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Albert Vigoleis Thelen Grenzstein der Freiheit (1)
- Ein Sternchen ist an dieser Stelle des Berichtes wohl angebracht, denn einmal mache ich eine Pause, mich zu sammeln, wie ich auch damals mich sammeln, mehr noch, mich zusammennehmen mußte; und zudem ist der typographische Stern in seiner höheren Bedeutung ein, sei es noch so bescheidener Ehrerweis an die vielen Sterne, die ich vor meinen Augen flimmern sah, als wir die Mercedes-Daimler-Benz-Limousine verließen. Erhält jemand einen Schlag auf den Hinterkopf, mit einem stumpfen Gegenstand, einem Holzhammer etwa, und der Schlag wird mit nicht allzu fletschender Berserkerei geführt, doch hart am Tode vorbei, dann flimmert es einem vor den Augen; du glaubst, der ganze ausgestirnte Himmel drehe sich im Kreise. Niemand hatte mir indessen einen dergleichen Schlag versetzt; vielmehr war es so, als rühre mich der Schlag, und ehe er mich niederstrecken konnte, sah ich es flimmern.
Wo, somit, beginnen? Beim Kutscher, bei mir selber, bei den Koffern, beim Loch in der Hose? - es ist gleich, da alles doch in der schieren Niedertracht endet.
Wir waren verkauft, Spottgeburten jämmerlich, vom hinterfötzigen Schicksal über den Affen gelaust.
So möge es denn der Mann Kain, unser Lenker und Henker, mit dem ich das Schaustück unserer Demütigung beginne: als er die Bremse zog, stieß er einen Fluch aus, der, wie ich dachte, seinem Vehikel galt, denn hätte er sonstwie Grund gehabt zu einer Verwünschung aus lautem Hals?
Dann stieß er den Schlag auf, mit dem Fuß; es krachte das ganze Gefährt in seinem rostigen Gerippe, und kaum, daß er auf dem Boden stand, reckte er sich auf, langte mit beiden Händen auf das Verdeck und schmiß, ja schmiß unsere Koffer auf den Platz, Stück für Stück; sie flogen nach rechts und nach links; mein Hebammenköfferchen fiel ihm sogar erst auf den Schädel, dann sank es zu der anderen Habe in den Staub, der in dicken, gelb-roten Wolken aufwirbelte. Wir standen wie in einer giftigen Nebelbank.
- Gewiß, wir waren auf der Flucht, wir hatten es eilig, jede Minute war, wie man sagt, kostbar: Hunkiar Hitler konnte zum Weltuntergang blasen, jetzt, in diesem Augenblick; vielleicht hatten seine Heerhaufen schon die polnische Grenze überschritten, und es war ein Gemetzel, wo immer er wollte, daß Blut vergossen werde. Doch so eilig hatten wir es auch wieder nicht, daß nun unser Gepäck in den Dreck geworfen wurde, und hätte ich selber mit Hand anlegen sollen? - indes muß ich's gestehen: meine Linke deckte schämlich den Hosenlatz, als ich mich aus der Limousine schob.
Zum Glück hatte ich meine Schreibmaschine nicht aus der Hand gegeben, sie wäre auch auf den Platz geschmettert worden und trotz des dämpfenden Mulms für meine Literatur verloren gewesen.
Beatrice schob sich nicht weniger langsam und gar mit Bedacht aus dem Sedan, - warum das ehmals so großmögende Fuhrwerk verfluchen? wird sie mit ihrem hoch entwickel- | |
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ten Sinn für Gerechtigkeit gedacht haben; es hat uns doch heil an die ersehnte Grenze gebracht. Aber jetzt, was ist das? Höre ich recht? Mein Spanisch hat nichts an Frische und Griffigkeit eingebüßt in den Jahren, wo es nicht mehr ausschließlich unsere Haus- und Umgangs-Sprache war, da Holländisch vorherrschte, - doch nun: ‘Ihr Hunde, ihr verfluchten Hunde; Gepöbel, Auswurf der Menschheit, Feinde ihr: von Gott und Caudillo und Duce und Führer und Papst und Vaterland, - raus mit euch, raus aus dem Wagen, und fix mal, raus in den Dreck, in den Staub; man soll euch zertreten.’
Es volgten noch viele Verfluchungen, in denen das Wort Hure vorkam in den vielfältigsten Abwandlungen, und éin Wort sagte er auf Deutsch, er hatte es bei der Legion Kondor von seinen deutschen Lufthelden aufgeschnappt, vermutlich von Göring selbst: ich unterschlage es.
O Gott, dieser kotige Anwurf wider uns! Und er setzte Feindschaft zwischen sich und uns und unsere Fahrnis, über die sich die Wolken gelegt hatten, daß sie nun lagerten wie die Cherube des Herrn, den Weg zum Baume der Erkenntnis zu bewachen.
Es waren aber da die Sterne noch nicht vollzählig aufgezogen, doch füllte sich das Gewölbe mit ihrer mich gleißenden Pracht, in wenigen Sekunden. Meinen Sinnen ward es taumelig, -
‘- und meine Hose,’ sagte ich zu dem fluchenden Menschen, wobei ich in die Tasche griff, das Portefeuille meines seligen Vaters hervorzuholen. Es enthielt die Verleger-Fluchtgulden, den Vorschuß auf das Buch Napoleon, Spiegel des Antichrist, dessen forscher General Massena bei Fuentes de Oñoro auf's Haupt geschlagen wurde, und wer weiß, ob er nicht gerade an der Stelle sein Heerlager gehabt, wo wir nun standen, und auch, wie es mir schien, auf's Haupt geschlagen werden sollten, - denn das mit den Hunden, den verfluchten, und mit dem Kotwort, und dem Hurenunglimpf, falls all das Gemeine uns galt, - und wem anders hätte die Beschimpfung zugedacht sein können: das war Kampfansage, Herausforderung, - aber warum in Dreiteufels Namen?
