Germania. Jaargang 7
(1905)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Die Örtlichkeiten der Varusschlacht.
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Vermutungen, alle sachlich nicht begründeten Einbildungen bekämpft habe, kann es niemand ferner liegen als mir, die zahlreichen Irrtümer dieses eigenartigen Schriftstellers in Schutz zu nehmen, aber dennoch halte ich es nach eingehender Beschäftigung mit seinen Arbeiten für eine Ehrenpflicht, der warmen Vaterlandsliebe und uneigennützigen Begeisterung, dem unermüdlichen Eifer und der Ortskenntnis des vielverlästerten Mannes nach seinem Tode gerecht zu werden und vor allem die vielen guten Beobachtungen und richtigen Gedanken, die sich in seinen Werken zerstreut finden, mit gebührender Anerkennung hervorzuheben. Seine schon vor Jahrzehnten geäusserten Ansichten, das Varianische Schlachtfeld sei bei Horn in der Nähe von Detmold zu suchen (Die Römer im Cheruskerland, 1862) und Germaniens Befreier Arminius lebe im Sigfrid oder Sigurd der Heldensage fort (seit 1871; Deutschlands Olympia, Frankfurt 1875), sind zwar oft und heftig angegriffen, manchmal sogar verhöhnt und verspottet worden, werden sich aber doch, wie ich vorauszusagen wage, als guter Kern einer mit allerlei seltsamen Auswüchsen behafteten Schale, als dauernde Errungenschaft deutscher Altertumsforschung behaupten.
Schierenberg hat die Genugtuung erlebt, dass seiner Anschauung, Florus und Vellejus (ich füge Strabo und Tacitus hinzu) seien ‘durchaus glaubwürdig’, und ihre Berichte über die Varusschlacht müssten ‘demnach massgebend sein’, zwanzig Jahre später auch Leopold von Ranke im 3. Bande seiner Weltgeschichte gegen Mommsen und dessen Anhänger, die dem um zwei Jahrhunderte jüngeren und in mancher Hinsicht unzuverlässigen Cassius Dio Glauben schenken, sich angeschlossen hat. Wie es so oft geht, wurden seine anfangs nicht beachteten oder mit überlegener Schulweisheit kurz als Hirngespinste abgefertigten Behauptungen später von anderer Seite aufgegriffen und als eigene Geisteserzeugnisse ausgegeben. In der kleinen Schrift, ‘Die Rätsel der Varusschlacht’, musste sich Schierenberg gegen Höfer, den Verfasser des Buches ‘Die Varusschlacht, ihr Verlauf und ihr Schauplatz’ (Leipzig, 1888) wehren und ihm sagen, er habe ‘in der | |
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Hauptsache’ doch nur seine (Schierenbergs) Ansichten vorgetragen und sich sogar ‘erdreistet’, seine ‘Glaubenswürdigkeit zu verdächtigen, um diese desto sicherer als eigene ausgeben zu können’. Als ich selbst vor etwa zwanzig Jahren, bald nach der Veröffentlichung meiner ‘Herkunft der Deutschen’ (Karlsruhe 1885) anfing, die Schlussfolgerungen aus meiner Lehre zu ziehen, mich u.a. etwas eingehender mit der germanischen Stammeskunde zu beschäftigen und darum die Quellschriftsteller nachzulesen, drängte sich auch mir bald die Überzeugung auf, dass Dios später, widerspruchsvoller und schönfärberischer Bericht über die Vernichtung des Varianischen Heeres uns keine richtige Vorstellung des folgenschweren Ereignisses, wie es sich in Wirklichkeit zugetragen, gibt, dass wir uns vielmehr an die älteren, wenn auch kurzen, vereinzelten und zusammenhanglosen Nachrichten der Zeitgenossen halten müssen. Gegen den erstgenannten Schriftsteller hat Schierenberg die Anklage erhoben, ‘dass er unser Volk verleumdet und die Geschichte gefälscht habe’; vielleicht ist dieser Vorwurf etwas zu schwer, indem Dio, der seine römische Geschichte in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts und zweifellos nach den besten der damals vorhandenen Quellen verfasste, eine frühere, vielleicht sogar amtliche Darstellung zur Beschönigung einer der schwersten Niederlagen der römischen Waffen schon vorfand.
