De Gulden Passer. Jaargang 34
(1956)– [tijdschrift] Gulden Passer, De– Auteursrechtelijk beschermd
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Die Bücherwelt des 16. Jahrhunderts und die Frankfurter Büchermessen
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Schweden und in der Tschechoslowakei; vier in England, fünf in Portugal, sieben in Belgien, neun in der Schweiz, 14 in Holland, 27 in Spanien, 43 in Frankreich, 52 in Deutschland und 80 in Italien, im ganzen also in 17 europäischen Ländern. Ausserhalb Europas gab es im 15. Jahrhundert noch keine typographische Offizin. Im 16. Jahrhundert wurde das Netz der Druckstädte viel engmaschiger; es begann auch aussereuropäische Länder zu bedecken und reichte bereits 1532 über den Atlantik in den neuentdeckten Erdteil Amerika. Wollte ich die neuen Druckorte und ihre wichtigsten Offizinen aufzählen, würde ich Ihre Geduld allzusehr missbrauchen. Denn schon allein im deutschen Sprachgebiet, für das bisher genauere Forschungsergebnisse vorliegen, zähle ich 141 neue Druckorte und 391 neue Druckereibesitzer; dazu kommen in 41 Inkunabelorten des gleichen Gebietes weitere 667 Druckereien; somit gab es also im 16. Jahrhundert allein im deutschen Sprachgebiet 182 Druckstädte und 1053 Inhaber von Druckereien. Wie gross aber würden die Zahlen, wenn man Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, Belgien, Holland, England, die nordischen Staaten und alle anderen Länder in unsere Statistik einschliessen wollte! Übergehen wir also den Aspekt der Ausbreitung der Druckkunst im 16. Jahrhundert, obwohl seine Behandlung wichtig genug wäre. Wieviele andere Aspekte bleiben uns noch für unseren kurzen Vortrag! Nur einige davon können wir flüchtig berühren, andere müssen wir heute sogar ganz unter den Tisch fallen lassen.
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‘Das Buch ist eines der merkwürdigsten Wunderwerke der menschlichen Kultur: nicht Körper allein, nicht Geist allein, sondern beides zusammen, beinahe dem Menschen gleich, dessen Abbild es ist.’Ga naar voetnoot(1) Das Buch ist Geistesprodukt und Ware zugleich. Im 16. Jahrhundert passte sich das Buch sowohl in seiner äusseren Form als auch in seinem Inhalt den veränderten geistigen | ||||||||
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und künstlerischen Strömungen und praktischen Notwendigkeiten der neuen Zeit an. Am meisten fällt die Veränderung des Buchformates auf. Bisher überwogen die dicken Foliowerke in ihren gediegenen mit Leder überzogenen Holzeinbänden. Jetzt treten die nach dem Beispiel des Aldus Manutius gestalteten handlichen Oktavbändchen in immer stärkerem Maße in Erscheinung. Der Pappeinband und die Broschur erscheinen auf dem Plan. Und schon flattern uns die Einblattdrucke, die Flugblätter, in Massen entgegen. Während in den Inkunabeln des 15. Jahrhunderts die Drucke nur ganz selten einmal ein Titelblatt vor dem Textbeginn zeigen, wird es nun (von 1520 ab) zur Regel, auf der ersten Seite den Titel des Buches, seinen Verfasser, seinen Verleger, seinen Erscheinungsort und sein Erscheinungsjahr anzugeben. Und eine weitere Neuerung beobachten wir an dem Buch des 16. Jahrhunderts, wenn wir das Typenbild überblicken. Zwar finden wir noch die gotischen Lettern aus der Anfangszeit der Druckkunst und die aus der Humanistenschrift entstandene Antiqua, die sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts stark ausbreitete. Aldus Manutius brachte im Jahre 1501 zur Antiqua eine der italienischen Cancelleresca nachgebildete Kursivschrift heraus, die Francesco da Bologna geschaffen hatte. Diese verbreitete sich nicht nur in Italien, sondern seit 1522 auch in Frankreich, wo sie wegen ihrer Herkunft ‘italique’ genannt wurde, seit 1519 in der Schweiz, bald darauf auch in Deutschland. In Deutschland entsteht aus der Schrift der kaiserlichen Kanzlei über die Typen des Gebetbuches und des Theuerdank Maximilians von 1513 und 1517 eine neue Druckschrift, die wegen des gebrochenen Charakters ihrer Buchstaben Fraktur genannt wurde. Entworfen wurde die Fraktur von dem Nürnberger Schreibmeister Neudorffer, geschnitten von Hieronymus Andreä, erstmals gebraucht seit 1522 in den Werken Albrecht Dürers. Sie gelangte bald nach Wittenberg und in andere deutsche Städte. Die Fraktur gilt (neben der bereits im 15. Jahrhundert auftretenden Schwabacher) bis zum heutigen Tage als die charakteristische deutsche Druckschrift. In Frankreich wurde die Bastarda zur Nationalschrift, die 1529 durch die ‘Champs fleuris’ des Geoffroi Tory festgelegt wurde. | ||||||||
