De Gulden Passer. Jaargang 61-63
(1983-1985)– [tijdschrift] Gulden Passer, De– Auteursrechtelijk beschermd
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Hoofdstuk III
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zeichnet und so wenigstens über die Verfasser oder Sachtitel aufzuspüren sind. Dennoch werden (meist durch Zufall) immer wieder an andere Schriften angehundene Drucke entdeckt, die einst der Katalogisierung entgangen waren. Auch in den Spiegeln alter Einbände ist mancher Druck zu finden, der früher entweder nicht beachtet wurde oder der verdeckt war. Allerdings handelt es sich dabei meist nur um Druckfragmente (oft auch Probedrucke), gelegentlich aber auch um ganze Einblattdrucke. Von einem solchen Fund ist hier zu berichten. Vor einiger Zeit stieß ich im hinteren Einbandspiegel eines 1523 in Tübingen erschienenen Neuen TestamentsGa naar voetnoot3 auf einen niederländischen Einblattdruck, den man im Einband eines süddeutschen Drucks zunaächst nicht erwartet hätte. Es stellte sich aber sofort heraus, daß dieser Band erst im 18. Jahrhundert nach jahrhundertelanger Abwesenheit wieder nach Süddeutschland zurückgekehrt war. Er stammt aus der berühmten Bibelsammlung des Kopenhagener Pastors Josias Lorck, die 1784 vom Gründer der Stuttgarter Landesbibliothek, Herzog Carl Eugen von Württemberg, ‘en bloc’ erworben und zum Grundstock der heute einzigartigen Stuttgarter Bibelsammlung wurde. Lorck hatte seine Sammlung hauptsächlich im Norden Deutschlands und in den Ländern Nordeuropas zusammengetragen. Besagtes Exemplar des Tübinger Neuen Testaments von 1523 in der lateinischen Übersetzung des Erasmus von Rotterdam war offensichtlich schon bald nach Erscheinen an den Niederrhein oder in die Niederlande gelangt, denn dort erhielt es seinen blindgeprägten Ledereinband. Leider sind beide Einbanddeckel so stark berieben, daß die Blindprägung viel von ihrem Relief eingebüßt hat. Der Rücken des Bandes mußte sogar erneuert werd. Trotzdem läßt sich noch eindeutig erkennen, daß der Einband niederrheinisch-niederländischen Ursprungs ist. Auf beiden Deckeln ist jeweils zweimal nebeneinander dieselbe Platte mit einer Verkündigungsszene (Maria mit dem Erzengel Gabriel) eingepresst, wie sie für niederländische Einbände jener Zeit typisch istGa naar voetnoot4. Die Plattenstempel sind mit ornamentalen Leisten (Rol- | |
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lenstempel) eingefaßt. Zwar enthält der Band keine frühen Besitzvermerke, die auf die Niederlande hinweisen, aber die niederländische Herkunft des Einbands wird durch den als hinteren Vorsatz eingehefteten, einmal gefalteten Einblattdruck nachdrücklich unterstrichenGa naar voetnoot5. Bei näherem Zusehen zeigte sich, daß wir es mit einem für die Niederlande gemünzten Ablaßbrief zu tun haben, der inhaltlich leicht zu bestimmen war. Durch das umfassende Werk von Paul FredericqGa naar voetnoot6 sind nahezu alle Dokumente aus denjahren 1300 bis 1600, die sich auf päpstliche Ablässe (‘sacratissimae indulgentiae’) in den Niederlanden beziehen, im vollständigen Wortlaut zugänglich. Der neuentdeckte Ablaßbrief betrifft den von Papst Leo X. am 23. September 1515 verkündeten vollständigen Jubiläumsablaß (‘plenissima indulgentia sacri jubilei’), der vom Tag der Verkündung an drei Jahre lang zu erlangen war und mit dessen Vertrieb in den Niederlanden Hadrianus Florentii (Adriaan Florensz), der spätere Papst Hadrian VI., als päpstlicher Oberkommissar beauftragt war. Fredericq (a.a. O.S. 519-521) druckte den Text dieses Ablaßbriefes ab nach dem einzigen bekannten Exemplar eines unfirmierten Drucks, das sich in der Universitätsbibliothek Gent befindet. Dieser Druck wurde von Marie Elizabeth Kronenberg mit einem Fragezeichen als Antwerpener Druck beschrieben (= N.-Kr. 2233), aber keinem bestimmten Drucker zugewiesen. Das Stuttgarter Exemplar dieses Ablaßbriefes (Abb. 1), das ebenfalls auf Pergament gedruckt ist, stimmt zwar inhaltlich völlig mit dem Genter Exemplar überein, aber es weist ganz anderen Satz auf und ist folg- | |
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Abb. 1: Hadrianus Florentii, Litterae indulgentiarum jubilei causa, [Antwerpen, zwischen 23. 9. 1515 und Juni 1516]. Unikum dieses Ablaßbriefes in der Württ. Landesbibliothek in Stuttgart (etwa 1/2 d. Orig.)
