Naamkunde. Jaargang 5
(1973)– [tijdschrift] Naamkunde– Auteursrechtelijk beschermd
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Nadat Prof. Dr. K. Roelandts de gasten uit Kiel heeft begroet en hun gemeenschappelijke lezing heeft ingeleid, zegt Prof. Dr. F. Debus: Ik zal eerst kort Nederlands spreken. Vooraleer wij met onze lezing beginnen, zouden we toch graag het Instituut voor Naamkunde hartelijk willen feliciteren met zijn 50e verjaardag. Wij wensen al zijn medewerkers het beste toe en hopen dat de volgende halve eeuw even suksesvol zal zijn! Wij danken zeer voor de uitnodiging, hier te Leuven een verslag voor te dragen over een projekt waarmee wij in Kiel zijn begonnen. Wij betreuren het alleen dat wij onze kollega's uit de DDR hier niet kunnen ontmoeten. Wanneer we nu verslag uitbrengen over het naamkundig onderwerp zoals in het programma aangegeven, zouden wij dat in het Duits willen doen. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Namengebung und soziale Schicht
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sind bisher kaum in diese soziolinguistischen Erörterungen miteinbezogen worden, wiewohl doch das nomen proprium ein Teil des sprachlichen Zeichensystems istGa naar voetnoot(3) und somit auch als konstitutives Element des individuellen und schichtenspezifischen Sprachverhaltens betrachtet werden darf. Das heißt nun nicht, daß das Problem als solches - unabhängig von der neueren soziolinguistischen Fragestellung - in der bisherigen namenkundlichen Forschung übersehen worden und unbeachtet geblieben wäre. Sowohl zu den Motiven bei der Namengebung bzw. zur Psychologie des NamensGa naar voetnoot(4) als auch zu dem damit verknüpfbaren Verhältnis von Name und Schichtzugehörigkeit liegen aus jüngerer Zeit einige Beobachtungen vorGa naar voetnoot(5). Und auch schon bei Adolf Bach | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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finden wir das nicht eben knappe Kapitel ‘Die deutschen Personennamen in ihrer ständischen Schichtung’, in dem er zahlreiche Einzelheiten für verschiedene Zeitstufen zusammengetragen hatGa naar voetnoot(6). Handelt es sich um Namen aus älterer Zeit, so ist - wenn überhaupt - eine schichten- bzw. besser standesspezifische Zuordnung in der Regel nur im Blick auf den Namenträger möglich. Die Frage, ob ein Name für eine bestimmte soziale Schicht typisch ist, läßt sich aber prinzipiell nur vom Namengeber her beantworten. Der soziale Status des Namengebers also bzw. seine Zugehörigkeit zu einer möglichst genau zu definierenden Schicht wäre jeweils festzustellen. Eben hier tun sich aber grundlegende Schwierigkeiten auf, inbesondere wenn es um jüngere und jüngste Verhältnisse geht. Eine dichotomische Klassifizierung in Ober- und Unterschicht kann wohl nur bei einer groben, eher holzschnittartigen Erfassung der sozioonomastischen Gegebenheiten halbwegs befriedigen. Eine solche Unterscheidung in die ‘Führungsschicht’ und die Schicht der ‘Geführten’ hat z.B. Gerhard Köhn in seiner die Städte Soest und Glückstadt/Holstein betreffenden Untersuchung ‘Rufname und Stand in der ersten Hälte des 17. Jahrhunderts’Ga naar voetnoot(7) vorgenommen und dabei immerhin aufschlußreiche Ergebnisse gewonnen; so läßt sich ein recht hoher Prozentsatz der erfaßten Namen als allein einer der beiden Schichten zugehörig nachweisen oder es zeigt sich, daß in signifikanter Weise Vollformen und Kurzformen verteilt sindGa naar voetnoot(8). Allerdings geht es hier um einen älteren Namenbestand. Für die Neuzeit jedenfalls ist ein derartiges Schichtenmodell zu undifferenziert, wiewohl interessant ist festzustellen, daß die Selbsteinschätzung der Menschen auch heute noch im wesentlichen auf eine Polarisierung in ‘oben: unten’ hinausläuftGa naar voetnoot(9). Mit vollem Recht ist ja gerade auch die Dichotomie ‘Mittelschicht - Unterschicht’ bei Basil Bernstein heftig kritisiert worden. Ebenso ist zu fragen, ob eine Dreiteilung in ‘obere Schicht und Mittelschicht - mittlere Schicht - untere Schicht’, wie sie etwa, dazu noch ohne nähere Definition, bei zwei Repräsentativumfragen der Gesellschaft für Markt-, Meinungs- und Sozialforschung DIVO, | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Frankfurt/MainGa naar voetnoot(10) zugrundegelegt war, der pluralistischen Gesellschaft der Gegenwart bei einer namenkundlichen Fragestellung angemessen ist. Doch wie könnte ein besseres Schichtenmodell aussehen? Diese Frage wird uns noch besonders beschäftigen. In jedem Fall können wir schon vorweg die von seinem historischen Befund herkommende Aussage Gerhard Köhns grundsätzlich in Zweifel ziehen: ‘Heute sind die Rufnamen wohl kaum noch nach dem sozialen Standort der Namensträger zu gliedern. Mag auch in den verschiedenen Landschaften, zu bestimmten Zeiten oder in einzelnen Familien eine Vorliebe für bestimmte Rufnamen nachzuweisen sein, grundsätzlich ist heute der Gebrauch der Rufnamen demokratisiert’.Ga naar voetnoot(11) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
II.Zunächst soll nun über die Planung und Durchführung des im Titel angeführten Projektes zur Personennamenkunde bis zum Stadium der Materialsammlung berichtet werden. Danach werden wir auf die Problematik der sozialen Schichtung im Blick auf dieses Projekt näher eingehen, um dann erste Auswertungsergebnisse zu einem ausgewählten Parameter zur Diskussion zu stellen.