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Und Robert Granjon zeigte 1557 in dem ‘Dialogue de la Vie et de la Mort’ eine ganz neue Schrift, die den Namen Civilité erhielt und schon 1558 von Christoph Plantin zu Antwerpen in der ‘Instruction chrétienne’ benutzt wird. Diese Lettern sind in diesem ehrwürdigen Hause noch heute vorhanden. In Antwerpen entstand noch eine etwas anders geartete Civilité-Schrift, die der auch von Plantin hochgeschätzte Stempelschneider Aimé Tavernier schuf. Noch stärker als im typographischen Bild veränderte sich das Buch in seinem geistigen Inhalt. Standen während der Inkunabelzeit Drucke der Bibel und ihrer Kommentare, Schriften der Kirchenväter, Klassikerausgaben, liturgische Bücher und wissenschaftliche Werke über Jurisprudenz, Philosophie und Historie im Vordergrund, so dringen seit dem 16. Jahrhundert die volkstümlichen Bûcher mächtig vor. Jetzt werden in grösserer Zahl gedruckt: Predigten, Postillen, Katechismen, Gesang- und Erbauungsbücher, Gesundheits-, Arznei- und Kräuterbücher, Rechenbücher, satyrische Lehrgedichte, Historien, Dialoge, Sendbriefe, Streitschriften, Heldensagen, Ritterromane, Fabeln, Schnurren und Totentänze. Die aufgestauten seelischen Kräfte entluden sich zu Beginn der Reformation, die ja nicht nur eine kirchlich-religiöse, sondern auch eine soziale Revolution darstellte. Mit unheimlicher Kraft wühlten die schier unzählbaren Pamphlete und Flugschriften die Massen auf und trieben sie zum Aufstand. Mit der Niederwerfung der Bauernaufstände im Jahre 1525 stellten die politisch-revolutionären Schriften ihr Erscheinen ein. An ihrer Stelle traten nun stärker in den Vordergrund die leidenschaftlichen Kampfschriften für den rechten Glauben. Der Streit der Meinungen führte ‘nun immer tiefer in das religiöse Leben hinein. Dieser Umschwung der Dinge spiegelte sich getreulich im Buche wider. Mit der kirchlichen Einheit des deutschen Volkes stürzte auch die bisherige Einheit der Buchwelt zusammen. Eine unüberbrückbare Kluft trennte nun das evangelische von dem katholischen Buch, trennte die altgläubigen Buchhandelszentren von den neugläubigen’.Ga naar voetnoot(1) | ||||||||
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‘Eine unübersehbare Flut von Streitschriften ergoss sich über die deutschen Lande und erfüllte die Menschen mit leidenschaftlicher Anteilnahme. Der Buchdruck war zum gewaltigen, ja zum entscheidenden Helfer einer grossen Volksbewegung geworden’.Ga naar voetnoot(1) Ihm verdankte die Reformation ihren stürmischen Siegeszug. Denn das Volk riss den Druckern die Flugblätter förmlich aus den Händen, zumal der Preis sehr billig geworden war. Die Bücher, Broschüren und Flugschriften mussten möglichst rasch hergestellt werden, um den auftretenden Massenbedarf zu befriedigen. Deshalb wurde das typographische Bild der Drucke mittelmässiger, unfertiger, nüchterner und schlechter. Da die Verfasser (und Drucker) möglichst viele Leser erfassen wollten, suchten sie ihre Schriften in einem möglichst allgemein verständlichen Dialekt zu schreiben und zu drucken. Und die Leser gewöhnten sich immer mehr an den benutzten Dialekt, der gerade dadurch zur allgemeinen deutschen Schriftsprache wurde. Um weiteste Kreise, ja selbst solche, denen das Lesen des gedruckten Textes noch schwer war, an die Bücher heranzuziehen, wurden diese mit reichem volkstümlichem Bilderschmuck versehen. Schon in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts, insbesondere seitdem der Utrechter Maler Erhard Reuwich die Beschreibung der Reise Breydenbachs ins Heilige Land 1484 mit den ersten aus der Natur gewonnenen Abbildungen ausgestattet hatte, wurden die Drucke immer reicher mit Holzschnitten illustriert. (Ich nenne nur die Mainzer Kräuterbücher, die Kölner Bibel von 1488, den Schatzbehalter von 1490, Schedels Weltchronik von 1492, die Lübecker Bibel von 1494 und Dürers Apokalypse von 1498). Im 16. Jahrhundert stellten sich viele hervorragende Künstler in den Dienst der Buchillustration: ausser Albrecht Dürer nenne ich Hans Springinklee in Nürnberg, Hans Burgkmair in Augsburg, Hans Schäuffelein in Nördlingen, ferner Jörg Breu, Hans Weiditz, Hans Baldung Grien, Johann Wächtlin, Heinrich Vogtherr, Urs Graf, Emanuel Deutsch, Hans Holbein, Lucas Cranach, Hans Sebald Beham, Hans Brosamer, Virgil Solis, Tobias Stimmer, Anton Woensam, Jost Amman und viele andere. | ||||||||
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In Frankreich waren es Geoffroi Tory und Jean Cousin in Paris, Bernard Salomon in Lyon usw. usw. Hinter Deutschland, Frankreich und Italien traten die Niederlande, England und Spanien in der Buchillustration zurück. Es wäre eine unverzeihliche Unterlassungssünde, wenn ich in dicsem Zusammenhang nicht den grossen Bücherfreund nennen würde, der durch seine Heirat mit Maria von Burgund auch zu der Stadt Antwerpen Beziehungen erhielt, ich meine Maximilian I. Dieser Bibliophile auf dem Kaiserthron hat durch eigene Mitarbeit einen starken Einfluss auf die Neugestaltung des künstlerischen, insbesondere des illustrierten Buches ausgeübt. Nicht weniger als 36 Bücher hat er geplant, eine Anzahl davon begonnen, aber nur zwei fertiggestellt: Sein prachtvolles