Germania. Jaargang 7
(1905)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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stattlichen Lustjacht zurückbrachte. Seit ich in meiner Jugend Mrs. Brasseys ‘Segelfahrt um die Welt’ gelesen, schwärme ich für diese Art zu reisen, doch ist es leider beim Schwärmen geblieben.
Am andern Tage, einem Sonntag, streifte ich einsam durch die herrlichen Buchenwälder der grünen Insel und bewunderte die zerklüfteten Kreidefelsen, auf deren Gipfel zahlreiche Warnungstafeln von fortwährenden Rutschungen unterwaschener Teile Kunde geben. Bei solchen Felsstürzen treten immer neue Adern von Feuerstein zutage, die sich in schiefen, schwärzlichen Streifen über die weisse Felswand hinziehen. Der ganze Strand ist mit Feuersteinknollen bedeckt, der Reichtum an diesem für die Kulturentwicklung der Menschheit so wichtigen Gestein unerschöpflich. Wie kein anderer Stoff eignet sich der Feuerstein zur Herstellung der mannigfaltigsten Werkzeuge und Waffen, und sein muscheliger, scharfkantiger Bruch regt zur Erfindung immer neuer Formen an; ich zerschmetterte einen der herumliegenden Knollen auf einem Findlingsblock und sammelte die Splitter, von denen viele ohne weitere Bearbeitung zum Schneiden, Schaben oder Bohren zu gebrauchen waren. Hier, an den Gestaden der Ostsee - dieser Gedanke muss sich jedem Altertumsforscher aufdrängen - waren alle Voraussetzungen und Bedingungen gegeben für das Entstehen einer steinzeitlichen Kultur, deren Reichtum und Vielgestaltigkeit in den Sammlungen von Stettin, Stralsund, Lund, Kopenhagen und Stockholm unser Staunen erregt. Auf einem Fusswege las ich auch ein bearbeitetes Feuersteinmesserchen auf, als Andenken für mich wertvoller als all die Schätze der Sassnitzer Buden. Der vielgenannte und besuchte ‘Herthasee’ bei Stubbenkammer mit seiner schönen Aussicht vom Königsstuhl trägt leider seinen Namen mit doppeltem Unrecht, denn erstens hiess die von den Schwaben verehrte ‘Mutter-Erde’ weder Hertha noch Nerthus, sondern Aertha, und zweitens kann der heilige See dieser Göttin nur in einem früher von schwäbischen Völkern bewohnten Lande, also auf Seeland oder Laaland, gesucht werden. | |
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Dicht neben dem See ist ein mächtiger, anscheinend aus slavischer Zeit stammender Ringwall; denn die Nachfolger der gotischen Rugier - ob unmittelbar oder mit Unterbrechung, ist nicht mehr festzustellen - waren wendische Rujaner, nach dem besetzten Lande benannt. Daher sind noch heute die meisten Ortsnamen auf Rügen slavisch.