Die ersten Anfänge des Unternehmens reichen in die Jahre 1968/69 zurück. Damals plante F. Debus in Groningen/Niederlande eine Erhebung in Form eines Fragebogeninterviews zum Thema ‘Motive bei der modernen Namengebung’. Durch seinen Weggang an die Universität Kiel konnte dieser Plan nicht verwirklicht werden. Im Sommersemester 1971 wurde er jedoch im Rahmen eines namenkundlichen Hauptseminars wieder aufgegriffen. Eine hierbei durchgeführte empirische Untersuchung der Vornamengebung in der Stadt Kiel erlaubte aufschlußreiche Einblicke über Namengebungstendenzen in verschiedenen BerufsgruppenGa naar voetnoot(12). Eine Reihe weiterer Arbeiten im | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Rahmen eines Fortsetzungsseminars des Sommersemesters 1972 galt einigen kleineren und größeren Orten in der näheren und weiteren Umgebung Kiels, um Vergleichsmaterial zu gewinnenGa naar voetnoot(13). Neben der statistischen Erfassung der Namenverteilung und neben sprachlichen Analysen standen dabei insbesondere zwei Fragen im Vordergrund: es sollte untersucht werden, ob sich einerseits - früheren Zeiten vergleichbar - auch heute noch Namengebungsunterschiede zwischen Stadt und Land zeigen und ob sich andererseits - ebenfalls im Vergleich zu früherGa naar voetnoot(14) - der Sozialstatus der Namengeber durch die Bevorzugung bestimmter Namen dokumentieren läßt. Zu beiden Gesichtspunkten brachten die Arbeiten zahlreiche Einzelbeobachtungen bzw. generelle Tendenzfeststellungen. Doch zeigte sich auch, daß die relativ spärlichen amtlichen Registereinträge für die Erhellung des regiokulturellen und soziokulturellen Feldes der Namengeber nicht voll ausreichen. Wenn z.B. als Berufsangabe des Vaters ‘Hausbesitzer’ begegnet, so ist damit praktisch nichts für eine Schichtzuweisung anzufangen; übrigens ergab die weitergehende Nachprüfung, daß eine solche Angabe ‘meist als Statussymbol einen sozial niederen Beruf kompensieren sollte’Ga naar voetnoot(15). Aus der Diskussion der vorliegenden Daten ergab sich so die Notwendigkeit, das Material zu ergänzen und zugleich die Möglichkeit, durch gezielte Fragen zur Motivation nähere Aufschlüsse über den Namengebungsprozeß zu erhalten. Um derartiges Datenmaterial zu gewinnen, bieten sich grundsätzlich zwei Verfahren an:
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Für beide Arten des Interviews ist die Zusammenstellung der Fragen von entscheidender Bedeutung. Doch während bei a) die Möglichkeit der nicht- oder halbstandardisierten Frageform besteht - d.h. dem Interviewer ist ein gewisser individueller Variationsspielraum je nach Abfragesituation zugestanden -, gibt es bei b) nur festformulierte, standardisierte Fragen. Es brauchen hier nicht die Vor- und Nachteile erörtert zu werden, die beide Arten des Interviews haben. Sie sind, freilich unter einem spezifisch sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkt, ja schon sehr früh diskutiert worden, und zwar im Anschluß an Georg Wenkers große Fragebogenaktion um 1880 zur Erfassung des Laut- und Formensystems der deutschen Dialekte - dem frühesten Fragebogeninterview grossen Stils überhaupt. Zunächst wurde, um die bis dahin gesammelten Daten zu ergänzen, ein Fragebogen der halbstandardisierten Form erarbeitet, der jedoch wegen des damit verbundenen Zeitaufwandes nur sehr begrenzt angewendet werden konnte. Stattdessen wurde daher ein standardisierter Fragebogen entwickelt, der zuerst in einer Pilotstudie in drei verschiedenartigen Schulen Kiels an alle Kinder verteilt wurde mit der Bitte, diese Bögen durch ihre Eltern ausfüllen zu lassenGa naar voetnoot(17). Erst dann kam entsprechend an allen Kieler Schulen der Fragebogen zur Verteilung - ingesamt 18864 Exemplare. Dies konnte natürlich nur mit Genehmigung und Unterstützung der Schulbehörde und der einzelnen Lehrerkollegien geschehen. Die staatliche Schulaufsichtsbehörde zeigte sich unserer Bitte gegenüber sehr aufgeschlossen und unterstützte das Unternehmen durch ein amtliches Schreiben an alle Schuldirektoren, die von uns ebenfalls über das Projekt informiert und um Mitarbeit gebeten wurden. Die solchermaßen und außerdem durch eine Ankündigung in der Lokalpresse vorbereitete Aktion erbrachte immerhin einen Rücklauf von 7.650 ausgefüllten Fragebögen; in einigen Schulen wurden mehr als 80% zurückgegeben, im Höchstfall 85%Ga naar voetnoot(18). Der Fragebogen zeigt folgenden Aufbau: | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Germanistisches Seminar der Christian-Albrechts-Universität
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Mit den folgenden Fragen möchten wir feststellen: A) Haben Sie die Namen (Erst-, Zweit-, Drittname) Ihres Kindes nach einer bestimmten Person oder Persönlichkeit gewählt, die eine Bedeutung für Sie oder das Kind hat? Wenn ja, nach wem?
Wenn das nicht der Fall war, wie sind Sie sonst auf den/die Namen gestoßen? Woher haben Sie ihn/sie sonst? | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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B) Was war für Sie der eigentliche Grund, weshalb Sie ausgerechnet diesen Namen gewählt haben?
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Haben Sie auf eine bestimmte Form oder Schreibung des Namens Wert gelegt und wenn ja, warum (z. B. Günter, Günther, Gunter)?
Raum für zusätzliche Angaben. In einem ersten Teil, den Blöcken 1-4, werden also die wichtigsten Daten zur Person der Kind-, Eltern-, Großeltern-Generation abgefragt. Daß z.B. die ‘genaue Berufsbezeichung’ des Vaters gewünscht wird, hängt mit Erfahrungen aus der Pilotstudie zusammen, die in dieser Sparte zuweilen ungenaue Angaben erbrachte. Wichtig ist ferner etwa auch, angesichts der großen Mobilität der Elterngeneration in der Nachkriegszeit etwas über Zwischenaufenthalte zu erfahrenGa naar voetnoot(19). Der zweite Teil betrifft den Namengebungsprozeß. In Abschnitt A wird zunächst nach Namenvorbildern gefragt, in Abschnitt B nach den eigentlichen Motiven der Namenwahl. Eine letzte Frage richtet sich auf die Namenschreibung. Daß der Fragebogen nur eine - wie wir hoffen einigermaßen gelungene - Auswahl von Fragen bzw. Beantwortungsmöglichkeiten aufführt, ist uns klar und ist im übrigen auch als eine Art von Anregung für die Informanten gedacht. Gerade bei den Motiven gibt es deren viel mehr; das haben die Antworten in den Fragebögen denn auch deutlich gezeigt. Ein Fragebogen dieser Art muß in seinem Umfang ein überschaubares Maß einhalten, wenn man nicht Gefahr laufen will, die Geduld der ohnehin heutzutage mit Formularen geplagten Leute zu überziehen. Unseres Wissens ist eine Fragebogenaktion in dieser Form bisher noch nicht durchgeführt wordenGa naar voetnoot(20). Sie erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit oder Vollkommenheit. Wir möchten unser Projekt als Versuch, als Diskussionsbeitrag verstanden wissen. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Wenn wir nun heute den Aspekt der sozialen Schicht in Verbindung mit einem bestimmten Auswertungsgesichtspunkt herausgreifen, so sind damit besondere Probleme aufgeworfen. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
