Literatuur Zonder Leeftijd. Jaargang 9
(1995)– [tijdschrift] Literatuur zonder leeftijd– Auteursrechtelijk beschermd
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Ausländische Wörter aus dem Hut des Zauberers
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Die deutsche Kinderliteratur und Tove Jansson nach dem KriegUm die Stellung von Tove Jansson innerhalb der Kinderliteratur in Deutschland bestimmen zu können, werfen wir einen kurzen Blick auf die Entwicklung nach 1945. Die originale deutsche Kinderliteratur bewegte sich nach dem Krieg nur sehr langsam in Richtung Moderne. Die Bücher des ersten Nachkriegsjahrzehnts waren noch stark von den Auffassungen der Vorkriegszeit geprägt, das heißt, wenn auch die politische Indoktrination weggefallen war und Elemente nationalsozialistischer Weltanschauung nur noch spurenhaft auszumachen waren, herrschten doch immer noch entweder betuliche Kindertüm- | ||||||||||||||||
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lichkeit oder eine autoritäre Grundströmung vor, die sich in einer starken Pädagogisierung der Literatur ausdrückte.Ga naar voetnoot1 Autoren wie Lisa Tetzner oder Erich Kästner blieben lange Zeit Ausnahmen. Im allgemeinen zehrten die Verlage, die sich aus Zusammenbruch und Papierknappheit nur mühsam mit militärischer Lizenz emporzuarbeiten begannen, von den Vorräten der Vorkriegszeit. Den Übersetzungen neuer ausländischer Literatur und der Wiederbesinnung auf die internationalen Klassiker kamen daher ein besonderes Gewicht zu. Es blieb den Verlagen nicht verborgen, daß in der Literatur der skandinavischen Länder das Schwinden des Kriegsdrucks ab 1945 explosionsartig langangestaute Ideen und Talente freigesetzt hatten. Die überraschende Ideenfülle, die neuartige Auffassung vom Kind als einem in seinem jeweiligen Entwicklungsstadium souveränen Wesen, kurz, die Modernität vor allem der schwedischen Kinderliteratur war es, die ihr im westlichen Deutschland zu großer Bedeutung verhalf, und zwar in erster Linie durch die Leser, deren Vorlieben oft im Gegensatz zur Lehrmeinung der Pädagogen über die richtige Kinderliteratur standen.Ga naar voetnoot2 Es entstand ein besonderes Interesse an der skandinavischen Form der Lebensbewältigung durch die LiteraturGa naar voetnoot3, von der auch die Bücher Tove Janssons getragen wurden, obwohl sie mit Trollkarlens hatt (Eine drollige Gesellschaft, 1954), relativ spät, genau gesagt, fünf Jahre nach Pippi Långstrump, zu erscheinen begannen. Der Verkaufserfolg war wohl zunächst nicht so groß wie erwartet, weshalb sich der schweizerische Benziger Verlag erst nach fünf Jahren an den dritten Band wagte. Die weiteren Bände kamen dann aber in ungefähr zweijährigem Abstand heraus. Der Benziger Verlag konnte also, wenn auch die Auflagen in die Hunderttausend gingen, mit Tove Janssons Muminwelt nicht die | ||||||||||||||||
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erhofften Lesermassen erobern. Dennoch erreichten die Geschichten, unterstützt von der Hörspielfassung des Bayerischen Rundfunks Ende der fünfziger Jahre und den Aufführungen der beliebten Augsburger Puppenkiste im Fernsehen auch ein breiteres Publikum. Innerhalb des Leseangebotes für deutsche Kinder bildeten die Muminbücher damals eine Ausnahme, da in ihnen eine zwar phantastisch eingefärbte, doch überschau- und verstehbare Welt um eine Familie aufgebaut wird, die im Gegensatz zu den damaligen deutschen Kinderbuchfamilien von einer