Von Stubbenkammer führt ein reizender Waldweg nach Lohme. Über eine weite Meeresbucht weg erblickt man von diesem traulichen Badeörtchen aus Arkona, die nördlichste Spitze der Insel, mit dem 1827 erbauten Leuchtturm. Dort stand, bis Stadt und Festung im 12. Jahrhundert von dem Dänenkönig Waldemar I. erobert wurde, das weitberühmte und herrlich geschmückte, nach nordischer Sitte aus Holz erbaute Heiligtum des Gottes Svantovit, dessen Standbild in der einen Hand ein mächtiges Methorn als Sinnbild des Überflusses, in der anderen als Schutzgeist ein blankes Schwert trug und den die Schlauheit der Geistlichen später zum ‘Heiligen Veit’, Sanctus Vitus, gemacht hat. Schon als ich in meiner Jugend das Lied ‘Auf Arkonas Bergen steht ein Adlerhorst’ singen hörte, fiel mir der seltsame, italienisch klingende Name auf. Woher stammt er, ist er germanisch oder slavisch? Allem Anschein nach weder das eine noch das andere (Urkan ist spätere Entstellung), sondern keltisch, gleichlautend mit Arkunia, Hercynia, und nichts anderes als ‘hoher Fels’ oder ‘Berg’ bedeutend. Auf dem benachbarten Bornholm sind zahlreiche Gräber mit Waffen und Schmucksachen keltischen Stils, (La Tène) gefunden worden, und wir müssen daher annehmen, dass in den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung noch Kelten, deren letzte belgische Welle mit dem kimbrischen Stamm der Germanen im innigsten Zusammenhange steht, an der Ostsee gewohnt haben. Die vielen auf Rügen gefundenen Grabstätten gehören freilich grösstenteils einer noch viel älteren Zeit, dem Steinalter, an. Nach der vom Senior der deutschen Altertumsforscher, Dr. Rudolf Baier, der Greifswalder Versammlung gewidmeten Schrift ‘Vorgeschichtliche Gräber auf Rügen und in Neuvorpommern’ waren in den | |
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zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auf der Insel noch 1869 vorgeschichtliche Gräber, ‘meist hochgetürmte, weithin sichtbare, aus mächtigen Felsblöcken zusammengesetzte Bauten’, bekannt. Und heute, wo sind sie geblieben, die Zeugen einer mehrtausendjährigen Vergangenheit? Die immer ausgiebiger betriebene Landwirtschaft hat den grössten Teil derselben eingeebnet und das Land unter den Pflug genommen; die Steinblöcke wurden zerschlagen und zur Ausbesserung der Strassen und Wege verwendet oder in Hausbauten vermauert; die langen Decksteine wurden mit Vorliebe zu Schwellen und Treppenstufen in Herrenhäusern oder zu Meilensteinen verarbeitet.
Nach stundenlanger Wanderung, immer durch den schönsten Buchenwald, kam ich nach Sassnitz zurück, wo ich, wie in Stubbenkammer, einen Teil der Greifswalder Versammlung wiederfand.
Am andern Morgen hatte sich das Wetter gründlich geändert. Die Hitze war verschwunden und vom Meere her wehte eine steife Brise, die mächtige Wogen mit weissen Schaumkämmen gegen die Feuersteinblöcke des Strandes heranwälzte. Der ‘Imperator’, auf dem ich mich nachmittags nach Schweden einschiffte, hatte kaum den Hafen verlassen, als das grosse und schöne Schiff mächtig zu schwanken und bald wie eine Nussschale hin und her zu taumeln begann; oft berührte die Reling die Wasserfläche und schäumende Sturzwellen überschwemmten das Deck. Die Folgen blieben nicht aus. Das laute, fröhliche Geplauder verstummte allmälig, aus den unteren Räumen drangen stöhnende Klagelaute herauf, und ab und zu sah man einen Unglücklichen dem Aegir ‘schrecklich Opfer’ bringen. Obwohl eine richtige Landratte und durchaus kein ‘seebefahrener Mensch’, blieb ich doch merkwürdigerweise ganz unbehelligt, liess mich vom Sturm zerzausen und konnte mich nicht satt sehen am ‘Spiel der Wellen’. Lange hatte neben mir ein lustiger Berliner ausgehalten und über die armen Opfer der Seekrankheit allerlei teilnehmende und liebenswürdige Bemerkungen gemacht, plötzlich aber stockte sein Redefluss, sein lachendes Gesicht wurde bleich und verzog sich zu | |
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merkwürdigen Falten, er taumelte nach der Brüstung - auch du, mein Brutus!
Der schwere Seegang verzögerte unsere Fahrt, so dass des ‘Helios leuchtende Fackel’ schon in den Wogen zu erlöschen begann, als die schwedische Küste in Sicht kam und man endlich über den Hafengebäuden von Trelleborg die blaue, gelbgekreuzte Flagge flattern sah. Um meine Sprachkenntnisse etwas aufzufrischen, summte ich einige Gesänge der Frithjofs-Saga, die ich auswendig wusste und die schwedisch noch viel schöner klingen, als in der besten Übersetzung, vor mich hin, unter anderem: Der er flagga på mast, och den visar at norr,
och i norr är den älskade jord;
jag vill följa de himmelska vindarnas gång,
jag vill styra tillbaka mot Nord.