III.Einige der Arbeiten, die im Rahmen unserer namenkundlichen Seminare wie in Abschnitt II erwähnt angefertigt wurden, enthielten Hinweise darauf, daß es hier auch Unterschiede im Verhalten der sozialen Gruppen gibt. Die Verteilung der Namen sah bei den Kindern aus Arbeitervierteln etwas anders aus als in den Gegenden, die z.B. vorzugsweise von Akademikern bewohnt werden. Um nun diesen Aspekt etwas besser in den Griff zu bekommen, waren wir gehalten, uns um ein brauchbares Modell der sozialen Schichtung der Bevölkerung unseres Landes zu bemühen. Doch um ein solches selber zu erarbeiten, fehlten uns die Voraussetzungen. Es blieb nur die Möglichkeit, das Vorhandene auf seine Brauchbarkeit hin zu prüfen. Aber das, was die auf diesem Gebiet kompetenten Soziologen anzubieten haben, ist nicht ohne Problematik; denn wie Ralf Dahrendorf lakonisch dazu bemerkt, ‘die Modelle unterscheiden sich’Ga naar voetnoot(21). Der Amerikaner Morris Janowitz gliedert beispielsweise auf Grund der von ihm festgelegten Kriterien die westdeutsche Bevölkerung in vier Gruppen: Obere Mittelschicht, Untere Mittelschicht, Obere Unterschicht und Untere Unterschicht. Aber die von ihm selbst parallel dazu angesetzte Untersuchung zur Selbsteinschätzung der Angehörigen dieser vier Gruppen ergibt nicht nur eine andere Terminologie - Oberschicht, Mittelschicht, Arbeiterschicht, Unterschicht - sondern zugleich für die einzelnen Schichten auch ganz andere Proportionen als beim ersten ModellGa naar voetnoot(22). Mit anderen Worten: die andere Fragestellung führt auch zu anderen Ergebnissen. H. Moore und G. Kleining haben das auf der sozialen Selbsteinschätzung beruhende Schichtenmodell verfeinert, indem sie sieben Gruppen konstruierten, wobei zwei davon sogar noch zusätzlich untergliedert werden nach Angehörigen des industriellen bzw. nichtindustriellen BereichsGa naar voetnoot(23). Unterschieden werden Oberschicht, Obere | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Mittelschicht, Mittlere Mittelschicht, Untere Mittelschicht, Obere Unterschicht, Untere Unterschicht, Sozial Verachtete, die sich aber nicht mehr mit den von Janowitz gefundenen Gruppen in Parallele setzen lassen. Weder entsprechen sich die Grenzen zwischen Ober- und Mittelschicht noch diejenigen zwischen Mittel- und Unterschicht. Erwin K. Scheuch bildet sein Modell mit Hilfe der Daten ‘Berufszugehörigkeit’, ‘wirtschaftliche Lage’, ‘kulturelles Niveau’. Er unterscheidet Oberschicht, Obere Mittelschicht, Mittlere Mittelschicht, Untere Mittelschicht, Obere Unterschicht, Mittlere Unterschicht, Untere UnterschichtGa naar voetnoot(24). Das sind zwar ebenfalls sieben Gruppen, aber deren Proportionen harmonieren wiederum nicht mit den entsprechenden Größen der übrigen Schichtenmodelle. Diese Unterschiedlichkeit dokumentiert einerseits, daß es in der deutschen Gesellschaft der Gegenwart keine so eindeutig abgrenzbaren Schichten gibt, als daß sich ihre Identifizierung jedem Beobachter aufdrängen müßteGa naar voetnoot(25). Zwar lassen sich die Antipoden der Gesellschaft relativ einfach ausmachen. Aber wenn es gilt, von den dazwischen beheimateten sozialen Gruppen auch nur zwei unmittelbar benachbarte gegeneinander abzugrenzen, häufen sich die Schwierigkeiten. Soweit wir sehen, sind die Soziologen mit diesem Problem bis heute nicht fertiggeworden. Des weiteren zeigt aber die Verschiedenheit der Modelle zugleich deren Abhängigkeit von der Art der Fragestellung, für die sie gedacht warenGa naar voetnoot(26). Dazu Dahrendorf: ‘Schichtenmodelle der angedeuteten Art sind... analytisch nur mäßig fruchtbar, und sie sind deskriptiv beliebig’Ga naar voetnoot(27). Aber auch ein Ausweichen auf die vier ‘Schichtungstypen’ von Karl Martin Bolte, wonach für rein ländliche, städtisch-ländliche, kleinstädtische und großstädtische Bereiche jeweils ein eigenes Modell giltGa naar voetnoot(28), verbietet sich für uns gleich aus zwei Gründen. Einmal gibt es innerhalb dieser vier Einzelmodelle so gut wie keine scharf | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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abgrenzbaren Schichten mehr - und auf die muß es uns gerade ankommen -, und zum anderen würde durch die verschiedenartige Struktur dieser Modelle von vornherein die Vergleichbarkeit mit Material aus weiteren Erhebungen in anderen Gegenden Schleswig-Holsteins oder gar der Bundesrepublik in Frage gestellt. Da jedoch, wie bereits gesagt, an die Erstellung eines eigenen Schichtenmodells nicht zu denken ist, haben wir uns entschlossen, der weiteren Arbeit die von Dahrendorf entworfene Schichteneinteilung prinzipiell zugrundezulegen. Darin werden ebenfalls sieben Gruppen unterschieden: Eliten, Dienstklasse, Mittelstand, ‘Falscher’ Mittelstand, Arbeiterelite, Arbeiterschicht und UnterschichtGa naar voetnoot(29). Neben den z.T. ganz andersartigen Bezeichnungen für die einzelnen Schichten ist daran besonders interessant, daß Dahrendorf die strenge hierarchische Ordnung von oben nach unten, die alle vorher zitierten Gliederungsversuche kennzeichnet, zu Gunsten gewisser Bei- und Nebenordnungen aufgegeben hat. Eliten, Mittelstand, Arbeiterschicht und Unterschicht bilden noch eine Abfolge von ‘oben’ nach ‘unten’, aber der ‘Falsche’ Mittelstand ist der Arbeiterschicht und teilweise dem Mittelstand, die Arbeiterelite dem Mittelstand und teilweise noch der Arbeiterschicht nebengeordnet. Die Dienstklasse wurde dem Mittelstand und dem ‘Falschen’ Mittelstand beigeordnet. Das Modell gibt also ein zweidimensionales Bild unserer bundesrepublikanischen Gesellschaft, während die übrigen eindimensional angelegt sind. Bestimmend für die Wahl dieses Schichtenmodells ist jedoch die Tatsache, daß es die erstmals von Theodor Geiger 1932 eingeführte sozialpsychologische Kategorie der Mentalität berücksichtigt. ‘Die Mentalität... ist geistig-seelische Disposition, ist unmittelbare Prägung des Menschen durch seine soziale Lebenswelt und die von ihr ausstrahlenden, an ihr gemachten Lebenserfahrungen’Ga naar voetnoot(30). Demgemäß sind soziale Schichten Gruppen, die jeweils durch eine gemeinsame Sozialmentalität gekennzeichnet werden. Dazu Dahrendorf: ‘Es gibt bestimmte wirtschaftliche, politische, soziale Einstellungen, die an gesellschaftlichen Stellungen kleben, so wie Rollenerwartungen an ihnen kleben’Ga naar voetnoot(31). Wir meinen nun, daß die Namengebung in der Familie ebenfalls unter dem Aspekt der Mentalität | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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betrachtet werden muß, und das vielleicht umso mehr, als das Statusdenken in unserer modernen Gesellschaft auch auf die Namengebung nicht ohne Einfluß geblieben zu sein scheint. An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht, auf einige grundsätzliche Probleme hinzuweisen, die auch mit dem von uns gewählten Schichtenmodell nicht beseitigt sind. Zunächst ist festzuhalten, daß alle Modelle - die Konstruktionen von Bolte dürfen hier außer Betracht bleiben - auf einen bundesrepublikanischen Durchschnitt hinzielen. Von diesem liegt jedoch Schleswig-Holstein, worauf sich das bislang erhobene Material beschränkt, einigermaßen extrem entfernt:
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Bezieht man diese Daten auf das Dahrendorf'sche Schichtenmodell, so werden sehr wahrscheinlich die Proportionen der Arbeiterschicht nach unten, die von Mittelstand und Falschem Mittelstand nach oben zu korrigieren sein. Davon bleibt aber auf jeden Fall die Grundlage des Modells, nämlich die Sozialmentalität der dargestellten Gruppen, unberührt. Wenn nun, wie wir annehmen, die Namengebungsakte von der Gruppenmentalität mitgesteuert werden, so bleibt das von uns gewählte Schichtenmodell trotz der Proportionsveränderungen weiterhin brauchbar. Schwerwiegender sind dagegen die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, daß die Grenzen zwischen den Schichten in diesem Modell (wie auch bei den anderen!) letzten Endes fließend bleiben. Schon für Geiger erbrachte die Beschreibung der Mentalitäten keine abschliessenden ErgebnisseGa naar voetnoot(37). Außerdem gibt es Gruppen mit gemeinsamer Mentalität, die sich kraft ihrer Position auf verschiedene Schichten verteilen: Akademiker auf die Eliten, die Dienstklasse und den Mittelstand, Handwerker auf den Mittelstand und die ArbeitereliteGa naar voetnoot(38). Wir haben dieses Problem vorläufig ausgeklammert. Zugleich verzichten wir darauf, an dieser Stelle eine Beschreibung der sieben Gruppen im Dahrendorf'schen Schichtenmodell zu geben. Denn die sehr arbeitsintensive Auswertung unserer Fragebögen steckt begreiflicherweise noch ganz in den Anfängen. Um hier überhaupt schon erste Ergebnisse vorzeigen zu können, mußten wir ganz schlicht einige Berufsgruppen auswählen, die allerdings jeweils zu den von Dahrendorf festgestellten Schichten gehören. In dem hier vorgeführten Material sind allerdings teils aus arbeitsökonomischen Gründen, teils wegen unzureichender Formulierungen im Fragebogen, teils wegen einer statistisch zu geringen Häufigkeit einiger Gruppen noch nicht alle Schichten vertreten. Für die Auswertung unseres Fragebogenmaterials haben wir aus diesem acht Berufsgruppen zusammengestellt mit den folgenden Benennungen (nur die kursiv gesetzten Gruppen sind in dieser Untersuchung berücksichtigt):
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Man sieht, daß Unterschicht und Eliten aus unserer Liste fortgelassen wurden. Beide sind nämlich in unserem Material vorläufig unterrepräsentiert. Dagegen erfolgte eine Aufteilung der Arbeiter- | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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schicht in zwei und der Dienstklasse in drei Gruppen. Letzteres hat seine Ursache darin, daß unsere Fragebogenaktion in der Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins erfolgte, wo wir es mit einer überdurchschnittlichen Konzentration von Verwaltungen aller Ebenen zu tun haben und im Zusammenhang damit besonders viele Angehörige der Dienstklasse antreffen. Zugleich möchten wir durch diese Untergliederung einen Hinweis fruchtbar machen, den Dahrendorf gibt, wenn er schreibt: ‘Das Gebäude der sozialen Schichtung hat mehr als die sieben somit beschriebenen Zimmer. Zumindest kennt jedes der Zimmer Ecken und Nischen, die für sich beschrieben werden können, weil sie eigene Mentalitätszüge haben’Ga naar voetnoot(39). Für diesen Beitrag wurden die Gruppen (1) ‘Arbeiter I’, (4) ‘Falscher Mittelstand’, (7) ‘Dienstklasse II’ und (8) Dienstklasse III’ ausgewählt. Wenn im folgenden von Schichten gesprochen wird, so sind diese Berufsgruppen gemeint. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
IVBevor nun die bisher ermittelten Werte aus unseren Fragebogen zur Darstellung kommen, soll kurz der Gesichtspunkt unserer Auswahl erläutert werden: es handelt sich um den der Tradition. Der Fragebogen ist so angelegt, daß die Gewährspersonen u.a. Auskunft darüber geben mußten, ob sie bei der Vergabe von Namen an ihre Kinder auf eine Tradition innerhalb der Familie (im weitesten Sinne) oder auf die Paten Rücksicht nahmen. Diese Frage wurde sehr oft bejaht. Da auch die Vornamen der Eltern - das sind in der Regel unsere Gewährspersonen - und Großeltern der benannten Kinder anzugeben war, besteht bei der Auswertung eine gewisse Möglichkeit zur Kontrolle. Der Vergleich der Namen der Kinder mit denen der Eltern und Großeltern ergab oft genug, daß Übereinstimmungen nicht selten auch dann vorlagen, wenn die Frage nach der Tradition nicht beantwortet oder gar verneint war. Daran ist zu erkennen, daß sich viele Eltern über den Begriff oder gar über die Tatsache der Tradition keine Rechenschaft abzulegen vermögen. Eine Frage nach den Vornamen der Taufpaten fehlt im Fragebogen, was sich bei der Auswertung als Negativum erweist. Allerdings dürfte es erfolgversprechender sein, diesen Komplex einmal gesondert | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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zu untersuchen und dabei die Hilfe der Volkskundler in Anspruch zu nehmen, als eine allgemeine Fragebogenaktion zur modernen Namengebung mit dem sehr vielschichtigen Patenschaftsproblem zu befrachten. Ohne dabei auf Einzelheiten der Befragung einzugehen, ist hier festzuhalten, daß die Tradition, d.h. eine Bindung an Gegebenheiten, die in der Vergangenheit liegen, auch heute noch in der Namengebung eine Rolle spielt. Bei näherem Hinsehen erweist sie sich prinzipiell als diejenige Erscheinung, welche der Namenforschung schon lange als Nachbenennung geläufig istGa naar voetnoot(40). Darunter verstehen wir die Vererbung des vollen Namens von einer älteren Generation auf die jüngere Generation, wie sie bei den Karolingern, aber auch sonst im Mittelalter ständig begegnet. Dies Prinzip war an die Stelle der Namenvariation getreten, die wir zusammen mit der Alliteration als das Kennzeichen für die Namengebung in germanischer Zeit betrachten dürfenGa naar voetnoot(41). War die Variation ein Akt der Namenschöpfung, so stellt die Nachbenennung einen Akt der Namenwahl aus einem vorgegebenen Bestand unter Einhaltung gewisser Regeln dar. Ursprünglich lag ihr wohl die Vorstellung zu Grunde, wonach der Ahn im Enkel wiedererstand, was zugleich bedeutete, daß nur die Namen Verstorbener für die Vergabe frei warenGa naar voetnoot(42). Diese Voraussetzung geriet aber schon bald in Vergessenheit. Im Mittelalter galt zumindest im westfälischen Münsterland folgendes SchemaGa naar voetnoot(43): | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Das ist im Grunde das Schema, welches schon seit langem von den Genealogen benutzt wird, wenn es darum geht, die in der