Germania. Jaargang 7
(1905)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Unsere Mundarten.
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lung verbliebenen Waldessprössling. So behauptet schon nach ihrem rein sprachlichen Werte als Sprachgewächs, das sich frei und ungekünstelt entfalten konnte, die Volksmundart einen gewissen Vorrang vor der Schriftsprache.
Törichter Weise hielt man lange Zeit die Mundarten für etwas Minderwertiges, für eine verdorbene Schriftsprache, eine Art Gassendeutsch, das sich anständige Leute hüten müssten zu gebrauchen. Allmählich aber brachen sich richtigere Ansichten darüber Bahn. J.H. Voss sah zuerst in der Mundart die natürlichste Form für die Darstellung des Kleinlebens und des naiven Volksempfindens. Der eigentliche Begründer aber der mundartlichen Dichtung war Joh. Peter Hebel mit seinen allemannischen Gedichten. Seitdem vernehmen wir manches treffende Urteil über den Wert der Mundart. So vom Turnvater Jahn. Er sagt: Mundarten sind keineswegs für blosse Sprachbehelfe zu halten, für Ausdrucksweisen von niederem Range, die nur annoch in einem Versteck und Schlupfwinkel des Sprachreichs aus Gnade und Barmherzigkeit Duldung geniessen. Im Gegenteil sind sie nach altem, wohlhergebrachtem Recht in irgend einem Gau auf Grund und Boden erb- und eingesessen. In einem weit und breit durch Gaue, Marken und Lande wohnenden Volke muss es eine Menge höchst notwendiger Begriffe geben, treffliche Bezeichnungen, gehaltene Schilderungen und sprechende Gemälde, die niemals in Büchern vorzukommen Gelegenheit hatten. Aus diesen mehrt sich allezeit, wenn Not am Wort ist, die Schriftsprache, die ohne sie nicht heil, sondern unganz ist. Die Gesamtsprache hat hier Fundgruben und Hilfsquellen, die wahren Sparbüchsen und Notpfennige des Sprachschatzes. Ohne Mundarten wird der Sprachleib zum Sprachleichnam. Die Schriftsprache ist die höchste Anwartschaft zur Sprachreinheit, die Mundarten bleiben die dazu nötigen Urversammlungen der vielgestaltigen Einzelheit. - Und der Altmeister Goethe (Dichtung und Wahrheit. Teil II, sechstes Buch) sagt ebenso mit Recht: Jede Provinz liebt ihren Dialekt, denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Atem schöpft. | |
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In unserer Zeit hat man denn auch die Mundarten immer mehr würdigen gelernt. So wurde am 24. April 1889 zur Feier seines 70. Geburtstages der Dialektdichter Professor Klaus Groth in Kiel, der sich als Begründer der norddeutschen Dialektdichtung und Schöpfer des Quickborn ausserordentliche Verdienste um die niederdeutsche Sprache erworben hatte, sowohl von unserem Kaiser wie von vielen Anderen mit Ehren und Auszeichnungen förmlich überhäuft. Und in der Tat verdienen unsere Mundarten diese Wertschätzung im vollsten Masse. Wenn es auf ehrwürdiges Alter und unverfälschte, echte Art ankommt, so rinnt in den Adern der Volkssprache reines, seit Jahrtausenden unvermischtes Blut, während der Schriftsprache in den wenigen drei bis vier Jahrhunderten ihres Bestehens allerlei Mischungen und Kreuzungen mit fremdartigem Blute nicht erspart worden sind. Wenn wir plattdeutsch hören: Set di en beten dal, so haben wir hier älteres Sprachgut vor uns, als wenn wir dasselbe hochdeutsch ausdrücken; water ist älter als Wasser, ik als ich, wit als weiss, mur als Mauer u.s.w. Die Laute sind in der Mundart auch gleichartiger und harmonischer entwickelt. Wenn wir in der Schriftsprache sacht und sanft nebeneinander brauchen, so st streng genommen sacht nur die