Am besten werden wir uns auf dem streitigen Gebiet zurechtfinden, wenn wir an der Hand von Tacitus mit Germanicus, dem Rächer und Sühner der ‘Schmach wegen des mit Varus verlorenen Heeres (infamiae ob amissum cum Quinctilio Varo exercitum, Ann. I, 3)’, das Schlachtfeld selbst betreten. Nachdem die gefahrdrohende Empörung der niederrheinischen Legionen niedergeschlagen war, machte der jugendliche Feldherr im Spätherbst des Jahres 14 n. Chr., damit die ‘ruchlose Brust der Soldaten wieder ehrenvolle Wunden empfange’ (quamsi pectoribus impiis honesta vulnera accepissent), unversehens einen Streifzug ins Land der Marsen. Um die Feinde umso sicherer überraschen zu können, wählte Germanicus den längeren und beschwerlicheren, aber ge- | |
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rade darum nicht vermuteten Weg. Der ‘Cäsische Wald’ (silva Caesia), den er dabei durchschreiten musste, kann nichts anderes sein als der jetzige Haarstrang, der ja seinen Namen bis auf den heutigen Tag bewahrt hat (ahd. har = lat. caesaries; die nördlich von diesem Bergwald wohnenden Brukterer hatten als Angehörige des kimbrischen Stammes keltische, mit dem Lateinischen übereinstimmende Lautgebung; Schierenbergs Übersetzung ‘Hauwald’ ist, wie viele seiner sprachlichen Erklärungen, verfehlt). Die Marsen, als Vorhut der fränkischen Völker und Beschützer des gemeinsamen Stammesheiligtums (celeberrimum illis gentibus templum), wahrscheinlich in der Nähe von Fredeburg gelegen, müssen damals zwischen Ruhr und Sieg, westlich vom Winterberg, der sie von den Chatten schied, gewohnt haben. Nach der Zerstörung des Heiligtums wurde der Rückzug des römischen Heeres von den nördlich wohnenden Brukterern, Tubanten und Usipetern zwar belästigt, aber nicht aufgehalten.
Während des Winters wurde eifrig gerüstet, der Feldzug des Jahres 15 aber, da man auf einen Zwiespalt der Cherusker unter Armin einerseits und Segest anderseits hoffte, durch einen plötzlichen Einfall ins Gebiet der Chatten eröffnet. Den ausnahmsweise niedrigen Wasserstand benutzend, rückte der Feldherr selbst mit auserlesenen Truppen in Eilmärschen gegen das Herz des Chattenlandes vor, unterwegs am Taunus eine von seinem Vater Drusus angelegte Festung wiederherstellend (positoque castello super vestigia paterni praesidii in monte Tauno) und den L. Apronius zur Ausbesserung der Wege und zur Sicherung der Flussübergänge zurücklassend. Schierenbergs Ansicht, diese von Drusus angelegte Befestigung sei an der oberen Lippe zu suchen, kann ich nicht teilen; die Mainzer Inschriften mit cives Taunenses (dazu die spätere, XII, 28, Erwähnung des mons Taunus in Pomponius, Kampf gegen die Chatten und der Name Arktaunon neben Mattiakon bei Ptolemäos) beweisen, dass die Gelehrten doch nicht so unrecht hatten, dem Bergland Hayrich den alten Namen Taunus, der ja auch nichts anderes als ‘Höhe’ bedeutet (kelt. dunum, ags. | |
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dun, neudeutsch Düne), wieder beizulegen. Nach unbedeutendem Widerstand wurde die Eder (Adrana, nicht die Ruhr, wie Schierenberg irrtümlich annimmt) überbrückt und überschritten, das Land verwüstet und der Hauptort der Volker (id genti caput) Mattium (im heutigen Metze, vielleicht auch Maden, wo noch im Mittelalter Volksversammlungen stattfanden, und dem Flussnamen Matzoft, alt Mazzafa, erhalten) niedergebrannt. Der Rückzug an den Rhein erfolgte wahrscheinlich durch die Täler der Eder und Sieg. Die Cherusker waren durch den mit der Hälfte des Heeres am Unterrhein zurückgebliebenen Cäcina abgehalten worden, den Überfallenen zu Hilfe zu kommen, ein Angriff der Marsen wurde abgeschlagen. Bald darauf traf eine Gesandtschaft von Segest ein, die in einem festen Platze, vielleicht in einem römischen Lager, von Armins Anhängern umlagert wurde. In raschem Zuge befreite ihn der Feldherr, und mit anderen Gefangenen kam auch