Und die Flagge am Mäste sie weiset nach Nord,
und dort winkt das geliebteste Land;
ich will folgen der Winde, der himmlischen, Flug,
ich will steuern zum nordischen Strand.
Auch der Name Trelleborg oder Trolleborg, d.h. Elfenburg, weckt eigentümliche Erinnerungen; er ist, wie auch Trojaburg (skand. Trojeborg, engl. Troytown), häufig im Norden und bezeichnet immer eine Stätte, die durch einen der merkwürdigen, aus Steinsetzungen bestehenden Schnecken- oder Irrgänge (Labyrinthe) ausgezeichnet war oder noch ist. Es war ein grosses Verdienst des gewiss nicht von Irrtümern freien, aber doch durch ‘deutschen Gelehrtendünkel’ über Gebühr verlästerten Ernst Krause, in seinem Buch ‘Die Trojaburger Nordeuropas’ (Glogau 1893) und der ergänzenden Schrift ‘Die nordische Herkunft der Trojasage’ (im gleichen Jahr und Verlag) auf den Zusammenhang der nordischen mit den südeuropäischen Labyrinthen und beider mit der Verehrung des Sonnengottes hingewiesen zu haben. Das Steinlabyrinth von Wisby z. B., das uns Almgren bei der Festsitzung in Stockholm in seinem Lichtbildervortrag vorzeigte, gleicht | |
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dem auf kretischen Münzen und auf dem Kreuz von Juleskov wie ein Ei dem andern. Es ist dies eine ungemein wichtige, die nordische Herkunft der griechischen Götter und heiligen Gebräuche bezeugende Tatsache. Nach Herodot, Pomponius Mela, Diodor, Plinius und Pausanias schickten ja auch die Hyperboreer nach Delos, dem Eilande des Sonnengottes, Gesandtschaften und Weihgeschenke.
Aus diesen Gedanken rüttelte mich der Ruf eines Reisegefährten auf: ‘Nun wollen wir uns aber bei einer schwedischen Sexa von den Leiden der Überfahrt erholen’. Ein solches Mahl mit einem schwedischen Punsch kann allerdings einen verstimmten Magen wieder in die Reihe und die gesunkenen Lebensgeister in die Höhe bringen: es besteht aus sechs bis acht kalten Platten, manchmal auch einer warmen, mit allerlei guten, die Esslust reizenden Dingen, besonders ‘Früchten des Meeres’, von denen man sich für 1 ½ - 2 Kronen nach Hunger und Geschmack nehmen darf, was und wieviel man will. Dazu wird ‘Käkkebröd’ gegessen; meist dick mit Butter bestrichen, denn ohne ‘smör’ tut es der Schwede nicht. Als ich ‘das Land meiner Sehnsucht’, wie meine Frau beim Abschied scherzend gesagt hatte, betrat, kam mir als erster Sohn desselben auf der Landungsbrücke ein Schutzmann entgegen, in dunkelblauem Überrrock und einem dem deutschen ähnlichen Helm, schlank, mindestens sechs Fuss gross, mit rötlichem Schnurrbart, ein echter Nordländer. Es sei hier gleich bemerkt, dass man auch in Schweden, besonders an der Südküste, Menschen mit dunklen Haaren und Augen antrifft; je weiter man aber - das hat ja auch die unter Retzius' Leitung durchgeführte Volksuntersuchung zahlenmässig festgestellt - ins Innere oder gegen Norden vordringt, desto reiner wird die Rasse (Homo europaeus Linné). Dabei findet man bei beiden Geschlechtern stattliche und schöne Erscheinungen. Frauen und Mädchen zeichnen sich häufig durch tadellosen Wuchs, edle Gesichtsbildung, zarte Farben, reinblaue Augen und reiches, goldschimmerndes Haar aus. Wahrlich, Karl V., der zu sagen pflegte, der ganze Adel Europas stamme aus Skandinavien und Gotland, hatte nicht so unrecht. | |
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Von Trelleborg reiste ich noch am gleichen Abend über Malmö, d.h. Sandhügel, alt Malmhaugur, und den Oeresund, auf dem grosse, schön eingerichtete Dampffähren unter schwedischer und dänischer Flagge den Verkehr vermitteln, nach Kopenhagen, dän. Kjöbenhavn, schwed. Köpenhamn, d.h. ‘Kaufmannshafen’. Die dänische Kriegsflagge, der Danebrog, d.h. ‘Dänenzier’ (der zweite Teil des Wortes steckt im franz. broche, in den keltischen Namen Brogitarus, Allobroges), blutrot mit weissem Kreuz, soll vor 800 Jahren in einer mörderischen Schlacht gegen die heidnischen Slaven vom Himmel gefallen und seitdem Feld- und Siegeszeichen der Dänen geworden sein; wahrscheinlich aber ist das Kreuz das uralte, heidnische Sonnenzeichen und hat mit dem Christentum nichts zu tun.
