Internationale Revue i 10 1927-1929
(1978)– [tijdschrift] Internationale Revue i 10– Auteursrechtelijk beschermd
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Ernst Kallai
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erzeugen. Aber dieses plastische Gebilde ist keineswegs identisch gedacht mit jener stofflichen Form, deren kreisende oder schwingende Bewegung das Gebilde erstehen lässt. Dies würde einen technischen Naturalismus, einen naiven ästhetischen Maschinenkult bedeuten. Gabo ist im Gegenteil bestrebt, den optischen Bewegungs- und Gestaltungseindruck von allen gegenständlichen Spuren des maschinellen Antriebes frei zu halten. Man betrachte die abgebildete kinetische Plastik Gabos. Sie sieht wie eine Spindel aus, besteht aber aus einem ganz dünnen und schmalen Metallstreifen mit einem Plättchen am Ende, der durch elektrische Einwirkung von Bewegungswellen erfasst und zum vibrieren gebracht wird. Das Auge kann die einzelnen Phasen dieser lebhaften Vibration der Metallzunge nicht auseinanderhalten. Die Vibrationen verschmelzen zu einem luftigen, metallisch schimmernden Scheingebilde, dessen Form sich elastisch auszudehnen oder zusammenzuziehen scheint, je nachdem, mit welcher Schwingungszahl die Bewegungswellen der Metallzunge dahinjagen. Der Eindruck ist volkommen analog der Illusion, die man beim Anblick eines kreisenden Propellers oder jenes Metallreifens hat, der bei den Zentrifugalversuchen der Physik gebraucht wird. Gabos künstlerische Erfindung besteht in dem Gedanken, solche Illusionen von räumlicher Gestalt als Formenelemente einer rhythmisierten plastischen Gestaltung verwenden zu wollen, Plastik nicht als Masse, sondern als Raumgestaltung zu nehmen. Rhythmisch bewegte stoffliche Teile sollen die Illusion einer sich rhythmisch wandelndenN. GABO
MODELL ZU EINER SÄULE räumlichen Gestalt erregen.Ga naar voetnoot1) Dieser rhythmische Bewegungswandel würde sowohl unser Zeitempfinden, als unser räumliches Schauen ergreifen. Die kinetische Plastik wird als einheitliche Gestaltung von Zeit und Raum erstrebt. Die modernen Empfindungsquellen dieser kühnen und vollkommen neuartigen künstlerischen Idee liegen klar zutage. Sie ist eine letzte Folgerung der technisch begeisterten grosstädtischen Intellektualität unserer Zeit. Diese Intellektualität hat jede Beziehung zur sinnlichen Daseinspracht der Natur verloren, deren künstlerisch auszuwertende Schönheit ge- | |
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N. GABO
KONSTRUKTION rade in der Tiefe und Beharrungskraft liegt, mit denen ihre Formen sich dem Stoffe verbinden. Gabo sieht über diese Stofflichkeit hinweg: seine rein geistige Erlebnistendenz vermag sich nur an Formen emporzuschwingen, in denen undurchschaubare Dichte und triebdunkle Schwere der Materie bis zur Grenze des Nichts verdünnt, durchleuchtet erscheinen. Diese äusserste Entstofflichung beschränkt den Eindruck des Materiellen auf das unumgänglichste Mindestmass, das nötig ist, um eine Form überhaupt noch umschreiben, illusionistisch markieren zu können. Man stelle sich das Volumen einer Kugel vor, dem jeder stoffliche Gehalt entzogen ist. Dieses Volumen und mit ihm die Form der Kugel | |
