Germania. Jaargang 7
(1905)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdDie Kunst auf dem Lande.Ga naar voetnoot(1)
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und Interieurs aus allen Gauen, den Photographien und Situationsplänen, der Eindruck eines gelehrten Apparates. Er war aber angenehm und leicht zugänglich, und das Vademecum für diese ländliche Rundreise, das Peter Jessen in seiner ruhigen, belehrenden Art verfasst, gibt den vielfältigen Erscheinungen klare Gruppierung und Zusammenfassung. In bedächtiger Schnelle konnte man hier durch die deutschen Provinzen wandeln und die Typen des Hausbaus studieren. Und nicht nur theoretisch-instruktiv war diese Beschäftigung, sondern fruchtbar und anregend, denn von dem Bauernhaus mit seinem Sachlichkeitsstil, der aus den Bedingungen des Klimas, der Lage, des Gebrauchs erwachsen ist, mit seiner Freude an den farbigen, gut gestimmten Materialreizen, mit seinen malerischen Dachbildungen und dem organischen Verhältnis der zweckvollen inneren Anlage zur äusseren Gliederung, könnte eine erfrischende Erlösung von der öden Fassadenarchitektur, die Deutschland am Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts noch völlig beherrschte, kommen. Auch das englische Landhaus, das so bewunderungswürdig sicher in seiner dekorativ wirkenden Einfachheit ist, hat seinen bäuerlichen Ursprung nie verleugnet. Im Gegenteil, es erfreut sich an ihm, es betont ihn und vereinigt glücklich die kräftig-ländlichen Grundzüge mit allen neuen dem Komfort dienenden Errungenschaften. Die Vierlande waren das erste Gebiet, das wir in dieser Ausstellung betraten. Lichtwark hat von der reifen bäuerlichen Kunstkultur dieser alten hanseatischen Gemeinden viel erzählt, und Justus Brinkmann hat sorglich für sein Hamburger Museum ihr Erbe geborgen. Reiche Proben erschienen davon hier zu Gaste, Schmucksachen, Trachten (die später zu beschreiben sein werden) und Abbildungen von Häusern. Das Haus der Vierlande ist das niedersächsische Haus, das ‘Ebenenhaus’ (nach Robert Mielkes EinteilungGa naar voetnoot(1) im Gegensatz | |
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zum Wald- und dem Gebirgshaus. In der norddeutschen Moor-und Heidegegend streckt es sich unter dem grossen, wie eine mächtige Haube überhängenden Strohdach. Die Wände sind aus Ziegeln mit Fachwerk verbunden. Diese Ziegel zeigen häufig farbige Musterung geometrischer Art, Vierecke, verschlungene Kreise, Arabesken. Eine geräumige Diele, die als Tenne verwertet wird, öffnet sich hinter dem grossen Tor. Die Ställe ziehen sich um sie, an der Hinterwand ist der Herd angebracht. Besonders beachtenswert, wie in allen Bauernhäusern, sind die Fenster-anlagen: klein, aber so richtig gesetzt, dass sie genügend Licht geben, tief in der Mauer sitzend, kastenförmig, die seitlichen Wände gleich dem Rahmenwerk in weissem Holz gefasst; die Scheiben geteilt. So bilden diese Fenster innen und aussen, hier noch gesteigert durch die grünen Läden, einen frischen, blanken Wandschmuck, und dies Bauernfenster beschämt durch seine Wirkung die öden, mit Tapeziererkünsten bemäntelten Fensterhöhlen grossstädtischer Mietshäuser. Auch die Art der Raumgliederung gibt viel Anregung. Die Bilder aus Ostenfeld bei Husum, aus der Wilstermarsch, aus Schleswig-Holstein suchen solche besondere Ausbildungen festzuhalten. In der grossen Ostenfelder Diele zweigt sich vom Hauptraum, der hoch bis ins Dach hineinragt, ein kleineres, niedriger bedachtes ‘Seitenschiff’ ab, die ‘Kübbung’, eine gemütliche Koje, die an der Breitwand das mehrteilige Fenster, an den Längswänden breite Sitzplätze hat. Das ist im englischen Cottagestil, im neuen Wiener Landhaus ein charakteristischer Zug, und in Deutschland fängt man an, dem auch nachzustreben, solche Räume im Raum zu entwickeln, das Geborgene des gemütlichen und geschützten Kleinwinkels durch eine niedriger gezogene Decke zu betonen, die Langeweile der vier Wände und der Kistenzimmer durch Buchtungen und Ausladungen zu beleben. Wenn man in einem neuen Hause heut solches sieht, dann wirkt es wie Raffinement, und doch ist es so natürlich; die älteren Zeiten haben, ohne das als etwas Besonderes | |
