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Marsman und der Alexandriner
Mit einigem Interesse habe ich die Diskussion verfolgt, die es zwischen den Herren J.P. Guépin und R.v.d. Velde gibt, die ihren Ausgangspunkt nahm, als Guépin in der Einleitung zu seiner Uebersetzung des ‘Bateau Ivre’ von Rimbaud einigen niederländischen Dichtern, darunter Marsman, fehlendes metrisches Gefühl vorwarf, und die später mit einer Heftigkeit geführt worden ist, die fast die Grenze des Urbanen überschreitet. (‘dat ik naief genoeg geweest ben om in Van de Velde's belezenheid te geloven’.) Darf es einem nicht nederlandischen Literarhistoriker gestattet sein, zu dieser Diskussion beizutragen?
Van de Velde wirft Guépin vor, die eigene Nationalliteratur zu niedrig einzuschätzen, wenn er einen französischen Text zum Anlaß nimmt, niederländische Dichter als schlecht hinzustellen, die doch unter ganz anderen sprachlichen und daher auch anderen metrischen Gesetzen antreten. Regelmäßige Alexandriner im Niederländischen seien ‘onuitstaanbaar monotoon’, und Guépin werde mit seinem Geschmack der Cats des 20. Jahrhunderts.
Guépin antwortet, daß seine Begriffe vom Alexandriner zwar freier seien als zu Cats' Zeiten, daß aber ein Gemisch von Alexandrinern mit und ohne Zäsur mit Fünffußiamben ‘naar mijn gevoel bijzonder storend’ sei, und ‘dat wie vijfvoetige jamben tussen zijn alexandrijnen laat rondlopen een verfijnd maatgevoel mist, dat Rimbaud wel eigen was’.
Beide Herren vertreten eine ästhetische und somit letzten Endes postulative Position: jenes sei ‘monotoon’, dieses sei ‘storend’. Keiner von beiden betrachtet aber Tempel en Kruis und überhaupt die Dichtung Marsmans als ein ästhetisches Ganzes; nur unter Berücksichtigung einer solchen ästhetischen Ganzheit und nicht vom persönlichen Geschmack des Kritikers aus läßt sich ein Urteil über Marsmans ‘Boot van Dionysos’ fällen, das geistesgeschicht-lich-literarhistorische Relevanz hat.
Fast alle übrige Poesie von Marsman besteht aus sogenannten Madrigalversen, d.h. iambischen Gebilden mit wechselnder Hebungszahl, oder aus einfachen, volkstümlichen Strophen. Nur an einer einzigen Stelle, nämlich im ‘Boot van Dionysos’, scheint Marsman enger klassisch-klassizistischen Gesetzen folgen zu wollen, und zwar, wie Guépin meint, mit wenig Erfolg:
‘De morgenwind ontrolt zijn schuimende banieren door het vervalend nagrauw van den nacht; de ochtend brandt in hemelsblauwe vuren, het sterrengruis bekoelt tot sintelende as.’
Dies sind keine Alexandriner. Zu den elegischen Alexandrinern Rimbauds fehlt nicht nur, daß alle Verse sechsfüßig wären, sondern es fehlen auch regelmäßige Zäsur und regelmäßiger Reim. Diese Verse sind nicht Alexandriner sondern alexandrinerhaft, sie berühren das Thema des Alexandriners, weiter nichts.
In seinem ‘Boot van Dionysos’ ist Marsman inhaltlich um eine Erhebung in klassischere Ebenen bemüht. Er läßt diesen Aufschwung in seinem Metrum nachklingen, indem er hier von den wenige erhabenen Madrigalversen abweicht, die zu Beginn des Tempel en Kruis stehen. Theoretisch gäbe es drei Möglichkeiten:
1) | Marsman kann in einfachen Madrigalversen weiterdichten. Dann kommt die inhaltliche Kulmination metrisch nicht zum Ausdruck. |
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2) | Er kann, wie es Guépin gerne sähe, in regelrechten Alexandrinern dichten. Dann ist aber der stilistische Bruch innerhalb des Tempel en Kruis ein absoluter. |
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3) | Er kann, wie er es in diesem Fall getan hat, ein Kompromiß wählen, indem er einige Freiheit des Madrigalverses wahrt, aber daneben den Leser, dessen Ohr geschult ist, Alexandriner zu hören, mit dem Anflug einer Metrik, die an Alexandriner erinnert, das Ultramontane ahnen läßt. Diese stilistische Mischform ist in germanischer Sprache weder ein Unding, wie Guépin meint, noch eine Notwendigkeit, wie Van de Velde zu behaupten scheint, sondern ein bewußter, wenn auch seltener Kunstgriff, für den es zu Marsmans Zeiten andere Beispiele gibt. Ich weise auf Rainer Maria Rilke hin. |
Niemand wird behaupten, daß Rilke kein metrisches Gefühl und kein sprachliches Niveau gehabt hätte. In seinen meist kurzen und scheinbar willkürichen, laxen Versen bezeugt er ein feinstes Empfinden für alle rhythmischen Schattierungen, wie sie die Akzentuation einer germanischen Sprache ermöglicht.
An einer Stelle in seinen Dichtungen liegt es Rilke daran, im Hintergrund das Thema des Klassisch-Klassizistischen mitklingen zu lassen. Ich denke an seine Duineser Elegien, in denen er sein Dichttum kulminieren lassen will. Was macht Rilke? Er bleibt nicht bei seinem bisherigen Metrum. Auch nicht beginnt er, lauter regelmäßige Hexameter und Pentameter zu schreiben, sondern er schreibt einige korrekte Hexameter und Pentameter, einige ohne Zäsur und dazwischen daktylisch-trochäische Fünfheber (z.B. III 1ff.):
‘Eines ist, die Geliebte zu singen. Ein anderes, wehe, jenen verborgenen schuldigen Fluß-Gott des Bluts. Den sie von weitem erkennt, ihren Jüngling, was weiß er selbst von dem Herren der Lust, der aus dem Einsamen oft, ehe das Mädchen noch linderte, oft auch als wäre sie nicht, ach, von welchem Unkenntlichen triefend, das Gotthaupt aufhob, aufrufend die Nacht zu unendlichem Aufruhr.’
Im 20. Jahrhundert sind auf niederländisch Alexandriner, auf deutsch elegische Verse eigentlich überholt. Wer sie schreibt, schreibt sie als Pastiche. Rilke und Marsman verfahren wie der Verfasser eines historischen Schauspiels, der nicht jede vokabularische und syntaktische Eigenheit der früheren Sprachform getreu nachbilden würde, denn das wäre seiner eigenen Kunst untreu werden. Vielmehr wird er ab und zu, als mitklingendes Thema, einige alte Sprachformen, einige alte syntaktische Spezifika einstreuen.
Es liegt im Sinne dieser Interpretation, daß ich auch an keine Möglichkeit glaube, eine Keile zwischen dem Ethos der Sechsfüßler und dem der Fünffüßler im ‘Boot van Dionysos’ zu treiben. Es ist ganz willkürlich, welche Verse den Stimmungseffekt des Alexandrinerhaften tragen, der dieses Gedicht als etwas Besonderes herausstellen soll.
Nach dieser geistesgeschichtlichen Betrachtungsweise ist es hinfällig, ob Herr Guépin persönlich diese Dichtart mag. Es gibt eben diese Verse von Marsman, und es scheint, als ob man sie nicht unbedingt als metrisches Unvermögen interpretieren muß.
Universität Kiel
Leif Ludwig Albertsen