lich ein zweiter DruckGa naar voetnoot7. Es ist am rechten Rand etwas beschnitten, was zu einem Verlust von jeweils 2 bis 4 Buchstaben je Zeile führte. Was den von Fredericq vcröffentlichten Text betrifft, so läßt er sich durch das Stuttgarter Exemplar an einer Stelle verbessern. Fredericq transkribierte an dieser Stelle (a.a. O.S. 520, Z. 23) ‘inv(i)ationis’. Aus dem Stuttgarter Exemplar geht klar hervor (siehe Abb. 1. Z. 11), daß es ‘inuasionis’ (‘invasionis’) heißen muß. Nach Fredericqs Transkription des Genter Exemplars muß man annehmen, daß dort an der betreffenden Stelle des Formulars die Jahreszahl 1515 (‘Millesimo quingentesimo decimo quinto’) ganz ausgedruckt ist. Nach Nijhoff-Kronenberg (Nr. 2233) fehlt jedoch ‘quinto’ im Druck, wie übrigens auch im Stuttgarter Exemplar. Da handschriftlich | |
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das Datum 3. Januar eingetragen ist, ist die Jahreszahl so oder so in 1516 zu korrigieren. Auf jeden Fall steht damit fest, daß das Gen ter Exemplar zwischen dem 23. September 1515 und dem 3. Januar 1516 gedruckt wurde. Das Stuttgarter Exemplar wurde von einem der ersten Besitzer des Bandes, in den es eingeheftet war, sowohl auf der zugänglichen leeren Hälfte der Rückseite als auch auf den freien Flächen der bedruckten Seite mit Notizen beschrieben, die natürlich mit dem Ablaßbrief selbst nichts zu tun haben. Eine handschriftliche Ausfertigung des Ablaßbriefes für eine bestimmte Person ist auch mit Hilfe einer Quarzlampe unter den an dieser Stelle befindlichen Notizen nicht mehr zu erkennen. Lediglich die vorgedruckte Jahreszahl ‘Millesimoquingentesimodecimo’ ist mit Sicherheit handschriftlich ergänzt worden. Ganz schwach kann man an der betreffenden Stelle lesen ‘septio’ (‘septimo’). Also ist der Ablaßbrief im Jahre 1517 ausgestellt worden. Der Druck dürfte jedoch früher erfolgt sein, wahrscheinlich aber nach dem des Genter Ablaßbriefes. Wie läßt sich der Druck des Stuttgarter Exemplars zeitlich eingrenzen? Da im Text selbst die Verkündung des Ablasses am 23. September 1515 erwähnt wird (siehe Abb. 1, Z. 9), steht damit der ‘terminus post quem’ fest. Der ‘terminus ante quem’ ergibt sich aus den Titeln Hadrians, die im Ablaßbrief genannt sind: ‘sacre Theologie professor, ecclesie sancti Saluatoris Traiectensis Prepositus et Decanus Louaniensis’ (Professor der Theologie [in Löwen), Propst der Salvatorkirche in Utrecht und Dekan [der Peterskirche] in Löwen). Das waren die Ämter, die Hadrian im Herbst 1515 innehatte, bevor er för langere Zeit in diplomatischer Mission nach Spanien geschickt wurde. Im Juni 1516 wurde er zum Bischof von Tortosa ernannt. Dieses neue Amt wird in dem Ablaßbrief noch nicht, aufgeföhrt. Folglich wird auch dieser Druck des Ablafibriefes vor Juni 1516 entstanden sein. Nun zur Frage des Druckers. Bei dem Genter Exemplar plädierte M.E. Kronenberg wohl mit Recht im Gegensatz zu FredericqGa naar voetnoot8 für Antwerpen | |
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als Druckort, aber sie mochte sich auf keinen bestimmten Drucker festlegen (siehe N. - Kr. 2233). Auch das Stuttgarter Exemplar, das sicher in Antwerpen gedruckt wurde, wirft in dieser Hinsicht gewisse Probleme auf, weil die beiden zum Druck verwendeten Typen bei verschiedenen Antwerpener Druckern jener Zeit vorkommen. Beginnen wir mit der Textschrift. Sie ist ohne jeden Zweifel identisch mit der ehemaligen Type 3 von Gheraert Leeu (= HPT II, Taf. 148), die nach dessen Tod Ende 1492 an Christiaen Snellaert in Delft gelangte (= dessen Type 8; siehe HPT II, Taf. 155). Bereits 1504 finden wir sie bei Hendrick Eckert van Homberch, bei dem sie noch 1518 einmal auftaucht (siehe dazu HPT I, S. 93 f. mit Nachweisen). Anfang 1524 wurde sie von Jan van Ghelen verwendet (= N. - Kr. 376, NAT II, 20), der offenbar einen Teil des Nachlasses von Eckert erworben hatte (siehe Rouzet a.a. O.S. 60). Darüber hinaus begegnet sie uns aber schon 1517 einmal bei Willem Vorsterman (= N. - Kr. 42, NAT XV. 48), worauf bisher noch niemand hingewiesen