform lat. aquila ‘Adler’ verdanken, während die Suffixform -ēia älter und echt sein wird. |
2. | Arduenna silva, die Ardennen. Es liegt nah, zu vermuten, daß die Stammform dieses Gebirgsnamens an lat. arduus ‘steil’ angelehnt wurde. Doch kann sie sehr ähnlich gewesen sein. |
3. | Argento-rate oder -ratum, ein früherer Name Straßburgs im
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| Elsaß. Sein erster Teil ist der lateinische Name des Silbers, aber der keltische, der ihm vorausgegangen sein wird, muß *argant- gelautet haben. |
4. | Arminius. Ich glaubte lange, dieser Mannesname gehörte zu den -inius-Bildungen, die in der Römerzeit im Rheinland und auch noch weit darüber hinaus grassierten, Es ist jedoch ganz unwahrscheinlich, daß dieser fremde Bildungstyp bis zu den Cheruskern weit im Osten gedrungen war, und ich bin jetzt überzeugt, daß in Arminius ein gut germanischer Name versteckt liegt, dessen erster Teil von den Römern an lat. arma ‘Waffen’ oder auch den Landschaftsnamen Armenia im stlichsten Kleinasien angeglichen wurde. Außerdem hieß ein Stamm in Dalmatien Armistae. Es liegt da sehr nah, an unseren weit verbreiteten Wort- und Namenstamm Erman-/Ermin- zu denken, der schon in Erminones bezeugt ist und bei uns dann später zu Irmin(-) wurde. |
5. | Atrebates, um Arras in Nordfrankreich. Vielleicht angepasst an lat. ater ‘schwarz’ und auch atrium ‘Vorhalle, Hausflur’. Vgl. den Stammesnamen Helvetii in der Schweiz neben lat. helvus ‘gelb’. Die ursprünglichste Form des Namens ist dunkel. |
6. | Avius Mons. Bei Bad Ems an der unteren Lahn sind Teile eines Gedenksteins (von etwa 200 n. Chr.) erhalten, die avio monte ‘dem entlegenen Berge’ nennen. Hinter ihm wird sich *Aumantia verbergen, der einstige Name des kleinen Zuflusses zur Lahn, der jetzt auch Ems heißt und Bad Ems den Namen gab. |
7. | Bellovaci. Stamm in Nordfrankreich (um Beauvais, nördl. von Paris), wohl an lat. bellum ‘Krieg’ (oder bellus ‘hübsch’?) angepasst. Nach Ammian (27, 4, 4) hatten die Scordisci in Pannonien zwar eine Kriegsgöttin Bellona, doch waren sie damals wohl schon weit romanisiert. |
8. | Decetia, Name einer Stadt sö. Orléans, jetzt Decize. Er ist vielleicht an den alten römischen Gentilnamen Decius und auch an lat. decet ‘es ziemt sich’ oder decem ‘zehn’ angelehnt worden. Dagegen enthält der umstrittene Landschaftsname Agri decumates oder decumani im altkeltischen Siedlungsraum rechts des obersten Rheins doch wohl ein *decumus ‘zehnter’ (= lat. decimus), das zwar nicht bezeugt scheint, leicht aber auch den Römern bekannt sein konnte. |
9. | Divitia, Kastell gegenüber Köln, jetzt Deutz, und Divitiacus, Name eines Galliers. Sie können kaum von lat. divitia ‘Reichtum’ getrennt werden. Dagegen wird in Divo-durum, einem einstigen Namen der Stadt Metz in Lothringen, dīvus ‘göttlich’ stecken, das nicht nur
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| lateinisch war, und ebenso in dem gallischen Mannesnamen Divico. Divodurum ist, wenn -durum zu lat. dūrus ‘hart’ gestellt worden ist, fast gleich unserem Mannesnamen Gott-hart oder Reichart. Doch ist solches Spielerei.
