Naamkunde. Jaargang 1
(1969)– [tijdschrift] Naamkunde– Auteursrechtelijk beschermd
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Niederländer an der Mittleren Elbe und in Brandenburg.Ga naar voetnoot(*)Der Pfarrer Helmold von Bosau am Plöner See, ein Zeitgenosse Kaiser Barbarossas und Heinrichs des Löwen, berichtet in seiner Slawenchronik aus eigener Kenntnis und eigenem Miterleben über die Anfänge der deutschen Besiedlung des zwischen Kiel und Lübeck gelegenen Landes Wagrien. Neben Holsten, Westfalen, Sachsen, Friesen waren an ihr auch Holländer beteiligt. Helmold ist der einzige der zeitgenössischen Geschichtsschreiber, der in einiger Ausführlichkeit auch von dem Siedlungsgeschehen an der mittleren Elbe erzählt. Markgraf Albrecht der Bär hatte, nachdem die an und östlich von Elbe und Havel wohnenden slawischen Stämme unterworfen waren, ‘nach Utrecht und den Rheingegenden geschickt, ferner zu denen, die am Ozean wohnen und unter der Gewalt des Meeres zu leiden hatten, ad Hollandros, Selandros, Flandros’, hatte von dort ‘viel Volk’ herbeigeholt und es ‘in den Burgen und Dörfern der Slawen’ angesiedelt. Die Bemühungen des Markgrafen hatten grossen Erfolg: ‘Durch die eintreffenden Zuwanderer wurden auch die Bistümer Brandenburg und Havelberg sehr gekräftigt, denn die Kirchen mehrten sich, und der Zehnt wuchs zu ungeheurem Ertrage an’. Gleichzeitig begannen Holländer auch südlich der Elbe das ganze Sumpf- und Ackerland in den Elbniederungen südostwärts von der Burg Salzwedel an zu besetzen. Albrecht der Bär hatte die Holländer- | |
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siedlungen im Stedingerland bei Bremen kennengelernt, ihr Gedeihen hatte ihn offenbar angeregt, gleiche Versuche zu machen. Sein Nachbar,
Abb. 1. Übersichtsskizze
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der neue Erzbischof von Magdeburg, Wichmann, war als Bischof von Naumburg schon mit Holländern, die im Gebiet von Unstrut und Saale von seinem Vorgänger angesiedelt waren, in Berührung gekommen: 1152 hatte er ihnen - cuidam populo de terra, que Hollanth nominatur - ihre Rechte bestätigt. Diese Hollandini, qui et Flamingi nuncupatur, hatten zur Unterhaltung des Daches der Domkirche in Naumburg beizutragen. Er muss mit ihnen so gute Erfahrungen gemacht haben, dass er von Magdeburg aus Landsleute von ihnen in grossem Umfang für sein Siedlungswerk heranzog. An der mittleren Elbe sind uns einige Urkunden erhalten, in denen die Überlassung von Dörfern an Niederländer verbrieft und ihre verliehenen und vereinbarten Rechte und Pflichten festgelegt sind. Wir kennen z.B. ziemlich genau die Neubesetzung des Dorfes Wusterwitz, das der Erzbischof 1159 dem Lokator Heinrich und anderen Flamen (Flamingis), die durch ihn und mit ihm kamen, übergeben hatte; die beiden vorher von Slawen bewohnt gewesenen kleinen Dörfer Nauzedele und Nimiz östlich von Dessau und der unteren Mulde waren 1159 Flamingern auf ihre Bitten hin (Flamingis petentibus) verkauft worden; eine erzbischöfliche Urkunde nennt 1174 in Jüterbog eine Brücke der Flaminger (pons Flamingorum). Neben den Flamen ist in solchen Urkunden wieder von Holländern die Rede: 1170 schenkte der Markgraf von Brandenburg dem Bischof und dem Domkapitel von Havelberg Einkünfte, die er von den Holländern am Elbufer erhielt (de reditibus quoque nostris, quos nobis Hollandigene super ripam Albis positi rite persolvunt ...); mehrfach werden nach holländischem Mass vermessene Hufen erwähnt. Einmal lernen wir sogar die Heimatorte, aus denen die Siedler stammten, kennen: 1179 überliess der Erzbischof Wichmann den Kaufleuten in Burg bei Magdeburg 20 Budenplätze auf der Messe in Magdeburg; unter den Zeugen der Urkunde erscheinen als cives de Borch neben einem Wilhelmus Flamiger ein Giselbrecht de Thiest, aus Diest in der heute belgischen Provinz Brabant, ein Reinerus de Brosle, von Brüssel, und ein Lambrecht de Louene, aus Löwen, vielleicht stammte Heinricus de Hus aus Housse bei Lüttich. Hier werden auch Brabanter greifbar. Die Zeugenreihe zeigt obendrein auch wieder, dass es nicht nur Bauern waren, die sich an der Elbe eine neue Heimat suchten. Die Niederländer erhielten bestimmte Freiheiten, und sie behielten ausdrücklich ihr mitgebrachtes flämisches oder holländisches Recht, das sich, besonders im Familienerbrecht mit dem sog. Halbteilungsrecht beim Tode des einen Ehegatten, wesentlich von dem an der Elbe geltenden sächsischen Landrecht | |