Segests Tochter, Armins Gattin, die dessen Sohn unter dem Herzen trug, in die Gewalt der Römer. Durch den Verlust des geliebten, ihm gewaltsam entrissenen Weibes zum Äussersten gebracht, rief Armin sein Volk und die benachbarten Stämme zu den Waffen. Dadurch erschreckt, suchte Germanicus auf Umwegen sein Ziel zu erreichen; er schickte die Reiterei und die Hälfte des Fussvolks an die Ems voraus, vier Legionen aber führte er, um den Feind zu trennen (distrahendo hosti), zu Schiff an die Mündung dieses Stromes. Nun rückte ein Teil des Heeres, voran die leichten Truppen, unter Sengen und Brennen alles Land zwischen Ems und Lippe verwüstend, bis in den südlichsten Gau des Bruktererlandes vor und machte ganz in der Nähe des Teutoburger Waldes halt, wo noch die unbestatteten Gebeine des Varus und seiner Legionen liegen sollten. Da die Erfüllung der Pflicht, diesen die letzten kriegerischen Ehren zu erweisen, nicht mehr schwer schien, wurde Cäcina vorausgeschickt, um die Wege zu erkunden und die sumpfigen Stellen durch Aufschüttungen und Knüppeldämme gangbar zu machen. Mit Grauen durchzog das Heer den wilden, durch schreck- | |
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liche Erinnerungen unheimlichen Wald und erreichte zuerst das Varianische Hauptlager, durch seinen weiten Umfang und das Ausmass der Verwaltungsgebäude als Werk und Standort dreier Legionen kenntlich. Weiterhin sah man an einem halbzerstörten Wall und flachen Graben, dass hier die zusammengeschmolzenen Überbleibsel sich noch einmal festgesetzt hatten. Auf dem freien Felde (medio campi) zwischen beiden Lagern überall bleichende Gebeine, zerstreut oder haufenweise, je nachdem die Gefallenen auf vereinzelter Flucht oder bei geschlossenem Widerstand niedergemacht waren; dazwischen zerbrochene Waffen und Pferdegerippe, an Baumstämmen befestigte Schädel; in den benachbarten Hainen barbarische Heiligtümer, wo die Sieger die Befehlshaber und Hauptleute ihren Göttern geopfert hatten. Einige dem Blutbad oder den Banden entronnene Überlebende erzählten, ‘hier seien die Anführer gefallen, dort die Adler verloren gegangen, da sei Varus zuerst verwundet worden, dort habe er sich mit eigener Hand den Todesstoss gegeben, vom Richterstuhl (tribunal) herab habe Armin eine Ansprache gehalten, dass all diese Galgen, diese Gruben nun für die Gefangenen seien, und in übermütigster Weise die Adler und Feldzeichen verhöhnt’. Dass dieser knappen, aber anschaulichen Schilderung, die sich mit Dios wortreicher Erzähung schlechterdings nicht in Einklang bringen lässt, der Bericht von Augenzeugen zugrunde liegt, ist unverkennbar.
Für Jeden, der die Augen offen hat, fällt dadurch auf die Örtlichkeiten genügendes Licht. Ich habe mich darum, als ich mich etwas eingehender mit diesen Dingen zu beschäftigen anfing, sogleich der Ansicht Schierenbergs angeschlossen, dass die von Tacitus genannten Opferstätten (barbarae arae), vor denen die römischen Hauptleute den germanischen Sieges- und Rachegöttern bluten mussten, nichts anderes sein können als die Egsternsteine (d.h. Elsternsteine, vom ahd. agalastra, mittelalterlich Aghisterstein, Eggesterenstein, rupes picarum; die Schreibung Externsteine hat keine Berechtigung), bei Horn auf der Ostseite der Osning, in deren Nachbarschaft demnach auch das Varianische Standlager | |