Familienüberlieferung bestehenden Lücken mit Hilfe der sog. Leitnamen oder besser ErbnamenGa naar voetnoot(44) zu überbrücken. Natürlich haben wir es hier allenfalls mit einer Regel, nicht mit einem Gesetz zu tun. Es handelt sich um eine Volkssitte, die, wie gerade die volkskundliche Literatur zeigt, weit verbreitet istGa naar voetnoot(45), aber auch der Wandlung und Abänderung unterliegt. So konnte sich das obige Schema dadurch verändern, daß die Familie einer Frau angesehener war als die des Mannes. Wie steht es aber mit den zahllosen Beispielen, wonach der Name der Eltern bei den Kindern wiederkehrt, was nicht allein durch obige Regel Nr. 3 abgedeckt ist? Einmal wirkt sich diese Regel dahingehend aus, daß der Generationensprung verdeckt wird: Wenn der dritte Sohn einer Familie nach dem Vater Bernhard heißt und dieser seinen ersten Sohn folgerichtig dem Großvater nach Bernhard benennt, entsteht eben auch Gleichnamigkeit bei Vater und Sohn. Wenn schließlich für eine solche generationenlange Namengleichheit die Begründung in Vergessenheit geriet, konnte daraus der Brauch entstehen, grundsätzlich die Erstgeborenen nach den Eltern zu benennen. Grundsätzlich müssen bei unserem Material folgende Möglichkeiten der Nachbenennung in Betracht gezogen werdenGa naar voetnoot(46):
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VIm folgenden soll nun der bisher angesprochene Fragenkreis anhand des konkreten Datenmaterials näher erörtert werdenGa naar voetnoot(49). Von den insgesamt 7650 eingegangenen Fragebögen lassen sich 2165 den von uns ausgewählten sozialen Gruppen zuordnen. Im einzelnen entfallen davon - wie Tabelle I zeigt - auf Schicht (8) 768 Familien mit 1997 Kindern, Schicht (7) 706 Familien mit 1672 Kindern, Schicht (4) 86 Familien mit 185 Kindern und Schicht (1) 605 Familien mit 1559 Kindern. Somit liegt die durchschnittliche Kinderzahl pro Familie in der | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Arbeiter- und Akademikerschicht signifikant höher als in den übrigen mittleren Schichten. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
I. Übersicht über die Anzahl der Familien und Kinder:
Zur Beurteilung der hier angesprochenen Namengebungstradition ist es unumgänglich, sich die Zusammensetzung und Herkunft der befragten Bevölkerung zu vergegenwärtigen. Die heutige Bevölkerungsstruktur im Raum Kiel muß im wesentlichen als ein Produkt der durch den 2. Weltkrieg verursachten Flüchtlingsbewegungen und Umsiedlungen angesehen werden. Der Anteil der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge ist erstaunlich hoch: etwa jeder 4. Einwohner Kiels stammt aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten oder der DDR. Die größten Kontingente unter den Heimatvertriebenen stellen der Reihe nach Pommern (40%), Ostpreußen (35%), Schlesier (15%) und Brandenburger (10%). Dieses Bild entspricht im großen und ganzen den vom ‘Statistischen Landesamt Schleswig-Holstein’ in den Jahren 1950 und 1961 durchgeführten ErhebungenGa naar voetnoot(50). Das Schicksal dieser Gruppen hat offenbar ein besonders ausgeprägtes Familien- und Traditionsbewußtsein entstehen lassen, das sich gerade auch in der Namengebung niederschlägt. Relativ häufig wird an die Namen der Vorfahren angeknüpft oder an Namen, die auf irgendeine Weise die Bindung zur alten Heimat zum Ausdruck bringen. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Zur zeitlichen Zuordnung des Belegmaterials kann folgendes gesagt werden: Die Fragebogenaktion erfaßte in erster Linie die schulpflichtigen Kinder, also die Geburtsjahrgänge von 1958-1966, weiterhin die Real- und Gymnasialschüler der Geburtsjahrgänge 1954-1957. Da zusätzlich, bedingt durch die Anlage des Fragebogens, sämtliche Geschwister dieser Schulkinder mit registriert wurden, ergibt sich eine Ausweitung des Zeitraumes von 1937 bis 1972. Daraus folgt zwangsläufig eine Staffelung der Belegdichte, wie sie das Schaubild II veranschaulicht: | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
II. Verteilung der Kinder auf die Geburtsjahrgänge:Ingesamt entfallen also über 50% der Namenträger auf die schulpflichtigen Jahrgänge 1958-1966. Die abfallenden Prozentsätze der übrigen Jahrgänge erklären sich einfach dadurch, daß aufgrund des besonderen Befragungsmodus eben doch viele Personen, die noch nicht oder nicht mehr zur Schule gehen, von vornherein uberücksichtigt bleiben. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Wie schon angedeutet, beschränkt sich unsere Untersuchung auf den Fragenkomplex der Familientradition in der Namengebung. Es galt zu klären, ob die von uns postulierten sozialen Gruppen in diesem Punkt ein unterschiedliches Verhalten zeigen und wenn ja, worin diese Unterschiede im einzelnen bestehen. Zu diesem Zweck wurde das Material nach folgenden Gesichtspunkten ausgewertet:
Für die statistische Auswertung dieser Fragen haben wir unter den Nachbenennungen zunächst nicht unterschieden, welcher Name des Namenvorbildes welchem Namen des Kindes entspricht. Obwohl sich hier alle denkbaren Kombinationsmöglichkeiten nachweisen lassen, muß aufgrund des Materials doch davon ausgegangen werden, daß zumeist der Rufname des Namenvorbildes als Zweit- oder Drittname des Kindes erscheint.
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III. Anteil der Familien, Kinder und Jungen mit mindestens einer Nachbenennung:
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IV. Nachbenennuug nach Großvätern und sonstigen Verwandten (ausser Onkeln):
Traditionsstränge über drei und mehr Generationen hinweg sind also gerade in Schicht (8) und auch noch in (7) häufiger nachzuweisen als in Schicht (1). Demgegenüber bleiben die Namenbindungen in Schicht (1) eher auf die Kind-Eltern-Beziehung beschränkt.
Dieser schichtenspezifische Gegensatz läßt sich noch deutlicher anhand der konkreten Nachbenennungsformen demonstrieren. Von den vorliegenden zahlreichen Nachbenennungsformen kommen - ganz allgemein gesehen - nur einige wenige besonders häufig vor, nämlich die folgenden, von uns als partielle Nachbenennung klassifizierten Typen: | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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V. Häufige Nachbenennungsformen: | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Nach Ausweis des Materials sind die Typen 2 und 3 oder ähnliche Nachbenennungsformen kennzeichnend für die Schichten (7) und (8), während Typ 1 in der untersten Schicht vorherrscht. Die durch Typ 1 repräsentierte Namenbindung zwischen Kindern und Eltern kann natürlich ebenfalls auf das Verhältnis zwischen Eltern und Großeltern zutreffen. Tatsächlich läßt sich eine Wiederholung dieser Nachbenennungsform in zahlreichen Fällen am Material ablesen. Da jedoch durchweg der Rufname des jeweiligen Vaters nur zum Zweitnamen des Kindes wird und eine Weitertradierung nicht mehr stattfindet, ist in diesem Fall eine Kontinuität über drei Generationen hinweg ausgeschlossen.