Gebetbuch von 1513, das Albrecht Dürer, Lucas Cranach und andere mit herrlichen Randzeichnungen zierten, und den Theuerdank von 1517, den die hervorragendsten Holzchnittkünstler der Zeit, allen voran Hans Burgkmair, mit zahlreichen Bildern ausstatteten. Und auch den Namen des grössten Holzschneiders seiner Zeit, den Kaiser Maximilian aus den Niederlanden nach Augsburg rief, will ich hier nicht vergessen: es ist Jobst de Negker, der in dieser Stadt Antwerpen geboren wurde. In der Sprache des Textes stellen wir fest, dass die Zahl der lateinisch geschriebenen Bücher im 16. Jahrhundert merklich abnahm, während die Drucke in den Volkssprachen rapid anstiegen. Bis in das 16. Jahrhundert hinein gab es noch die europäische Kultureinheit mit einer einzigen christlichen Kirche; es gab noch die gemeinsame lateinische Kultursprache, die es ermöglichte, gedruckte Werke in verschiedenen Ländern abzusetzen. Diese weite Verbreitungsmöglichkeit eines gedruckten Buches verringerte das Risiko seiner Hersteller. Aber diese Bücher konnten nur von denen gebraucht werden, die die übernationale Kultursprache beherrschten, also nur von einer ganz dünnen Schicht der Gebildeten. Das 16. Jahrhundert beseitigte die Vorherrschaft des lateinischen Buches. Mit den Büchern in der Volkssprache verlor allerdings jedes Volk den Büchermarkt des anderen Volkes. Aber trotzdem stiegen die Auflagenziffern mächtig an und | ||||||||
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übertrafen bald diejenigen der lateinischen Bücher um ein Vielfaches. Denn nun wurden auch alle, die kein Latein verstanden, an dem Inhalt der Bücher interessiert, sofern sie nur ihre eigene Muttersprache lesen konnten. Während in der Inkunabelzeit die Auflage eines Werkes selten mehr als 500 Exemplare betrug, stellen wir schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts selbst bei lateinischen Werken Auflagen von 1500-2000 Exemplaren fest. Einige Beispiele: eine siebenbändige kommentierte Bibel liess der Nürnberger Verleger Koberger 1498 bis 1502 in 1600 Exemplaren drucken. Amerbach in Basel brachte die elfbändige Augustinus-Ausgabe in 2200 Exemplaren heraus. Das Lob der Narrheit des Erasmus von Rotterdam erschien sofort in 1800 Stücken; 1527 und 1528 stellte Johann Schott in Strassburg zwei Traktate in englischer Sprache laut eigener Aussage in je 1000 Exemplaren her. 1547 druckte Froschauer in Zürich die Erstauflage der illustrierten Schweizer Chronik von Stumpf in 2000 Exemplaren; 1525 Johann Petri in Basel für die Wittenberger Bugenhagens Psalmenauslegung in 3000 Exemplaren, obwohl die Besteller nur 1600 Stück verlangt hatten. Die ‘Confessio catholicae fidei’ von Stanislaus Hosius erschien 1560 in Wien in 1400 Exemplaren, die aber so schnell vergriffen waren, dass sofort eine neue Auflage aufgelegt werden musste. Plantins berühmte Polyglottenbibel erschien 1568-1573 in 1400 Exemplaren, die sich allerdings auf mehrere Formen verteilten (12 waren auf Pergament gedruckt). Zu vorher nie erlebten Höhen stiegen die Auflagenziffern, als Martin Luther in markiger deutscher Sprache seine Kampfbroschüren in das Volk warf. Beatus Rhenanus berichtet am 31. Mai 1519, dass die Exemplare von Luthers Auslegung des Vaterunsers ‘non venditi sed rapti sunt’. Luthers Schrift ‘An den christlichen Adel deutscher Nation’, die Melchior Lotter in Wittenberg am 15. August 1520 in 4.000 Stücken herausbrachte, war in fünf Tagen vergriffen. Es musste sofort eine Neuauflage gedruckt werden, die schon am 23. August erschien. Von der Leipziger Disputation Dr. Luthers mit Dr. Eck wurden 1520 auf einer einzigen Frankfurter Messe in 3 Tagen 1.400 Exemplare verkauft. Luthers Übersetzung des Neuen Testamentes, die im September 1522 bei Melchior Lotter in Wittenberg in einer Auflage | ||||||||
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von 5.000 Exemplaren erschien, war trotz ihres unhandlichen Folioformates im Nu vergriffen, sodass schon im Dezember des gleichen Jahres eine überarbeitete zweite Auflage von 3.000 Stück gedruckt werden musste. Aber schon in dem gleichen Dezember des gleichen Jahres 1522 hatte Johann Petri in Basel die Erstausgabe nachgedruckt. Noch viel massenhafter als die Lutherbibel von 1522 wurden die zahllosen Kampf- und Schmähschriften der Reformationszeit nachgedruckt und nicht nur durch die Sortimenter in den Städten, sondern auch durch zahlreiche Kolporteure in den ländlichen Bezirken vertrieben. Alle verdienten gut sowohl an den protestantischen als auch an den katholischen Pamphleten, mit denen sie ganz Deutschland und das angrenzende Ausland überschwemmten. Von den rund 30 Schriften Luthers waren schon im Sommer 1520 rund 370 verschiedene Auflagen erschienen in fast 400.000 Exemplaren; die allermeisten Auflagen aber waren Nachdrucke. Die Jenaer Gesamtausgabe der Werke Luthers, die 1553-1570 in 4 lateinischen und 8 deutschen Bänden erschien und von denen der Band 15-16 Gulden kostete, war in je 1500 - 2.000 Exemplaren hergestellt worden. In den beiden Jahren 1559 und 1560 wurden davon 4.330 Exemplare und in dem einen Jahre 1563 sogar 3.485 Exemplare verkauft. Der Baseler Drucker Froben schrieb schon am 14. Februar 1519: ‘Die Schriften der Reformatoren sind wahre Goldgruben für die Buchdrucker, da sie von Gross und Klein, Alt und Jung, Freunden und Feinden gekauft und gelesen werden.’ Um an dem guten Geschäfte teilzuhaben, stürzten sich (wie wir von Petri in Basel feststellten) viele Drucker auf die soeben erschienenen Schriften der Reformatoren und deren Gegner, um sie ohne jedes Gewissensbedenken frisch-fröhlich nachzudrucken, ohne den Verfassern ein Honorar oder den Erstverlegern eine Entschädigung anzubieten. Die Nachdrucker handelten nach dem Grundsatz: Was nicht bestraft wird, ist erlaubt. Ein allgemein gültiges Gesetz gegen den Nachdruck gab es vor dem 18. Jahrhundert noch nicht. Die Drucker und Verleger konnten sich gegen den Nachdruck nur durch kaiserliche oder landesherrliche Privilegien schützen, die unter bestimmten Strafen den | ||||||||
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Nachdruck eines Werkes für eine Reihe von Jahren verboten. Die Erstausgabe von Luthers vollständiger Bibelübersetzung von 1534 war durch eine angedrohte Geldstrafe von hundert Gulden gegen Nachdruck geschützt, das Emsersche Neue Testament von 1527 sogar mit 200 rheinischen Gulden, ausserdem sollten alle Nachdrucke beschlagnahmt werden. Päpstliche Privilegien drohten sogar im Einzelfalle die Exkommunikation an. Das erste Privileg überhaupt erteilte die Republik Venedig am 3. Januar 1491 an Petrus von Ravenna. Das erste deutsche Privileg wurde 1501 von dem Reichsregiment für die von Conrad Celtis besorgte Erstausgabe der Werke der Roswitha von Gandersheim erteilt. Schottenloher stellte im Gutenberg-Jahrbuch 1933 für die Zeit von 1515-1601 nicht weniger als 159 Schutzbriefe zusammen; den ersten davon erteilte Kaiser Maximilian I. für Konrad Peutinger in Augsburg, den letzten davon erhielt Johannes Moretus in Antwerpen von Kaiser Rudolf II. Das Privileg des Kaisers galt für das ganze Reich und die kaiserlichen Erblande; das landesherrliche nur für das entsprechende kleinere Territorium. Ein absoluter Schutz wurde aber nicht erzielt. Denn war der Nachdruck eines Werkes in dem einen Lande verboten, konnte es im Nachbarlande hergestellt und von da aus in die ganze Welt verbreitet werden. Und da der Nachdrucker weniger Kosten hatte und also auch billiger verkaufen konnte, blieb der Privilegierte auf seinen privilegierten Drucken sitzen, obwohl er für sein Privileg Gebühren bezahlt und Freiexemplare abgeliefert hatte. Einen festen Verkaufspreis für die Bücher gab es vor dem 18. Jahrhundert noch nicht. Dass Aldus Manutius bereits 1498 einen Verlagskatalog mit Bücherpreisen herausgab, bildet eine Ausnahme. Selbst die ersten Messekataloge erschienen noch ohne Preisangabe. Für Luthers Septemberbibel von 1522 mit der deutschen Übersetzung des Neuen Testamentes verlangte der Buchdrucker Melchior Lotter 1 ½ Gulden; das ist so viel wie damals 2 Kälber oder 6 Schafe oder 15 Gänse oder 220 Heringe oder 1.200 Backsteine oder 1.300 Eier kosteten. Ebenso hoch war 1522 der Jahreslohn einer Magd. Ein Schullehrer bezog damals einen | ||||||||
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Jahresgehalt von 3 3/4 Gulden. Als Berechnungsgrundlage für den Verkaufspreis wählte man die Menge des bedruckten Papieres. Die Bücher wurden also nicht nach ihrem Inhalt, sondern nach ihrer Dicke verkauft. Den Sortimentern gaben die Verleger des 16. Jahrhunderts geringere Rabatte als die heutigen. Ich wähle als Beispiel den Verleger Christoph Plantin: Baseler Buchhändlern bewilligte er 12-15%, an Leipziger und Frankfurter Sortimenter gab er rund 16%, dem Grossabnehmer Miller in Augsburg 20-25% und seinen eigenen Agenten in London 40% Rabatt. Ein bares Verfasserhonorar war im 16. Jahrhundert noch unbekannt. Es galt fast als ehrenrührig, geistige Leistungen zu verkaufen, und als beleidigend, einem Schriftsteller für sein Manuskript Geld anzubieten. Luther und Zwingli haben nie ein Honorar verlangt oder bekommen, obwohl durch sie zahlreiche Drucker und Verleger reich wurden. Man entlohnte die zur Verfügung gestellten Manuskripte mit 10-20 Freiexemplaren; sehr selten gab es einmal 50 oder gar 100 Freiexemplare für ein Manuskript. Einige andere erhielten nur eine sehr bescheidene Vergütung, so 1514 Thomas Murner von Hupfuff in Strassburg für seinen Gauchmatt 4 Gulden, Öccolampadius 1530 für 3 Bogen seiner Bibelkommentare einen Gulden, Johann Schwentzer für jedes Stück seiner Evangelienharmonie nur einen Kreuzer, was für alle 1200 Exemplare zusammen 20 Gulden ausmachte. Besser als die Schriftsteller und Gelehrten wurden die Illustratoren im 16. Jahrhundert bezahlt. Die Verfasser hielten sich schadlos, indem sie das Werk ihres Geistes einem wohlhabenden Manne, einer Stadt oder einem Fürsten widmeten. Der Geehrte pflegte sich mit einem grösseren Geldgeschenk oder einem Jahressalarium zu revanchieren. Konrad Gessner, der seit 1539 mit einem Jahresgehalt von 30 Gulden Professor in Lausanne war, erhielt von dem Rate der Stadt Zürich für die Widmung seines Werkes von den vierfüssigen Tieren eine Jahresrente von 10 Eimern Wein und 20 Malter Korn oder Weizen. Gessner verdiente sich mit Bücherschreiben zu seinem sehr knappen Professorengehalt soviel hinzu, dass er seine Familie standes- | ||||||||