wohltuend anarchischen Grundhaltung geprägt ist, an der letztlich jedes autoritäre Verhalten (die Hemule), jedes intellektuell verbrämte Schmarotzertum (der Bisam), aber auch die Versuche des Muminvaters selbst, den Patriarchen und gelegentlich auch den Pascha zu spielen, zerbricht. Ihre partiell kleinbürgerlichen Vorlieben entsprechen eher dem Hang bohèmer Naturen zur Pflege einer kleinbürgerlichen Fassade, der grundverschieden vom festverwurzelten Spießertum der Hemule und Filifjonkas ist. Das macht einen bedeutenden Teil der Beliebtheit Tove Janssons bei den deutschen kleinen und großen Lesern aus, die diesen milden Zerrspiegel ihrer eigenen Kleinbürgerlichkeit mehr oder weniger bewußt genießen mögen. Bis heute üben die Bücher daher eine sanfte, aber beharrliche und langanhaltende Faszination auf ihre kindlichen wie erwachsenen Liebhaber aus, die sicher dem literarisch verständnisvolleren, anspruchsvolleren und empfindsameren Teil des Lesepublikums zuzuordnen sind. | ||||||||||||||||
Die erste deutsche ÜbersetzungEinen wesentlichen Beitrag zur Beliebtheit der Muminbücher leisteten ohne Zweifel Kurt und Vivica Bandler mit ihrer Übersetzung der Bände Kometjakten, Trollkarlens hatt und Farlig midsommar ins Deutsche. Die allgemeine sprachliche Originalität und Qualität dieser Übersetzung kann dennoch ihre Herkunft aus den fünfziger Jahren nicht verleugnen, der Epoche der deutschen Kinderliteratur also, die noch sehr stark von pädagogisierenden Tendenzen geprägt war. In den fünfziger Jahren durfte ein Übersetzer von Jugendbüchern nicht nur einfach so übersetzen, ohne den Vorstellungen der Verleger, Pädagogen und Eltern von einem guten, für deutsche Kinder empfehlenswerten Kinderbuch Rechnung zu tragen. Infolgedessen war für Kurt und Vivica Bandler weniger die originale Textfassung oder gar Achtung | ||||||||||||||||
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vor der künstlerischen Leistung der Autorin wichtig, als ihre persönliche Auffassung (beziehungsweise die ihres Verlagslektors) davon, was dem Gemüt und der Verständnisfähigkeit eines deutschen Kindes zu- oder abträglich sei. Die Art der Veränderung des Textes durch die Übersetzung läßt interessante Rückschlüsse auf bestimmte, zeitabhängige Vorstellungen über das Abfassen beziehungsweise die Lektorierung von deutschen Jugendbüchern zu. Solche Erkenntnisse kann man zwar auch aus der Analyse originaler deutscher Bücher gewinnen, doch ist dann meistens nicht feststellbar, ob deren Tendenz schon vom Autor festgelegt, beziehungsweise in seiner Persönlichkeit begründet ist, oder ob sie eine Folge der Einflußnahme durch den Verlag war. Hier jedoch wurde ein eigenständiges, von jeglicher bevormundender Pädagogik freies Werk, wie es das von Tove Jansson ist, nicht nur übersetzt, sondern gleichzeitig für den deutschen Leser adaptiert. Ein wesentlicher Teil der textlichen Veränderungen, die dabei vorgenommen wurden, ist nicht stilistisch begründbar. Untersucht man sie kritisch, erkennt man sie als symptomatisch. Sie ergeben einen klar ablesbaren Katalog der Maßstäbe für Kinderliteratur der Zeit, nach dem sich viele Autoren richteten. Meine Beweisführung beschränkt sich auf die Übersetzung von Trollkarlens hatt. Zu den wichtigsten der von mir festgestellten Tendenzen der Übersetzung führe ich jeweils einige Beispiele an.Ga naar voetnoot4 | ||||||||||||||||