Auch in den besonderen Fällen der Nachbenennung, wo die Rufnamen des Vaters und des Kindes identisch sind, ergeben sich schichtenspezifische Unterschiede. Diese direkteste Form der Nachbenennung, in der die Kontrastfunktion des Namens nicht realisiert wird, begegnet bezeichnenderweise weitaus häufiger bei den Jungen als bei den Mädchen (50:10) und ist auch unter Arbeitern wesentlich mehr verbreitet als in den oberen Schichten. Da wir anhand des Materials die Namengebung über mehrere Jahrzehnte hinweg beobachten können, lag es zudem nahe zu fragen, ob die hier angesprochenen Nachbenennungsgewohnheiten sich im Laufe der Zeit verändern. In der Tat ergibt eine nähere Überprüfung dieser Frage, daß etwa der Brauch, die Kinder nach ihren Vätern bzw. Großvätern zu benennen, seit den fünfziger Jahren beständig zurückgehtGa naar voetnoot(52). Dies gilt - wie Graphik VI zeigt - insgesamt für alle Schichten; allein die Gruppe der Akademiker scheint eher geneigt, am Herkommen und an überkommenen Namengebungsprinzipien festzuhalten. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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VI. Prozentsatz der Kinder mit Vater-, Großvater- Nachbenennung nach Jahrgängen:Zweifellos müssen alle bisher aufgewiesenen schichtenspezifischen Unterschiede wie auch der erwähnte Traditionsverlust im größeren Rahmen des sozialen Verhaltens gesellschaftlicher Gruppen gesehen und interpretiert werden. Denn gerade die Beobachtungen und Erkenntnisse der modernen Familiensoziologie und Sozialpsychologie bestätigen und erklären in vielfacher Hinsicht das aufgezeigte Bild. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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In Anbetracht der Tatsache, daß sich die Auswertung des Materials noch in einem sehr frühen Stadium befindet, können solche Zusammenhänge allerdings hier nur angedeutet werden. Man kann wohl davon ausgehen, daß sich in den verschiedenen Schichten aufgrund der unterschiedlichen sozioökonomischen Bedingungen das Verhältnis der Generationen zueinander jeweils anders entwickelt. In Unterschichtfamilien ist - wie die Sozialisationsforschung immer wieder festgestellt hat - die Eltern-Kind-Beziehung und damit der gesamte Erziehungsprozeß weniger sublimiert und reflektiert als in Oberschichtfamilien, vielmehr eher starr-autoritär, unflexibel und ganz allgemein der Persönlichkeitsentwicklung des Heranwachsenden wenig förderlichGa naar voetnoot(53). Im Gegensatz zur Unterschichtfamilie ist das bürgerliche ‘Elternhaus’ der Oberschicht in der Lage, dem Nachwuchs Besitz in vielfältiger Form - Besitz an Familienvermögen, an verwertbarem Wissen, an Bildungsprivilegien und sozialer Geltung - zur Verfügung stellen. Die selbstverständliche Tradierung solcher ‘Werte’ innerhalb der Familie scheint eine Disposition dafür zu schaffen, daß beim ‘Erben’ - - trotz des vorübergehenden Generationenkonflikts - ein Sinn für Kontinuität, das Gefühl einer gewissen Verpflichtung gegenüber der Familie entsteht. Demgegenüber sind die Bindungen zwischen den Generationen in der Unterschichtfamilie weniger ambitioniert, vielfach sicher auch weniger nachhaltig. Der vergleichsweise frühe Eintritt des Jugendlichen ins BerufslebenGa naar voetnoot(54), vor allem aber die Art und Bedingungen seiner Arbeit führen zu jenem vielberufenen Phänomen der Entfremdung, das nicht zuletzt auch eine Entfremdung von Herkunft und Herkommen miteinschließt. Mentalität und Emotio- | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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nalität des Unterschichtjugendlichen sind - nach seiner Heirat - nicht mehr von der Sozialform der Großfamilie bestimmt, sondern von der mehr oder weniger isolierten KleinfamilieGa naar voetnoot(55). Die Namengebungsgewohnheiten der einzelnen Schichten (z.B. der geringe Prozentsatz an Großelternnachbenennungen in der Unterschicht) sind letztlich nur der Reflex der für die jeweiligen Schichten charakteristischen Familienbeziehungen, die ihrerseits wieder aus den schichtenspezifischen Lebens- und Arbeitssituationen resultieren. Gerade die Namengebung zeigt, wie unsere Statistik ergab, daß die Isolierung und ‘Anonymisierung’ des einzelnen in der Gesellschaft immer weiter fortschreitet und am weitesten in der Unterschicht fortgeschritten ist. Damit bestätigt sich ein Zusammenhang, auf den schon Max Horkheimer hingewiesen hat: ‘In dieser Zeit der Massengesellschaft ist der Mensch einsam. Sein Name, der ihn einst mit einem bestimmten Ort, einer Vergangenheit und einer Bestimmung verknüpfte, ist zu einer Erkennungsmarke, einem bloßen Etikett geworden, seine Individualität zu einer Reihe von Eigenschaften und Fähigkeiten. Der Neutralität des Etiketts entspricht die Fungibilität des Etikettierten’Ga naar voetnoot(56). Abschließend bleibt noch darzulegen, wie die Namenbindungen zwischen den Familienangehörigen im einzelnen sprachlich realisiert werden. Dabei gilt das Interesse natürlich weniger dem Normalfall der unveränderten Übernahme als vielmehr den nuancenreichen Variations- und Spielformen der Nachbenennung. Derartige Modifizierungen sind vorwiegend phonisch-morphologischer Art, können allerdings auch auf die rein graphische Ebene beschränkt sein. So erscheinen etwa bei Namen wie Karl, Klaus, Kurt oder Gerd wiederholt die allographischen Varianten k oder c bzw. d oder t in kontrastiver Funktion. Die Namenbindung in phonisch-morphologisch abgewandelter Form begegnet vorwiegend in bestimmten Typen, von denen die wichtigsten im folgenden kurz vorgestellt werden: | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Obwohl diese und andere Abwandlungstypen durchaus auch schon in der älteren Generation begegnen, scheinen sie doch heutzutage häufiger aufzutreten, da sie offenbar dem Zeitgeschmack entgegenkommen. Eine besondere Spielart der Abwandlung liegt in den movierten Patronymika bzw. Metronymika vor. Hier weisen die Belege nach, daß Mädchennamen, die von Väternamen abgewandelt sind, wesentlich häufiger verwendet werden als vom Mutternamen abgewandelte Jungennamen. Auch in diesem Zusammenhang bestätigt sich somit die schon wiederholt aufgezeigte Ausrichting der Namentraditionen auf die männliche Linie. Zu berücksichtigen ist, daß derartige Movierungen natürlich vorzugsweise auf diejenigen Namen beschränkt bleiben, zu denen es maskuline bzw. feminine Entsprechungen gibt, z.B. Petra nach Peter (Nr. 4584, 7850, 3757, 6711 und andere), | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Ulrike nach Ulrich (Nr. 662, 4397 und andere) oder Friederike nach Friedrich (Nr. 6035, 2802) und Martina nach Martin (Nr 1408) bzw. Christian nach Christa und Christina (Nr. 4421, 4397, 6345 und andere). In einigen Fällen wird darüberhinaus die Beziehung zur väterlichen und zur mütterlichen Linie durch Namenkreuzungen zum Ausdruck gebracht: So bildet man beispielsweise aus Siegfried und Wilhelmine den Namen Helmfried (Nr. 6023) oder aus Gerhard und Hiltiburg den Namen Burghard (Nr. 3993). Derartige Variationsformen setzen ein bewußtes Sprachverhalten voraus, das am ehesten in privilegierten sozialen Schichten zu erwarten ist.
Kiel. Friedhelm Debus Joachim Hartig Hubertus Menke Günter Schmitz | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
DiskussionP. Hessmann: Sie haben sich in Ihren Fragebögen auch nach der Religion, nach der Konfession erkundigt. Meine Frage ist nun, ob Sie bei der Auswertung der Ergebnisse dieses Glaubensbekenntnis berücksichtigt haben? Es wurde z.B. erwähnt, dass es unter den Vertriebenen viele Schlesier gibt, die sehr traditionsbewusst sind, d.h. den Namen eines Verwandten, z.B. des Grossvaters, wählen. Kann das an der Religion liegen?
G. Schmitz: Die Schlesier stellen zwar einen erheblichen Prozentsatz der Flüchtlinge, doch ingesamt gesehen ist etwa nur jeder zehnte Flüchtling ein Schlesier, und unter den Schlesiern sind natürlich auch viele Protestanten. D.h., nur etwa jeder zwanzigste Flüchtling dürfte ein Katholik aus Schlesien sein. Und da es vorher im Untersuchungsgebiet kaum Katholiken gab, ist auch durch die Zuwanderung dieser katholischen Schlesier der Prozentsatz der Katholiken nicht wesentlich angestiegen. Er liegt heute bei etwa 5%. Soweit sich bis jetzt feststellen lässt - wir haben ja nur vier Schichten ausgewählt -, scheint der Unterschied der Konfession in der Namengebung keine besondere Rolle zu spielen. Es lässt sich nur beobachten, dass die Flüchtlinge ganz allgemein in ihrer Namengebung die Familientradition stärker betonen, um damit die Bindung an die Vergangenheit zum Ausdruck zu bringen. Der Gesichtspunkt der Konfession hat jedenfalls bei unserer vorläufigen Auswertung nichts ergeben. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Auswertung des gesamten Materials noch neue Ergebnisse bringt. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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P. Hessmann: Ich danke. Ich habe mich nur gefragt, ob ein Unterschied da wäre zwischen Katholiken und Protestanten.