Die Stadt Kopenhagen, rings vom Wasser umgeben und mit grossen Hafenanlagen versehen, ist zur Seehandelsstadt wie geschaffen, wenn auch, seit Riesendampfer alle Meere durchfurchen, der Ostseehandel entschieden zurückgegangen ist. Sie hat auch verschiedene schöne Parkanlagen mit herrlichen Baumgruppen und Seen, wie Oester Anläg, Oersteds Park, Botanisk und Rosenborg Have. Von öffentlichen Gebäuden fällt besonders das Schloss Amalienborg mit seinem runden Platz, die Marmor- und Frauenkirche, der runde Turm, die Universität und das neue Rathaus mit seinem schlanken Uhrturm in die Augen. Das Königliche Schloss am Königsneumarkt (Kongens Nytorv) ist seit dem Brande von 1886 noch nicht wieder hergestellt. Das Hauptleben flutet durch die Oestergade mit ihren vielen und schönen Läden, darunter die der Königl. Porzellanmanufaktur und der weltbekannten Fabrik von Bing und Gröndahl. Den kunstliebenden Fremden lockt vor allen Sehenswürdigkeiten das Thorwaldsenmuseum und die Frauenkirche mit den gewaltigen Christus- und Apostelstandbildern, den Altertumsfreund das Altnordische Museum mit seinen unvergleichlichen Schätzen, die dem Besucher einen hohen Begriff von dem Alter und der Bedeutung der dänischen Kultur geben. Hier sieht man Steinwaffen und Werkzeuge in unerschöpflicher Fülle, Baum- | |
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särge, in denen sich durch die Einwirkung der Gerbsäure die Tracht der Bronzezeit fast unverändert erhalten hat, einen kunstvoll gearbeiteten und verzierten Wagen aus dem gleichen Zeitalter, eherne gewundene Hörner (lurer), die so wohl erhalten sind und zusammenstimmen, dass sie wiederholt schon zu musikalischen Aufführungen benutzt werden konnten, das vergoldete Sonnenbild von Trundholm, den Silberkessel von Gundestrup, der uns eine Vorstellung gibt von dem durch die kimbrische Sühnegesandtschaft an Kaiser Augustus geschickten Opferkessel, getreue Nachbildungen der leider gestohlenen Goldhörner, verschiedene Runensteine und viele andere ehrwürdige Vorzeitdenkmäler. Abends bietet der weltberühmte Vergnügunspark Tivoli alle möglichen Unterhaltungen und Zerstreuungen. Das dänische Volk ist tüchtig und liebenswürdig; die Gebildeten sprechen fast alle deutsch. Im übrigen ist die dänische Sprache der schwedischen zwar sehr ähnlich, aber nicht so leicht zu verstehen, da die Dänen sehr viel verschlucken. Eine der am meisten gehörten Redensarten ist z. B. ‘va b'ha’, soll heissen hvad behaver, ‘was beliebt?’ Das den nordischen Sprachen eigene Passiv gestattet oft eine grosse Knappheit des Ausdrucks, z. B. Vaskes, stryges og rulles, d.h. ‘hier wird gewaschen, gebügelt und gemangt’. Deutscher Einfluss gibt sich in dem oft zu lesenden ‘Isenkramhandel’ zu erkennen, während doch ‘jern’ das dänische Wort für Eisen ist. Die Dänen blicken auf eine ruhmreiche Vergangenheit zurück und waren von je ein Heldenvolk, wovon der stolze alte Spruch Kunde giebt: Först troer jeg min gode svärd
og saa min gode hest,
dernäst troer jeg mine Dannesvenne
jeg troer mig self allerbedst.