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unterschied. In einem Fall ist dieses mitgebrachte niederländische Recht am Ende des 13. Jahrhunderts auch kodifiziert und als Burger Landrecht erhalten. Auswanderer pflegen gern Namen ihrer alten Heimat als ein Stück dieser Heimat in die Fremde mitzunehmen. Das können Namen ihrer eigenen Orte sein, aber auch Namen aus ihrer weiteren Heimat, die für sie gleichsam einen symbolischen Wert haben. Bis heute gibt es an der mittleren Elbe und im Brandenburgischen eine ganze Reihe von Ortsnamen, die aus den geläufigen Namentypen der dortigen Gegend herausfallen. Sie sind im Osten nicht neu gebildet worden, sondern fertig aus dem Westen mitgebracht. Da findet sich z.B. an der Elbe Aken, der Name der alten Kaiserstadt Aachen in unverschobener Form, wie Sie ihn heute noch gebrauchen, während ihn die Deutschen verschoben haben. Bei Berlin kehrt das rheinische CölnAbb. 2. Übertragene Ortsnamen (nach M. Bathe)
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wieder. Die verschiedenen Lichterfelde in der Altmark, im Fläming, bei Berlin und anderwärts gehen unmittelbar oder mittelbar auf das westflämische Lichtervelde zurück. In der Almarkt gibt es ein Häsewig, mit alten Formen als Hesewich, Hesewick überliefert, es entspricht dem nordbrabantischen Heeswijk (1156 Hesewich). Ein wüst gewordenes Kamerick bei Werben in der Altmark erinnert an das utrechtsche Kamerijk oder an Cambrai; Kemberg südlich von Wittenberg gehört mit seiner früheren Form Kemerik deutlich in denselben Zusammenhang. Galm (um 1286 Galme) wird zum brabantischen Gelmen (966 Galmina) gestellt, der Name der Wüstung Cal(i)lo bei Möckern zu Kalloo an der unteren Schelde. Das alte Ryswik, heute Riesigk, bei Wörlitz kommt von Rijswijk (Riswich 866) her. Gentha über Jessen lässt vielleicht an Gent denken, Leest im Havelland sicher an Leest bei Mecheln, ein wüstes Muntenaken in der altmärkischen Wische an Montenaken, Krüden mit der alten Form Kruysen an Kruisen (Kalken, bei Gent), Thiessen an Diessen in Nordbrabant, Vehlen (Velem) an Velm in Limburg, Schora an Schoore (Scora) in Flandern oder in Limburg, Euper nördlich Wittenberg (mundartlich īpär, eipär) an Ieper in Flandern. Die auf Abb. 2 angeführten wenigen Namen machen nur einen Bruchteil der von Max Bathe zusammengestellten übertragenen Ortsnamen aus. Die Dichte auf seiner Karte muss durchforstet werden, eine ganze Reihe sind unsicher oder gehören nicht in diesen Zusammenhang. Was bleiben wird, ist immer noch eindrucksvoll. Die geographische Verbreitung dieser Namen ist bezeichnend: sie liegen am Westufer der Elbe, östlich der unteren Mulde und östlich der mittleren Elbe; das sind jene Striche, in denen urkundlich holländische und flämische Siedlungen nachweisbar sind und die Helmold von Holländern, Seeländern und Flandrern besiedelt sein lässt. Soweit es sich um ostelbische Gebiete in Elbnähe handelt, tragen sie noch in der Neuzeit sehr charakteristische Namen: flämische Seite des Magdeburger Erzstifts, der dürre Fläming, der hohe und niedere Fläming; bis heute hat sich die Bezeichnung Fläming für einen landschaftlich schönen Höhenrücken östlich der mittleren Elbe gehalten. Wenn eine ganze Gegend als Fläming bezeichnet wird, so muss sie von Flamen das Gepräge erhalten haben. Anders ist es, wenn weiter südlich, in der Gegend von Halle und noch südlicher, einzelne Orte Flemmingen, Flemmingsthal u.ä. heissen. Dort müssen diese ebenfalls nach Flamen benannten Ortschaften Ausnahmen in einer nicht als flämisch zu charakterisierenden Siedlungslandschaft gewesen sein; es kann sich hier nur um flämische Streusiedlung gehandelt haben. Die übertragenen | |
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Ortsnamen zeigen ebenfalls, dass auch andere als die von Helmold genannten meernahen niederländischen Gegenden Siedler geschickt haben. Die Niederländer haben ihre Sprache in die neue Heimat mitgenommen und dort an ihr festgehalten. Ihr Wortschatz hat sich zu einem erheblichen Teil durch acht Jahrhunderte bis in die Gegenwart hindurchgerettet. Der Mundartforschung ist es gelungen, aus der Sprache die relative Stärke und den Umfang der niederländischen Siedlung zu erkennen und damit die Glaubwürdigkeit der von den Historikern oft angezweifelten Nachrichten Helmolds von Bosau zu sichern. Im einzelnen war das eine harte, sich über Jahrzehnte hinziehende, vor allem von Hermann Teuchert geförderte, auch heute noch nicht abgeschlossene philologische Arbeit. Wort für Wort musste in Einzeluntersuchungen der niederländische Charakter der Bezeichnungen nachgewiesen werden. Einfache Übereinstimmungen zwischen dem Niederländischen und den mittelelbischen und brandenburgischen Mundarten waren nicht ohne weiteres beweisend. Wenn z.B. ein