Naamkunde. Jaargang 1
(1969)– [tijdschrift] Naamkunde– Auteursrechtelijk beschermd
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Zur Theorie der Struktur des Namens.Unter Namenforschung verstehen wir heute die Analyse und Darstellung der Namen als sprachliche Einheiten und als sprachliches Subsystem unter sprachlichen Gesichtspunkten. Am Beginn einer wissenschaftlichen Namenforschung jedoch, als deren Begründer der Rechtshistoriker Wilhelm Arnold angesehen wird, standen ausserlinguistische Fragestellungen im Vordergrund. Arnold sah die Ortsnamen, mit denen er sich beschäftigte, als Geschichtsquelle an und erklärte am Anfang seiner Untersuchungen ausdrücklich: ‘Nicht die linguistische, sondern die historische Seite ist für uns die Hauptsache, und wenn es auch darauf ankommt, erst die Namen verstehen zu lernen, so wollen wir uns damit nicht begnügen, sondern nun erst recht, die eigentliche Nutzanwendung machen’Ga naar voetnoot(1). So behandelt er die ‘Ortsnamen als Geschichtsquelle’,Ga naar voetnoot(2) und wir können nach seiner Meinung aus den Ortsnamen ‘... so bald es gelingt, sie zu sondern und wenn auch nur theilweise zu erklären, leicht die verschiedenen Völker ermitteln, welche nacheinander ein Land im Besitz gehabt haben, und für dasjenige, was sich bis auf die Gegenwart darin behauptet hat, meist auch die Art und Weise und den Umfang der ersten Ansiedelung bestimmen. Mit einem Wort, die Ortsnamen sind die wichtigste und zuverlässigste Quelle für die historische Geographie, weit zuverlässiger als die oft widersprechenden Berichte späterer Schriftsteller’Ga naar voetnoot(3). Obwohl Arnold bei seinem Versuch, mit Hilfe des sprachlichen Materials der Namen geschichtswissenschaftliche Ergebnisse zu erzielen, an der Fehleinschätzung des Materials und an falschen Methoden gescheitert war, blieb die von ihm eingeschlagene Richtung einer nichtlinguistischen Namenforschung für die Folgezeit bestimmend und prägte die Arbeiten, die sich mit Namen beschäftigten. Deutlich zeigt es zich z.B. bei Adolf Bach, der versuchte ‘mit Hilfe der Ortsnamen die Besiedlungsgeschichte des Taunusgebiets aufzuhellen’Ga naar voetnoot(4). Geför- | |
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dert wurde diese Verwendung der Namen für ausserlinguistische Zwecke, die den sprachlichen Charakter der Namen in den Hintergrund treten liess, durch eine Besonderheit der Namentradierung, d.h. die Möglichkeit, dass Namen durch die Objektbindung in ältere Sprachepochen und unter Umständen sogar über den Beginn einer schriftlichen Tradition in vorliterarische Sprachzustände zurückreichen und diese repräsentieren können. Adolf Bach hatte zwar später in der Deutschen Namenkunde gefordert ‘die Namen als sprachliche Gebilde’Ga naar voetnoot(5) zu behandeln, es blieb jedoch ein Programm, das an dem Unternehmen der ‘Sichtung des umfangreichen Schrifttums’Ga naar voetnoot(6) weitgehend scheiterte. Erst seit etwa einem Jahrzehnt beginnt man, abgesehen von den sprachhistorischen und etymologischen Arbeiten zur alteuropäischen Hydronymie von Hans KraheGa naar voetnoot(7), die Namen als sprachliche Gebilde mit linguistischen Methoden zu untersuchen und eine linguistische Theorie der Namen zu erarbeitenGa naar voetnoot(8). Unter Zurückweisung der Verwendung der Namen für aussersprachliche Zwecke betrachtete man die Namen als sprachliche Gebilde, die einen linguistischen Eigenwert haben und vor allem etwas über die Sprache, der sie zugehören, den Sprachgebrauch und innersprachliche Vorgänge aussagen. Sie kommen zwar aus der lebenden Sprache, werden von ihr beeinflusst und unterliegen den sprachlichen Regeln, sie unterscheiden sich jedoch durch mehrere Besonderheiten, vor allem durch die Bindung an ein benanntes Objekt. Die Bindung des Wortes an ein Objekt zum Zweck der Benennung bewirkt, dass das Wort die ursprüngliche ‘Bedeutung’ verliert und als Name ein Eigenleben führt, d.h. vom appellativen Wortschatz isoliert wird. Aus einem nomen appellativum wird bei der Namengebung ein nomen proprium. | |