Zuerst vertrau' ich auf mein Schwert
und auf mein Ross, das gute,
auf meine Dänenhelden dann,
Zumeist dem eignen Mute.
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Dass die Nachkommen solcher Männer die Schmälerung ihrer Macht und Bedeutung schmerzlich empfinden, dass sie ein bitteres Gefühl gegen die Deutschen, die ihnen, allerdings in ehrlichem und gerechtem Kampf, zwei der schönsten Provinzen weggenommen, nicht überwinden können, wer will es ihnen verargen? Trotzdem muss, in Anbetracht der gemeinsamen Abstammung und Veranlagung, eine Politik der Versöhnung und Verbrüderung mit den germanischen Nachbarvölkern, insbesondere den kernhaften Nordgermanen, als die für das Deutsche Reich erspriesslichste und durch die Weltlage von selbst gegebene betrachtet werden. Man hat es mir in alldeutschen Kreisen verdacht, dass ich in diesen Blättern (II, 8) sogar von einer Abtretung des dänischen Nordschleswig gesprochen habe; um das angedeutete Hochziel, ein Schutz- und Trutzbündnis zu erreichen, selbstverständlich aber nur unter dieser Bedingung, scheint mir in der Tat dieser Preis nicht zu hoch.
Stets war es mir auf Reisen ein angenehmes Gefühl, wenn ich nach Erledigung der Sehenswürdigkeiten planlos in den Strassen einer Stadt umherschlendern und ganz ungezwungen Leben und Treiben, Sitten und Eigenart des betreffenden Volkes beobachten konnte. Bei einer solchen Wanderung durch Kopenhagen kam ich auf einen kleinen Platz, den ‘Graubrüdermarkt’, von dessen eigentümlich anmutendem, reizvollem Eindruck ich überrascht war. Das Grün in der Mitte, die nüchterne Bauweise der anscheinend aus dem 18. Jahrhundert stammenden Giebelhäuser - war es das? Nein, bald wurde mir klar, dass die künstlerische Wirkung einzig und allein durch den ‘Reiz der Farbe’ erzielt war, denn die Häuser waren in verschiedenen, aber stimmungsvoll zueinander passenden Farben gestrichen, die Fenster- und Türumrahmungen durch hellere Töne hervorgehoben. Schwer nur konnte ich mich von dem traulichen Plätzchen trennen, weil ich hier zum erstenmal in einem Städtebild einen oft gehegten Gedanken verwirklicht fand: warum macht man nicht häufiger Gebrauch vom billigsten Ziermittel, der Farbe? Ein hässlicher Anstrich kostet genau eben- | |
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soviel wie ein geschmackvoller, zur Umgebung stimmender, und welch ein Unterschied in der Wirkung! Vor kurzem fand ich in einem Zeitungsberichte die Erläuterung und Erklärung: auf Anregung eines Verschönerungsvereins hatten sich die Besitzer entschlossen, ihre alten Häuser neu streichen zu lassen, aber - das ist die Hauptsache - in gemeinsamem Einverständnis und unter der Leitung eines kunstsinnigen Mannes, des Malers Möller-Jensen. Möchte ihr Beispiel Nachahmung finden. Mein nächstes Ziel war Lund, die Hauptstadt von Schonen, der alte Bischofssitz, die berühmte schwedische Hochschule. Leider war es mir nicht vergönnt, hier die Bekanntschaft des Mitherausgebers der Anthropologia Suecica, des Professors Fürst, zu machen; er war, wie auch Retzius in Stockholm, dessen freundlichen Besuch in Heidelberg ich gerne erwidert hätte, in der Sommerfrische, überhaupt das ganze Städtchen in den Ferien wie ausgestorben. Hoch ragen über die niederen Häuser die beiden Türme der herrlichen Domkirche empor, die an unsere schönsten rheinischen Bauten romanischen Stils erinnert. Auf einem Säulenfuss las ich in nordischen Runen, aber niederdeutscher Sprache die Worte ‘Got help’, angeblich von dem deutschen Baumeister Adam von Büren herrührend, der, an seiner Kraft verzweifelnd, auch die darunter stehenden Sinnbilder, einen Mann mit einem Hammer auf der Haut einer zusammengebrochenen Esels, eingehauen haben soll. Diese werden durch den altdänischen Spruch erklärt: Thet maa vel it asen vaere,
Som tagr mer end det kand baere.