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gemäss unterhalten, Eltern und Verwandte unterstützen und sich sogar noch ein Haus kaufen konnte. | ||||||||
Die Frankfurter BüchermessenDer kurz vor 1450 erfundene Buchdruck produzierte Bücher in Massen. Um die Herstellungskosten zu decken und einigen Gewinn zu erzielen, mussten die gedruckten Bücher möglichst vielen interessierten Menschen zum Kaufe angeboten werden. Da nach den Zunftordnungen der Städte nur eingesessene Bürger ein Gewerbe ausüben oder Handel treiben durften, konnten die Drucker einer Stadt ihre Bücher normalerweise nur an ihre Mitbürger verkaufen. Die Bewohnerzahl der damaligen Städte aber war so klein, dass die Druckereien von ihren Käufen nicht hätten leben können. Die Verleger und Drucker mussten deshalb mit ihren Erzeugnissen auf die Messen und Märkte ziehen, auf denen auch den Fremden der Handel erlaubt, ja sogar durch mancherlei Privilegien und durch gesichertes Wegegeleit geschützt war. Zu einer besonders wichtigen Handelsstadt Deutschlands war schon im 15. Jahrhundert Frankfurt am Main herangewachsen, das sich (halbwegs zwischen den Niederlanden und Italien) einer günstigen geographischen Lage erfreute. Tuche, Leinwand, Teppiche, Gold- und Silberwaren, Wein, Öl, Metall- und Rauchwaren, Eisen und Glas und mancherlei Kunsterzeugnisse usw. wurden mit Wagen auf den holperigen Landstrassen oder auf den bequemeren Wasserwegen des Rheines und des Maines nach Frankfurt gebracht. Es war natürlich, dass die Drucker und Verleger gerade die Messen dieser Stadt bevorzugten. Der erste Verleger, der seine Bücher auf der Frankfurter Messe anbot, war Peter Schöffer aus Mainz. Obwohl er in Mainz Wohnung und Werkstatt beibehielt, erwarb er sogar 1479 das Frankfurter Bürgerrecht, was sein Geschäftspartner Konrad Henkis bereits 1470 getan hatte. Bald brachten auch andere Drucker aus Nürnberg, aus Basel, | ||||||||
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aus Augsburg, aus Köln, aus Strassburg usw. ihre Erzeugnisse zur Frankfurter Messe. Die kleineren Bücherzentren in den Universitätsstädten des Rheintales (Basel, Strassburg, Heidelberg, Mainz und Köln) wurden fast gänzlich ausgeschaltet, sodass Frankfurt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum bedeutendsten Buchhandelsplatz nicht nur Deutschlands sondern ganz Europas geworden war. Und das, obwohl es keine Universität, ja vor 1530 nicht einmal einen sesshaften Buchdrucker oder Verleger besass und auch keinen ganz grossen Gelehrten oder ganz grossen Reformator zu seinen Mitbürgern zählen konnte. Um Frankfurt berühmt zu machen, mussten die berühmten Männer anderer Städte und die führenden Verleger Europas nach Frankfurt kommen. Wenn auch ihre Zahl bei den einzelnen Messen nur 170-200 Personen betrug, die aus 72-85 Städten kamen, so machten sie doch durch die mitgebrachten Bücherfrachten die damals noch recht kleine Stadt Frankfurt zu einem geistigen Mittelpunkt. Ich nenne nur wenige Namen aus der Frühzeit: Anton Koberger aus Nürnberg; Rusch, Flach, Grüninger und Schott aus Strassburg; Amerbach, Wenssler, Kessler, Froben und Petri aus Basel; Frisch und Gryff aus Hagenau; Barbara Bämler aus Augsburg, Peter Drach aus Speyer, Antonius aus Koblenz, Johann Ravensberger aus Köln, Hans Herlin aus Freiburg und Kaspar Wagen aus Trier. Alle Genannten kamen aus dem Rheinland oder aus Süddeutschland. Norddeutsche Verleger aus Wittenberg, Magdeburg und Leipzig erscheinen erst in der Reformationszeit auf den Frankfurter Büchermessen, und zwar zunächst nicht als Verkäufer, sondern als Einkäufer für ihre Sortimentsläden. Im Jahre 1523 starb in Frankfurt der Wiener Verleger Lucas Alans unter Hinterlassung eines Bücherlagers von fast 11.000 Exemplaren. Seit 1522 erscheint Christoph Froschauer, der Freund Zwinglis, aus Zürich auf der Frankfurter Messe. Aus Frankreich kamen Jean Vaugris und Guillaume Sangwin (1503), später Johann Schabeler und Conrad Resch, 1529 Christian Wechel und Endres Wingarten, gegen Mitte des Jahrhunderts Jacob du Puis aus Paris. Aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sind zahlreiche | ||||||||