H. Menke: Ein derartiger Auswertungsgesichtspunkt stellt sich deswegen nicht, weil man davon ausgehen kann, dass im Erhebungsgebiet vorherrschend Protestanten leben, die anteilsmässig etwa 90% der Gesamtbevölkerung abdecken. Zwar muss vorausgesetzt werden, dass sich dieser Prozentsatz anfangs der fünfziger Jahre durch Vertriebene katholischer Religionszugehörigkeit anders verteilte; in den Jahren um 1953 setzte jedoch eine Binnenwanderung ein: halbwegs ‘staatlich kanalisiert’ nahmen bestimmte Bundesländer nur Flüchtlinge auf, andere gaben ausschliesslich Vertriebene ab. Das Gros der in Schleswig-Holstein zunächst ansässigen Heimatvertriebenen ist im Zuge dieser Binnenwanderung nach Nordrhein und Westfalen gezogen, wo man am ehesten noch Arbeit fand.
F. Debus: Darf ich dazu noch eine Ergänzung machen? Die Frage der Konfessionszugehörigkeit spiegelt sich sicherlich in der Beantwortung bestimmter Fragen unmittelbar wider. Etwa ist in unserem Fragebogen danach gefragt, ob der Name nach einem Heiligen/nach der Bibel gegeben würde: da haben wir, wenn das überhaupt angekreuzt wurde, in der Regel nur Namen nach der Bibel. Also spielt das Heiligen-Motiv so gut wie gar keine Rolle, soweit wir das bisher überschauen - und es ist ja auch nicht zu erwarten gewesen. Es schliesst insofern an das an, was eben in der Diskussion von Dr. Meertens angesprochen bzw. auch von Ihnen in ihrem Vortrag erwähnt wurde, Herr Kok, dass nach Norden hin die Benennung nach Heiligen auch bei den Ortsnamen merklich abnimmt oder ganz aufhört. Das gleiche gilt für die Personennamen. Das ist in katholischen Gebieten anders. Eine der aufgeführten Seminararbeiten (vgl. Anm. 13) betrifft Altötting in Oberbayern, einen sehr konservativen Ort. Da zeigt sich das sehr deutlich. 1930 wurde der Altöttinger Kapuzinermönch Konrad selig - und 1934 heiliggesprochen. Sogleich stieg in den 30er Jahren die Vergabe des Namens Konrad sprunghaft an, driemal wurde sogar die movierte Form Konradine vergeben. Hier hat man also einen Fall, den man sozusagen in statu nascendi beobachten kann.
O. Leys: Ich möchte die Frage von Herrn Hessman einmal auf eine andere Weise stellen. Die Frage ist also meines Erachtens nicht so sehr: ob katholisch oder evangelisch, sondern: ob religiös eingestellt oder gar nicht religiös eingestellt. Das ist allerdings schwer zu messen wahrscheinlich. Ich stelle fest, dass in Ihrem Schema Nr. 6 der Prozentsatz der Nachbenennungen zurückläuft in letzter Zeit. Das mag vielleicht mit dem Rückgang, sagen wir mal des religiösen Gefühls, auch irgendwie zusammenhängen. Es ist möglich, | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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dass Leute mit einer starken religiösen Bindung auch eher zur Nachbenennung tendieren als andere Leute. Das weiss ich natürlich nicht. Ich möchte also nicht so sehr die Frage stellen: ob katholisch oder evangelisch, sondern vielmehr ob religiös eingestellt oder nicht. Und das ist schwer zu messen, das gebe ich zu.
J. Hartig: Schleswig-Holstein ist das Land, in dem der ‘Glaube der Nordmark’ formuliert worden ist. Das bedeutet, dass die nichtkirchliche Tradition sehr alt ist. Sie setzt im vorigen Jhdt. schon massiv ein, so dass wir von dieser Seite in Schleswig-Holstein für die Namengebung keine Stütze erwarten können. Das ist aber in anderen deutschen Landschaften wesentlich anders, und ich kenne durchaus Gebiete, wo genau dieser Punkt, den Sie ansprechen, nämlich das positiv-religiöse Bewusstsein, ganz egal ob katholisch oder evangelisch, sich in der Namenwahl niederschlägt. Aber das gilt, soweit wir sehen können, nicht für Schleswig-Holstein.
F. Debus: Der Grad der Religiosität lässt sich naturlich, wie Sie ja selbst sagten, schwer messen. Man kann ihn wohl kaum unmittelbar am Kirchenbesuch ablesen. Nach diesem Gradmesser wäre die Religiosität in Schleswig-Holstein ziemlich gleich Null, sie würde statistisch nicht ins Gewicht fallen.
O. Leys: Nehmen Sie die Relevanz an der Frage: ‘fühlen Sie sich irgendwie religiös gebunden oder nicht’.
F. Debus: Das ist schwer zu fassen. Wir haben uns darüber auch Gedanken gemacht bei der Formulierung des Fragebogens. Ueberhaupt haben wir sehr lange über Inhalt und Umfang des Bogens diskutiert. Man muss selbstverständlich sehr vorsichtig sein, auf irgendeinem Gebiete den Informanten zu nahe zu treten mit einer Frage. Aber generell gilt das, was Herr Hartig eben gesagt hat: verglichen mit andern Landschaften fällt das nicht ins Gewicht, so dass die Traditionsnamengebung sicher aus anderen Gründen zu erklären ist.
J.P. Ponten: Meine Frage versteht sich indirekt schon als eine Antwort. Ich möchte nämlich eine grundsätzliche Entkopplung beider Bereiche vorschlagen: Nachbenennung und Motivforschung. Selbstverständlich spielt eins mitunter ins andere. Darauf hat Herr Leys schon hingewiesen. Grundsätzlich aber ist eins nicht durch das andere bedingt.
F. Debus: Ja, das ist sehr interessant. Wir haben auf dem Fragebogen (S. 3 unter B) als erste Möglichkeit angegeben: ‘Es war Tradition in der Familie’. Zusätzlich haben wir aber auch (S. 2 unter A) nach einzelnen Traditions-Motiven gefragt. Es hat sich dabei heraus- | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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gestellt, dass manche Informanten entweder die eine oder die andere Möglichkeit als zutreffend angaben; das heisst, man wird daraus den Schluss ziehen müssen, dass die Frage nach der Tradition wohl falsch gestellt war. Viele Leute wissen praktisch nicht, was ‘Tradition’ ist. Es liegt also ein Kommunikationsproblem vor, das uns erst nachträglich als solches bewusst geworden ist. Zur Kopplung der Motive können wir im Augenblick noch wenig sagen, weil wir zunächst einen Parameter ausgewählt haben, um möglichst signifikante Unterschiede feststellen zu können. Was die einzelnen Motive betrifft, so gibt es deren sehr viele und aufschlussreiche, die jedoch statistisch kaum oder gar nicht ins Gewicht fallen. Das wird erst die endgültige Auswertung zeigen müssen, was wichtig ist. Die Wahl der Motive wird sicherlich für die einzelnen Regionen, also landschaftlich gesehen, Unterschiede ergeben, so dass man nur wünschen kann, dass entsprechende Untersuchungen künftig auch in anders strukturierten Gegenden zum Vergleich durchgeführt werden.