Fürwahr ein grosser Esel ist der Mann,
Der mehr sich auflädt, als er tragen kann.
An einer Säule der merkwürdigen Krypta befindet sich das Bild des Jaette (Riesen) Finn, der nach der Sage um den Lohn für seine Mithilfe beim Bau betrogen wurde. In der Nähe steht das Tegnerdenkmal, das Versammlungshaus für die gesamte Studentenschaft (student förening) mit grossem Festsaale, reich ausgestatteten Lesezimmern u. dergl., die alte | |
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Universität (jetzt Bibliothek) und die neue, mit schöner Aula und einer sehenswerten Altertümersammlung im Keller, in der besonders die von Menschenhand bearbeiteten Renntierstangen von Näsbyholm und die zahlreichen Runenkalender meine Aufmerksamkeit fesselten. Ausserdem besitzt die Stadt ein hübsches Freiluftmuseum mit südschwedischen Bauernhäusern samt ihrer ganzen, die nordische Volkskunst gut erläuternden Einrichtung. Abends stand ich dann noch vor dem einstöckigen Häuschen, das eine Inschrift als einstige Wohnung des Sängers der Frithjofssage kenntlich macht.
Obwohl die Fahrt von Lund nach Stockholm einen ganzen Tag, ungefähr 12 Stunden mit dem Schnellzug, dauert, wirkt sie doch nicht ermüdend, denn erstens gehen die Wagen so ruhig, dass das Lesen nicht anstrengt, und zweitens bringen die vielen Seen Abwechselung in die Landschaft. Zur Übung in fremden Sprachen lese ich gern Zeitungen, denn sie enthalten die meisten der im täglichen Leben vorkommenden Ausdrücke; die schwedischen Zeitungen sind gut bedient, bringen rasch und zuverlässig die neuesten Nachrichten und enthalten auch manchen wissenschafttich wertvollen Beitrag. Lässt man das Blatt sinken, so schweift das Auge mit Wohlgefallen über das grüne Land, das nach Norden zu immer waldreicher und felsiger wird, während Schonen mit seinen Kornfeldern und Windmühlen an die pommerische Ebene erinnert. Viel schönes Vieh weidet das saftige Gras ab, und die über die grünen Wiesen galoppierenden Rosse muten ganz altgermanisch an. Einen reizenden Schmuck der Landschaft bilden die zerstreut liegenden Bauernhäuschen, alle aus Holz, die meisten rot gestrichen, mit weissen, gelben oder rosenroten Eckbalken und Fensterrahmen. Auf den grösseren Haltestellen - Norrköping mit 60,000 Einwohnern ist übrigens die einzige bedeutende Stadt auf der Strecke - gibt es überall Kaffee, Kuchen und ‘smörbröd’; nirgends fehlt auch das Sodahäuschen, die ‘vattenbutik’. Die auf den Bahnhöfen feilgebotenen ‘ersten’ Kirschen, bei uns schon vor einem Vierteljahr gegessen, gemahnen an die nördliche Lage. | |
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Stockholm, die ‘Königin der Ostsee’, das ‘nordische Venedig’, ist schon so oft und anschaulich von entzückten Besuchern geschildert worden, dass ich hier nur sagen kann, es enttäuscht auch die höchstgespannten Erwartungen nicht. Wer einmal das Glück gehabt, diese stolze Königsstadt zu sehen, wird stets ihr grossartiges Bild in der Erinnerung bewahren. Wie wir unter den zahllosen erbeuteten Fahnen der Riddarholmskirche, an den Grabmälern Gustav Adolfs und Karls XII. des schwedischen Heldentums und Kriegsruhms gedenken, so umweht uns in den weiten Sälen, unter den reichen Schätzen des Nationalmuseums der Geist der Vorzeit. Von den ersten Anfängen der neueren Steinzeit (Mesolithicum) bis zur Kunst der Gegenwart offenbart sich hier dem Auge des Forschers eine ununterbrochene, stetig aufsteigende und fortschreitende Entwicklung menschlicher Geschicklichkeit. Besonders der germanische Stil, die Kunstfertigkeit und der Geschmack unserer Vorfahren zeigt sich hier in den glänzendsten Proben, an den lehrreichsten