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Verleger aus fremden Ländern auf den Frankfurter Messen nachweisbar. Aus der Schweiz: Eusebius und Nicolaus Episcopius, Aurelius Frobenius, Josias Mechel, Petrus Perna, Henricus Petri, Jakob Gessner, Conrad und Felix Haller, Johannes Wolff, Nicolaus Barbier und andere aus Genf, Samuel Apiarius aus Bern usw. Zu den wichtigsten Messebeschickern gehörten die Niederländer, die im 16. Jahrhundert eine sehr starke Produktion erzeugten. Der erste Antwerpener Drucker, der die Frankfurter Messe zwischen 1505 und 1508 besuchte, war Heinrich Eckart; 1509 erscheint der Antwerpener Buchhändler Cornelius Ballius in Frankfurt. Um 1570 kamen aus Antwerpen nach Frankfurt: Johann Beller, Cornelius Clypius, Cornelius und Rupprecht Caimocks, Anton Dilher, Hans von Loë, Martin und Philipp Nutius, Christoph Plantin, Johannes Moretus und Franz Rapheleng, Johann Richart, Gerhart Spilmann, Wilhelm Sylvius, Johann Steels, Franciscus Steltzius. Und um 1595 Johann und Peter Beller, Michael Mercator, wiederum Johannes Moretus und Franciscus Rapheleng. Aus Amsterdam kamen um 1570 Johannes Stretius und Gerhart Tuchmann; aus Leyden Bartholomeus Mollyn, Gilles Elzevier, Gervinus Grav. Neben den niederländischen Druckerverlegern erschienen 1557 in Frankfurt Clement Baudouin, aus Paris Jean Fouchier, Jacob Dupuys, Sebastian Nivelle und Andreas Wechel. Der grosse Pariser Drucker Henri Estienne gehörte seit 1572 zu den regelmässigen Besuchern der Frankfurter Büchermesse. Aus Italien kamen Vertreter aus Rom, Venedig und Verona. Auch London und Edinburg, sowie Prag, Krakau, Riga sind neben anderen in Frankfurt vertreten. An der Frankfurter Herbstmesse 1557 nahmen ausländische Vertreter teil: zwei aus Lyon, vier aus Paris, zwei aus Genf, fünf aus Antwerpen, weitere aus Utrecht, Amsterdam, Löwen, Venedig und aus anderen Orten. In der Herbstmesse 1569 wurden am 14. September die zur Messe gekommenen Buchdrucker und Buchhändler vor den Frankfurter Rat beschieden. Es waren 12 Buchhändler aus Köln, 7 aus Basel, je 5 aus Antwerpen, Strassburg und Genf, 4 aus Lyon, je 3 aus Venedig und Speyer, je 2 aus Augsburg, Zürich, Tübingen, Wittenberg, Erfurt und Mainz, je einer aus Ingolstadt, Freiburg | ||||||||
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i. Baden, Altstetten in der Schweiz, Leipzig, Jena, Heidelberg, Marburg usw. Dass dieses nicht die ganze Zahl der Messebesucher umfasst, wissen wir aus anderen Dokumenten. All die genannten Besuche stellte Alexander Dietz fest durch die Lobschrift des Henri Estienne, durch Bücherkataloge, Abrechnungen, Nachlassinventare, Baseler Rechenbücher von Froben und Episcopius, durch die Selbstbiographie des Baseler Thomas Plattner, durch erhaltene Korrespondenzen, durch zahlreiche Prozessakten und durch das ‘Grand Livre de Francfort’ Plantins und seines Schwiegersohnes Moretus. Aus ihm nur eine Notiz: ‘Zur Fastenmesse des Jahres 1566 reiste der 46-jährige Christoph Plantin in einem Wagen von Antwerpen nach Köln, während sein Schwiegersohn diesen Weg zu Fuss ging. Von Köln bis Frankfurt fuhren dann beide zu Schiff. Auf dem Rückweg benutzten sie wieder bis Köln das Schiff, wanderten dann zu Fuss bis Maastricht und nahmen von hier bis Antwerpen einen Wagen. Ihre gesamten Reisekosten betrugen einschliesslich Fracht, Zoll und Trinkgeldern 131 Gulden’ (Dietz 15). Zur Fastenmesse 1579 gingen für das Haus Plantin 6 Fässer mit Büchern nach Frankfurt; sie enthielten 67 verschiedene Werke in 5.212 Exemplaren. Verkauft wurden für 1.809 Gulden, eingekauft für 1.625 Gulden. Nach Beendigung der Messe blieb in Frankfurt ein Lagerbestand von 240 Werken in 1.617 Exemplaren in Kisten verschlossen zurück. Bei Plantins Tod wurden die Frankfurter Lagervorräte mit 8024 Gulden bewertet, die aber von Moretus nur für 4824 Gulden übernommen wurden (nach Dietz). Der ‘Codex nundinarius’ (herausgegeben von Gustav Schwetschke) verzeichnet für jedes der Jahre von 1564-1599 (mit Ausnahme des Jahres 1572) neue Bücher des Plantin-Verlages auf der Frankfurter Messe, im ganzen 583 verschiedene Werke. Zu den Druckern und Verlegern gesellten sich die Gelehrten, die Schriftsteller, die Illustrationskünstler, die die günstige Gelegenheit gerne ergriffen, alte Verbindungen mit den Verlegern aufzufrischen oder neue anzuknüpfen. Gleichzeitig aber suchten sie sich über die neuesten Erscheinungen auf dem Büchermarkt an der Quelle zu orientieren. So besprach sich Philipp Melanchthon auf der Frankfurter Ostermesse 1518 mit seinem Verleger | ||||||||