Tendenz zur VerkindlichungGanz allgemein fällt auf, daß sich das Übersetzerpaar bemühte (möglicherweise auch durch Auflagen des Verlages gezwungen), den Text durch Kürzungen, Hinzufügungen und entsprechende Wortwahl stärker an die vorgesehene Lesealtersstufe von höchstens zehn Jahren anzupassen. Damit wurde zwangsläufig die Zweischichtigkeit des Textes, also die eher für ältere Kinder und Erwachsene erfaßbare zweite Ebene, verwischt. Die am häufigsten angewandte Methode der Übersetzer war, den ursprünglichen Text im Sinne einer als kindgemäß verstandenen | ||||||||||||||||
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sentimentalen Naturauffassung sprachlich auszuschmücken - offensichtlich, weil man den bewußt einfachen Erzählton nicht als das stilistische Mittel, das er ohne Zweifel ist, erkannte, sondern als Mangel empfand. Auch vor der Einführung kindertümelnder, betulicher Elemente durch Verkleinerungen schreckte man nicht zurück, um sich der Zielgruppe zwischen sechs und acht Jahren anzubiedern. Schon der Anfang der Erzählung wurde emotional aufgeladen. Beginnt Tove Jansson mit den Worten: En grå morgon... (An einem grauen Morgen, S.7), wird in der deutschen Ausgabe daraus: An einem grauen, stillen Morgen... (S.7).Ga naar voetnoot5 Dieser Anfang war den Übersetzern überhaupt viel zu nüchtern, zu schnell ablaufend. Also mußten retardierende Elemente eingebaut werden, die in eine Naturschwärmerei im Stil der Jugendbücher des 19. Jahrhunderts ausarteten. Ich übersetze zunächst den originalen Wortlaut, gehalten in einem sachlichem Ton: Mumin stand auf der Treppe und schaute zu, wie sich das Tal das Winterlaken überzog, und er dachte ruhig: Heute Abend beginnen wir den Winterschlaf, S.7. Dieser Text plustert sich im Deutschen grotesk auf: Mumin stand auf der Treppe seines kleinen Hauses und schaute nachdenklich in das sanfte Gestöber, das einen weichen Teppich über das Tal breitete. Nun ja, dachte er, wenn's so ist, dann beginnen wir eben gleich mit unserem Winterschlaf’ (S.7). Daß das Haus übrigens nicht Mumin, sondern seinen Eltern gehört, ist dabei eine fast schon zu vernachlässigende Ungenauigkeit. Später folgt der Griff zu Diminutiven. Der originale Text Die Muminmutter deckte für sie auf der Veranda, aber jeder bekam nur Tannennadeln in die Schüssel (S.8) ist natürlich zu nüchtern, zu unkindlich. Für die mit großen Augen zur vorlesenden Mama aufblickenden Kleinchen muß es im Deutschen angeblich heißen: | ||||||||||||||||
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Die Muminmutter deckte den Tisch und füllte jedes Tellerlein mit Tannennadeln (S.8). Auch weiter unten scheint der Originaltext viel zu schlicht: Er lag da und schaute hinaus...Es roch gut nach Blumen (S.43). Deshalb wird deutsch daraus: Er lag wach in seinem Bettchen...Wunderbar dufteten die Blumen zum Fenster herein (S.39). | ||||||||||||||||
Erläuterungzwang durch Ergänzungen oder VeränderungenDie Übersetzer veränderten den Text auch an den Stellen im Buch ziemlich eigenmächtig, wo sie ihn für ungenau, undeutlich oder gar unverständlich hielten. Diese Stellen wurden durch kleine Zusätze oder Veränderungen erläutert. So ertrug es der Genauigkeitsfanatismus nicht, daß es am ersten Frühlingstag einfach nur heißen sollte: Man...reparierte seine Häuser (S.13). Der Grund dafür, jedem normal denkfähigen Leser verständlich, ist es mitnichten den Übersetzern. Sie schreiben: Man...reparierte seine Häuser, die unter den Winterstürmen gelitten hatten (S.13). Auch, daß die Mäuse einfach Frühjahrsputz machen, schien nicht ausreichend klar zu sein. Aus der Stelle ... schließlich sahen sie nur noch die eine oder andere Mäusemutter, die umherfuhrwerkte und Frühjahrsputz machte (S.14) wurde daher: Ein deutsches Kind kann nach der Überzeugung der Übersetzer groteske Dinge angeblich nicht begreifen, zum Beispiel, daß der Hemul | ||||||||||||||||