Beispielen. Ich darf wohl sagen, dass ich auch hiermeine Auffassung desselben bestätigt gefunden habe: wenn z. B. die sich umwindenden Schlangen eines ostgotländischen Beschlägs, eines langobardischen Goldblättchens aus Mailand und der Steine aus der altfränkischen Peterskirche in Metz genau die gleiche Gestalt aufweisen, so ist diese Übereinstimmung unmöglich durch Übertragung, sondern nur durch eine gemeinsame Quelle in der Stammesheimat der noch ungetrennten Germanen zu erklären. In dem von Hazelius gegründeten Freiluftmuseum ‘Skansen’ (Schanze; von da herrlicher Rundblick über die Stadt) mit seinen Bauernhausern, Volkstrachten, Runensteinen, Lappenzelten, nordischen Tieren fand ich in einem Häuschen auch hölzerne Nachbildungen des noch heute üblichen Weihnachtsgebäckes, ‘julbröd’; eine Art desselben, ‘gullvagn’, Goldwagen genannt, fiel mir besonders in die Augen, da sie die Gestalt des Hakenkreuzes hat und somit meine längst geäusserte Ansicht bestätigt, dass dies weitverbreitete Sinnbild nichts anderes ist, als das heilige Sonnenzeichen der Nordländer. | |
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Einen schönen Abschluss der Stockholmer Tage bildete eine von der ‘Schwedischen Gesellschaft für Anthropologic und Geographie’ in den prachtvollen Räumen des Grand Hotel zu unsern Ehren - eine grössere Zahl von Teilnehmern der Greifswalder Versammlung war inzwischen auf dem Seewege eingetroffen - veranstaltete Abendunterhaltung mit lehrreichen Lichtbildervorträgen von Montelius und Almgren und einem daran sich anschliessenden Festmahl: Skål för din ära, du härliga Nord! Während der Rückfahrt unterhielt ich mich u.a. mit einem Volksschullehrer, einem hübschen und aufgeweckten jungen Mann von ungefähr 20 Jahren, der zwar die deutsche Sprache ‘sehr schwer’ fand, sich doch aber ganz gut darin ausdrücken konnte. Er fuhr, wie er mir erzählte, nach Lund zu einem Ferienkurs für Lehrer und Lehrerinnen; in dem Verzeichnis der Vorlesungen fand ich auch eine solche über ‘Rassen und Völker’ - wahrlich, dachte ich bei mir, das könnte in Deutschland manchem Lehrer höherer und höchster Schulen nichts schaden. Von Malmö, der volkreichen Handelsstadt, fuhr ich quer durch die Landschaft Schonen nach dem Hafenstädtchen Simrishamn (alt Simbaershamn; die Schreibung Cimbrishamn der meisten deutschen Karten erweckt falsche Vorstellungen von einem Zusammenhange mit den Cimbern). In Schonen sind Ortsnamen auf löf, unser deutsches leben, englisch ley, sehr häufig, und einige dieser Ortschaften, darunter Eslöf als bedeutendste, liegen auch an der Bahn. Sie sind für die germanische Stammeskunde und älteste deutsche Geschichte von grosser Wichtigkeit; denn diese Sitte der Namengebung, von den schwäbischen Angeln mit grosser Zähigkeit festgehalten, hat das Volk auf alien seinen Wanderungen, über die dänischen Inseln nach Jütland und von da teils nach England, teils südwärts, mitten durch Deutschland bis an den Main, begleitet. Zu den schon früher beigebrachten Beweisen für diese seit Jahren von mir vertretene und verteidigte Ansicht und die Bedeutung des Wortes fand ich auf der Reise einen neuen, entscheidenden. Der in Kopenhagen | |
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befindliche Runenstein von Snoldelev auf Seeland war mir zwar längst durch Abbildungen bekannt, doch hatte ich seine Innschrift, ‘Kunualt stain sunar ruhalts thular a salhaukum’, d.h. Gundwalds Stein, des Sohnes Rodwalds, Sängers auf Salhöh, nicht weiter beachtet. Dies alte Salhaug heisst aber heute Sallöv, beide Endungen sind also gleichbedeutend (got. hlaiv, ags. hlaev, ah. hleo, hlewes, Hügel).