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gewesen sein muss. Dass wir hier ein uraltes Denkmal des Heidentums vor uns haben, das später durch den Eiter der Bekehrer in ein christliches Heiligtum umgewandelt wurde, geht aus verschiedenen Umständen, besonders aber aus den etwa dem 12. Jahrhundert entstammenden Bildwerken hervor, die nach meiner Ansicht den Sieg des Christentums über das Heidentnm versinnbildlichen sollen. Die Kreuzabnahme mit dem segnenden Gott-Vater, mit Sonne und Mond, die den Tod des Erlösers beweinen, mit Nikodemus, Maria und Johannes ist ja ohne weiteres verständlich, weniger die Darstellungen des Sockels, deren Deutung schon wegen der schlechten Erhaltung schwierig ist. Ein neuerer Erklarer schreibtGa naar voetnoot(1) darüber: ‘Ich habe darin den Basilisken, die schreckhafteste Form des bösen Prinzipes nachgewiesen, ein Ungeheuer mit dem Körper eines riesigen Hahnes mit drei Schlangenköpfen. Das erste Menschenpaar, das die Menschheit mit der Erbsünde belastet und das Erlösungswerk Christi nötig gemacht hat, stöhnt in der Vorhölle, unter des Basilisken wilden Umschlingungen.’ Ohne in dieser schwierigen Frage das entscheidende Wort sprechen zu wollen, halte ich doch diese Erklärung für ebenso wenig zutreffend wie die Schierenbergs, der in dem Vogel einen Pfau, das ‘Symbol des Sternenkultus’, in dem Drachen die ‘römische Macht’ erblickt. Das Nächstliegende scheint mir doch zu sein, dass der bärtige Mann und das Weib als Vertreter des Sachsenvolkes aufgefasst werden müssen, die zwar noch von dem Drachen der Finsternis umschlungen sind, sich aber hoffnungsvoll an den weissen Schwan - der Vogel scheint Schwimmfüsse zu haben - des wahren Glaubens anklammern. Ein Vergleich mit der ‘Klus’ bei Goslar, die ich im vorigen Herbst unter kundiger Führung besichtigte, drängt sich unwillkürlich auf; der daneben liegende Petersberg zeigt, dass wir es hier mit einem ehemaligen Thonarsheiligtum zu tun haben. Worm führt in seinen Monumentis Da- | |
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nicisGa naar voetnoot(1) mehrere derartige Felsenkapellen an, eine bei Mellingen in Thüringen, den Reinesten bei Halberstadt, besonders aber die Michaelsgrotte bei Hollen in Telemarken: magnus olim in festo D. Michaelis... hominum confluxus; ritus ac ludi varii, qui iam aboliti... suspicor fanum fuisse idololatricum (zweifellos Wodans) in Christianos usus tandem conversum. Zu der Annahme Schierenbergs, die Römer hätten das germanische Heiligtum in ein Mithraeum verwandelt, liegt kein Grund vor. Auch die Versuche, ‘Beziehungen zwischen den geheimnisvollen Felsen und der Edda zu knüpfen’, waren verfehlt, darin hat Kisa unbedingt recht, wenn er aber hinzufügt: ‘Freilich hat weder Fafner noch ein anderer Lindwurm darin gehaust, weder Siegfried noch Varus in der Wimbecke ein Bad genommen’, so trifft er weder im Ton noch im Inhalt das Richtige. Wollte Germanicus aus dem Quellgebiet der Ems und Lippe das Waldgebirge überschreiten, so führte der nächste Weg durch das Tal der Strote und über das heutige Kohlstädt unmittelbar nach Horn, auf welcher Strecke nach Schierenberg noch ‘zahlreiche Karrenwege, oft mehr als zehn Fuss tief in den lebendigen Kalkstein der Berge eingegraben’, von der alten Handelsstrasse von der Ems nach der Weser Kunde geben, nicht aber durch die sumpfige Dörenschlucht, was zudem ein Umweg gewesen wäre. Warum aber befand sich das römische Standlager in der Nähe der Egsternsteine? Zur Beantwortung dieser Frage, die von der grössten Wichtigkeit für das Verständnis aller mit der Varusschlacht zusammenhängenden Vorgänge ist, müssen wir auf die von Drusus am Rhein geführten Kriege zurückgreifen. In den Jahren 12-9 vor unserer Zeitrechnung bekämpfte dieser trotz seiner Jugend als hervorragender Feldherr sich bewährende Heerführer mit grossem Glück die längs des ganzen Flusslaufs vorwärts drängenden Germanen, gebot den Markomannen Halt, unterwarf die Chatten, nahm Rache an den Sigambern und Cheruskern und drang bis an die Weser vor. Als er von dort wegen | |