mittelniederländisches lake in der Bedeutung ‘poel, Sumpf, Tümpel’ in gleichem Sinn und gleicher Form an der Elbe und in der Mark Brandenburg wiederkehrt, so könnte es hier nur dann als niederländisches Siedlerwort gelten, wenn es nicht auch von Siedlern anderer Stämme herrühren kann. In Frage kämen vor allem Sachsen, von denen noch zu reden sein wird. Lake dürfte weder in der Neuzeit, noch im Mittelalter in sächsischen Mundartgebieten zwischen Elbe und Rhein nachweisbar sein. Das ist es nun aber, schon seit dem 12. Jahrhundert zumindest in ostfälischen Gebieten zwischen Harz und Elbe. Natürlich können und werden auch Niederländer dieses Wort in den Osten mitgenommen haben, aber es braucht eben nicht ausschliesslich auf sie zurückzugehen. In solchen Fällen erkennt die Forschung einem mittelelbischen oder brandenburgischen Wort die niederländische Herkunft nicht zu. Anders liegt es beispielsweise bei Pütte in der Bedeutung von Brunnen. Vom Niederländischen her reicht und reichte das aus dem lat. puteus kommende Pütt(e) nur bis ins Westfälische hinein. Im östlichen Westfälischen, im Nordniedersächsischen und Ostfälischen heisst der Brunnen in Mittelalter und Neuzeit Sōt, Borm, Born. Wenn die erst seit dem 12. Jahrhundert deutsch gewordenen Gebiete an und jenseits der Elbe Pütt(e), Pütten und die Zusammensetzung Püttborm haben, so können diese dort nicht aus den sächsischen Gegenden des Altlandes stammen, Siedler westlicher Herkunft, niederländischer oder westfälischer, müssen sie mitgebracht | |
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haben. Da Westfalen nur in geringem Umfang an der Siedlung beteiligt waren, wird man Pütte(n) in erster Linie den Niederländern zuschreiben. Solche an der mittleren Elbe in heutiger Mundart und vereinzelt auch in mittelalterlicher Überlieferung nachgewiesenen niederländischen Siedlerwörter stellen für die niederländische Forschung oft die ältesten Belege für die betreffenden niederländischen Wörter dar. Diese niederländischen Wörter haben an und östlich der Elbe in den Jahrhunderten natürlich nicht immer ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet bewahrt: oft ist es zusammengeschrumpft, manchmal hat es sich aber auch erweitert, nicht selten haben sich nur einzelne Reste erhalten, und zuweilen ist überhaupt nichts von ihnen übriggeblieben, sie sind untergegangen und nur in der historischen Überlieferung fassbar. Auf der anderen Seite hat sich auch bei Ihnen im Niederländischen nicht alles am Leben erhalten, manches ist nicht gemeinsprachlich geworden, und vielerlei aus dem bäuerlichen Bereich wird nicht mehr jedem von Ihnen geläufig sein. Helmold von Bosau berichtet, dass der Markgraf den Niederländern terram palustrem adque campestrem, Sumpf- und Ackerland, angewiesen habe, und der Erzbischof von Magdeburg hat in den Urkunden gefordert, dass sie das ihnen mit den übereigneten Dörfern überlassene Acker- und Wildland, die Wiesen, Wälder, Gewässer und Wasserläufe bearbeiten, roden, entwässern, kultivieren sollten. Man musste sich vor dem Wasser zu schützen wissen und etwas von Entwässerung verstehen, wenn man Sumpfgebiete in Ackerland umwandeln und Kulturland der Kultur erhalten wollte. Wir hören, dass die Neuankommenden an der Elbe von allerlei Dienstleistungen befreit, aber ausdrücklich zum Wasserschutz und zum Deichbau verpflichtet wurden. Es ist kein Zufall, dass das erste niederlündische Wort, das uns an der Elbe überliefert wird, dīk ‘Deich’ ist. Die Sachsen hatten an der Elbe auch schon Schutzbauten gegen Hochwasser angelegt, sie hatten sie ausschliesslich dam genannt. Die Niederländer hatten offenbar eine bessere Art, und ihr für den agger terre gebrauchtes Wort dīk wird schon im dritten Viertel des 12. Jahrhunderts auf dem rechten Elbufer in einer Urkunde über Urbarmachung eines Waldes festgehalten. Nördlich der Saalemündung ist es auch in der Mundart bis auf den heutigen Tag bewahrt. Das gesamte Deichwesen ist in der Altmark und im ostelbischen Magdeburgischen sprachlich von den Niederländern bestimmt worden. Die Schār-, Kade-, Üterdike sind nachweislich niederländischer Herkunft, ich zweifle auch nicht, dass | |