niederdeutsche Form für sanft, und sie passt sozusagen in den Akkord hochdeutscher Lautgestaltung nicht hinein. In der niederdeutschen Mundart dagegen passt sacht vollständig zu der Tonart des Ganzen; denn wir haben hier in entsprechenden Fällen überall ch; Locht (Lucht) statt Luft, Schacht statt Schaft, achter statt after u.s.w. Die Schriftsprache kennt eine solche Einheitlichkeit der Lautgestaltung nicht; wie sacht neben sanft, so kennt sie nebeneinander ruchbar, Gerücht neben Ruf, Schlucht neben älterem Schluft, schlapp neben schlaff, Stapel neben Staffel, Wappen neben Waffe, tauchen neben taufen u.s.w., wovon immer je eine Form niederdeutsch, die andere hochdeutsch ist. Auch in den sogenannten sprachlichen Angleichungen oder Analogiebildungen verfährt die Volkssprache weit folgerichtiger. Wir haben nach der Steigerungsform rauher das Eigenschaftswort rauch (erhalten noch in | |
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Rauchwaren u.a.) zu rauh umgebildet, dagegen hoch neben höher unverändert stehen lassen. Die Zeitform der Vergangenheit von mahlen lautete früher muhl (starke Konjugation), jetzt, an zahlte und ähnliche Formen angeglichen, mahlte (schwache Konjugation). Dagegen gebrauchen wir neben einem ‘gezahlt’ noch immer ein ‘gemahlen’. Dergleichen Unstimmigkeiten, deren es unzählige in unserer Schriftsprache gibt, kennt die Mundart fast gar nicht. Die Bildungsweise der zusammengehörigen Formen ist da weit einheitlicher. So heisst es im Heidelberger DialektGa naar voetnoot1): Im helle Middag da hot's mit de Glocke gelidde, un des hot ebbes bedidde, der Fahne uffem Dorn is hausg'schtocke, un do sin mir hing'loffe, wo's gebrennt hot. - Und ein Frankfurter Kind erzählt etwa: Uffm Dach hat e Katz gesotze. Der hawe als die schene Bratwerscht in der Nas geschtocke, wo da owe im Dachferscht gehonke un ihr gewunke hawe. Hier werd als net lang gebitt, hat se bei sich gedenkt, un is druff zu gesprunge. - Welcher gesunde Humor lacht uns ausserdem aus solchen als unverfälschte Natur sich gebenden Äusserungen der Volksseele entgegen, wie sie eben nur in der Mundart möglich sind, und wie klingt uns hier überall sofort ins Ohr, was gemeint ist! Das sehen wir z. B. auch bei den Verkleinerungs- oder Kosewörtern, wenn es etwa in der Frankfurter Fastnachtspoesie heisst: Die Sachsehäuser Weiwercher / Die drage rode Häuwercher / Un drage gehle Schickelcher / Un danze wie die Gickelcher. Die Schriftsprache genügt allerdings höheren Anforderungen der Kultur und alles höhern geistigen Lebens, wie wir sie an den in dieser Beziehung ohne Übung und Durchbildung gebliebenen Volksdialekt nimmermehr stellen dürfen. Eine parlamentarische Rede in seiner Stammesmundart haltenGa naar voetnoot2) oder eine philosophische | |
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Abhandlung darin schreiben zu wollen wäre lächerlich. Auch auf der Bühne wird der Dialekt immer nur eine mehr untergeordnete Rolle spielen können. Es würde uns stören, wenn wir bei der Darstellung einer Theaterrolle einen Dialekt zu hören bekämen, der dazu gar nicht passte, wenn z. B. ein Alemanne im Hebelschen Schwizerdütsch Friedrich den Grossen vorführen wollte, oder wenn wir in Schillers Wilhelm Tell, an den Ufern des Vierwaldstätter Sees weilend, den echten ‘Kenigsbarger Dialekt’ vernähmen und so unwillkürlich an die flachen Ufer des Pregels versetzt würden. Aber im gewöhnlichen Leben hiesse es eben in unnatürlicher Weise schauspielern, wenn wir jede Spur unserer heimatlichen Rede krampfhaft verbergen wollten.