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Verpflegungsschwierigkeiten und übler Vorzeichen im Spätherbst des Jahres 10 nach dem Rhein zurückkehrte, geriet er im schluchtenreichen Waldgebirge in einen Hinterhalt, entrann aber dem drohenden Verderben durch entschlossene Führung und die Kriegszucht seines Heeres. Durch Plinius (N.H. XI, 18, prosperrime pugnatum apud Arbalonem est) ist nur der Name der Örtlichkeit, die zwischen Weser und Lippe, etwa in der Gegend von Altenbeke gelegen sein muss, überliefert, doch ist es mehr als fraglich, ob dieser, wie Schierenberg meint, im heutigen Erpentrup fortlebt; zweifellos verfehlt ist die Deutung aus Aer, Er, wie der Kriegsgott bei Sachsen und Baiern hiess, und ahd. loh, loch, Hain, denn dies entspricht ja der keltisch-lateinischen Form lucus. Auf dem weiteren Rückzug machte dann Drusus an der Lippe halt und legte dort, wie Dio (LIV, 3) berichtet, an der Einmündung des Elison eine Befestigung an, das aus Tacitus' Annalen bekannte Aliso. Über dessen Lage waren von jeher die Meinungen geteilt; man hat es bei Neuhaus, zwischen den Mündungen der Pader und Alme, beim heutigen Dorf Elsen, bei Boke, bei Lippstadt, bei Liesborn und endlich bei HalternGa naar voetnoot(1) gesucht. Jedenfalls sind, wie aus dem eingangs abgedruckten Zeitungsbericht hervorgeht, bei den beiden letztgenannten Orten römische Festungswerke nachgewiesen worden. Es ist aber möglich, dass längs der Lippe, an der so wichtigen Heerstrasse vom Rhein nach Weser und Elbe, mehrere Befestigungen angelegt waren. Von Germanicus wenigstens hören wir, dass er auf dem Rückmarsch vom Feldzuge des Jahres 16 die ganze Strecke zwischen Aliso und dem Rhein mit neuen Landwehren und Dämmen befestigte (cuncta inter castellum Alisonem ac Rhenum novis limitibus aggeribusque permunita, Tac. Ann. II, 7) und schon Drusus hatte auf seinen Feldzügen überall Schutzwachen in befestigten Lagern zurückgelassen (praesidia atque custodias ubique disposuit per Mosam flumen, per Albim, per Visurgim, Flor.). Dies verschanzte Lager selbst, das ja nur mit Wall und Pfahl- | |
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graben umgeben war, muss aber meines Erachtens doch möglichst weit oben an der Lippe, etwa bei Neuhaus oder Boke, gesucht werden. Der Flussname Else (Aliso, Eliso) scheint ja in der Gegend nicht selten gewesen zu sein; noch heute heisst ein Nebenflüsschen der Hase so. Im folgenden Jahre zog Drusus wieder ins Cheruskerland und drang bis an die Elbe vor, wo er ein hochragendes Siegeszeichen, die noch von Ptolemäos erwähnten Tropaea Drusi, errichtete; den Fluss aber wagte er nicht zu überschreiten, entweder die Macht der auf dem rechten Ufer wohnenden Semnonen scheuend oder durch unheilverkündende Vorzeichen - Dio erzählt von einer übermenschlichen Frauengestalt - geschreckt. In Wahrheit war ‘seiner Taten und Tage Ende nah’, denn auf dem Rückzug stürzte er mit dem Pferde und brach den Schenkel; er wurde in ein mitten im Feindesland zwischen Sale (nicht die Yssel, wie Schierenberg meint, auch nicht die fränkische Sale) und Rhein (Strabo VII, 1) gelegenes Lager gebracht, das niemand als er selbst angelegt haben kann und wo er nach dreissigtägigem Leiden, nur dreissig Jahre alt, aber ein berühmter Kriegsheld, verschied. In feierlichem Trauergeleite brachte Tiberius, der in grösster Eile die Reise zu dem Sterbelager, 200 römische Meilen (Plin. N.H. VII, 20, Val. Max. V, 5), zurückgelegt hatte, die Leiche seines Bruders zuerst nach dem alten Winterlager auf dem linken Rheinufer, Castra vetera bei Xanten, und von dort nach Rom. Ohne Zweifel hatte Drusus nach Unterwerfung der Cherusker als Rückhalt für seine weiteren Unternehmungen und als Zwingburg dieses kriegerischen und unruhigen Volkes, in dem es eine starke romfeindliche Partei gab, vor seinem Zug an die Elbe jenes ‘Unglückslager (castra infausta)’, wie Sueton (Claud. I) es mit doppeltem Rechte nennt, geschlagen und befestigt. Hätte er dazu einen passenderen Ort wählen können als das geweihte Gebiet, wo im Schutze von Wäldern, Bergen und Gewässern das Volksheiligtum mit der Thingstätte (Theotmalli, vom altfränkischen mallus = forum, noch im späteren Mittelalter Detmelle, heute Detmold) sich befand? | |
