‘Die Entstehung der Pluralform Geister aus der Bedeutungsentwicklung in der Philosophie’.
Die Entwicklung des r-Plurals, insbesondere sein Festwerden als besonderer Deklinationstypus im Nhd., führt man im allgemeinen ausschliesslich auf Analogiewirkung sowie auf die Tatsache, dass dem Neutrum im Ahd und Mhd. eine vom Singular verschiedene Pluralform fehlte, zurück. Diese Erklärung befriedigt nicht, da sie die dem r-Plural als solchem eigene Bedeutung, nämlich die vereinzelnd -zählende, stärker pluralisierende, aus dem Auge verliert, wie diese sich noch jetzt bei doppeltem Plural vom gleichen Worte (Worte - Wörter, Reste - Rester usw.) vom demgegenüber mehr zusammenfassend -kollektiven e-Plural abhebt. In dieser Bedeutung des r-Plurals hat man Ursprung und Wesen der Bildung und ihrer funktionellen Bedeutung gerade seit dem Uebergang vom Mhd. zum Nhd. zu erblicken. Es liegt dieser Entwicklung geistesgeschichtlich gesehen die Tatsache zugrunde, dass eine deutlich geschaute Mehrzahl in dem realistischen, wirklichkeitsnahen Denken der beginnenden Neuzeit gegenüber dem transzendentabstrakten des MA von grösserer Bedeutung wurde.
Als Beispiel für eine derartige geistesgeschichtliche Betrachtungsweise dieses Abschnittes der deutschen Grammatik wird die Entstehung des r-Plurals bei dem Maskulinum Geist genommen. Die ersten r-Plurale von ihm tauchen bereits im 13. Jh. auf (Boppe, Marner, Frauenlob), aber nur in der Bedeutung ‘jenseitiges, überirdisches Lebewesen, Gespenst, Engel, Teufel’, d.h. also in einer Bedeutung. die eine Personifizierung und damit teilweise Konkretisierung der abstrakten Grundbedeutung gegenüber darstellt, womit sich aber andererseits die Möglichkeit, ja Notwendigkeit einer vereinzelnd-zählenden Mehrzahlbildung verbindet. Das Wort Geist ist das erste Maskulinum, das zum r-Plural Beziehungen bekommt. In dieser frühen Pluralform auf -er, verbunden mit der Bedeutungsentwicklung zum Konkreten hin, hat man also ein frühes Symptom für die Entstehung der vereinzelnd-zählenden Funktion des r-Plurals zu erblicken, welche nach den wohl meist auf Analogie zurückzuführenden verstreuten und regellos auftretenden Einzelbelegen in ahd. und mhd. Zeit zur Konsolidierung einer Klasse von r-Pluralen führte. Das auf der Bedeutungsdifferenzierung beruhende Verhältnis: Plur. geister nur in der oben gegebenen ‘konkreten’ Bedeutung- Plur. geiste in allen anderen Bedeutungen hielt sich rund 300 Jahre, bis gegen Ende des 16. Jh. unversehrt! Die r-Form für alle Bedeutungen setzte sich erst Anfang des 17. Jh. allgemein durch (vgl. Gürtler, Zur Geschichte der deutschen r-Plurale (PBB 37, 492 ff; 38, 67 ff.), PBB 38, 125). Diese historische Tatsache scheint von ausschlaggebender Bedeutung, von ihr muss ausgegangen werden.
Nur drei, aber wesentliche, Entwicklungslinien von Bedeutungen von Geist sollen die allgemeine Tendenz der Bedeutungsentwicklung dieses Wortes zum Vereinzelnd-Zählenden und Konkreten hin illustrieren.
I. Psychologisch. Begriff des Lebensgeistes und der Lebensgeister, bereits mhd. belegt als lîpliche geiste, zurückgehend auf den vitalis spiritus bei Cicero und den spiritus animalis bei Plinius (Dt. Wb., Geist 13a),