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Die Objektbindung bewirkt ferner, dass der aus dem appellativen Wortschatz ausgeschiedene Name eine von der sprachlichen Entwicklung abweichende Entwicklung zeigen kann. Einzelne Namen, besonders Siedlungsnamen und geographische Namen, können sogar, wie bereits erwähnt wurde, durch die Objektbindung über den Beginn einer schriftlichen Tradition in vorliterarische Sprachzustände zurückreichen, sich als Quelle für diese Sprachzustände erweisen und somit zur Erweiterung des für die sprachhistorische Forschung verfügbaren Corpus beitragen, falls sie nicht überhaupt den wichtigsten Inhalt des verfügbaren Corpus darstellenGa naar voetnoot(9). Diese theoretischen Einsichten postulierten zwar den sprachlichen Charakter der Namen und hatten die theoretische Rekonstituierung der Namenforschung als linguistischer Disziplin zur Folge, es fehlte jedoch die Einordnung der Namen in das Sprachsystem, die Bestimmung der Funktion der Namen und, damit verbunden, die Bestimmung der Namenforschung innerhalb der Linguistik. Untersucht man die Namen als sprachliche Zeichen und vergleicht man sie mit den nomina appellativa, so zeigt sich, dass im distinktiven Bereich kein Unterschied zum nomen appellativum besteht, jedoch im signifikativen BereichGa naar voetnoot(10). Das SignifikatGa naar voetnoot(11) eines nomen proprium ist auf das bezeichnete Objekt beschränkt und umfasst nur dieses Objekt. Die Differenzierung der nomina appellativa und nomina propria beruht auf der dem Namen eigentümlichen spezifikativen Funktion - die auf den Namen bezogene kommunikative FunktionGa naar voetnoot(12) sprachlicher Zeichen - d.h. die Abgrenzung oder Heraushebung eines Objektes oder einer Gruppe aus der Masse der übrigen. Um die spezifikative Funktion zu erfüllen, | |
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gibt das nomen appellativum - die Namen gehen in der Regel aus dem appellativen Wortschatz hervor - im Benennungsprozess seine lexikalische Bedeutung einschliesslich der historischen Bedeutung (die sogenannte etymologische Bedeutung) zugunsten der neuen Namenbedeutung auf, die im Inhalt des benannten Objektes besteht (falls schon vorhandene Namen im Benennungsprozess verwendet werden, geben diese die bisherige Namenbedeutung zugunsten der neuen Namenbedeutung auf), und wird somit zum nomen proprium. Dabei ist es jedoch nicht ausgeschlossen, dass die lexikalische Bedeutung nicht unter bestimmten Umständen im Kommunikationsprozess vollständig oder teilweise reaktiviert oder aus einem nomen proprium ein neues nomen appellativum werden könnte. Die spezifikative Funktion des Namens, die im Vergleich zum appellativen Wortschatz eine Veränderung des Signifikats bewirkt beeinflusst auch die Stellung der Namenforschung innerhalb der Linguistik. Als sprachliche Zeichen mit einem Signifikanten, der den Namen lautlich manifestiert, und einem Signifikat sind die Namen lexikalische Einheiten und gehören als solche zur Lexikologie. Die Beschränkung des Signifikats auf das bezeichnete Objekt, um das betreffende Objekt hervorzuheben oder abzugrenzen, führt zur Abgrenzung der Namen innerhalb der lexikalischen Einheiten und konstituiert die Namenforschung als Spezialdisziplin der LexikologieGa naar voetnoot(13).
Marburg/Lahn. Erhard Barth. |
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