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Den gleichen Namen trug das Stammesheiligtum der benachbarten und stammverwandten Chatten, Thiedmali, Thietmelli, heute Kirchditmold bei Kassel, nicht weit von Mattium, dem Hauptort des Volkes. Als Germanicus im Jahre 16 das Varianische Schlachtfeld zum zweiten mal betrat, fand er nicht nur den vor kurzem für die Gefallenen errichteten Grabhügel, sondern auch das in der Nähe gelegene ‘alte Denkmal des Drusus (veterem aram Druso sitam)’ von der Volkswut zerstört. Dieses stellte er wieder her und ehrte das Andenken seines Vaters durch einen feierlichen Umzug der Legionen, das Grabmal wieder aufzurichten, schien ihm dagegen nicht ratsam (non est visum). Dass dieser Altar nur beim Sterbelager des Drusus errichtet sein kann, ist einleuchtend und auch von Mommsen (Römische Geschichte V, 1, S. 27) anerkannt. In der kimbrischen Mundart der Brukterer wurde das Heiligtum, die ‘Volksburg’ der Cherusker, Teutoburgium genannt, wie nach Ptolemäos auch eine Stadt der Donaugallier hiess, und nach diesem das davorliegende Waldgebirge. Nachdem im Jahre 4 n. Ch. Tiberius nach Germanien zurückgekehrt war und die Cherusker als Bundesgenossen aufgenommen hatte (recepti Cherusci, Vellej. II, 105) baute er, wie sein Unterbefehlshaber Vellejus berichtet, das von seinem Bruder angelegte Standlager aus und richtete es sogar zum Winterlager ein (reduxit in Germaniam in cuius mediis finibus ad caput Lupiae fluminis hiberna digrediens princeps locaverat). Dass das handschriftliche Juliae oder Luliae in Lupiae zu verbessern ist und nicht, wie Schierenberg annimmt, mit Juliacum (Jülich) und der linksrheinischen Roer, die auch Gulia geheissen haben soll, zusammenhängt, bedarf wohl heute keiner Erörterung mehr, wohl aber meine Ansicht, dass das Winterlager ‘mitten in Deutschland, bei den Lippequellen’ nicht Aliso gewesen sein kann. Dieses wird immer nur castellum, niemals castra oder hiberna genannt und war nichts weiter als eine kleine Festung zum Schutz der nach dem grossen Standlager führenden Verbindungsstrasse. Als Varus im Jahre 9 den Oberbefehl in Germanien übernahm, fand er demnach das Lager, in | |
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dem er während des Sommers mit drei Legionen, zahlreichen Hilfstruppen und einer starken Reiterei stand, schon vor. Aber diese starke Truppenansammlung im Herzen des Cheruskerlandes, die ja für die ‘Bundesgenossen’ des römischen Volkes nichts neues war, bildete weniger die Ursache des Aufstandes als vielmehr die Art und Weise, wie der unkriegerische Varus zu Gericht sass und Recht sprach, ganz nach römischem Brauch wie in einem eroberten Lande, nach Rechtsbegriffen, die den landesüblichen Anschauungen widersprachen und darum als Willkür aufgefasst wurden, und mit Verhängung von Leibesstrafen, die dem Ehrgefühl der freien Germanen als schimpflich erschienen (saeviora armis iura viderunt, Flor.). Das war es, was die Cherusker besonders empörte. Dazu kam die ungestillte Kampflust (qui iam pridem rubigine obsitos enses inertesque maererent equos) und die Sorglosigkeit des Statthalters (tanta erat Varo pacis fiducia), so dass die Zahl der Unzufriedenen und Umstürzler von Tag zu Tag wuchs. An ihrer Spitze stand Arminius, der Sohn Sigimers, ein Jüngling edelster Abkunft, der die Kriegskunst im römischen Feldlager als Anführer seiner Volksgenossen (ductor popularium) gelernt hatte und dem das Heldenfeuer aus den Augen blitzte (ardorem animi voltu oculisque praeferens, Vellej. II, 118). Doch bereitete er seinen kühnen Plan insgeheim aufs sorgfältigste vor und liess sich äusserlich nichts anmerken. Nur sein Oheim Segest, das Haupt der Römerfreunde, durchschaute ihn und liess es an wiederholten und dringlichen Warnungen nicht fehlen, doch, wen die Götter verderben wollen, den schlagen sie mit Blindheit; Varus wollte nicht hören und verfiel seinem Geschick (sed Varus fato et vi Arminii cecidit, Tac., Ann. I, 53). Um die Herbsttagundnachtgleiche, zur Zeit des Wodansfestes - unser Michaelstag ist eine Erinnerung daran - pflegte eine allgemeine Wallfahrt nach den heiligen Stätten, ein grosses Volksfest stattzufinden. Dies wollte Armin zur Ausführung seines Anschlags, der römische Befehlshaber zu einer feierlichen Gerichtssitzung benützen. Am Vorabend waren alle zum Fest versammelten Che- | |