Wir brachten dem Wagenlenker einen tüchtigen Batzen ein mit unserer Flucht, und so sagte ich, die Hose und deren Loch vorerst einmal auf sich beruhen lassend, damit der Kainsmann nicht denken möge, ich wolle ihm noch für die Fünf im Gesäß einen Fünfer vom vereinbarten Fuhrlohn abmarkten; ich sagte also, indem ich das Geld hervorholte, die vier Hunderter, und noch im Gefach der Groschen nach einem tüchtigen Trinkgeld fingerte; na, sagte ich, sagen wir zehn Prozent, oder besser, für so einen alten Kämpfer, - fünfzehn, das wären dann, - ach Beatrice, bitte, rechne schnell, fünfzehn Prozent von vierhun- -
‘Vierhundert?’ rief der Mann der Kraftkarosse, ‘hahha, glauben Sie wirklich, daß ich solch ein Verräterpack für vierhundert lumpige Peseten, achtzig lumpige Duros, befördert habe!?, ha’ - und es plätzern die Flüche, für die Gott, die Mutter Gottes, die Heiligen Gottes, die Dreifaltigkeit Gottes und noch ein paar Hilfsheilige Gottes aus verstaubten Kirchenwinkeln herhalten mußten, - ‘tausend, Sie! Und mal fix!’ ‘Tau - mil? Aber Herr, Mann Gottes, guter Freund, es war doch unter uns vereinbart worden, in Medina -’
‘Vereinbart? In Medina? Her mit dem Gelde, tausend, sage ich, und nicht gefackelt, sonst -’ Bei diesem Wörtchen zeigte der Verräter mit einem Finger, den er, obwohl er an sich schon schmutzig war, auch noch rütteln ließ, er zeigte auf das runde Portal des Bahnhofes, wo allerlei Kriegsvolk lungerte, mit Knarre und Plempe, Flintspieß und Faustbüchse; auch Polizei lungerte; und herumlungerten, zuhauf, die bunten Söldner des Generalissimus, - mit einem Wort, es starrte wieder einmal von Waffen.
Beatrice, die den Menschen keines Blickes mehr würdigte, diese abgegriffene Redensart ist hier wieder gehörig am Platz - sie sagte,
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‘rasch, Vigo, gib dem Halunken die Tausend, es wird nämlich jetzt gefährlich, er hat uns in der Hand.’
Ich gab dem Halunken die Tausend, rasch; rasch steckte er den Schein in die Tasche, es hatte nun keiner mehr etwas in der Hand. Während wir die Arme sinken ließen, unsere Habe aufzulesen, hob Kain den seinen zum Hunkiargruß, der seinem Lande, seinem Führer, und zugleich dem Führer meines Landes galt; jagte den fluchbeladenen Sprüchen noch einen letzten, persönlichen Fluch für uns beide hinterdrein, dem zufolge wir ihm die reinsten Schweine gewesen sein müssen, oder waren es wieder Hunde, - kurz, Verräter von Führer und Vaterland, - und dann schwang er sich in den Wagen, er gab Gas, der Kasten raste davon, - wie konnte der auf einmal so ins Rasen kommen?
Es war nun wohl alles rasend geworden; einzig die Leute von der Truppe verhielten sich still; die verschiedenen Einheiten schauten zu uns hinüber; na, das war ein Schauspiel gewesen, so eines wird denen auch nicht jeden Tag geboten.
Hatten die Kämpfer die Kampfansage wohl vernommen? Wußten sie nun, daß da Verfluchte kamen?
Wie spät mochte es überdem geworden sein? Die Sonne stand tiefer, sie hatte aber noch nichts an Glut eingebüßt. Die hält sich, ging es mir durch den Kopf, der klarer wurde; und mein Bart, an den ich jetzt plötzlich griff, das heißt, ich griff an meine treffliche Kinnlade, mein Bart war in den verflossenen Stunden sicher um das doppelte gewachsen, er war klebrig obendrein, verschwitzt, vermutlich war mein ganzes Gesicht verdreckt. Verflucht, verdreckt, - und dann?
Wortlos langten wir unsere Habe zusammen, und siehe, nicht ein einziger Koffer, nicht ein einziges Bündel war geplatzt; heute spricht man von weicher Landung; die dicken Staubpolster hatten den Aufprall gedämpft. Wie gut, daß ich mir in Locarno noch Riemen hatte schneiden lassen, so Arges und Ärgerliches zu verhüten wie das Platzen eines Koffers auf einem Bahnsteig, wenn der Zug eben einläuft. Hier auf der Walstatt von Fuentes de Oñoro wäre alles noch schlimmer gewesen, dieser braungelbe Mulm, der zwar nicht mehr mit dem Blute der Tapferen von Anno 1811 getränkt war; doch immerhin, er hätte unser Eigentum besudelt.
Ich schulterte das Hauptgepäck, Beatrice nahm wieder die leichten Stücke auf, wir stapften über den Vorplatz und betraten durch eines der runden Portale eine weiträumige Halle. Da wurden wir angehalten.