Es kam auch vor, daß die Römer Namen, die ihnen aus früher bekannten Landschaften geläufig waren, an die Stelle ähnlicher Namenformen im Neuland setzten. So ist es mit Bononia und Veneti. |
10. | Bononia, jetzt Boulogne sur Mer. Es scheint, daß die Römer den Namen des ihnen wohl bekannten oberitalischen Bononia, jetzt Bologna, auf diesen Ort, der ähnlich hieß, übertragen haben. Merkwürdig ist jedoch, daß an beiden Orten das erste n des Namens später durch 1 verdrängt erscheint. Auch das kann zusammenhängen. Es ist da aber offensichtlich Dissimilation im Spiel, die diesen Wechsel erleichtern mußte. Auch Bonn (am Rhein), einst Bonna kann auf ein *Bonon-zurückgehn. Es kann jedoch auch sein, daß lat. bonus ‘gut’ sich eingemischt hatte. |
11. | Veneti, Stamm an der Kanalküste Frankreichs, gleichnamig mit den Venetern in Oberitalien. Auch wenn die Namen identisch waren, sei es als Appellative - dies konnte etwa ‘befreundet’ bedeuten - oder als Namen, waren sie, nach sicher schon sehr langer Trennung, sich schwerlich noch so ähnlich, daß sie gleich geschrieben werden konnten oder gar mußten. Die italischen Veneter hingen viel eher von den ostdeutschen ab, deren Name später als Wenden oder Winden (schon bei Plinius Venedi, ags. Winedas) auf slawische Stämme überging.
Ich bringe nun einige der schwierigen Sonderfälle. |
12. | Matrona, die Marne, zur Seine. Die Römer dachten bei dieser Namenform, so wie es auch heute meist geschieht, wahrscheinlich an ihre Matronen und sprachen den Namen entsprechend aus. Sonst aber hatte und behielt er den Akzent auf der ersten Silbe - sonst hieße er heute nicht Marne -. Es gibt auch noch weitere Flußnamen mit Matr- im Stamm, die Moder, alt Matra im Elsaß und die Metter zur Enz, einem linken Nebenfluß des Neckars, dazu die Ortsnamen Meteren in franz. Flandern und wohl auch Matrei in Südtirol und vor allem den Stammesnamen Medio-matrici, um Metz in Lothringen. Der Name der Stadt, ein zweiter neben Divo-durum (oben unter 9.), schon früh bezeugt als Mettis, scheint jedoch mit dem des Vororts der Chatten in Niederhessen, Mattium, und dessen Verwandten zusammenzuhängen (sieh Kuhn, Chatti und Mattium, Festschr. f.K. Bischoff 1975, S. 1ff = Kl. Schr. 4, S. 61ff) und das eigenartige Medio-matrici (‘die Mittelmütterlichen’?)
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| aus einem *Medio-mettici oder -mattici verballhornt worden zu sein - nur die Mythologen haben Freude daran -. |
13. | Novio-magus. Es ist ein keltischer Name, der etwa ‘Neustadt’ bedeutet haben muß und an nahezu zwanzig Orten bezeugt oder zu erschließen ist. Die Römer nannten so aber auch Nijmegen/Nimwegen. Dessen spätere Namen können aber nicht auf Novio-magus zurückgehn, wohl dagegen auf ein *Nevio-magus, und die Stadt liegt außerdem weitab vom altkeltischen Namenraum. Entweder haben die Römer dies *Neviodurch die ihnen wohlbekannte Novio-Form verdrängt oder die dortige Bevölkerung hat an die Stelle des ihr fremden Novio- das ihr eigene *Nevio- gesetzt. Ich halte es für möglich, daß ein keltischer Machthaber sich einmal weit vom Süden her an diesem hervorragend günstigen Platze festgesetzt hatte, um das Rheindelta beherrschen zu können. Mich bestärkte darin, daß nicht weit westlich von dieser Stadt ein Megen liegt, das einst als Meginun bezeugt ist, so wie Mayen auf dem Mai-feld nw. von Koblenz als Megina. Dies war im keltischen Siedlungsraum. Der Name wird von keltisch magos abgeleitet sein. |
14. | Sequani, gallischer Stamm in Burgund. Sein Name enthält ein qu, das im Keltischen jedoch zu p geworden war. Er wird Leute bezeichnet haben, die jemandem nachfolgten oder anhingen (vgl. lat. sequi ‘folgen’). Das Wort ist in der richtigen keltischen Lautform zu Germanen gekommen: got. sipōneis ‘Jünger’ oder ‘Schüler’, sodaß es aussieht, als seien die beiden Namenformen hier umgetauscht. Aber die Sequaner waren von Norden her zugewandert, und zwar wahrscheinlich aus den belgischen Gebieten, in denen qu bewahrt geblieben war. Doch nannten die Römer auch die Seine Sequana, und auch hier erwarteten wir p statt qu. Zudem passt die genannte Bedeutung, die beim Stammesnamen fast selbstverständlich war, nicht für einen Fluß. Dessen Name ist viel eher mit Sigina, dem alten Namen der Sieg (von rechts zum Mittelrhein) verwandt. Die Angelsachsen nannten die Seine Sigene. Dies wird ihrem echten alten Namen nahe kommen. Aber Cäsar, der den Namen der Sequaner auch in einer Form gehört haben kann, die dem der Seine ähnlich war, hat dann wohl aus dem zweiten Sequana gemacht. Doch scheint diese Form nicht landesüblich geworden zu sein. |