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Thomas Anshelm aus Hagenau in dessen Laden in der Buchgasse. 1562 konnte man die Adressen der in Frankfurt anwesenden Gelehrten: Zasius, Agricola, Praetorius, Johannes Sturm usw. bei den Buchhändlern erfahren. Um die Messewaren einschliesslich der Bücher gesichert zur Frankfurter Messe heranbringen zu können, gewährte die Obrigkeit einen bewaffneten Geleitschutz. An den Grenzen des Stadtgebietes begrüssten die städtischen Vertreter die Geleitzüge mit einem Willkommenstrunk. Die Verleger liessen ihre mit ungebundenen Büchern wohlgefüllten Fässer in das Buchhändlerviertel rollen, packten sie aus und stapelten die Bücher in den dort gemieteten Gewölben. Sobald die Reichsfahne auf den Toren oder einem Turme aufgezogen und die Glocken der Stadt die Messe eingeläutet hatten, begann der freie Handelsverkehr zwischen den Verlegern und den bücherkaufenden Sortimentern. An den Türen und Fenstern der Büchergewölbe wurden die Verlagskataloge in Plakatform und die Titelblätter der Bücher angeklebt, sodass jeder Vorbeigehende sofort übersehen konnte, was in jedem Laden zum Verkauf angeboten war. Von dem Augenblicke, in dem die Reichsfahne eingezogen und die Messe ausgeläutet wurde, hörte der Messehandel auf. Die nicht verkauften Bücher mussten in Kisten verpackt und bis zur nächsten Messe in dem gemieteten Gewölbe eingeschlossen werden. Die Verleger verkauften ihre Erzeugnisse meist nicht gegen sofortige Barzahlung, sondern auf Kredit bis zur nächsten Messe. Zwischen zwei Messen konnten die einzelnen Buchhändler die gekaufte Ware abgesetzt und in bares Geld verwandelt haben. Grosseinkäufern (wie dem Georg Willer in Augsburg und dem Arnold Birkmann in Köln) wurden Jahreskredite eingeräumt. Vielfach verstachen die Verleger gegenseitig ihre Bücher, das heisst, sie tauschten sie miteinander aus, sodass jeder Verleger Bücher fremder Verlage mit nach Hause nehmen und sie in dem heimischen Sortimentsladen absetzen konnte. So kam ein jeder bald zu seinem Gelde und brauchte keine Angst zu haben, ob die Bezahlung bei der nächsten Büchermesse auch richtig erfolgen werde. | ||||||||
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Hatten die Buchdrucker anfangs ihre Erzeugnisse durch plakatförmige Bücheranzeigen und Schriftproben, dann durch Verlagskataloge, Bibliographien und durch Briefwechsel angeboten, so stellte der Augsburger Buchhändler und Grossortimenter Georg Willer von 1564 ab nach jeder Messe Kataloge aller Bücher zusammen, die er in Frankfurt gekauft und nach Augsburg gebracht hatte. Andere Buchhändler folgten seinem Beispiele (wie Portenbach und Lutz in Augsburg seit 1577); auch in Frankfurt selbst erschienen solche Messekataloge. Im Jahre 1597 verbot der Rat der Stadt Frankfurt das Erscheinen solcher privater Messekataloge und liess von 1598 ab durch den Stadtsyndikus einen offiziellen Messekatalog herausgeben, der zweimal im Jahre erschien. Ausser den Buchhändlern versorgten sich auch in- und ausländische Bibliotheken mit erwünschten Büchern auf der Frankfurter Messe. So kaufte im Jahre 1552 der Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg einer Buchhändlerswitwe den ganzen Inhalt ihres Ladens für die zukünftige Rostocker Universitätsbibliothek ab. Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz bestimmte letztwillig für jede Frankfurter Messe 50 Gulden zum Bücherankauf der Heidelberger Bibliothek. Von 1569 ab hatte der Strassburger Stadtbibliothekar den Auftrag, sich auf der Frankfurter Messe über die neuerschienenen Bücher zu unterrichten. Von 1593-1602 wurden regelmässig auf der Frankfurter Messe Bücher für den König von England und für die Bodleiana in Oxford eingekauft. Um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts hatte die Frankfurter Büchermesse ihre grösste Anziehungskraft, ihren grössten Umfang und ihre grösste Wirkungsmöglichkeit erreicht. Aber schon traten verschiedene Ursachen in Erscheinung, die einen Rückgang mitbedingten. Hier ist zunächst die auf der Frankfurter Büchermesse ausgeübte Zensur zu nennen. Die Erteilung der Privilegien zum Schutze gegen den Nachdruck ermöglichte es den Behörden, eine Vorzensur auszuüben. Zensuredikte sind schon aus dem 15. Jahrhundert bekannt, sie häufen sich im 16. Jahrhundert. Zu allen Zeiten aber wurde die Zensur als kultur- und bücherfeindlich empfunden. Zensierte Bücher durften nicht mehr auf der Frankfurter Bücher- | ||||||||
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messe angeboten werden. In der ersten Zeit wurde die Zensur nicht allzu streng gehandhabt, ja manches beanstandete Buch hat infolge des Verbotes sogar noch mehr Käufer gefunden. Schlimm wurde es, als Kaiser Maximilian II. am 1. August 1569 eine Kontrollbehörde für Zensur und Privilegienschutz einsetzte, die auch über die richtige Ablieferung der Freiexemplare (damals 2) an den Privilegienerteiler zu wachen hatte. Rudolf II. zog die Zügel straffer an. 1579 bestimmte er den jeweiligen Fiscal am Reichskammergericht zum Bücherkommissar, dem 1580 der Frankfurter Domdechant und 1-2 Vertreter der Stadt Frankfurt beigesellt wurden. Diese Bücherkommission hatte es in der Hand, den Buchhandel zu schikanieren. Doch handhabte sie im 16. Jahrhundert ihr Amt noch verhältnismässig milde. Mit der Ernennung des