‘Halt, wer da? und so mir nichts dir nichts wird hier nicht hereinspaziert!’
Ein junger Waffenträger, vielleicht ein Fähnrich oder gar der Ambosat des Rottmeisters, im allerbuntesten Tuch, der lässig an seinem Stutzen fingerte, wies uns zurück: ‘Zurückgetreten!’
Das geht hier aber preußisch zu, dachte ich, während Beatrice, immer nur auf Holländisch, sagte: ‘Da haben wir's!’
Hatte der Haufe begriffen, um was es hier ging? Wir traten zurück, ich stand Rede und Antwort, - woher? wohin?
Darauf wurden wir in barschem Tone aufgefordert, die Halle zu betreten. Der ungezogene Pistolenschnösel winkte noch ein paar Waffenkumpane herbei, Gemeine, Gefreite, auch sonst noch allerlei Getrupps und herrschte uns an: die Koffer und Bündel seien auf den Boden zu stellen; alles müsse geöffnet werden; der gesamte Inhalt sei auf dem Flur auszubreiten, was - er zeigte mit seinem Stutzen auf Beatrice - die Dame da zu besorgen habe; den Herrn angehend - er wies mit dem Knauf seiner Faustbüchse, die er umgedreht hatte, auf mich, was lächerlich war, denn ich war unter all diesem verköttelten Kroppzeug sowieso der einzige Herr, was den betreffe, man führe ihn hinauf, zur Kontrolle von Paß und Geleitpapier.
Ich reichte Beatrice, ohne jede Hast, den Schlüsselbund, und ließ mich dann von einem der Söldlinge abführen. Es ging eine Treppe
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hinauf.
Tschüß, rief ich der wirklich einzigen Dame des Heerbanns zu, doch war mir, ehrlich gesagt, gar nicht zumute nach dem Tschüß und Ciau unserer guten alten Zeit, der Zeit unserer Insel des zweiten Gesichts. Hier steckten wir, freilich ohne es zu wissen, schon mitten drin im Gesicht der zweiten Insel. Alles mußte nun bestanden werden.
‘Eine Treppe hoch,’ ranzte mich der Kämpel an, ‘und halten Sie Ihre Ausweisstücke bereit. Sie wollen sicher das Land verlassen, oder -’ ‘Sie haben es erraten, mein Herr, wir sind tatsächlich auf der Durchreise.’
‘Erste Tür links, da werden die Formulare ausgefüllt.’
‘Das habe ich mir längst gedacht.’
‘Was haben Sie sich gedacht?’
‘Daß nun wieder Formulare kommen. Wer nichts ausfüllt, kann nichts erfüllen.’
‘Bitte? - Dann hier links.’
Wir waren oben angekommen, der Waffenfant machte auf den Hacken kehrt, - wo haben die das alles nur gelernt? Aber ja, es hatte schon zu Ende unserer Ur-Insel-Zeit angefangen.
Er ließ mich stehen.
Als wir auf dem Vorplatz unseren Kram zusammengelesen hatten, waren da nicht an den Fenstern der ersten Etage, die ein wenig zurückzuliegen schien, allerlei Gestalten zu sehen gewesen, teils in Uniform, zum Teil hemdärmelig? - na für diese muß das auch ein erbauliches Schauspiel gewesen sein, die Art, wie Kain uns gewissermaßen vor die Tür seiner Limousine gesetzt und das Gepäck wie Plunder uns hinterhergeschmissen! Mußte ich da an die Pilar denken, Schwager Zwinglis Kebse, das gottverfluchte Schluntstück, das uns, wieviele Jare ist's her, auch unsere Fahrhabe hinterdrein geworfen hatte? und wir hatten damals noch heilfroh sein müssen, daß sie uns nicht noch den Dolch zwischen die Rippen gestoßen. Ich glaube indessen nicht, daß mir in dem Augenblick, wo mich der Wehrmatz in dem ziemlich breiten und öden Flur hatte stehen lassen, die Hurenluppe in den Sinn gekommen; eher werde ich bedacht gewesen sein, die Formalitäten so rasch wie möglich zu erledigen. Einen klaren Kopf bewahren, Vigoleis, nicht in die Gründe der Vergangenheit untertauchen, die Gegenwart braucht dich. Gut, klaren Kopfes, doch mit der mir eigenen Amtsbefangenheit, die Dokumente brav in der Hand, suchte ich die erste Tür links. Sie war nur angelehnt, ich pochte an die Leibung, da keine Inschrift mich aufforderte, ohne anzuklopfen den Raum zu betreten.
Da drinnen rührte sich nichts, kein Herein ertönte; so klopfte ich ein zweites Mal, und betrat zugleich das Zimmer.
Dort saßen zwei Gestalten an einem Tisch, Soldaten natürlich, die ich wohl aus ihrem Mittagsschlaf geweckt haben mochte, denn sie fuhren erst auf und dann fuhren sie mich an: Was ich bei ihnen zu suchen habe?
Na, meinte ich, zu suchen hätte ich, genau genommen, nichts; indessen habe man mir eben diese Tür angewiesen, die erste links; ich wolle das Land verlassen, - bitte, Ihr Herren: da gelte es, Fragebogen auszufüllen, und ich bäte die Herren auf's höflichste und mit aller Ergebenheit, mir die betreffenden Vordrucke auszuhändigen. - Was hier nach Unterwürfigkeit klingt, im deutschen Sprachgewande, war aber nur spanische Höflichkeit mit Floskeln. Da sagte ich zu mir: Dein Spanisch, Vigoleis, ist wieder großartig, und da sagte einer der zwei, nicht zu sich selbst, doch mir vernehmlich, ich sei an die falsche Tür gekommen, ich solle machen, daß ich weiterkäme; mit Formularen habe man nicht das mindeste zu tun.