J. Goossens: Ich habe eine Frage zum Schichtenmodell. Es hat sich gezeigt, dass sich mit diesem Schema arbeiten lässt: die Ergebnisse sind nun einmal da. Aber damit ist nicht bewiesen, dass das Schichtenmodell, das Sie gewählt haben, das adäquateste ist. Es wäre denkbar, dass mit andern Modellen die Unterschiede erstens grösser wären, und zweitens, dass sie noch feiner abgestuft werden könnten. Vielleicht könnte mit einem Modell, das mehrere Elemente miteinander in Beziehung setzt, noch etwas mehr erreicht werden. W. Labov arbeitet in seinem Buch ‘The social stratification of English in New-York City’ mit einem Schichtenmodell mit 3 verschiedenen Komponenten, nämlich Ausbildung, Beruf und Einkommen. Durch Schichtengliederung jeder Komponente und durch Verbindung dieser Gliederungen bekommt er eine sehr feine Stratifikation. Die Frage wo die Querschnitte in dieser Skala gelegt werden mössen, löst W. Labov auf eine ganz andere Weise, nämlich ausgehend von der linguistischen Fragenstellung selbst, nicht deduktiv. Er geht nach, welche Zusammenlegungen von sozialen Gruppen die deutlichsten Kontraste und die feinsten Gliederungen bei den linguistischen Variabelen ergeben. Die Grenzen zwischen diesen Gruppen werden dann für soziolinguistisch relevant gehalten und bilden den Ausgangspunkt für die ganze stratifikatorische Untersuchung. Die Frage ist, ob ein ähnliches Verfahren bei Ihrem Material möglich ist. Sie können natürlich nicht mit einer so feinen Skala arbeiten, weil in Ihrem Schichtenmodell ausschliesslich von den Berufen ausgegangen ist, aber es ist denkbar, dass Sie, ausgehend von dieser Fragestellung, Ihre einzelnen Schichten anders gruppieren müssten und auf diese Weise eine feinere Differenzierung in der Gliederung des Materials bzw. stärkere Gegensätze bekämen.
J. Hartig: Wir haben uns sehr lange darüber unterhalten, ob wir eine Frage nach dem Einkommen der Befragten wagen dürften. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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J. Goossens: Das geht aber nicht in unserer westeuropäischen Gesellschaft!
J. Hartig: Ganz genau. Alle Praktiker mit Fragebögen haben uns dringend davon abgeraten, denn damit wäre die ganze Aktion von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Wir hätten die Fragebögen nicht wiederbekommen, bzw. die Frage wäre nicht beantwortet worden, das wäre dasselbe Resultat. In gewisser Weise sind die Komponenten des Sozialstatus im Modell mitverarbeitet. Wir haben uns doch fürs Dahrendorfsche Modell aus den dargelegten Gründen entschieden. Aber das schliesst nicht aus, dass wir unser Material nicht auch nach anderen Modellen sortieren können. Dieses ist eine Vorentscheidung, die wir gefällt haben und nach der wir uns erst einmal verhalten. Aber im Grossen und Ganzen ist das Material als solches neutral and lässt sich in gewissen Grenzen auch anders sortieren.
F. Debus: Vielleicht noch eine kleine Ergänzung! Wir haben uns auch überlegt: sollen wir nicht die verschiedenen Modelle der Soziologen ausser Betracht lassen und ein adäquates Modell selbst erarbeiten, d.h. vom gegebenen Material her eine Zuordnung vorzunehmen versuchen. Ausgehend von den Berufsangaben wären wir dann zu bestimmten Gruppierungen bzw. Schichtungen gekommen, nur bliebe auch dann die Frage: was sagen diese Schichtungen aus? Wir haben zunächst einmal versucht, von einem theoretischen Modell, wie es von der Sozialforschung angeboten wird, auszugehen und zu testen: ist dieses für unsere Fragestellung brauchbar? Das Ergebnis hat wohl gezeigt, dass dies zutrifft. Gewiss hätten wir die Schichtgrenzen anders gelegt, hätten wir andere Ergebnissen bekommen. Doch wir haben die Zuordnung der einzelnen Berufe tabellarisch wiedergegeben, um eine Nachprüfung zu ermöglichen. In dem erwähnten standardisierten Fragebogen waren weitere Fragen vorgesehen, um eine derartige Schichtenzuweisung besser zu fundieren, Fragen nach der Bildung des Informanten, seinem Schulbesuch, den Lesegewohnheiten, seiner Vorliebe für bestimmte Programme in Radio und Fernsehen usw. Das sind Dinge, die sich in der Namengebung unmittelbar niederschlagen können. Wir haben recht interessante Beispiele dafür in unserem Material gefunden. In Kiel z.B. beobachteten wir am Namen Nicole, dass dieser innerhalb weniger Jahre an die Spitze der beliebtesten Mädchennamen aufrückte. Dabei zeigte sich 1970 eine besonders hohe Zuwachsrate. Die Frage stellte sich natürlich: wie kommt das eigentlich, dass dieser Name plötzlich zu einem ‘Modenamen’ wird? Ein Student (s.o. Anm. 12) ist dieser Frage nachgegangen. Es ergab sich, dass 1969 die Fernsehserie ‘Ein Sommer mit Nicole’ lief und nach Auskunft der Fernsehanstalt die Einschaltquote dabei besonders hoch war (über 50% aller Geräte waren eingeschaltet). Man kann also vielleicht den Schluss ziehen, dass hier Verbindungen zur Namengebung gesehen werden können. Interessant | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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wäre natürlich, bei den Leuten selbst zu testen, ob das entscheidend war. Diese mündliche Befragungen kosten aber sehr viel Zeit; im Rahmen der uns gegebenen Möglichkeiten waren solche Enqueten kaum durchzuführen - wenigstens bisher nicht.
K. Roelandts (an G. Schmitz): Sie haben gesagt, dass der geringere Prozentsatz der Nachbenennung vielleicht zu erklären sei durch eine frühe Heirat und eine grössere Lösung aus der Familie. Wäre es nicht denkbar, das die niedrigeren Schichten empfänglicher sind für Modeströmungen usw. als die höheren Schichten?
G. Schmitz: Es ist aber so, dass wohl alle Schichten gleichermassen empfänglich sind für Namen, die gerade modisch sind. Die Rufnamen jedenfalls spiegeln immer den jeweiligen Zeitgeschmack wieder. Was wir untersucht haben, sind aber die Nachbenennungen ingesamt, und von diesen Nachbenennungen kommen die meisten eben im Zweit-, oder Drittnamen des Kindes vor. Und hier zeigen sich Unterschiede, stehen die unteren Schichten im Gegensatz zu den oberen Schichten, und zwar so, dass in der Oberschicht die Traditionsstränge über drei Generationen hinweg stark betont sind, während in der Unterschicht die Vater - Kind - Beziehung stärker betont ist.
K. Roelandts: Also der Unterschied gilt nicht dem Erstnamen?
G. Schmitz: Nein, nur für die Zweit- und Drittnamen. D.h., wir haben in der Unterschicht nur etwas häufiger als in der Oberschicht den Fall, dass eine Rufnamenidentität besteht, dass also der Rufname des Vaters zum Rufnamen des Kindes wird. Dieser Fall kommt häufiger in der Unterschicht als in der Oberschicht vor, wo man doch eher variiert, und wo man, wie die Sprachsoziologen nachgewiesen haben, auf individuelle Unterschiede besonderen Wert legt, während man in der Unterschicht eher die Konformität, Identität und Stabilität der Familie betont, was sich vielleicht in jenen Rufnamenidentitäten niederschlägt. Aber das Material ist im Grunde noch zu schmal, um weitreichende Folgerungen zu ziehen. |
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