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Christoph Meckel
Rede für Judith Herzberg
‘Sei froh;, dass du noch lebst,/und war es ja auch, aber sang/My body is over the ocean; // Und suchte die Vögel auf/in ihrem zitternden Sommer./Kreuzschnäbel, Goldamseln/waren noch da/und Eisvögel überm Wasser. // Die radarverwirrenden Seidenfädchen/leuchtend durch ihre Nester gewebt. // Ein fröhlicher Sommer, voll/grüner Versprechen, sie flogen/wohin und zurück in ihrem Frieden,/wohin sie nur wollten,/die Möven sogar übers Meer.’
Liebe Judith, liebe Freunde, meine Damen und Herren.
Kein wirklicher Vers wird über etwas gemacht. Es gibt keinen Klangkörper über den Gegenstand, sondern Sprache der Poesie, die sich selbst gehört, Motiv und Anlass verschlingt oder davon handelt, ihren Gegenstand beschwört (doch niemals beschwichtigt), ihn fordert, bekämpft, verführt, sein Dasein ermöglicht, und vielleicht - vielleicht - verwandelt in grosse Magie. Und wie es kein Gedicht über etwas gibt, kann für mich keine Rede sein über Judith Herzberg.
Ich traf sie zum erstenmal in Westberlin, da sagte sie ihre Verse, auf einfache Weise, das war genug. Seither ist sie mir nah, ihr Gedicht ist mir nah. Es gehört zu dem, was ich weiss und wissen will. Was sie macht, und wie sie es macht, das ist für mich. Ich glaube, es ist für Viele, und ist für mich. Das Dilemma öffentlich sein und verborgen leben, die Möglichkeit nutzen, die heute ein Schriftsteller hat, die Medien, das Podium und also die Diskussion (die bei ihr vielmehr Gespräch und Interesse ist, nicht flächenhaft sondern räumlich, auf persönliche Weise, eigenartig horchend, wahrnehmend, fragend, bereit, das gemeinsam Mögliche festzuhalten, in unauffälliger Weise souverän). Sie macht Buch und Film über eine Malerin, Charlotte, die Geschichte einer Jüdin im Dritten Reich, und berichtet über die Verfilmung des Falls, Sie identifiziert sich so leidenschaftlich wie sachlich, sie analysiert, stellt dar und lässt alle Fragen leben. Sie leitet ein Workshop über Poesie und hält die Erfahrung in einem Tagebuch fest. In alledem erscheint sie als sie selbst, in einer festen Aura von Überzeugung, die alles, was Meinung ist, aus dem Raum verweist. In alledem zeigt sich der Grossmut der Dichterin. In unseren Kulturen klingt der dichter fatal.
Er wird mit Zweifel begrüsst, mit Gelächter entlassen. Er kann es nicht gut oder gern von sich selber sagen, das Wort macht verlegen. Ihm fehlt der soziologische Stellenwert, das ist seine Chance. Er ist das Selbstverständliche ohne Gewähr. Doch kann er sich sagen lassen,
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dass er es ist, das Wort wird ihm nicht verschämt in die Tasche geschoben. Es is notwendig und gut, wenn der Vers danach ist.
Der Künstler (noch ein Wort, das fragwürdig sein will) besitzt seinen Gegenstand solang er ihn macht. Danach ist er fort, er gehört der Öffentlichkeit, ihn benutzen andere. Die Jubiläen werden von anderen gestaltet und die Tode von anderen begangen, wer weiss wofür. Den geehrten Dichter brauchen, missbrauchen andere, er selber braucht - oder bräuchte - die Ehre nicht, er überlässt sie seinem Gegenstand. Er braucht vielleicht nicht mehr das von ihm Gemachte. Er besitzt vielleicht nur das, was er machen will, seine Unfertigkeit und die Hoffnung auf sich selbst. Was die Verse brauchen, worin sie sich wiedererkennen, sind Leidenschaft und Kritik in gleicher Weise. Die Sprache der Kritik ist öffentlich da, die Sprache der Leidenschaft ist selten zu hören, und wer hätte in der Arktis der Aussenwelt je zärtliche Tonart für das Gedicht gehört. Sie hat die unabweisbare Möglichkeit, zwischen den Zeilen zu sein und zuzuhören.