Ich verließ die unfreundlichen Leute mit einem freundlichen Gruß. Gleiches mit Gleichem zu vergelten ist nicht meine Art, noch daß ich's in jener Lage gewagt hätte, mich vor denen aufzuspielen.
Auf dem Flur hielt ich ein weinig Umschau. Es dämmerte da oben, alle Fensterläden hatte man wieder geschlossen, wegen der Fliegen,
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wir kennen das zur genüge, und gerade diese Wehreinheiten, die man an die Grenze verlegt hatte, wollten sicherlich nicht unnötig mit dem Geschmeiß in Berührung kommen; denen hatte der iberische Hunkiar andere Aufgaben ins Dienstbüchelchen geschrieben; eine davon war die, meine Beatrice unten in der Halle mit dem Gepäck zu triezen. Sie mag den Pöbel nicht, aber der Pöbel wühlte nun in unseren Sachen.
Eine zweite Tür, der ersten schräg gegenüber, links, war ebenfalls nur angelehnt; ich klopfte wieder, feste dieses Mal, und bekam sogleich eine kräftige Antwort: Herein! - Ein preußischer Feldwebel hätte hinzugefügt: marsch-marsch, oder wird's bald, oder irgend so eine Anranzung an den Unsichtbaren, die das Gefühl schon hebt, ehe das Opfer die Meldestelle auch nur betreten hat. Der preußische Drill ist weltberühmt; er hat meinem Vaterlande nie zur Ehre gereicht, doch läßt sich ihm eine gewisse aristokratische Note nicht absprechen, mit der Einschränkung, daß die ‘áristos’ nicht immer die besten sind. Als dann freilich mit Adolf Hitler das bare Pack aus dem Bilgenwasser der Nation nach oben kam und reichs-tonangebend wurde, war es überhaupt aus mit dem Benimm der Truppe. Sogar die hohen, die adligen Offiziere sanken auf die Stufe des soldatischen Proletariats, Waffenplebejer; und sie waren nur noch Knechte, niedrigste Diener eines ach wie niedrigen Herrn. Ein paar Wochen Dienst unter dem Hakenkreuz, und was übrig blieb, war, mit einem Wort von Graf Harry Keßler, Offizierscanaille. Er sagte es mir anläßlich der Ermordung des unsoldatischen Ränkespinners Kurt von Schleicher, den er für einen ganz besonders ehrlosen Offizier hielt. Ob so einer hinter der Tür saß? Die Spanier sind ja eine stolze Rasse; doch auch der stolzeste Mensch kann zuschanden kommen, wenn er einem Herrn hörig ist, der von der Würde des Menschen nichts wissen will, - kurzum, ich trat ein, nicht leisen Tritts, doch auch nicht mit der Geste des Freilings, der von sich selbst überzeugt ist: hier bin ich!
Der Raum war spärlich ausgestattet; wenn ich recht erinnere, standen an den Wänden nur ein paar Schränke, die mein preußischer Weibel Spind genannt hätte, und in der Mitte wieder ein Tisch, zum Schreiben und zum Schlafen; man legt die Arme auf die Platte, läßt den Kopf in die Beuge sinken und nickt ein.
Meine Großmutter hat in den letzten Jahren ihres Lebens immer so ihr Nickerchen gehalten, nach dem Mittagessen; es war dies ihre heilige Stunde. Untern, so nannte man es noch zu ihrer Zeit, und für eine alte Frau schickt sich diese Art des Schummerns sehr wohl; indes für einen Kerl von der Truppe? Ich habe da keine Vorurteile; ja, ehrlich gestanden ist mir ein Soldat, der mit dem Schädel auf der Tischplatte seinen Schnarch hält, weitaus lieber als der strammstehende Kriegsknecht, der jeden anfährt und über die Klinge springen läßt.
Der aber dort am Tische saß, im Dämmer von Zimmer zwei, und so kraftstrotzend mich zum Hereinspazieren aufgefordert hatte, das war ein schon älterer Mann, in einer blauen Bluse, Ordensplakate auf der Brust.
Dieser Soldat trug eine rote Baskenmütze, und sonach wußte ich Bescheid: Requetés, Carlist, ultra-katholisch, ultra monarchisch, treu der heiligen Jungfrau Maria, treu dem Könige, treu dem Generalisimus und Hunkiar aller Spanjarden.
Diesem zeigst du, Vigoleis, treu nur dir selbst und deiner Beatrice, sogleich das lateinisch abgefaßte Brevet deines bischöflichen Onkels; doch halte ihm die Rückseite hin, wo das Sigillum des Erzbischofes von Katalunien, und Bischofs von Mallorca beigedrückt ist: Josefus Episcopus Arciepiscopus Majoricensis. Dann den englischen Gruß gesprochen, Ave Maria Purissima... und sofort bekommst du deine Stempel, - warte da unten, Beatrice, noch ein Weilchen, - ja, vielleicht verzichtet der frömmige Schlagetot sogar darauf, mich überhaupt Formulare ausfüllen zu lassen.
Was mein Begehr sei? Die Frage wurde höflich
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gestellt.