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müssten in der Konzeption Gabos durch eine gleichsam graphische, illusionistische Markierung der Kugeloberfläche gegeben werden. Was eine solche Kugel an stofflicher Dichte und Vitalität entbehrte, wäre auf der anderen Seite durch die geschmeidig-rhythmische Vitalität der Bewegungen aufgewogen, die den Augenschein der sphärischen Oberfläche und damit die Illusion einer Kugel erzeugen würden. Innen und Aussen dieser Kugel wären eben so wenig von einander zu trennen, wie Struktur und Oberfläche eines Wassertropfens. Ihre stofflich fast vollkommen wesenlose, schemenhaft lichtdurchlässige Form würde einzig und allein als flirrender Schimmer eines rasenden Bewegungswirbels bestehen. Gabo erschaut das ästhetische Ideal der kinetischen Leidenschaft unserer Zeit, für die Leben nur Bewegung und immer wieder Bewegung bedeutet. Er erschaut die Bewegung, von allen praktisch-zweckmässigen, nützlichen Endlichkeitsbindungen losgelöst, zur Vision ewig in sich zurückkehrender, aus sich neu emporschnellender räumlich-zeitlicher Rhythmen gesteigert. Kühne Diagonalen, um die sich ein Wirbel von heftigsten Spiralen schlägt: das sind die ständigen Gestaltungselemente in allen Phantasie-Entwürfen, zu denen Gabo durch den Gedanken der kinetischen Plastik angeregt wird. Diese Entwürfe haben einen eminent tänzerischen Schwung, der in typisch russischen Rhythmen zur Entladung kommt. Aber solche Geschwindigkeitsparoxismen der sich drehenden und schleudernden Bewegungsfreude gehen über jede menschliche Möglichkeit hinaus. Diese rasende Kinetik ist nur technisch, und zwar elektrotechnisch zu verwirklichen. Auch ihre vorgesehene reiche und geschmeidige Wandlungsfähigkeit erfordert diese Technik. Nur elektrische Ströme, elektrische Fernwirkungen eignen sich zu solchen modulierbaren Energie-Impulsen, auf die es bei den kinetischen Plastiken Gabos ankommt. Gabo gründet das Wesen seiner neuen Plastik auf elektrotechnische Voraussetzungen, deren praktische Verwirklichung einstweilen noch gar nicht abzusehen ist. Das einzige elektrisch betriebene Modell einer kinetischen Plastik, das Gabo selbst konstruiert hat, beschränkt sich, wie bereits erwähnt, auf das Hervorbringen einer äusserts einfachen, spindelartigen illusionistischen Raumgestalt. Kompliziertere Entwürfe müssen sich entweder mit graphischen Andeutungen oder mit Stehmodellen in Metall und Glas zufrieden geben, die freilich nur als Surrogate in Betracht kommen, so eindringlich-spannungsvoll sie in ihrer statischen Gebundenheit auch wirken mögen. Gabos Plastik ist, so weit freie Gestaltungen kinetischer Absicht vorliegen, der Zukunft. Kunst. Ihre kühnen Perspektiven müssen auf umwälzende technische Erfindungen warten, um erfüllt werden zu können. Immerhin geben auch die statischen Modelle einen vielfältigen und fesselnden Eindruck von der Art, wie Gabo durch ein fast nur linear wirkendes weitmaschiges Gerüst aus Metall und Glas eine Raumgestaltung gespanntester Baugesetzlichkeit und geschlossenster Rundung hervorbringt. Fast alle Plastiken Gabos sind Rundplastiken, deren Reichtum an innerer Gliederung erst dann restlos ins Auge tritt, wenn sie um ihre Achse gedreht und stetig fortschreitend von allen Seiten betrachtet werden. Erst dieses wechselvolle Schauspiel der vielen Ansichten lässt die kreisende, spiralmässig gewundene, von Punkt zu Punkt mit lebendigen Elan sich mitteilende rhythmische Kraft solcher Plastiken erkennen. Filmaufnahmen haben diesbezüglich ganz überraschende Schönheiten der Arbeiten von Gabo zutage gefördert. Das Spiel der gegensätzlich gelagerten transparenten Flächen, der scharf zugeschnittenen Kanten und vielfach geschwungenen Linien entfaltet sich mitunter graziös fächerartig oder erinnert an die Flügelstellung ruhender Schmetterlinge. Solche Eindrücke des schwebend Leichten, fast vollkommen