15. | Castra Vetera. Römisches Kastell oder Truppenlager links des unteren Rheins, nah beim heutigen Xanten, und wohl dessen Vorgänger. In Vetera wird ein sehr altes und schwerlich germanisches Namenwort stecken, vgl. die Wetter zur obersten Lahn und die Wetter-au nördlich des unteren Mains, dazu in germanischer Form ags. Wederas
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| und Weder-Geatas in der Weder-mearc im schwedischen Götaland, wohl in der Nähe des Sees Vättern - dessen Lautform jedoch schwierig ist -. Die Namen hängen schwerlich mit germ. water ‘Wasser’ zusammen. Es konnte nicht ausbleiben, daß die Römer den Namen mit ihrem Adjektiv vetus ‘alt’ (Gen. veteris) verknüpften. Schon Tacitus wußte offenbar nicht recht, wie er ihn flektieren sollte, als Substantiv oder Adjektiv, und in späteren Quellen ist mehrmals die Dativ- oder Ablativform Veteribus bezeugt, die nur zum Adjektiv gehören konnte. |
Es sind nun, von vielen anderen abgesehn, noch zwei wichtige Namen meines Untersuchungsraums, die eine Erörterung geradezu fordern. Es sind die wichtigsten von allen: Galli und Germani. Doch kann ich auf sie hier leider nicht eingehn.
Fast alles, was ich bisher zu den lateinischen Formen keltischer und germanischer Namen sagte, enthält eine Warnung, gleich als nützten sie uns bitterwenig. So aber ist es durchaus nicht. Ist es doch weit überwiegend dieser Namenstoff, dem ich meine Einblicke in die alte Bevölkerungsgeschichte Nordwestdeutschlands und der Niederlande verdanke. Ich habe dabei zugleich jedoch gelernt, sehr vorsichtig zu sein.
Besonders wertvolle Auskunft geben uns die Namen, die in den lateinischen Quellen in mehr als einer Form überliefert sind. Sie sagen, von den Fällen abgesehn, in denen einzelne Formen sich als bloße Abschreibfehler verraten werden, zum ersten aus, daß viele Namen öfter als einmal ins Schriftlatein übernommen wurden und daß dies leicht in verschiedenen Formen geschehen konnte. Schon dies ist wertvoll zu wissen: die Namenformen, mit denen wir operieren müssen, haben, auch wenn sie für uns konkurrenzlos sind und die späteren Formen ihnen nicht im Wege stehn, zumeist trotzdem kein sicheres Alleinrecht, und sie sind schwerlich immer die besten, die es einst gab. Die Gründe für die Mehrformigkeit von Namen konnten sehr verschieden sein. So gab es, ebenso wie auch weithin sonst, mancherlei Kürzungen wie auch Längungen, doch ist da selten erkennbar, welche Form die ältere sein mag. Am häufigsten ist es jedoch wohl so, daß der amtlichen Schreibform entweder im Alltag gebrauchte, fast schon vulgäre, oder aber altheimische, gallische oder germanische, gegenüberstehn, die doch mindestens so lange fortbestanden haben müssen, wie ihre Sprache. Welche Form sich schließlich durchsetzte und zur Grundlage der späteren Namen wurde, hing von Faktoren ab, die wir gemeinhin kaum abwägen können. Wir dürfen aber erwarten, daß viele der späteren Namenformen uns helfen werden, die Art und das Maß zu klären, in denen die Römer in das ältere
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Namengut einzugreifen pflegten. Am wertvollsten scheint mir zunächst jedoch zu sein, was einige Formenpaare zur Sprachgeschichte sagen.
Zum Schluß noch ein Wort des herzlichsten Danks an den Jubilar Maurits Gysseling, der uns zeigte, daß es nicht nur nötig, sondern auch möglich ist, ein weites Gebiet über Staats-, Sprach- und Völkergrenzen hinweg in einem meisterhaften Namenwerk zusammenzufassen. Erst dies hat mir den Weg geöffnet und den Mut gegeben, meine Untersuchungen über den Rhein hinüber bis ins nördlichste Frankreich auszudehnen.
Laboe
H. Kuhn
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