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die überlieferten Sater- und Kasserdike hierher gehören, obgleich die westlichen Parallelen noch nicht aufgefunden sind. Was man später zu Deichschloss verhochdeutschte, ist ein niederländisches dijksloot, ein Graben zur Ableitung des Drängwassers, dessen niederländische Bezeichnung Qualmwater ebenfalls bis in die Gegenwart bewahrt ist. In bestimmten Gegenden hiess ein Aufsichtsbeamter für das Deichwesen wie in den Niederlanden dīkmēster; in der Altmark hatte man die niederländischen heemrader beibehalten, hatte sie aber über heimrīder volksetymologisch zu Heimreitern gemacht. Deichgrafen scheint es an der Elbe nicht gegeben zu haben. Im appellativischen Wortschatz und in den Flurnamen finden sich zahlreiche Ausdrücke niederländischer Herkunft für Sumpf, Tümpel, Wasserloch. Mit verschiedenem Vokal erscheint Wāl, Wēl, Wīl, das zumindest noch im vorigen Jahrhundert im Sinne von ‘Deichbruch’ auch ausserhalb der Namen gebraucht worden ist. Das mnl. conkel ‘Strudel’ begegnet in mittelalterlichen
Abb. 3. Der Flurnam Fenn an der mittleren Elbe (nach M. Bathe)
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Akten. Das aus Brabant und Antwerpen bekannte mortel findet sich in Flurnamen als Mörtel zur Bezeichnung von Teichen und sumpfigen Wiesen. Ziemlich häufig ist der Flurname Fenn und - in der Altmark mit langem Vokal - Fähn (Abb. 3). Bēke ‘Bach’ hat aus dem Westen das weibliche Geschlecht mitgebracht. Solche niederländischen Reste vermitteln ein Bild vom Charakter des Landes, in das die Niederländer vor 800 Jahren eingezogen sind. Es galt, das überschüssige Wasser abzuleiten. Bis heute erinnern die vielen (oft verhochdeutschten) Wäteringen, Wässerungen der altmärkischen
Abb. 4. ‘Entwässerungsgraben’ an der mittleren Elbe
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Wische an die weteringen, die die Niederländer ausheben mussten, um es in die natürlichen Wasserläufe abzuführen. Die schmalen Rinnen, die in den einzelnen Ackerstücken zum Trockenlegen aufgegraben werden, heissen noch immer Grippen; sie bewahren das mnl. grippe, greppe, auch die niederländische Verkleinerungsform Grippel kommt vor. Ein zweiter niederländischer Ausdruck für diese kleinen Entwässerungsgräben hat sich Magdeburg gegenüber erhalten, hier heissen sie Waterlatt (Abb. 4), was einem mnl. waterlaet entspricht. Wenn an der mittleren Elbe und in Brandenburg ehemalige Sumpfgebiete in fruchtbaren Kulturboden verwandelt sind, dann berichten heute noch ihre ursprünglich niederländischen Wasser- und Deichwörter
Abb. 5. ‘Die Erle’ (nach H. Teuchert)
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von der grossartigen Leistung der Niederländer, von der im allgemeinen wenig gesprochen wird. Auch in der Tier- und Pflanzenwelt ist der Wortschatz noch stark niederländisch bestimmt. Der für Wasser- und Sumpflandschaften charakteristische Baum ist die Erle. An der mittleren Elbe und im Brandenburgischen wird sie nicht mit dem Wort der Ostfalen Eller, Eler benannt, sondern mit dem der Niederländer: Else (Abb. 5). Mit mittelalterlichen Belegen kann die gegenwärtige Westgrenze des Wortes für eine frühere Zeit gesichert werden. In der Altmark gibtAbb. 6. ‘Johannisbeere’ an der mittleren Elbe
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es heute noch Äpen, auf der östlichen Elbseite und an der unteren Mulde sind Epen und die Flurnamen Epstücke und Ependen in alter und neuer Zeit nachweisbar. Das entsprechende niederländische Wort für die Rüster ist iep, die Kempen bewahren noch die Form eep. Es gibt, wenn auch in der Hauptsache nur noch in Flurnamen, Poppeljahnen oder Pappeljohnen, die mnl. popelioen ‘Pappel’ fortsetzen. Im Walde wachsen Kon'n ‘Wildbirnen’, die sprachlich auf ein mnl. code ‘Quitte’ zurückgehen. Die Weiden halten mit Warf, Werfel die alte mnl. Bezeichnung werf ‘wilg, Weide’ und ihr Diminutivum fest. Gegenüber dem deutschen Beere hat das Niederländische in bes eine
Abb. 7. ‘Steckling von Blumen’ an der mittleren Elbe
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s-Form; sie erscheint in der Altmark und im Brandenburgischen resthaft z.B. in Johansbese, -bessel, -besinge (Abb. 6) oder auch in Bäsinge ‘Heidelbeere’ usw. Mit Aolbes wird in der Altmark vereinzelt die schwarze Johannisbeere benannt, auf der anderen Elbseite heisst sie hie und da noch Aolbeere. Die Altmarkt hält mit Ot, Ut für den Windhafer eine rheinisch-niederländische Bezeichnung fest (ate, ote). Die Päden, das vielwurzelige Ackerunkraut Quecke, sind von den Niederländern benannt, sie bewahren mnl. pee ‘Wurzel’. Manchmal sagt man noch zu den See- und Teichrosen Plumpen, was dem nl. plomp entspricht. In die niederländisch beeinflusste Gartenwirtschaft führt das Substantiv Enke für den Ableger von Blumen (Abb. 7), das zu nl. ente gehört, das seinerseits von dem aus dem lat. imputare entlehnten enten
Abb. 8. Dase ‘Gr. Pferdebremse’ an der mittleren Elbe und in Brandenburg (nach. H. Teuchert)