Schwerkraftentrückten lassen die Schönheiten der Bewegung und des Gestaltenwandels erahnen, die Gabos kinetische Plastik, einmal zur erforderlichen technischen Lösung gelangt, offenbaren könnte. Sie lassen aber zugleich auch einen Zusammenhang empfinden, der das gleiche fluidumartig verflüchtigste, schillerndbewegliche Gestaltungsspiel verheisst, ohne auf die vorläufig noch problematische-technische Konstruktion einer kinetischen Plastik angewiesen zu sein. Je mehr die kinetische Plastik Gabos sich der Verwirklichung ihres Ideals nähert, eine aus Bewegungsrhytmen erstandene | |
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N. GABO
KINETISCHE PLASTIK illusionistische Raumgestaltung zu sein, um so mehr sind ihre Wirkungen auch durch den Film zu erreichen. Denn diese kinetische Plastik hat nicht einmal so viel stoffliche Konsistenz wie das Formenspiel einer Fontäne, die fliessendes Wasser sur kunstvollen Gestalt werden lässt. Sausende Reflexgespinste aber vermag auch der Film beliebig und voller räumlicher Illusion zu gestalten. Jedoch, es gibt auch Plastiken von Gabo, deren statische Gestaltung nicht als Andeutung einer beabsichtigten Kinetik, sondern als Selbstzweck zu nehmen ist. Sie bewahren in Gegensatz zu den kinetisch-asymmetrisch empfundenen Diagonalen ein horizontal-vertikales und symmetrisches Gleichgewicht. Diese geistvoll facettierten und in ihren Materialzusammenklängen fein kombinierten Metall- und Glaskonstruktionen würden sich ausgezeichnet als grosstädtische Lichtsäulen verwenden lassen, Ueberhaupt ist die kunstlerische Durchgestaltung moderner Beleuchtungseffekte eine Aufgabe, der Gabo die glänzendsten Lösungen abzugewinnen weiss. Gerade seine besondere Begabung für ein fast stoffloses Andeuten statischer und kinetischer Raumfunktionen befähigt ihn, Lichtflächen und lineare Lichtbahnen als räumlich wirkungsvolles Gefüge zu gestalten. Der Idealist und wohl auch Romantiker in Gabo wehrt sich gegen solche Anwendungen seiner Kunst. Und doch wäre gerade hier eine Möglichkeit vorhanden, Plastik in geistigorganische und konstruktiv-notwendige Verbindung mit moderner Architektur zu bringen. Diese zweckgebundene Anwendung rhythmisierter Formen brauchte nichts mit dem kunstfeindlichen Utilitarismus gemein zu haben, gegen den Gabo während der Moskauer Revolutionsjahre so heftig gekämpft hat. Der bewusste Wille zur modernen Zweckform kann vielmehr zur klaren und gesunden Scheidung zwischen angewandter und freier Gestaltung führen. Gerade er vermag vor gefährlichen Verquickungen dieser beiden Sphären der Form zu bewahren. Vor Gefahren, denen mitunter auch Gabo ausgesetzt ist, wenn er den spontanen Ansatz zu einer Zweckform, einer neuartigen Lichtreklame etwa, aus seiner ursprünglichen geraden Richtung in unangebrachte, rein ästhetische Wendungen umbiegt - lediglich, um einer falschen Scheu vor der Nützlichkeit zu gehorchen. Dann entstehen widerspruchsvolle Arbeiten, die weder Zweckmässigkeit, noch Freiheit erkennen lassen. Allerdings ist die Möglichkeit solcher widerspruchsvollen Verquickungen gerade bei Gabo sehr naheliegend. Denn seine hervorragend zeitgemässe Begabung äussert sich eben darin, dass er Zweckgebundenes und Freies aus dem selben feinen Empfinden für moderne technische Stoffe, Funktionen und geistig-spannungsvolle Rhythmik zu gestalten weiss. | |
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N. GABO UND PEVSNER
‘BÜHNENBILD’ FÜR DAS RUSSISCHE BALLET VON DJAGHILLEFF FOTO: HENRI MANUEL |
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