Auf den ihr eigenen Gebieten zeigt die Volkssprache solche Vorzüge, einen Reichtum an Mitteln der Darstellung, eine Fülle des Wortvorrats und der Redewendungen, wie sie in gleichem Masse der Schriftsprache nicht zu Gebote stehen. Letztere hat nämlich neben den Vorteilen, die ihr durch langjährige übung als Sprache der Wissenschaft, Kunst und Literatur zuteil wurden, dabei unleugbar auch gewisse Mängel mit in Kauf genommen. Man hat ihr nicht ganz mit Unrecht vorgeworfen, sie sei hierdurch immer farbloser, abstrakter und abgeblasster geworden. Der aus unseren Schreibstuben stammende verschränkte und verschnörkelte Periodenbau, der uns hier vielfach entgegentritt, gleicht einem wahren Stelzengange. Sehr treffend sagt hierüber Klaus Groth: Wir begründen, vermitteln, beschränken, wenigstens in unserer geschriebenen Rede, auch wo kein Grund dazu vorhanden ist: ‘insofern, obgleich, dennoch, freilich, zumal wenn, es sei denn, unter der Bedingung, dass, u.s.w., solche und hundert ähnliche Konjunktionen werden fast durchschnittlich unnötigerweise geschrieben und machen Gedanken und Rede schwerfällig. Mächtig angeschwollen ist in der neuhochdeutschen Schriftsprache die Schaar der Wörter für abstrakte Begriffe. Da finden wir zahllose Hauptwörter auf - ung, - heit, - keit, - schafft, - nis u.a., wodurch die Rede nichts weniger als anschaulich und sinnfällig | |
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wird. Die Schönheit der Rede wird nun auch besonders erhöht durch treffende, lebensvolle Bilder. In unserer Schriftsprache geht aber das Bewusstsein für die Bildlichkeit der Rede nur gar zu leicht verloren, und man fällt häufig genug aus dem Bilde. Das tat einst z. B. der Graf Bethusy-Huc, wenn er sagte, man müsse den Strom der Geschichte bei der Stirnlocke fassen. Eine solche Vermengung der Bilder, die ein erstorbenes Sprachgefühl verraten, enthalten auch folgende Sätze: Das Dunkel, in dem wir bei dieser Debatte herumtappen, das ist der rote Faden, der sich durch diese ganze Wahlverhandlung hindurchzieht. - Wie ein getretener Wurm krümmt sich der Nationalliberalismus; er fletscht die Zähne, ballt die eine Faust und mit der andern fleht er um Rettung. - An solchen und ähnlichen Gebrechen leidet die Volksmundart nicht. Ihre Rede ist einfach und ungekünstelt und ihre Bilder sind nicht abgegriffen und zur leeren Phrase geworden, sondern frisch und unmittelbar empfunden. Klaus Groth bemerkt einmal, der hochdeutsche Satz, ‘die Schüler hingen ihm am Munde’, sei im Plattdeutschen einfach unmöglich: De Schöler hungn em ann Mund, das könnte der Plattdeutsche nicht sagen, ohne sie hangen zu sehen; ‘er denkt an Blutegel oder was weiss ich’.