Vordrucke auszufertigen sei ich herbeschieden worden, zu mittagschlafender Zeit, man möge es entschuldigen; und da hätte ich mich in der Tür geirrt; die erste links habe man mir gesagt, doch sei es die falsche gewesen, - diese nun, die seine, ‘ist es die richtige?’
Leider sei es wiederum die falsche! Schräg gegenüber, bitte, und Gott möge mich segnen. Dann ließ der Fromme den Hunkiar-Ruf erschallen, besser gesagt, verlauten; und mir gefiel die Art, wie der angegraute Monarchist seinen im Grunde genommen falschen Herrn hochleben ließ, einen Menschen, der ihnen allen verheißen hatte, er werde dem Volke außer dem Frieden auch den König wiedergeben.
Na, alte Kriegshaut, da kannst du lange warten, ihr habt den nichtsnutzigen General auf den Schild erhoben; da hockt er nun, bis ihn irgendwer herunterschießt, oder er vor lauter Altersschwäche von der Tartsche purzelt. Menschen, die in Erwartung eines verheißenen Ereignisses grau geworden, sind meist friedfertigen Sinnes; der Messianismus hebt sie gewissermaßen über Raum und Zeit hinaus; sie stehen auf einer Höhe, von wo aus sie den Heilskönig der Zukunft unbewaffneten Auges erblicken können. Darum schießen solche Treulinge von dem Zeitpunkte an nicht mehr, wo sie den Vorläufer des Erlösers mit Hilfe ihrer Waffen, seien es solche geistiger Art, oder die des betreffenden Handels, an die Macht gebracht haben. Der Rest ist und bleibt Erwartung. So konnte ich, ohne auf Rückendeckung bedacht zu sein, die Stube verlassen, wo der Wegbereiter seinem messianischen Heilsgedanken nachsann. Er würde niemanden mehr durch einen Nackenschuß zur Strecke bringen.
Beim Dritten Reich liegen die Dinge etwas anders. Da ist der Erlöser auf den Trümmern einer Republik aufgestanden; nennt sich die Quelle allen Glücks für einen jeden, der an ihn glaubt und ihm die Hand bietet, nieder zu metzeln, was nicht seines Blutes, noch seines Willens ist. Die Verheißung war nicht Er, vielmehr war es die ewige Dauer seines Reiches, - darum müsse getötet werden, heute, morgen und immerdar.
So wie über den Ursprung der Welt nichts bekannt ist, wir vielmehr auf Mutmaßungen angewiesen sind, die je nach dem Stande unserer Erkenntnis die Zeichen des Ammenmärchens tragen; die einer unerschütterlichen Glaubenszucht; des durch nichts, was immer ausginge vom Verstande, zu widerlegenden Gedichts; des spekulativ-übersinnlichen Traumgespinstes oder der schieren Jahrmarktsscharlatanerie, - so wissen wir auch über den Ursprung vieler Erscheinungen oder Begebenheiten auf der erkalteten Erdfeste nichts und sind da gleichfalls auf die Gespinste unseres Hirns angewiesen, oder auf das Wissen der Besserwisser, die sich nicht mit dem abfinden können, was einem vor der Hand liegt. Unwissenheit ist überhaupt vom Übel, da lasse man lieber den Schein der Weisheit, im Latein der Jäger vorgebracht, zu vollem Glanze kommen.
Wer, um den Faden weiter zu spinnen, wir haben ja Zeit, - wer hat den Fingerhut erfunden, den Fahneneid, den Kaiserschnitt oder den Lausekamm - ich nenne nur ein paar nützliche, teils segensreiche, zum anderen todbringend fragwürdige Dinge. Sie lassen sich bis ins Mythische zurückverfolgen, und allesamt haben sie ein religiöses Gepräge.
Darum ist es auch gar nicht so verblüffend, daß wir über den Ursprung des Kartenspiels nichts wissen und wir somit den Mutmaßungen der Forscher ausgeliefert sind. Da die Spielkarten über den ganzen Erdball verbreitet sind, bietet fast jeder Kontinent seine eigene Mär und Ausdeutelei über deren Herkunft an, zumal jedes Land stolz darauf ist, sie erfunden zu haben, - eine menschliche Schwäche wie jede andere auch.
Die Spanier schreiben den Einfall, mit Karten zu spielen, einem Landsmanne namens Vila oder Vilhán zu, das war ein Stapelbruder, der auch die Tünchkelle zu führen verstand und sich hin und wieder sogar als Küster verdingte,
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denn er hatte mit dem von ihm ausgeknobelten Spiel, der Ciencia de Vilhán, sein Hab und Gut verpulvert. Auf einem seiner Tippelzüge fiel er Straßenräubern in die Hände, die ihn fesselten und in einen Brunnen warfen, - das war sein Ende.