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‘propfen’ abgeleitet ist. Dieses enten mit der auch im Brabantisch-Antwerpenschen bekannten Gutturalisierung zu enken begegnet u.a. auch im nördlichen Brandenburgischen. Verhältnismässig zahlreich sind die niederländisch gesprägten Bezeichnungen für Geflügel und Kleingetier. Wie im Mittelniederländischen heisst auf dem Fläming die männliche Gans Jent. Für die männliche Ente haben sich im Osten gleich zwei niederländische Bezeichnungen erhalten: Erpel und Wennerik. Das vereinzelt noch gebrauchte Krekel für Grille ist ein ursprünglich niederländisches Wort. Das von Westflandern bis Limburg bekannte, die grosse Pferdefliege, -bremse bezeichnende daas sitzt noch fest in den mittelelbischen und brandenburgischen Mundarten als Dåse und Dåseke. Wie im Antwerpenschen kennt man in der Altmark auch die Zusammensetzung Blinddåseke (Abb. 8). Dem in Brabant und auch sonst vorkommenden artits, artise für die Eidechse steht das mittelelbische Ertisse, Ärtüsse, Atisse, Erzisse u.ä. an der Seite. Wie die Südniederländer bezeichnen die Altmärker und Brandenburger den Maulwurf mit Moll. Das mnl. pier ist mit nach Osten genommen und lebt dort als Pīr und in mancherlei Zusammensetzungen wie Pīrmade, Pīrworm, Pīrlauke, Parlauke als Bezeichnungen für den Regenwurm weiter. Der zweite Kompositionsteil des ostdeutschen Pissmire entspricht dem nl. mier ‘Ameise’. Die südbrabantische Mundartform kuter für den Kater findet sich auch an der mittleren Elbe und an der unteren Mulde. Das sind wieder nur ein paar Beispiele aus einem weit grösseren Bestand. Im Bereich des Bauernhauses und des bäuerlichen Alltags haben sich nicht wenige niederländische Ausdrücke am Leben erhalten. Der Raum des Hauses, der bei den Ostfalen Däle hiess, trägt in der Altmark und östlich der Elbe die niederländische Bezeichnung Flūr. Dem mnl. derschvloer entspricht im Zerbstischen und östlich der unteren Mulde der Schüneflūr ‘Tenne’. Das Brett, das am Ausgang der Tenne beim Dreschen das Hinausspringen der Körner verhindern sollte, hiess östlich der Elbe im Jerichowschen und Brandenburgischen Dörpel, es war der dorpel ‘Türschwelle’ der Niederländer. Die Raufe im Stall haben die Sachsen Hilde, Hille genannt; die Niederländer brachten aus der Provinz Antwerpen, aus Brabant und Limburg Benne, ein ursprünglich gallisches Wort, mit, das sich bis in die Gegenwart in der östlichen Altmark und in dem sich anschliessenden Brandenburgischen bis weit nach Osten hin erhalten hat. Der Scheunenraum neben der Tenne, in dem die Getreidegarben gestapelt werden, ist in der Altmark und östlich der mittleren Elbe der oder die Tass, wie noch | |
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gegenwärtig in Limburg, Brabant, Antwerpen, Südholland und Seeland. Das für das Aufschichten der Garben gebrauchte Verbum ist hier wie dort tassen. Ein Pfosten oder Ständer, an dem das Tor befestigt ist, ist östlich der mittleren Elbe ein Stīl, auch eine Brunnensäule hat im Mittelalter so geheissen, es entspricht einem aus lat. stelum entlehntem mnl. stijl. (Mess-) börri, -börre, -börje und - ohne Umlaut - Borje ‘Tragbahre (für den Mist)’ stellt sich nl. berrie zur Seite. Das mittelelbische und brandenburgische (Köken-)Spind hat mnl. spende ‘voorraadkamer’ zur Voraussetzung. Ein Rīchel in der Küche, in das man Teller stellte oder an dem man allerlei Geräte aufhängen konnte, stimmt mit nl. richel überein. Das mnl. splanter ‘was sich spaltet, eine Gabel’ kehrt an der Elbe als Splanter ‘grosser Splitter, der sich von den Dielen löst’, absplantert, und in Splant ‘Holzgabel’ wieder. Der kleinere Splitter, den man sich in den Finger reissen kann, ist auf beiden Seiten ein Splinter. Das nl. oogst, das wichtigste Wort im bäuerlichen Jahreslauf, lebt im Osten als Aust und in vielen Zusammensetzungen mit diesem weiter. Die Getreidegarben wurden in Schock und in Mandeln geschockt ‘in Haufen von bestimmter Grösse zusammengesetzt’.
Abb. 9. Der Flurnamen Upstall an der mittleren Elbe (nach M. Bathe)
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Die Bezeichnungen haben die Niederländer mitgebracht (mnl. schoc ‘hoop, stapel’, mandele ‘een zeker aantal schooven graan’). Wenn der Altmärker das Heu auf der Wiese in Öpper öppert, so verdankt er diese Wörter den Niederländern, die ihr opper ‘Haufen von Heu oder Getreide’ mitgebracht haben. An der Elbe und unteren Mulde schiddet man das Heu, wenn es beim Trocknen gewendet wird. Auch in Nordbrabant und in Teilen von Holland hat man für die Tätigkeit das gleiche Verbum schudden. Im Mittelalter nannte man gehegtes Gemeindehütungsland an der mittleren Elbe Heining, Heinung.