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einen Rock anhat. Wenn er dagegen von den Übersetzern mit einer Spielschürze bekleidet wird, wie sie die Kinder selbst noch in den fünfziger Jahren trugen, scheint dem Verständnis Genüge getan.Ga naar voetnoot6 Die Tarzanstory von Edgar Burroughs war deutschen Kindern damals weitgehend unbekannt. Die Stelle des Tarzanspiels im 5. Kapitel (S.114-116), die für Boel Westin ein wichtiges abenteuerliches Detail des Buches ist und zugleich eine Parodie darstellt,Ga naar voetnoot7 wurde daher reduziert und dabei stark vereinfacht (noch dazu sehr ungeschickt), weil man annahm, daß die deutschen Leser die Anspielungen nicht verstehen würden. | ||||||||||||||||
Pädagogisierung des TextesDie zugegebenermaßen wenigen Stellen einer unverblümten Pädagogisierung des Originaltextes sind dennoch sehr aufschlußreich. Sie geschahen nach der bewährten besserwisserischen Haltung der fünfziger Jahre, die etwa so lauten könnte: Diese nichtdeutsche Schriftstellerin hat zwar originelle Ideen, aber leider schreibt sie für die, Ordnung gewöhnten, deutschen Kinder etwas gedankenlos. Unter dem Deckmantel der Übersetzungsarbeit übernahm man also, was gelungen schien und verbesserte da, wo es nötig ist, was damals hieß, im Sinne einer bevormundenden und behütenden Pädagogik. Was hat sich zum Beispiel diese finnische Autorin in ihrer verantwortungslosen Naivität gedacht, als sie schrieb: ‘Als das Abendessen zu Ende war (es hatte nicht gerade besonders geschmeckt), sagte man ein bißchen ordentlicher Gutenacht zu einander als üblich, und Muminmutter ermahnte alle, sich die Zähne zu putzen (S.8). Kindern hat das Essen zu schmecken! Wo kommen wir hin, wenn sie sogar in einem empfehlenswerten Buch lesen, daß Essen auch weniger gut schmecken kann? Auch Gutenacht sagt man immer ordentlich, nicht nur bei besonderen Gelegenheiten. Also weg mit dem halben Satz! Die Ermahnung zum Zähneputzen ist dagegen in pädagogischer Hinsicht | ||||||||||||||||
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sehr positiv zu werten, sie darf selbstverständlich stehen bleiben. Daher heißt diese witzige Stelle im deutschen Text kurz und schlicht: Als man das Abendessen beendet hatte, ermahnte die Muminmutter alle, sich die Zähne zu putzen (S.8). Damit wurde dieser durchaus auch satirisch gemeinte Ausfall der Muminmutter in biedere Bürgerlichkeit zu einer bierernsten Einlage über Reinlichkeitserziehung. Beanstandet wurde einige Kapitel später auch der Satz: Draußen aber in der Bucht kletterte das Snorkfräulen zwischen den Klippen herum...und suchte nach Strandgut, das alle anderen in Erstaunen setzen und neidisch machen sollte (S.86). 1. Wenn schon Kinder aus literarischen Gründen zwischen Klippen herumklettern müssen, dann aber bitte vorsichtig! Also heißt es: Draußen an der Inselspitze kletterte das Snorkfräulein vorsichtig zwischen den Klippen herum... (S.78). 2. Neid zu erregen und zu haben, ist unfein, das geht natürlich nicht. Also wird neidisch machen weggelassen. | ||||||||||||||||