Hinwieder behaupten die Franzosen, das Kartenspiel sei in ihrem Lande, und zwar unter Karl VI. aufgekommen. Dieser liebestolle König, Le Bien-Aimé, war geistig umnachtet, und man suchte ihn mit dem neuen Spiel aufzumuntern oder ihm zumindest Ablenkung zu verschaffen, wenn er brütete. Ablenkung gewährte das Tarock ohne Zweifel, weshalb es bei den Chinesen, schon zu Olims Zeiten eingeführt worden ist. Seine Kaiserliche Hoheit Se-Un-Ho soll es ausgetiftelt haben, den Schwarm seiner Konkubinen zu beschäftigen, wodurch er mehr zu ihrem Befrieder als Befriediger wurde, folglich selbst auch seinen Frieden hatte und seinem Himmlischen Gliede immer die geläuterte Glückseligkeit gewähren konnte, wenn Es ihn mahnte, daß Es auch für irdische Geschäfte einzustehen hatte. So mag es einleuchten, daß die Karten aus dem Liebes-Concubinaculum ihren Siegeszug antraten durch den ganzen Orient; überall bewährten sie sich; sogar die Kreuzritter, die sich am Heiligen Grabe sehr unheilig schlugen, indessen sich auch auf das unheiligste dortigen Ortes langweilten, selbst sie griffen das Spielchen begierig auf. Sie brachten es als eine Art übersinnlicher Beute heim ins Abendland, meiner Meinung nach ihre einzige rühmliche Tat.
So wurden die Spielkarten rasch zum geistigen Kartenspiel, an dem auch der Teufel seinen Anteil hat; denn wo gespielt wird, ist er immer mit von der Partie, - Vilhán galt schon, wenn ich das nachtragen darf, als die Inkarnation des Spielteufels.
Wo aber vom Teufel die Rede ist, darf der Himmer nicht zu kurz kommen, und wie es an den Orten der Verdammten oder Seligen zugeht, wissen wir einzig von Entrückten, die ihre Himmelsreise, oder sei es die Höllenfahrt, angetreten haben und heil wieder zur Erde zurückgekehrt sind. Daß man aber im Himmel, einer Stätte der vollendeten Herrlichkeit, der unsagbaren Wonnen, auch Karten spielt, davon wird in den frommen oder ketzerischen Chroniken kaum berichtet, weshalb ich es mir nicht versagen möchte, den spanischen Universalgelehrten Benito Jerónimo Feijóo hier vorzustellen mit einer Geschichte, die uns unmittelbar angeht.
Der Benediktinermönch litt zeitlebens am ‘pavor al sepelio anticipado’, also an der auf das höchste gesteigerten Angst, als Scheintoter lebendig begraben zu werden; und das war in der Zeit, wo er lebte und sich den Problemen der Biologie und dem entsprechenden Aberglauben widmete, genau so schlimm wie heutigentages, wo auch niemand lebendig begraben sein will, obwohl tausende in die Massengräber geschüttet werden, ohne völlig aus dem Leben geschieden zu sein. Feijóo selbst lebte von 1676 bis 1764, und er berichtet in einem seiner Bände des ‘Teatro crítico universal’ die folgende Schauermär, die ich frei wiedergebe:
Ein Missetäter wurde zum Tode durch den Strang verurteilt, was in unseren Tagen des neu hereingebrochenen Mittelalters auch Wohltätern zustoßen kann, wenn sie in die falschen Hände geraten oder man sich ihrer sonstwie entledigen will. Das Henken verläuft ohne Blutvergießen, fast geräuschlos, weshalb sich bei dieser sanften Art des peinlichen Halsgerichts immer eine besondere Art von Neugierigen einfindet, da es auch erbaulich zu sehen ist, wenn ein Beichtvater das Opfer auf dem Wege zum Schafott begleitet. Öffentliche Füsilierungen wurden früher gemieden, und auch heute noch bringen sie nicht viel Volk auf die Beine.
Wie dem auch sei, unserem Galgenstrick stand ein Beichtiger bei, sprach mit ihm die vorgeschriebenen Gebete, sprach ihn dann von allen seinen Sünden frei und verhieß ihm die ewige Seligkeit, die er, während die Henker den Strick seiften und über den Galgen warfen,
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dem Armsünder in den schönsten Farben ausmalte: vom Augenblicke an, wo er seines jämmerlichen Leibes entohnigt worden, trete er ein in ein Reich, dessen Freuden kein Ende sei, der Wonnen ungezählte, und so weiter und so weiter, - wie eben geistlicher Beistand und Trost in Todesnot gespendet werden muß. Als die Hinrichtung vollzogen war und man den Leichnam absacken ließ, stellten die Schinder allerlei Anzeichen fest, aus denen sie schlossen, der Gerichtete sei womöglich noch garnicht richtig tot. Ein Mann der Waffen-SS hätte bei einem solchen Verdacht mit gestrecktem Arm seinen Revolver in das Grempelgelumpe von Totenleben leergeschossen, aber unsere Schergen hatten, aus Angst vor dem eigenen Scheintode, Mitleid mit dem Kadaver, in dem ja noch ein Fünkchen Leben glühen mochte. So trugen sie ihn in das nächstgelegene Haus und beorderten eine besondere Wache, der es oblag, den Leib, der von Rechtes wegen tot zu sein hatte, scharf im Auge zu behalten. Auferstehungen von den Toten sind immer mißlich für die einen, und den anderen sind sie das große Wunder, die irdische Vorwegnahme der Auferstehung des Fleisches schlechthin, mit einem Wort, Vorbote der Unsterblichkeit. Sich nicht zu langweilen - ehe ein Toter sich selbst zum Leben erweckt, da können Stunden, Tage, ja selbst zeitlich ungegründete Zeiten vergehen - was tat die aufgezogene Wache? Nun, die Kerle griffen zu den Karten, ein Spielchen zu machen, das klopfte und klopfte; doch wie sehr man auch bei der Sache war, man ließ die Pflicht nicht aus den Augen, das heißt hier: die Leiche. Hin und wieder warfen die Wüchter einen Blick auf den Erhängten, der sich, blaurot gedunsenen Gesichts, ruhig verhielt. Das Auge war nicht gebrochen, was aber an sich nichts besagt, denn bei der Strangulation, das wußten die Knechte, kommt es nie oder nur selten zu diesem
gebrochenen Totenauge.
