Germania. Jaargang 7

[p. 556]

Ein Rückertbrief.
Von Dr. Fr. Norden.

Die ‘Burgundische Bibliothek’ zu Brüssel enthält in ihren Archiven⁽¹⁾ ein kurzes, nicht uninteressantes Schreiben Friedrich Rückerts an den unter dem Namen Dräxler-Manfred bekannten Schriftsteller Karl Ferdinand Dräxler (geb. 1806, gest. 1879), von dessen Gedichten sich einige wenige noch in moderne Anthologieen hinübergerettet haben. Da der Brief noch nicht veröffentlicht worden zu sein scheint und auf Rückerts Amt und Tätigkeit eines Zensors der literarischen Produkte anderer ein eigenes Licht wirft, dürfte es nicht unangebracht sein, ihn hier abzudrucken. Erwähnt sei nur, dass der Musenalmanach, von dem die Rede ist, der von Rückert herausgegebene ‘Erlanger Musenalmanach’ war. - Der Brief lautet wörtlich:

Erlang, d. 11. Dcbr. 39.

Hochgeehrter Herr und Freund.

Ich danke Ihnen für Ihren freundlichen Brief; es ist gar schön von Ihnen, dass Sie in solche Begeisterung gerathen, um meine Unzufriedenheit niederzuschlagen, aber ich bin ein verstockter Sünder, und weiss freilich am besten, wo der Schuh mich drückt.⁽²⁾ An Ihren schönen Liedern hab' ich mich wirklich [wahrlich?] erfreut, doch im Interesse des Musenalmanachs, das ich von dieser Seite recht eigentlich zu vertreten habe, musste ich ein an sich gar frisches, als moralisch anstössig wegstreichen, nämlich ‘ein Geständniss’; von den übrigen fünfen musste ich einige umschreiben, um

(1) Catalogue des manuscrits de la Bibliothèque royale, No. 19669^BB.

(2) Ob sich diese Unzufriedenheit Rückerts auf die Unannehmlichkeiten bezieht, die dem Dichter bei dem Zustandekommen seiner Versetzung nach Berlin in Erlangen bereitet wurden, oder nur auf redaktionelle Schwierigkeiten u. dergl., steht dahin.

[p. 557]

die einzelnen Gedichtchen auseinander zu bringen, da Sie alles aneinander geschrieben hatten gegen die ausgesprochene Bedingung des Almanachs, worin, um dem cyklischen Wesen und Unwesen (das trifft mich stets mit zuvörderst) entgegen zu arbeiten, durchaus auf Selbständigkeit des Einzelnen bestanden werden soll. Ihre 5 haben auch die Probe ausgehalten, aber beim Abschreiben sind mir einige kleine Varianten in die Feder gelaufen, die ich dann als Lesarten stehn liess, z. B. in den sehr schönen Lotosblättern ein an [für ein⁽¹⁾] im, u. ein da für ein der. Diese kleinen Freiheiten seien meine [Rache(?)⁽¹⁾] für die Mühe des Abschreibens, die Sie verschuldet haben. Ihr Briefchen an Tauchnitz geht noch nach Leipzig ab.

Ihr ergebenster

Rückert.

....................

Prof. Rückert in Erlangen.

Herrn Doctor Dräxler-Manfred

Wohlgeb.

Zur Zeit im Erbprinzen

Meiningen.

(1) Die Worte sind durch Abreissen des Siegels vertilgt worden.

(1) Die Worte sind durch Abreissen des Siegels vertilgt worden.