Judith Herzberg ist eine Dichterin. Es handelt sich um ein Werk, das gekannt und geliebt wird, um komplexe und circensische Poesie. In ihr ist alles da und fest verschmolzen: Spiel, Ironie und Schmerz, Zartheit und Härte, Unerbittlichkeit, Kritik und Charme, Sehnsucht, Verzweiflung und Protest, Skepsis, Naivität und genaues Denken, gewönliche Erfahrung und reine Vision und schliesslich, was man das politische nennt, und was nach dem Willen prinzipieller Köpfe, so humorlos und verbissen gehandhabt wird. Es ist ihrem Werk nicht gesondert zu entnehmen, es ist sein selbstverständliches Element. Etwas Einzigartiges kommt hinzu. Es ist der Ton ihrer Sprache. Denn verräterischer als Bild und Musik ist die Sprache, sie verbirgt nicht den leisesten unwahrhaftigen Ton. Sie kann nicht das kleinste falsche Geräusch verkraften. Sie offenbart jeden unechten Laut. Es ist aus diesem Grund für mich sehr schön, nach langem Lesen die Gewissheit zu haben, dass in ihrer Sprache kein falsches Partikelchen zappelt, gleichgültig was dasteht: Gedicht, Bericht, Dialog. Das ist durchaus nicht selbstverständlich. Ich denke an die gewaltig verfehlten Töne, an hyperbolisches Falsettieren und Dröhnen, etwa bei Rilke, D'Annunzio oder Balmont, an die peinigend triumpfhaften Kniefallgeräusche, die jede Staatspoesie zum Besten gibt, an präzeptorischen Starklaut bedeutender Stimmen, an ideologische Begradigung (die Bertolt Brecht sich selbst und dem Vers abverlangte), an rhetorisch-athletischen Aufwand gehobener Sprache, die, von Absicht verfälscht, etwas sein soll, was sie nicht ist, an die Mischung aus Eloquenz und Nachempfindung, die Sprache ins Feuilleton hinunterversetzt. Die Sprache von Judith Herzberg ist anderswo. Selbstverständlich ist sie anderswo. Der Beginn eines Verses gibt Auskunft, worum es sich handelt: ‘Verfielen fast
wieder ins Reden, solches Reden/das Liebe zur Liebe nicht einlädt, sondern/ausfranst. Also ich in den Abend hinaus,/Blätter anschauen.’
Es ist eine eigentümliche Musik. Sie offenbart sich beim Sprechen der Verse - wenn ihre Syntax hörbar wird. Sie ist dem natürlichen Sagen und Sprechen nah. In prosaischer Intonation vibriert der lyrische Nerv, in beläufig einfachen oder struppigen Sätzen. Als habe die
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Stimme das Wort vom Papier genommen, literarischen Kunststoff herausgeschüttelt und es Silbe für Silbe entführt - der Vers weiss wohin, ich weiss es nicht. Das Gedicht verbirgt und zeigt zugleich das eigene Gesetz.
Noch etwas anderes weiss ich nicht. Es bewegt sich als Echo und Irrlicht in ihrer Sprache. Ich habe den Eindruck (und mehr kann es nicht sein), dass in allem, was Judith Herzberg macht, tragisches lebensgefühl überwunden wird. Das ist eine Arbeit, die sie selber kennt. Der Innenraum ihrer Sprache weiss mehr als ich.
Sein hinter Schein und Anschein sichtbar zu machen, und den Schein zu zerstören, ist eine alte Verfahrensweise der Kunst. In ihr hat Judith Herzberg, mit eigener Methode, ein Schauspiel gemacht. leedvermaak, der Titel ist nicht übersetzbar. Es handelt sich um ein Familientreffen. Wie üblich sind die Personen zunächst intakt, sie treten auf im Vollbesitz ihres Scheins. Am Ende ist jeder in seiner Krankheit da, entblösst in seinem Vermögen und Unvermögen. Das Normale der Erscheinung ist weggeäzt. Es handelt sich um ein poetisches Ätzverfahren. In unzähligen scenischen Flecken wird eine Grundansicht des Menschen frei, eine comédie humaine ohne Illusion. Vor Augen entsteht ein scenischer Pointilismus (manche Scene umfasst nur einen Satz), ein gleichsam taschistischer theatralischer Stil. Es erinnert mich an Möglichkeiten des Hörspiels, die hier zur Bühne hin verwandelt erscheinen, und ich dachte an die Stücke von Anton Tschechov. Er bezeichnete seine Stücke als komodien, und fand sie selbst, wie er sagte, komisch, sehr komisch. Etwas von dieser vertrackten Heiterkeit, von diesem Paradox, steckt in leedvermaak. Mit Tschechov, scheint mir, ist dieses Stück verwandt, nicht in der Sprache oder im scenischen Bau, sondern in ihrem Gegenteil: im Nichtgesagten, im vielfältig wechselnden Schweigen.