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ruskerfürsten an seiner Tafel vereinigt, und noch in letzter Stunde versuchte Segest den Ahnungslosen zu warnen und bot, wenn die Verschwörer in Fesseln geschlagen würden, auch die eigenen Arme den Ketten dar. Umsonst, das Schicksal nahm seinen Lauf. ‘O wäre doch’, rief der Cheruskerfürst bei seiner Entsetzung, ‘jene Nacht auch meine letzte gewesen! (illa nox mihi utinam novissima)’. Am andern Morgen strömte durch die weitgeöffneten Tore des Lagers das Volk in hellen Haufen herein, und auf dem Richterstuhle sass der Statthalter mit allen Abzeichen seiner Würde, umgeben von seinen Gerichtsdienern, den Hauptleuten des Heeres und den Führern der Verschwörung. Da plötzlich, auf ein verabredetes Zeichen, wurden tausende von Schwertern bloss, die wehrlosen Soldaten niedergestossen, die Torwachen überrumpelt. In dem grauenvollen Blutbad, das nun folgte, in dem furchtbaren Getümmel, voll Schrecken auf der einen, voll Übermut und Siegestaumel auf der andern Seite, können sich sehr wohl ähnliche Vorgänge abgespielt haben, wie sie Florus in hochdramatischer Weise schildert, kann sehr gut, da das Volk ganz besonders auf die glattzüngigen Sachwalter erbittert war, der Ruf gehört worden sein: ‘Hörst du nun endlich auf zu zischen, Schlange?’ Mommsen (a. O.S. 41) findet diese Darstellung ‘lächerlich’ und ‘ausser mit der gesunden Vernunft auch mit Tacitus' Schilderung der drei Marschlager in unlösbarem Widerspruch’. Dazu ist zu bemerken, dass die kurzen Andeutungen über die letzte Nacht und die nicht kampfbereiten Legionen bei Tacitus (Ann. I, 55 u. 58; II, 46) dazu trefflich stimmen, dass überhaupt bei diesem Schriftsteller gar nicht von ‘drei Marschlagern’ die Rede ist, sondern nur von dem grossen ‘Standlager’ mit Feldherrnwohnung, Richterstuhl, Galgen und Leichengruben, dem kleinen, von den Flüchtlingen vor dem Wald notdürftig verschanzten Lager und der Festung Aliso an der Lippe, wohin sich die letzten Überbleibsel gerettet hatten.
Der Umstand, dass der von der Ems kommende Germanicus zuerst auf das Standlager stiess, zeigt, dass die Flucht sich südwärts, nach der Lippestrasse, gegen Kampen und Neuenbeke zu | |
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gewälzt hat. Der grösste Teil des Heeres wird in den beiden Lagern und auf dem freien Feld zwischen beiden gefallen sein; nach Vellejus Paterculus, dessen angekündigtes ausführliches Werk über die Varusschlacht leider nicht auf uns gekommen ist, wird aber auch noch der Rückzug von dem kleinen Lager nach Aliso in den Schluchten, Wäldern und Sümpfen schwere Opfer gekostet haben. Wie Sueton (Calig. 3) berichtet, legte Germanicus beim Sammeln der Knochen selbst Hand mit an und setzte nach Tacitus auch das erste Rasenstück in den Grund des zu errichtenden Grabhügels ein, was ihm Tiberius später als unziemlich verübelte. Auch das wäre unmöglich gewesen, wenn die Schlacht, wie es Dio darstellt, in grosser Ausdehnung und in waldigen und sumpfigen Bergschluchten stattgefunden hätte. Nach Vellejus wurde dem ‘halbverbrannten’ (semiustum) Leichnam des Varus das Haupt abgeschlagen. Ich halte es für ein Missverständnis von Florus, wenn er daraus schliesst, die Soldaten hätten ihn bestattet gehabt (corpus, quod militum pietas humi abdiderat, effossum); dazu war in der schrecklichen Verwirrung keine Zeit, die Spuren des Feuers an des Feldherrn Leichnam rührten jedenfalls vom Lagerbrand her.