Die Mundart ist untrennbar von der Scholle, auf der sie erwachsen ist; in der Mundart hat jedesmal der einzelne Volksstamm sein eigentliches Wesen ausgeprägt, und wenn wir ein deutliches Bild dieses oder jenes Volksstammes gewinnen wollen, können wir der betreffenden Mundart gar nicht entraten. Wir lernen die einzelnen deutschen Landschaften, den mehr nüchternen, verschlossenen, aber streng zuverlässigen, sturmerprobten und dabei oft mit einem derben Humor begabten Bewohner der Ebene und der ‘Waterkant’, den mehr lebhaften und beweglichen Bewohner der Mittelgebirge, wie sie uns z. B. der weinfrohe Rheinländer darstellt, und den treuherzigen, phantasievollen Sohn des Hochgebirges am besten aus ihrer eigensten Sprache, das ist eben ihre Mundart, kennen. Weil die Mundart für den Mann aus dem Volke die eigentliche Muttersprache ist, sollte man eigentlich in der | |
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Volksschule - so hat Rud. Hildebrand mit Recht vorgeschlagen - von ihr ausgehen und das gebildete Hochdeutsch daraus hervorwachsen lassen. Wo man noch die heimische Mundart hochhielt, hat man vielfach empfunden, dass, wenn etwas den Leuten so recht zu Herzen gehen solle, man sich ihrer bedienen müsse. So erzählt Jung-Stilling von Duisburg, dass dort im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts ein Pfarrer, der in schönem, verständlichem Hochdeutsch gepredigt hatte, schliesslich doch sagte: Es sind wohl noch viele alte Mütterchen und gute fromme Seelen zugegen, die mich nicht gut verstanden haben; mit denen muss ich Plattdeutsch sprechen. Und dass geschah nun mit einer solchen Würde, Herzlichkeit und Einfalt, dass die ganze Gemeinde tief gerührt wurde.Ga naar voetnoot1) Ernst Weyden, ‘Köln vor 50 Jahren’, erzählt von dem alten Präsidenten des Handelstribunals, Abraham Schaaffhausen, dass er gewöhnlich nur kölnisch sprach, und er fährt dann fort: ‘Hörten wir Knaben einen unserer Spielkameraden, den Sohn einer aus dem Bergischen eingewanderten Familie hochdeutsch reden, dann hiess es: Dä wellt sich jett dohär mâche, dat is eine Caloiner. Ich erinnere hier auch an die Getreuen von Jever, die seit 1871 jedes Jahr am 1. April dem Fürsten Bismarck 101 Kibitzei schickten und dabei immer einen plattdeutschen Spruch beifügten, wie 1891: Wi blivt di Ollen ümmer trö, Willt to Di hollen lat un fröh; Legst Du dat Stüer ok ut de Hand, Blivst ewig düer dem Vaderland.’ Und in seiner Antwort sagt der Fürst: Ihr poetischer Geburtstagsgruss ist ein neues Denkmal dafür, wie in vollendeter Form sich in plattdeutscher Dichtkunst Wärme und Empfindung mit Kürze des Ausdrucks verbinden lässt. Für unsere Spracheinheit aber von einer Pflege und Beibehal- | |
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tung der volkstümlichen Stammessprachen jetzt noch irgend welche Gefahren zu befürchten, ist töricht. Die Einigkeit ist inzwischen viel zu fest gegründet, als dass sie nicht neben sich die Mannigfaltigkeit, das Heimatsgefühl neben der Vaterlandsliebe, die Mundarten neben der Schrift- und Buchsprache vertragen könnte. Ja, es vermag nunmehr die Mundart selbst, weit entfernt, die Stämme in Deutschlands Gauen noch zu trennen, sie vielmehr enger unter sich zu verbinden. Der Niederdeutsche lernt aus Hebels oder Roseggers Werken die Innigkeit und Gefühlswärme seiner äussersten südlichen Brüder, der badischen Alemannen und der baiovarischen Steiermärker, verstehen und schätzen. Ebenso erschliesst sich umgekehrt diesen aus den köstlichen Dichterspenden in Groths Quickborn oder aus dem goldigen Humor, der in Fritz Reuters Werken lebt, Denken und Fühlen der Bewohner des Nordens. Literarische Pflege der Mundarten vermittelt so den geistigen Verkehr zwischen Deutschlands Völkerstämmen und lässt, wie Klaus Groth schön sagt, den Bruderstamm dem Bruderstamm ins Herz schauen.Ga naar voetnoot1) |
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