Ausmerzung als heikel empfundener StellenGewiß sind in Tove Janssons Werk aus dem deutschen Blickwinkel als gewagt oder für Kinder unpassend einzuschätzende Stellen nicht eben zahlreich. Spürbar ist an diesen weggelassenen Kleinigkeiten, dieser ängstlichen Vermeidung auch nur scheinbarer Unstatthaftigkeiten für das deutsche Kindergemüt, wie weit in den fünfziger Jahren die skandinavische Jugendliteratur der deutschen in ihrer moralischen Verklemmtheit voraus war. Auch diese wenigen Kupüren beeinflussen dennoch, zusammen mit den anderen Veränderungen, den Gesamteindruck des Werkes für den deutschen Leser erheblich. S.21 heißt es vom Snusmumrik: Schnupferichs Wölkchen kenterte, und er fiel Hals über Kopf in die Rabatte, so daß ihm der Hut über die Nase gedrückt wurde. | ||||||||||||||||
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Daß ihm der Hut bei seinem Unfall eingetrieben wird, ist entschieden zu arg, wird also weggelassen; es reicht schließlich, meinen die Übersetzer, zu schreiben: Das Wölkchen des Schnupferich kippte um, und er fiel kopfüber ins Blumenbeet (S.21). Das nächste Beispiel: Vielleicht Filmsterne? (S.25) schlägt das Snorkfröken dem Hemul als neues Sammelobjekt vor. Liebe Tove Jansson! Die Halbwelt des Filmes? Das ist doch nichts für Kinder! Schreiben wir: Juwelen? meinte das Snorkfräulein (S.23). Das ist viel passender. Völlig unmöglich in dieser Hinsicht benimmt sich der Bisam. Er gebraucht Ausdrücke und beschimpft die Morra: Der Bisam: Ich wollte nur mal kurz hinaus zum Pinkeln. Ich hab gar nicht mehr an eure dämliche Morra gedacht (S.125). Hier wurden die Anstandsgrenzen des Kinderbuches von der Autorin entschieden überschritten - im Deutschen ist allenfalls die Andeutung tragbar: Ich wollte nur ein wenig hinaus (S.113).
Eine weitere bedenkliche Stelle schien: Man spielte Poker bis zum Morgen (S.127). Poker, das Spiel der verdorbenen Gesellschaft im Kinderbuch, noch dazu bis zum Morgen? Nein. das geht nicht! In der deutschen Fassung spielt man brav Karten (S.115). Als heikel wurde offensichtlich auch folgender Satz empfunden: Muminvater aber trug das Radio in den Garten und stellte Tanzmusik aus Amerika ein (S.150). Tanzmusik aus Amerika war in seriösen Familien der fünfziger Jahre verpönt, also wurde dieser Hinweis weggelassen.Ga naar voetnoot8 Aber es kommt leider noch schlimmer: ‘Ach du liebe Güte’, sagte der Snork geniert. ‘Man soll sich nicht abschmatzen, wenn andere zuschauen. Ich konnte Dich bloß nicht in diesem | ||||||||||||||||
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schrecklichen Zustand ertragen. Das wars’ (S.162). Diese im Prinzip von viel Anstandsgefühl zeugende Antwort des Snork kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine öffentliche Küsserei im Kinderbuch prinzipiell viel zu heikel und daher samt und sonders wegzulassen ist. Daher heißt es deutsch verkürzt: ‘Aber geh’, sagte der Snork verlegen. ‘Du sahst nur so schrecklich aus, daß ich dich nicht ansehen konnte’ (S.146). Eine kleine Abänderung ist jedoch berechtigt gewesen. Muminpappas klassischer Ausruf Vid min svans (zum ersten Mal S.21) würde, direkt ins Deutsche übersetzt, eine hier unangebrachte Zweideutigkeit provozieren. Mit der Version bei meinem Schwänzchen zogen sich die Übersetzer diesmal verhältnismäßig elegant aus der Affäre, ohne etwas unterdrücken zu müssen. Somit hätten wir die vier goldenen Regeln beisammen, an denen sich das Gros der Kinderliteratur der fünfziger Jahre orientierte und denen sich übersetzte Titel des Auslandes, wenn der Verlag es für richtig befand, anzupassen hatten:
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Allgemeine Kürzungen und WeglassungenKonnte man in den bisher erwähnten Änderungen am Originaltext irgendeinen Sinn erkennen, gibt es außerdem jedoch eine Reihe von kleineren Kürzungen, bei denen man einen Sinn nicht feststellen kann. Vielleicht wollten die Übersetzer ihrer Meinung nach Überflüssiges eliminieren; oder diese Kürzungen sind einfach Folge des üblichen, auf den Text nicht Rücksicht nehmenden verlegerischen Limits an Seitenzahlen. Weggelassen wurden auch alle Anspielungen auf die Memoiren, die der Muminpapa schreibt. Man war sich im Verlag des Erfolges des | ||||||||||||||||
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Buches wohl noch nicht sicher und wollte in den Lesern keine vergebliche Hoffnung auf weitere Bände wecken.Ga naar voetnoot9 Da es aber in diesem klassisch strengen Text, der keinerlei unmotivierte Weitschweifigkeiten enthält, keine Längen zu kürzen gibt, hat jeder solcher Eingriff eine Vergröberung und Verarmung des Originals zur Folge. | ||||||||||||||||
Allgemeine sprachliche und inhaltliche Beurteilung der ÜbersetzungMan muß anerkennen, daß die beiden Übersetzer, abgesehen von den eben aufgezählten Kritikpunkten, alles in allem viel sprachliches Feingefühl bewiesen. Das zeigt sich nicht nur in der Abfassung der Dialoge, die sich sehr flüssig und natürlich lesen, das beweist auch die Eindeutschung der sprechenden Namen. Sie einfach unverändert zu übernehmen, um dem Leser eine besonders große Texttreue zu suggerieren, wie das später Dorothea Bjelfvenstam tat, entfremdet diese Figuren dem Leser eher. Würde man versuchen, Trollkarlens hatt allein anhand der deutschen Übersetzung und ihrer Veränderungen zu beurteilen, könnte man, wie Hildegard Kuhn, zu folgendem merkwürdig platten Ergebnis kommen: Eine drollige Gesellschaft ist ein amüsant und phantasievoll geschriebenes Kinderbuch, das dem kindlichen Verständnis und dem naiven Vergnügen an Zauberei am meisten entsprechen mag.Ga naar voetnoot10 Der Charakter der Übersetzung legt eine solche oberflächliche Einschätzung nahe. Sie macht es dem, kindlichen wie erwachsenen, verständigen Leser schwer, mehr dahinter zu sehen, als ein leicht zu lesendes, kindgemäßes Buch. Die Hintergründigkeit der ersten drei Bücher wurde durch die Übersetzung eher verdeckt, weshalb es bis heute zu so krassen Fehlurteilen kommen kann, wie dem von Gundel Mattenklott, die in diesen Büchern nur die Idylle sieht: Tove Jansson hat ein Kinderparadies entworfen, in dem es weder eine Schlange noch einen Baum | ||||||||||||||||
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der Erkenntnis gibt. Ihr eigenes Ungenügen daran scheint heftig zu sein, aber eine Instanz, die sie, ihre Figuren und ihre Leser daraus vertreiben könnte, die den großen Aufbruch ermöglichen würde, hat sie nicht hineingezeichnet.Ga naar voetnoot11 Ungeachtet dieses Mangels und der zeitbedingten Eigenmächtigkeiten zeigen die frühen Übersetzungen durch das Ehepaar Bandler jedoch genügend sprachliches Einfühlungsvermögen, so daß sie der zwar genaueren, aber oft wenig phantasievoll zu eng am Originaltext klebenden Übersetzung der späteren Bände (ab Muminpappans Bravader, 1950) durch Dorothea Bjelfvenstam in gewisser Weise überlegen sind. | ||||||||||||||||