Die Magie des Nichtgesagten, die offene Stille, darin sind Judith Herzbergs Verse reich. Die Motive und Anlässe scheinen ganz einfach zu sein: die Turnschuhe, das Besteck, der Krankenhausgarten. ‘Auf diese Weise’, heisst es in einem Gedicht, ‘wie man an eine Spinne/denken kann, nachdem sie 3 × in/den gleichen Eimer fiel und man sie 3 × rettete- // das erste Mal, weil man keine tote Spinne/im Wasser haben wollte, das zweite Mal,/weil man es ein erstes Mal tat, und das dritte Mal,/weil man sie kannte.’
In den Niederlanden ist ihr Werk bekannt, hier kennt man es kaum. Die Literatur des Nachbarlandes wird kaum bemerkt. Es gibt ein paar Titel, die man übersetzt, es fliegen die Namen verschiedener Dichter herum, die Literatur dahinter bleibt unbekannt. Sie ist in ihrer Geschichtlichkeit nicht zu erkennen, man hat hier kein Bild und keinen Begriff von ihr. Es zeigt sich darin ein Versagen deutscher Vermittlung, ein skandalöses Versäumnis wird offenbar. Geschäftsinteresse stürzt sich auf ein Projekt - auf den Namen des Autors, den Titel des neuesten Buchs - ein unorganisches Publizieren beginnt, vier Bücher eines Autors in drei Verlagen, verschiedene übersetzer, kein Koordinieren, zuerst das fünfte Buch und danach das zweite, das dritte oder sechste ist nicht mehr erwünscht, es entspricht nicht dem Zeitgeist, das heisst: es verspricht kein Geschäft. So hat man verschiedene
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Schriftsteller übersetzt, in die Öffentlichkeit geworfen und dort verloren. Mann kennt hier die Malerei der Niederlande, die Literatur daneben bleibt ganz obscur.
Als ich Paul Celan zum erstenmal traf, in der tue de Longchamp, erschien er mir fast entrückt, ein ferner Meister. Er war sechsunddreissig Jahre alt, und ich einundzwanzig. In leuchtender Bitternis, die ihm eigen war, sagte er einen Satz, den ich nicht vergass: ‘Die Chance meiner Verse ist ihr Vorhandensein.’ Das, liebe Freunde, ist ein Satz, den man gebrauchen kann. Die Chance unserer Verse ist ihr Vorhandensein. Die Chance des Menschen ist sein Vorhandensein. Ich habe den Satz wie einen Virus behalten, den unzerstörbaren Virus der Poesie. Und nichts im Satz erscheint mir als Resignation. Er bewahrheitet sich, wie alles im echten Gedicht. Die Geschichte gibt, auf erschreckenden Weise, der Vorausbestimmung durch Sprache der Dichtung recht. Die Chance deiner Verse ist ihr Vorhandensein. Nichts in diesem Satz ist selbstverständlich, alles in ihm ist selbstverständlich. Oder eine Zeile aus Judiths Gedicht: ‘Jede gefällte Birke wurzelt in ihrer Vergangenheit.’ Es geht, man lernt es, um das Vorhandensein. Oder ihr Satz: ‘wir müssen dem Grizzly mehr Platz geben/in dieser Welt, die er selbst nicht gemacht hat.’ Die Chance deiner Sprache ist ihre Subversion, das Selbstverständliche ihrer Untröstlichkeit. ‘Es ist schwierig’, heisst es in einem Gedicht, ‘einen Bär um Kompromisse zu bitten.’ Es wäre verfehlt, fügt die Rede hinzu, von der Sprache der Poesie Kompromisse zu erwarten. Schliesslich der Schlusssatz eines Gedichts, dass das Hohe Lied und seine Geschichte beschwört, die Gestalten Sulamith und Salomo, das Altertum in ihr selbst und die Gegenwart, geschwisterliches Erkennen in Sulamith: ‘Ich grüsse dich, Liebe, aus der Mitte/eines Leibes und eines Lebens,/hautnah gehört und hautnah gesprochen,/Atem gespürt und Haare gerochen;/wir fahren noch unter der gleichen Flagge.’
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