päpstlichen Protonotars Dr. Valentin Leucht begann ein etwas schärferer Kurs, dessen Auswirkungen aber nicht mehr dem 16. Jahrhundert angehören. Schon 1570 war die Zahl der Freiexemplare auf fünf festgesetzt worden, die von der Kommission unerbittlich eingezogen wurden. Das älteste Zensuredikt erliess der für Frankfurt zuständige Mainzer Erzbischof Berthold von Henneberg bereits im Jahre 1486. Papst Alexander VI. führte durch Bulle vom 1. Juni 1501 die Vorzensur ein, was Leo X. durch die Bulle vom 4. März erneuerte. Diese päpstlichen Bestimmungen übernahm der Mainzer Erzbischof in seine Zensurverfügung vom 17. Mai 1517. Der Reichstag von Worms erliess durch das Edikt Karls V. vom 26. Mai 1521 die Reichszensur, zunächst gegen die Werke Martin Luthers. Die Reichspolizeiordnung vom 9. November 1577 schaffte die Zensurbestimmungen des Reiches ab. Im Jahre 1559 liess Papst Paul V. den ersten Index librorum prohibitorum veröffentlichen. Der grösste Schaden aber erwuchs der Frankfurter Büchermesse dadurch, dass Bücher der Reformatoren häufig dem Verdikt der Frankfurter Bücherkommission verfielen. Die norddeutschen und die ausländischen Buchhändler zogen sich allmählich von der Frankfurter Büchermesse zurück. Dafür blühte die Konkurrenz-Büchermesse in Leipzig seit 1539 mächtig auf, wo sich ein natürliches Zentrum für den Handel in Mittel- und Norddeutschland gebildet hatte, das seine Beziehungen nach Schlesien (mit Breslau | ||||||||
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und Glogau), nach Polen (mit Posen und Krakau), nach Böhmen (mit Prag) und nach Preussen (mit Königsberg und Danzig) ausstrahlte. Selbst süddeutsche Verleger aus Augsburg, Nürnberg und Basel beschickten im 16. Jahrhundert die Leipziger Messe. Um 1585 war Leipzig ein ebenso wichtiger Buchhändlerplatz geworden wie Frankfurt. In der Folgezeit überflügelte Leipzig die Mainstadt von Jahr zu Jahr immer stärker, um im 17. Jahrhundert Frankfurt in den Hintergrund zu drängen. Wie hoch Frankfurts Büchermessen noch gegen Ende des 16. Jahrhunderts geschätzt wurden, zeigt die Lobschrift, die der Pariser Drucker-Verleger Henri Estienne, der berühmte Sohn eines berühmten Vaters, der seit 1572 regelmässiger Besucher der Frankfurter Büchermessen war, im Jahre 1574 in lateinischer Sprache verfasste und druckte, für die sich der Rat der Stadt Frankfurt durch Überreichung eines silbervergoldeten Bechers bedankte. In dieser Schrift, die 1919, 83 Seiten stark, in der deutschen Übersetzung des Julius Ziehen zu Frankfurt a.M. erschien, feiert Estienne die Frankfurter Büchermesse als Akademie der Musen, die alle ihre Buchdrucker und Buchhändler gleichzeitig nach Frankfurt rufen und sie heissen würde, die Dichter, Redner, Geschichtsschreiber und Philosophen mit sich zu bringen. ‘Wenn sie dort alle zusammengekommen sind, kann man wirklich glauben, nicht in dem Orte Deutschlands zu sein, der Frankfurt heisst, sondern in Athen, wo einst die Verehrer der Musen in langer Wanderschaft zusammenkamen. Die berühmten Akademien von Wien, Wittenberg, Leipzig, Heidelberg, Strassburg, Löwen, Padua, Oxford und Cambridge schicken ihre Philosophen, die Kenner der Dicht- und Redekunst sowie der Geschichte und der mathematischen Wissenschaften.’ Ich eile zum Schlusse. Wir haben uns in einem ehrwürdigen Hause versammelt und hier nun schon fast eine ganze Woche lang Probleme der Druckkunst und des Humanismus nach allen Richtungen hin diskutiert. Die wissenschaftlichen Ergebnisse dieses Congresses werden erst voll sichtbar werden in dem Gedenkbuch, das zur Erinnerung an die herrlichen Plantintage gedruckt werden soll. Mir scheint aber, dass ein anderes Ergebnis noch wichtiger sein | ||||||||
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könnte als das rein wissenschaftliche. Ich denke an die hier in Antwerpen neu geschlossenen Freundschaften, die für alle nützlich werden können. Aber über das Persönliche hinaus hat die Buchdruckerkunst und die Humanitas ihre völkerverbindende Kraft unter Beweis gestellt. Schon der grosse Christoph Plantin war sich dieser völkerverbindenden Kraft vollauf bewusst, auch wenn er dies weniger durch Worte als durch die Taten seines Lebens zum Ausdruck brachte. Sein gleichfalls bedeutender Zeit- und Berufsgenosse Henri Estienne hat es auch in Worte gefasst. In seiner soeben zitierten laudatio der Frankfurter Büchermessen von 1574 spricht er von der ‘comitas nationum’ von der freundnachbarlichen Zusammenarbeit der Völker. Und wir, die vom Geiste Plantins und Estiennes erfüllt sind, wir können nichts anderes tun, als Estienne zustimmen, wenn er am Schlusse seines Büchleins den Wunsch ausspricht: ‘Mögen die Werkzeuge des Mars immer mehr von den Märkten der Welt verschwinden und an ihre Stelle die Waren treten, die erzeugt werden im Dienste der Musen’. | ||||||||
Literatur
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