Das Schicksal der weiteren Bände in deutscher ÜbersetzungAls 1963 der 4. Band, Muminvaters wildbewegte Jugend, erschien, war die Phase des behütenden und bevormundenden Kinderbuches weitgehend überwunden. Mit James Krüss, Otfried Preußler und anderen hatte die westdeutsche Jugendliteratur auch international anerkannte Autoren aufzuweisen, welche das Kind ernst nahmen. Der Benzigerverlag entschloß sich für das neue Muminbuch zu einem Wechsel der Übersetzer. Von Dorothea Bjelfvenstam, der neuen Übersetzerin, erwartete sich der Verlag offensichtlich eine bessere Textqualität, die mit derjenigen der neuen deutschen Autoren Schritt halten konnte. Auch befand sich wohl das Bewußtsein der Pflicht zur Achtung vor der literarischen Vorlage bei den Verlagen damals schon im Zustande zarten Erwachens. Dorothea Bjelfvenstam ging tatsächlich mit der originalen Vorlage sehr rücksichtsvoll um und bemühte sich um möglichste Treue. Wohl aus Rücksicht auf die ersten Bände blieben auch die Namen Schnupferich und Schnüferl für Snusmumrik und Sniff noch erhalten. Als jedoch 1966 der nächste Band, Geschichten aus dem Mumintal (Det osynliga barnet och andra berättelser, 1962), erschien, hielt es der Verlag (und die Übersetzerin?) für notwendig, in einem im Original nicht vorhandenen Vorwort die handelnden Personen vorzustellen und dabei dem Leser einige Namensänderungen schmackhaft zu machen - ein riskantes Unterfangen, da die Namen dem Leser schließlich durch vier Bände hindurch vertraut geworden waren. Im übrigen kann man, | ||||||||||||||||
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wenn man die enttäuschende Namensumstellung verdaut hat, mit der Übersetzung recht zufrieden sein. | ||||||||||||||||
SchlußEine Tatsache aber wiegt schwerer als alle, schnell zu unzufriedenem Räsonnieren neigende Übersetzungskritik, denn sie ist für die Rezeption des jugendliterarischen Werks Tove Janssons von kardinaler Bedeutung: Bis einschließlich der neuesten, nunmehr vom Arenaverlag Würzburg betreuten Ausgabe von 1992 sind stets die Übersetzungen der deutschen Erstausgaben ohne jegliche Revision übernommen worden! Damit aber haben die bedeutenden Umarbeitungen, welche die Autorin an den Bänden 3-5 für die Neuausgaben von 1968 vornahm und die eine wesentliche Verdichtung und Vertiefung der Texte durch sprachliche Präzisierung und Verfeinerung bewirkten, in sämtlichen deutschen Ausgaben (und übrigens auch in den slavischsprachigen) keinerlei Niederschlag gefunden! Der Grund dafür ist sicher rein ökonomischer Natur: Der Verlag konnte oder wollte keine Neuübersetzung finanzieren. Man mag dafür Verständnis haben, doch bleibt diese Tatsache sehr bedauerlich, denn sie muß zwangsläufig die Rezeption der frühen Bücher Tove Janssons beeinflussen. Die deutschen Leser können erst an den späteren Romanen (ab Band 7 Det osyliga barnet) die sprachliche Stringenz und inhaltliche Vielschichtigkeit der Bücher Tove Janssons voll erfassen. Somit mag die vorschnelle Einstufung von Tove Janssons jugendliterarischem Werk, das zu den großen klassischen Schöpfungen der Nachkriegszeit gehört, als harmlose oder gar zwanghafte Idylle ihren Grund in der zwar gut lesbaren, doch insgesamt inadäquaten Übersetzung ins Deutsche haben.Ga naar voetnoot12 Daß die Muminbücher dennoch vom ersten Band an bis heute eine breitgestreute Leserschaft begeistern und nicht mehr loslassen, ist ihrer Originalität, ihrem verständnisvollen Humor und ihrer tiefen Menschlichkeit zu verdanken. | ||||||||||||||||
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Fachliteratur
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