Abb. 10. ‘Gänsen bei lebendigem Leibe einen Teil der Federn nehmen’ an der mittleren Elbe
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Es kommt bis heute noch in vielen Flurnamen vor, es ist dasselbe wie das nl. heining. Dicht beim Dorfe lag der Upstall, ein umzäunter Platz für die Nachtweide (Abb. 9), es setzt ein mnl. opstal fort. Es zieht sich ins Brandenburgische hinein und findet oder fand sich auch im vom Brandenburgischen beeinflussten Neustrelitzschen und im mittleren Pommern. Wenn der Bauer ein Junges vom Muttertier absetzt oder wenn das Kleinkind entwöhnt wird, so nennt man das von der Altmark bis ins Brandenburgische hinein spänen; es setzt das nl. spenen gleicher Bedeutung fort. Im Niederländischen spricht man vom plukken ‘rupfen’ der Hühner. Im Deutschen ist pflücken auf Pflanzen und Blumen beschränkt, an der mittleren Elbe aber kann man in der Mundart auch Gänse plicken, wenn man ihnen bei lebendigem Leibe einen Teil der Federn nimmt (Abb. 10). Die ursprünglich landlosen ländlichen Arbeiter, die aber zu Besitz und Wohlstand gekommen sind, trugen bis ins 19. Jahrhundert eine von Hause aus niederländische Standesbezeichnung: das altmärkischbrandenburgische Kosser, Koster, Kossate geht auf mnl. kotsate zurück; bei den Ostfalen hiessen sie ursprünglich Köter. Auch unter den Bezeichnungen für Speisen haben sich niederländische Reste erhalten, ich zähle nur ein paar schnell auf: der Kant, Kanten am Brot, Flise oder Lise ‘dünnes Häutchen am Bauch- und Nierenfett von Schwein und Gans’ und dann auch das Fett selber (nl. vlies, mnl. liese), Krappe ‘gebratene Scheibe Speck’ (mnl. crappe ‘gebratenes Fleisch’), Kåj'n ‘Grieben’ (mnl. cade, nl. kaan, kaantjes). Aus dem Bereich des menschlichen Körpers seien schliesslich noch die beiden Wörter Knössel, Knüssel ‘Knöchel’ auf dem rechten Elbufer, das flandrisch-brabantisch-antwerpenschem knoesel entspricht, und altmärkisch Häöp ‘Hüfte’ (nl. heup) genannt. Ich breche hier die Aufzählung ab. Auch die gebotene kleine Auswahl legt eindringlich dar, wie ausserordentlich stark der gesamte bäuerliche Wortschatz an der mittleren Elbe und im Brandenburgischen vom Niederländischen her bestimmt und geprägt ist.
Es wäre merkwürdig, wenn sich neben so vielen bewahrten niederländischen Wörtern nicht auch Reste niederländischer Lautung, niederländischer Wortbildung und niederländischer Syntax fänden. Auch da ist die Forschung zu beachtlichen Ergebnissen gekommen. Freilich werden wir auch hier von vornherein mit vielen Veränderungen seit der Siedlungszeit rechnen müssen, mit Verlusten sowohl wie mit nachträglichen Verschiebungen. Viel charakteristisch Sächsisches hat | |
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sich hier durchgesetzt. Ich deute wieder nur auf weniges hin. Die südbrandenburgische Sprachfläche wird gekennzeichnet durch einen ue-Diphthong für mnd. ō2, also Brueder, Blueme, Schuele. Das ue kann nicht aus der niedersächsischen Nachbarschaft stammen, dort hatte man ō: Brōder, Blōme, Schōle (und später au: Brauder, Blaume, Schaule), es ist auch unwahrscheinlich, dass das ue ein früher Vorstoss aus dem Mitteldeutschen so weit nach Norden getragen haben sollte. Es wird das südniederländische ue nachwirken, das uns in mittelniederländischen Texten Brabants und Limburgs entgegentritt. Statt des ostfälischen twischen begegnet das niederländisch-westfälisch bestimmte tüschen im südlichen Brandenburg. Das typisch altmärkischbrandenburgische det ‘das’ ist vom Niederländischen her bestimmt. Verkleinerungen auf -el, die nicht dem Mittelniederdeutschen eigneten, haben sich aus niederländischem Erbe erhalten: Stegel ‘kleiner Weg, Pfad’, Püngel ‘Beutel’, Werfel ‘Weide’, Bessel ‘Beere’, Grippel ‘kleiner Graben’. Wörter mit dem charakteristischen, zunächst femininen Ableitungssuffix -ster des Typus helpster ‘Helferin’ sind in ziemlichem Umfang gebräuchlich: Nǟster ‘Näherin’, Spinnster ‘Spinnerin’, Bingster ‘Garbenbinderin’. Es ist später auch zur Bildung männlicher Nomina agentis benutzt worden: Mǟster ‘Mäher’, Bäckster ‘Bäcker’, Sǟster ‘Sämann’. Wie im Niederländischen finden sich eine ganze Reihe ursprünglich männlicher Substantive als Feminina: Kueke ‘Kuchen’, Håke ‘Haken’, Rowwe ‘Roggen’, Knoke ‘Knochen’, Flēe ‘Floh’. In Ortsnamen wie Natterheide, Neuermark, Schönerlinde, Langerwisch, Calberwisch ist die niederländische Eigenart, nach bestimmtem Artikel das Adjektiv stark zu flektieren, bewahrt. Sie begegnet auch ausserhalb der Namen in der mittelalterlichen Überlieferung. Die niederländischen