Das klopfte und klopfte.
Überdem war der Hingerichtete wieder zu sich gekommen, der Strang hatte ihm das Lebenslicht nicht auszulöschen vermocht. Doch dessen war er sich im Taumel der Belebung nicht bewußt, vielmehr deutete er das seltsame Röcheln, das sich seiner Brust entrang, als die Anpassung seines gestorbenen Lebens an den neuen Atembereich des Himmels, des Gefildes der Seligen, wie es ihm der Beichtvater im Aungenblick der Abfertigung durch den Strick mit auf den Todesweg gegeben hatte. Diese mit frommgläubigem Eifer vorgebrachten Schilderungen hatten sich seinem Hirn beim Übergang vom Leben in den Tod, von dieser Welt in die andere Welt so eingebrannt, daß er sich, beigott, tatsächlich im Himmel wähnen mußte, - aber
- na, er hörte klopfen, Totendämonen? oder gar Gott? Zum Leben war er ja wieder erwacht, indes versagten ihm die Augen vorerst noch den Dienst, obwohl gerade sie sich seiner Hinrichtungsart entsprechend verhalten hatten. Es verging eine geraume Zeit, die Wächter spielten und schielten nach ihm; dann plötzlich sah er sie, und es überkam den Missetäter oder was immer ihn an den Galgen mochte gebracht haben, ein Rausch des überirdischen Glücks: im Himmel wird Karten gespielt! Welch' alte Karnöffelratte möchte da nicht auch in den Himmel kommen! Dann erst erkannte er die kartenden Engel in ihrer Verwandlung, und ein Lichtglanz des Herrn umleuchtete ihn.
Von dieser himmlischen Inkarnation, oder sei es die Beseelung des beregten Spiels, ist es nur ein Schritt, und die Karten erscheinen unter den gemeinen Soldaten, die mir Padre Feijóo freilich schon vorweggenommen hat.
In den Mordpausen wird Schafskopf gedroschen; man setzt alles auf's Spiel, da man ja nicht weiß, ob man nach der morgigen Schlacht noch wird auftrumpfen können. Eigentlich weiß auch der in Frieden lebende Bürgersmann oder gar ein Etappenschwein nicht: werden wir über ein Weilchen wieder eine schöne Karte stechen können, - oder man ist selber in den Skat gelegt. Ja, im Grunde wissen wir überhaupt nicht, was gespielt wird.
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Ich jedenfalls wußte nicht, was meiner zu gewarten stand hinter der Tür, zu der ich mich begab, immer noch die Pässe und Begleitpapiere in der linken Hand. Die rechte brauchte ich zum klopfen an alle Türen des Bahngebäudes, das zur Kaserne entartet war.
Doch während es unten ziemlich lebhaft zuging, blieb hier oben alles still, - totenstill? Nein, das auch wieder nicht, vielmehr vernahm ich nun selber ein Klopfen, sah aber niemanden, der es hätte besorgt haben können. Klopfgeister? Totendämonen? Oder gar Gott? Das klopfte und klopfte. Ich hielt horchend inne, eine Sekunde, zwei oder drei, dann schöpfte ich tief Atem, was ich übrigens immer tue, wenn ich eine amtliche Stelle betreten muß.
Klopfen, Vigoleis, anklopfen, es eilt, du bist doch auf der Flucht, geude nicht mit der Stunde, wo eine Minute womöglich euch zur Rettung irgendwo bleiben mag.
So klopfte ich an die Tür.
Stimmen? Ihrer mehrere, wie mir schien, forderten den unbekannten, und, gleich sei es gesagt, auch ungebetenen Besucher auf, einzutreten.
So trat ich ein.
Der Raum war größer als die anderen Gemächer, in die ich bereits Einblick genommen hatte, doch war er nicht weniger dürftig, und obendrein schäbig möbliert, was wohl ganz allgemein auf die spartanische Zucht und strenge Entsagung des Soldatentums hinweist. Nur ein Feldmarschall des großdeutschen Hunkiars, der in Wirklichkeit ein Jahrmarktsmuskote war, liebte den Luxus und umgab sich und seine Marketenderinnen mit dem teuersten Raub.
Inmitten des Zimmers befand sich ein runder oder zumindest an den Kanten stark abgerundeter Tisch, um den herum Männer saßen, vier an der Zahl, oder waren es fünf, oder sieben, - ich weiß es nicht mehr auf den Mann genau; doch könnte, wer mit dem spanischen Jaß vertraut ist, der da geklopft wurde, die Zahl der Runde genau angeben, - mit einem Wort, es
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wurde Karten gespielt.
Spanische Offiziere, und solche mochten es sein, die spielen hier Karten, statt sich die dienstfreie Zeit mit einer satten Schwarte im Bett zu vertreiben? Das war mein erster Gedanke, dem in Blitzesschnelle eine andere Überlegung folgte: wird Allvater Noach in der Arche mit den Seinen die Zeit, die sein Gott brauchte, die sündige Menschheit zu ersäufen, auch mit dieser idealen Kurzweil totgeschlagen haben? Und Beatrice da unten, was mögen die Horden mit der wohl alles anstellen?