Nur ein schmaler, in 2 - 3 Stunden zu durchfahrender Meeresarm trennt die schwedische Küste von der dänischen Insel Bornholm, die mit ihren Granitklippen geologisch zur skandinavischen Halbinsel gehört. Sie hiess früher Austravia, ‘Osterö’, oder Baltea, vom baltischen Meer, und erhielt ihren jetzigen Namen erst von den gotischen Burgunden, die das nach dem Cimbernzug verlassene Eiland in Besitz nahmen (an. Borgundarholmr, ags. Burgendaland). Saxo Grammaticus spricht noch von einer Burgunda insula, in der ‘Dänischen Geschichte’ von Menrsius aber (Amsterdam 1638) finden wir den Übergang von Boringholmia - die Einwohner sagen noch heute Borrinjholm - zu Borneholmia, Bornholm, der jetzigen Namensform. Da wegen Sturms der kleine Dampfer nach Rügen nicht auslaufen konnte, musste ich einen Tag länger, als ursprünglich beabsichtigt, auf der Insel bleiben und benutzte die Zeit, um den nördlichen Teil derselben zu durchstreifen, die auch von Deutschen viel besuchten Seebäder Allinge und Sandvig, die wildzerrissenen Klippen von Johns Kapell und die beiden ‘Löwenhäupter’, an denen bei der bewegten See der weisse Gischt hoch emporspritzte, den Hammersee, das landschaftlich schöne ‘Paradiestal’, die malerischen Trümmer der schwedischen Zwingburg Hammershus, die Olekirke, eine der Bornholm eigentümlichen Rundbauten zu gottesdienstlichen und Verteidigungszwecken u.a. Auf den Friedhöfen stehen häufig unter neueren Grabsteinen noch alte Runensteine aus dem 12. oder 13. Jahrhundert, z. T. aus heidnischer Zeit. Reiche Lager feiner Tonerde haben eine Terrakottenindustrie, von Hjort, hervorgerufen, die ausser anderen hübschen Sachen auch kleine Nachbildungen von Runensteinen herstellt, die von | |
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den Fremden als eigenartige Andenken gerne gekauft werden. Der von mir heimgebrachte trägt die Inschrift: ‘Svenur lit raisa stain thena eftir Tosta fathur sin auk eftir Alflak brothur sin auk eftir mothur sina auk eftir sustur sina, d.h. Sven liess den Stein errichten für seinen Vater Tosta, seinen Bruder Alflak, seine Mutter und seine Schwester.’ Da ich in verschiedenen norddeutschen Städten noch liebe Verwandte und alte Freunde aufsuchen wollte, war mein Aufenthalt in Skandinavien zwar nur kurz bemessen, doch reich an grossen und schönen Erinnerungen, die ich nicht besser auszudrücken weiss, als mit den Worten des Dichters (Grafström): Jag minns de gamla skogarna och landen,
der dånande man under klippor far,
jag minns den sjö, der dunkelgröna stranden
sin höga mur kring blåa djupet drar.
Ich denk' der alten Wälder in dem Lande,
wo Brandung donnernd an den Klippen nagt,
ich denk' der See, an deren grünem Strande
die Felswand über blaue Tiefen ragt.
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