Sprachreste sind Siedlungszeugnisse. Auch dort, wo keine pergamentenen Urkunden vorliegen, haben sie siedlungsgeschichtlichen Aussagewert. Aber das gilt nun nur für ihr Gesamt, nicht für jeden Einzelfall. Nicht an jedem Ort, wo es heute niederländisches Sprachgut gibt, müssen sie durch niederländische Siedler aus den Niederlanden an diese Stelle gebracht sein. Das hat verschiedene Gründe. Zunächst: wir haben an der mittleren Elbe und in Brandenburg auch mit Siedlern zu rechnen, die nicht aus den Niederlanden gekommen sind. Besonders in der östlichen Altmark können wir sie mit ziemlicher Sicherheit nachweisen. Schon vor der Mitte des 12. Jahrhunderts, dem eigentlichen Beginn der niederländischen Einwanderung, haben hier Zuzüge aus dem südostfälischen Gebiet | |
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zwischen Harz und Elbe stattgefunden, und sie haben auch zur Zeit der askanischen Markgrafen nicht aufgehört. Die Niederländer sind hier nicht in ein noch durch und durch slawisches Gebiet gekommen, es wohnten auch schon Deutsche da. Und auch östlich der Elbe sind z.B. an übertragenen Ortsnamen sächsische Siedler festzustellen. Vereinzelt sind Westfalen nachzuweisen, ihre Sprache hatte viel Gemeinsames mit dem Niederländischen. Offenbar waren diese Gruppen zahlenmässig oder bedeutungsmässig nicht so stark wie die Niederländer. Sie haben sich in der Sprache mit der Zeit zumeist den Niederländern angeglichen. Es hat ein sprachlicher Ausgleich zugunsten des Niederländischen stattgefunden, so dass hinter den niederländischen Wortflächen von heute nicht bloss niederländische Siedler stehen müssen. Hie und da hat sich auch einmal ein nichtniederländisches Wort erhalten. Sodann: nach Ausweis der mittelalterlichen Überlieferung und des neuzeitlichen Mundartgebrauchs haben die niederländischen Siedler in ihren Auszugsgebieten für den Weizen tarwe gesagt. Es spricht nichts dafür, dass sie das nicht auch mit in den Osten genommen hätten, aber es hat sich dort nicht gehalten, nirgends ist es in Vergangenheit und Gegenwart nachzuweisen, durchgesetzt hat sich vielmehr Wete(n). Die Niederländer haben für den Tag vor dem Sonntag in der Hauptsache saterdach gesagt, nur im Ostmittelniederländischen wurde sonnenavond gebraucht. Im Osten gilt ausschliesslich Sonnabend, das Wort, das die Sachsen verwendeten. Auch goedensdach, woedensdach ist drüben nicht am Leben geblieben, es ist zugunsten von Middeweke, -woche aufgegeben, bereits in der schriftlichen Überlieferung des Ostens begegnen die niederländischen Ausdrücke nicht. Die Schreibsprache stand wesentlich im Dienst und in der Obhut der Geistlichkeit, des Adels und der städtischen Obrigkeit. Kirchlich gehörte Brandenburg über die Bistümer Havelberg und Brandenburg zu Magdeburg und die Altmark über Verden und Halberstadt zu Mainz; Magdeburg und Mainz aber hatten an Woensdach und Saterdach keinen Anteil. Der altmärkische und brandenburgische Adel stammte in der Hauptsache aus dem südöstlichen Sachsen. Die Herrensprache des Adels und der Geistlichkeit war im Neuland ostfälisch bestimmt, nicht niederländisch wie die Bauernmundart. Dem aufsteigenden städtischen Bürgertum lagen trotz der hansischen Beziehungen einzelner Städte dorthin die Niederlande sehr fern, Ostfalen war viel näher. Die sprachlichen Verbindungen mit ihm konnten sich über die Oberschicht und über tiefere Schichten gegen das Niederländische auswirken und manche Einzelheit nicht recht | |
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aufwachsen lassen oder zurückdrängen. Und schliesslich: die Mehrzahl der niederländischen Wörter haben ihre Westgrenze in der mittleren Altmark, an der Elbe, vor der unteren Mulde und im Norden an der mecklenburgischen Grenze. Nach Osten hin ist es viel schwieriger, einigermassen eindeutige Grenzen anzugeben. Niederländische, nun brandenburgisch gewordene Wörter haben sich innerhalb des brandenburgischen Territoriums ohne Siedlungszusammenhang ausgebreitet. Wir wissen sodann auch, dass Altmärker und Mittelmärker nach Osten hin weitergezogen sind. Sie haben niederländisches Sprachgut nun der zweiten, dritten oder vierten Generation weitergetragen, das sich schon an der Elbe und in Brandenburg mit der Sprache andersstämmiger Siedler vermischt hatte. Die Fläche niederländischer Wörter weitete sich aus, aber sie zeugt nun nur noch bedingt von Niederländersiedlung. Viele Bauernsöhne sind schon als ‘Altmärker’ oder ‘Brandenburger’ weitergewandert, nicht mehr als Niederländer. In ihrer Sprache war das Niederländische bloss