Auf keine der Fragen konnte ich mir Antwort geben, denn einer der Spieler, die alle vollkommene Herren waren, wie sich alsbald herausstellen wird, fragte sachlich, kühl, ohne jede Anranzerei: was ich denn eigentlich bei ihnen wolle, - man spiele, man liebe die Störung nicht.
Diese grammatikalische Feinheit mit dem Eigentlichen des Wollens war nun verblüffend, obwohl die spanische Sprache an derlei Überrumpelungen ziemlich reich ist; und so entgegnete ich in der mir leider eigentlichen eigenen Umständlichkeit, und, bitte, in bestem Spanisch: Meine Herren, ich sei an ihre Tür gekommen, Fragebogen aus zu füllen, und nach der Erledigung all der leidigen Förmlichkeiten wolle ich die Grenze überschreiten.
‘So denn,’ versetzte ein anderer Offizier, über dessen Züge ein befremdend spöttisches Lächeln spielte, ‘liegt es in Ihrer Absicht, die spanische Grenze bei uns zu überschreiten? Sie wollen - nach Portugal?’
‘Ja,’ erwiderte ich und hob zur Bekräftigung dieses Vorsatzes, der mir an einer Grenze durchaus nichts ungewöhnliches zu sein schien, die Linke mit dem Stoß Papiere empor, wobei mir auf den Plotz zu Bewußtsein kam, daß man mich nicht mit dem Römischen Gruß empfangen hatte. War das der Einfluß des Kartenklopfens, das sich so segensreich auswirkte? Der Volksmund nennt diesen Zeitvertreib des Teufels Betbüchlein, - wie dem indessen auch sei, ich hatte das meinige gesagt und stand nun da, die Linke immer noch erhoben.
Es muß beschwörend gewirkt haben, solches Winken mit Dokumenten, die die reinen Schandpapiere waren, die Schmach meines Lebens, der Pestfleck, mit dem ich nun einmal gezeichnet war.
Diese Ausweisbüchlein hatten die grau-grüne Farbe, die in der internationalen Farbenskala dem Reich der Deutschen vorbehalten war. Jeder Grenzbeamte kannte sie, und darum kam jetzt ein wenig Bewegung in die Kartenrunde, wenn auch zuerst nur eine der Spielratten, die ich mitten aus ihrem Vergnügen gerissen, aus dem Taumel des Jeus zum Leben der Grenze zurückfand. Er fragte nämlich, wobei er sich, wie mir schien, ganz leicht vom Stuhl erhob, was dann freilich schon Höflichkeit gewesen wäre: ob ich gar ein Deutscher sei?
Da ließ ich die Linke sinken, als hätte ich die Flagge eingeholt, und sagte: ‘Ja, das bin ich allerdings.’
Auf Spanisch klinkt diese bejahende Aussage hart und unerschütterlich wie eine Kantische Kategorie.
Das war das Zeichen für die Herren alle, nicht nur den Hosenboden mir zu Ehren ein wenig zu lüpfen; nein, sie lösten ihn vollends vom durchgeschwitzten Sitz, sprangen auf, der und jener schob mit der Kniekehle den Stuhl zurück; ein Schemel polterte schlitternd über den Boden und schmetterte gegen die Wand. Es rieselte Kalk.
Die Herren standen aufrecht da, ich sah ihre Waffenhosen, die teils des Spielchens, teils der Hitze wegen, und wohl auch mit Rücksicht auf die Verdauungsvorgänge, im Bund geöffnet waren. Ihre Kragen standen gleichfalls offen. Mit raschem Griff schloß jeder sich zu, dann sprengten alle wie auf Kommando auseinander; weiß leuchteten ihre Hemden, falls sie überhaupt weiß waren, im Dämmer.
Einen Augenblick lang stand ich allein vor dem leeren Tisch, auf dem sich nur noch die Karten befanden, ein befremdlich wirkender Aschenbecher, ein paar Pistolen, und ein Stück Kreide.
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Als die Herren Kartenkumpane sich wieder um den Tisch gruppierten, jeder an seinem Platz, doch mir zugewandt, da hatten sie alle ihre Waffenröcke an und waren dabei, sie mit fliegenden Fingern zuzuknöpfen.
Er waren diese Herren tatsächlich Stück für Stück Offiziere, auch wenn sie nicht, oder besser gesagt: noch nicht, untergeschnallt hatten. Doch was sage ich, - wird in der spanischen Armee überhaupt untergeschnallt? Ist das nicht eine Eigentümlichkeit des kaiserlichen deutschen Heeres, die im Wilhelminischen Weltkriege so recht erst zur Geltung kam? Wurde aber in Spanien der Säbel untergeschnallt, und die Herren Offiziere hatten das noch nicht besorgt: konnten sie dann eine soldatische Diensthandlung an mir überhaupt rechtens vollziehen?
Wie man im Traumzeit einer Sekunde Stunden oder gar Tage durchlebt, so beflogen mich jetzt Bruchstücke von Gelesenem, Gehörtem, Erlebtem, über das Unterschnallen der Plempe, während die Offiziere umgeschnallt, untergeschnallt oder überhaupt nicht geschnallt vor mir standen und noch an ihren Klaffoten herumnestelten, - hatte ich's gelesen, hatte mir Graf Keßler, Kaiser Wilhelms Adjutant, die Geschichte erzählt, als er im Exil an seinen Erinnerungen schrieb?
Da war einmal -
(Wordt vervolgd in het oktobernummer).
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