hat. Vorsterman und Eckert waren ebenso wie Michael Hillen(ius), von dem gleich die Rede sein wird, Nachbarn in der Antwerpener Cammerstraat und arbeiteten gelegentlich auch zusammen (siehe Rouzet a.a. O.S. 60 und 239). Deshalb ist es nicht abwegig, wenn man annimmt, daß sie sich ab und zu mit Typenmaterial ausgeholfen haben, wie wir das in ähnlichen Situationen auch von anderen Städten her kennen. Eindeutig hingegen ist die Sachlage bei der Auszeichnungsschrift, in der vier Zeilen des Stuttgarter Ablaßbriefes gedruckt sind. Sie gehörte Michael Hillen(ius) und ist in den Jahren 1515/1516 mehrfach bei ihm nachgewiesen (siehe zum Beispiel N. - Kr. l296, NAT XVII. 69; N. -Kr. l817, NAT XIII. 48 sowie N. - Kr.3065, wo der 26 Zeilen umfassende Titel ganz in dieser Type gesetzt ist). Hillen erwartete man ohnehin als Drucker dieses Ablaßbriefes, da er noch andere Drucke im Zusammenhang mit diesem Jubiläumsablaß herstellte (siehe N. - Kr. 8 und 2232). Auch Hillen und Eckert hatten gutnachbarliche Beziehungen und arbeiteten hin und wieder zusammen (siehe Rouzet a.a. O.S. 95), so daß wir davon ausgehen dürfen, daß einer dem andern in diesem Fall eine seiner Typen lieh. Wer nun definitiv den Ablaßbrief druckte, läßt sich schwer entscheiden. Da von der Auszeichnungsschrift nur eine Handvoll Typen benötigt wurde, läge es näher, daß sich Eckert diese Schrift von Hillen entlieh als umgekehrt Hillen von Eckert die Textschrift. Es könnte aber auch sein, daß zum Zeitpunkt des Drucks des Ablaßbriefes (1515/16) Hillen auch im Besitz der Textschrift war, die bei Eckert zwischen 1505 und 1518 bisher nicht nach- | |
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gewiesen ist. Vielleicht kann die Druckerfrage mit Hilfe der beiden Initialen V und M, mit denen der Ablaßbrief geschmückt ist, doch noch endgültig geklärt werdenGa naar voetnoot9. Eine Beschreibung des Stuttgarter Ablaßbriefes im Stil von Nijhoff-Kronenberg wird vorläufig so aussehen:
Hadrianus Florentii (Adriaan Florensz; Hadrianus VI papa): Litterae indulgentiarum jubilei causa. [Antwerpen: Hendrick Eckert van Homberch oder Michael Hillen(ius) van Hoochstraten, zwischen 23. Sept. 1515 und Juni 1516]. la: V[Initiale]Niuersis 7 singulis pntes lras inspecturis Hadrian9 floretij de Traiecto: sac[re]//Theologie ffessor ecctlie sctǐ Saluatoris Traiecten Preposit9: et Decan9 Louanien sete sedis aptice Nuncius 7 Comissari9 Salutem... Z.21:... Datum sub sigillo nostro quo ad [hoc]// vtimur. Anno dn̄i Millesimoquingentesimodecimo Mensis // Forma abso lutionis in vita totiens quotiens./.../ Z.30:... In nomine patris 7 filij 7 spiritus sancti. Amen//lb leer.1 Bl. Pergament, einseitig bedruckt. Satzspiegel 103 × c. 198 mm. 30 Zeilen. Gotische Typen (Textschrift von Hendrick Eckert van Homberch; Auszeichnungsschrift von Michael Hillenius van Hoochstraten). Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek (Sign.: HBFC 96). | |
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Summary:The author discovered recently in the Württembergische Landesbibliothek an unknown printed indulgence. It served for a paste-down in a Netherlandish binding containing a New Testament in the Latin version by Erasmus printed in Tubingen in 1523. It concerns a jubilee indulgence promulgated by Pope Leo X on September 23, 1515. The Papal commissary for this indulgence in the Netherlands was Hadrianus Florentii (Adriaan Florensz, later Pope Adrian VI). It was hitherto known only through a unique copy of another edition preserved in the University Library of Ghent. The newly discovered edition was printed almost certainly in Antwerp by Michel Hillen(ius) van Hoochstraten who must be considered the printer of the Ghent copy too which, however, is set in completely different types. The time of printing of the Stuttgart copy can be fixed between September 23, 1515 (promulgation of the indulgence) and June 1516 when Adrian was created a bishop of Tortosa, an office which is not yet mentioned in the indulgence. |
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