eine, wenngleich vielleicht die wichtigste, Komponente. Wir wissen durch die Ortsnamen von solchen jüngeren Binnensiedlungen. Eine ganze Reihe altmärkischer Namen wie Lichterfelde, Staffelde, Stendal, Biesenthal Walsleben kehrt weiter östlich wieder. Wir hatten auf Grund urkundlicher Nachrichten festgestellt, dass Niederländer auch in die Städte gekommen sind, in Burg waren Brüsseler, Löwener, Flamen und Diester namentlich genannt. Daher konnte auch die Sprache der städtischen Bevölkerung von den Niederländern beeinflusst werden. Im Bereich des sächsischen und magdeburgischen Rechts hiess die Bank der Schöffen ver benke, verbank. In Stendal, Dessau und in Brandenburg, also im Gebiet der Niederländersiedlungen, wird uns im Mittelalter dafür die Bezeichnung vierschar überliefert. Das ist der mittelniederländische Ausdruck. Die Siedler hatten aus ihrer Heimat nicht nur niederländisches Recht, sondern auch niederländische Rechtsausdrücke mitgebracht und sie auch in den Städten bewahrt. Freilich, der typisch städtische Wortschatz ist bei weitem nicht so stark niederländisch bestimmt wie der ländliche. Hier scheinen von vornherein in grösserem Umfang sächsische Elemente ausschlaggebend gewesen oder geworden zu sein. Gegenüber dem niederländischen Pütten, das sich bis heute in den Dörfern gehalten hat, bringt die verhältnismässig reiche mittelalterliche Überlieferung der Städte nur born. Die Niederländer bezeichneten den Gerber neben gerwer mit löer, louwer, looyer. Von diesem zweiten Wort zeigen die mittelalter- | |
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lichen städtischen Aufzeichnungen keine Spur, überall ist vom gerwer die Rede, und der wird in der Hauptsache ostfälisch gestützt sein. Die städtische Überlieferung und der Aufbau der städtischen Zünfte und der Handwerkersprache sind jünger als die Bauernsiedlung. In der Zeit, als sie entstanden, wird man in den Städten kaum noch direkten Zuzug aus den Niederlanden gehabt haben. Aber die Zuwanderung aus der ländlichen Umgebung brachte natürlich ständig niederländisches Sprachgut von dort in die Städte, so dass auch ihre Sprache niederländisch beeinflusst war. Wir haben an der mittleren Elbe und im Brandenburgischen in Abb. 11. ‘Glied einer eisernen Kette’ an der mittleren Elbe
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manchen Fällen gleich zwei niederländische Bezeichnungen für ein und dieselbe Sache, d.h. die niederländischen Siedler sind aus keinem einheitlichen, sondern aus einem mundartlich gegliederten Niederländisch gekommen. Für das Glied einer Kette sagt man Schake und Schalm, Schåm (Abb. 11). Die männliche Ente heisst überwiegend Erpel, aber in zwei voneinander getrennten Gebieten Wenderik. Neben den östlich der Elbe herrschenden Päden ‘Quecken’ gibt es in der Altmark Peunen. Ein Teich heisst Wēl oder Wīl oder Wāl. Der kurzvokalischen Form Fenn steht ein langvokalisches Fähn zur Seite. Solche Verschiedenheiten sind schon mitgebracht. In der Berührungszone von Germania und Romania ist viel römisches, auch gallisches Sprachgut ins Niederländische und ins Deutsche gelangt. Manches, aber bei weitem nicht alles, ist aus den rheinischen Mundarten in die westfälischen übernommen worden. Die Niederländer haben an der Elbe eine zweite Germania Romana aufgebaut, die Lateinisches und Gallisches bewahrt, was im östlichen Sächsischen nicht anzutreffen ist: Stīl < stēlum, Kolter < culter, plücken < piluccare,Abb. 12. ‘Sahne’ nach dem Deutchen Wortatlas)
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Pelle < pellis, Pütten < puteus, enken < imputare, Spint, Spinne < spenda, Benne < benna, um nur wieder einige Beispiele anzuführen. Noch ein letztes. Das politische Erstarken Brandenburg-Preussens hat brandenburgische Wörter über die brandenburgischen Westgrenzen ins niederdeutsche Altland, nach Norden hin nach Mecklenburg und nach Süden ins Obersächsische vordringen lassen. Dabei ist dann auch ursprünglich niederländisches Gut wie Aust ‘Ernte’ oder Erpel mitgenommen worden. Es hat die Grenzen einstiger Niederländersiedlung nach allen Seiten hin weit überschritten. Über Berlin stand Wörtern wie Sahne (Abb. 12), Spind ‘Schrank’, Pelle, Pell-kartoffeln, Erpel schliesslich auch der Weg in die hochdeutsche Umgangssprache offen. Noch in dem gegenwärtig sich vollziehenden Ausgleich und in der zunehmenden Vereinheitlichung des hochdeutschen Wortschatzes wirkt sich so die Sprache der niederländischen Siedler aus.
Mainz. Karl Bischoff. |
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