Die Angabe der Annalen (I, 63), dass Germanicus nach der Errichtung des Grabmals dem in unwegsame Wildnis zurückweichenden Armin gefolgt sei (cedentem in avia Arminium secutus), ist wohl nicht ganz zutreffend. Da der cheruskische Heerführer wohlweislich die Schlacht auf dem für die römischen Truppen günstigen Blachfeld vermied, war Germanicus gezwungen, sich zurückzuziehen und nun, in den für die römischen Waffen immer verhängnisvollen Waldschluchten, ging Armin plötzlich zum Angriff vor. Der Kampf war, wie sogar Tacitus zugibt, anfänglich günstig für die Feinde, dann unentschieden, endete aber mit dem Rückzug der Römer (manibus aequis abscessum). Ein Teil der Legionen wurde wieder auf der Emsflotte eingeschifft, die Reiterei suchte längs der Meeresküste den Rhein zu erreichen. Das übrige Heer sollte Cäcina über die einst von Domitius Ahenobarba angelegten Knüppeldämme (pontes longos ... angustus is trames vastas inter | |
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paludes et quondam a L. Domitio aggeratus; mit Recht sucht sie Schierenberg bei dem noch heute nach ihnen benannten Delbrück) so schnell als möglich auf den bekannten Wegen (notis itineribus) an der Lippe nach Castra Vetera führen. Nach schweren Kämpfen und allerlei Unfällen, auf die wir hier nicht weiter eingehen können, langten beide Heeresabteilungen, wenn auch stark mitgenommen, endlich in den Winterlagern an. Die bei Horn in grosser Anzahl gefundenen römischen Hufeisen sprechen selbstverständlich auch für Schierenbergs Ansicht, ebenso der von ihm angeführte Reisebericht des isländischen Bischofs Nikolaus aus dem 12. Jahrhundert, letzterer aber nur unter der Voraussetzung, dass die Erinnerung an Arminius in Sigfrid fortlebt; denn der nordische Bischof spricht ja nur von der bei Horus oder Horns, unzweifelhaft Horn, befindlichen Heide (Gnitaheidhi), wo ‘Sigurd den Fafner schlug’. Mit der Behauptung, die ganze Edda sei ‘eine Tochter des Teutoburger Waldes’, hat Schierenberg freilich weit über das Ziel hinausgeschossen, mit der Verlegung aller möglichen in den isländischen Gesängen genannten Örtlichkeiten nach seiner Heimat viel Zeit verloren und den Spott geradezu herausgefordert. Nur die Sigfridslieder sind zweifellos deutschen, und zwar fränkischen Ursprungs, und erst durch den zuerst von mir (1889 in einem Vortrag über die ‘dunklen Jahrhunderte der deutschen Geschichte’ im Karlsruher Altertumsverein) erbrachten Nachweis, dass die Cherusker keine Sachsen, sondern Franken waren, erhielt die Gleichsetzung Sigfrid-Arminius greifbare Gestalt und eine sichere Grundlage. Dass sie jetzt in immer weiteren Kreisen Anklang findet, zeigt die von der Presse, z. B. von der Rheinisch-Westfälischen Zeitung (Beilage für Kunst und Wissenschaft, 27. IX. 1905), meiner in diesen Blättern veröffentlichten Abhandlung ‘Sigfrid nur Sagenheld?’ gezollte Anerkennung. Daraus, dass Schierenberg in etwas übertriebener Heimatliebe seinem Sachsenvolke die Vertreibung der Römer zuschreibt, wird man ihm aber keinen allzu schweren Vorwurf machen können, am wenigsten von jener Seite, die noch immer an dem einst allgemein verbreiteten Irrtum festhält. | |
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Wenn das von Ernst von Bandel mit so viel Vaterlandsliebe, Opfermut und Ausdauer geschaffene ‘Hermannsdenkmal’ auch seinen Namen nicht ganz mit Recht führt (denn selbst wenn Arminius deutsch wäre, hätte es mit ‘Hermann’ nichts zu tun), so steht es doch an der richtigen Stelle, macht auf den Beschauer einen überwältigenden Eindruck und richtet mit seiner Schwert-inschrift an das deutsche Volk zwei beherzigenswerte Mahnungen: Einigkeit gegen innere und äussere Feinde und Dankbarkeit gegen unsere grossen Männer. Denn Deutschlands erster und grösster Held, ‘in Schlachten nicht immer siegreich, im Kriege unbesiegt’, fiel in der Blüte seiner Jahre nicht durch feindliche Waffen, sondern ‘durch die Hinterlist seiner eigenen Verwandten’, er, nach des hochgesinnten Römers Zeugnis unzweifelhaft Germaniens Befreier! |
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