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zu empfinden, eben das Wohnen als ein wirkliches zu Hause sein und Heimisch fühlen ausgebildet, und das Motiv des Sesshaften, Warm-Umzogenen war dabei leitend. Die Langeweile der vier Wände wird besonders glücklich in den Zimmern des Giebels überwunden. Giebelfenster galten in der bourgeoisen Periode als unfein, ebenso wie einfenstrige Stuben als ‘unherrschaftlich’. Was sich aus solchen abgeschrägten Wänden mit ihrem Scheibenausbau machen lässt, sieht man in den Landhäusern von Bailli Scott und Voysey. Olbrich hat phantasievolle Ausbeute daraus gewonnen, und Schultze-Naumburg betätigt bei solchen Motiven seine deutsche Liebe zum Traulich Innigen, Engumhegten; in dieser Art erkennt man die Volkslied-, die Schwind-Weise in der Architektur. Ihre Vorbilder sah man in den Aufnahmen und Studien friesischer Häuser von den Nordseeküsten und Inseln. Die Blätter von Hans Peter Feddersen in Kleizeer Koog bei Niebüll zeigten solche erkerartige Stübchen, gebildet von der Holzkonstruktion des Dachgebälks. Die Dachschrägen, die bunt gestrichen und ornamental bemalt sind, geben diesen beschaulichen Kojen eine gesammelte und dabei heitere Stimmung. Das mächtige Strohdach, das über dem niedersächsischen Hause hängt, kehrt wieder beim Schwarzwaldhaus. Aber während in der nordischen Ebene das Gebäude als ein Einheitshaus angelegt ist, das sich auf dem flachen, weiten Gelände in die Breite entwickelt, wird in den engen Waldtälern das Haus in die Höhe geführt und als ein Geschossbau aufgerichtet. Ein gemauerter Sockel, darin die Ställe, darauf das Wohngeschoss und zu oberst Speicher und Tenne. Dahinein fahren die Erntewagen vom Berghange aus über eine Brücke. Das ist von grosszügiger, malerischer Wirkung und prachtvoll organisch aus der Landschaft erwachsen. Und diese ästhetische Wirkung, die von den Erbauern kaum beabsichtigt wurde und die für sie jedenfalls erst in zweiter Linie kam, ergibt sich daraus, dauss diese Bauart mit freier Sicherheit sich aus den gegebenen | |
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Verhältnissen des Bodens entwickelt, dass sie angepasst erscheint und nicht gemacht wirkt, sondern wie Bäume und Sträucher entstanden. Das bayerische Haus, zu dem in weiterer Linie auch die Architektur von Tirol, Salzkammergut, Vorarlberg gehört, illustriert den Typus des Gebirgshauses und charakterisiert sich als solches durch das flache Schindeldach, das den Bergstürmen die geringste Angriffsfläche bietet und meist noch durch mächtige Steine beschwert ist. Die Galerien und Lauben spielen hier eine grosse Rolle, und im Gegensatz zu dem graueren Norden, zur Heide und Nebelstimmung herrscht die Freude an bunter, manchmal kunterbunter Bemalung. Farbenlustige Schilderei tummelt sich auf den weiss verputzten Wänden; die Heiligen, die Nothelfer und Schutzpatrone erscheinen in naiver, an steife Heraldik erinnernder Darstellung. Die Fensterumrahmungen werden rot und gelb ausgemalt, Blumenstöcke, Rankengewinde, Vögel kommen in derbem Holzschnittumriss zur Darstellung, auch wechselnd getünchtes Fächer- und Felderwerk ist beliebt. Gern verschwistert sich in der Bauernkunst die Malerei mit der Schnitzerei und Schreinerei, wie noch bei Betrachtung der Möbel zu zeigen sein wird. Die Säge- und Schnitzmuster werden an den Holzgalerien angebracht, die vor den oberen Geschossen laufen, an den Treppengeländern und an den charakteristischen Windbrettern. Ihre Ecken gehen in eine wappenartige Musterung aus, sodass z. B. ein Herz, aus dem ein Kreuz wächst, als Mittelstück links und rechts von Bock- oder Pferdeköpfen flankiert wird, worin sich gewiss eine Mischung christlicher und heidnischer Symbolik erkennen lässt. Das Reichste bäuerlicher Kunstfertigkeiten zeigt das Schweizerhaus mit seinen Schnitzereien, den Durchbruchmusterungen der Holzarkaden, seinen farbigen Zieraten, seiner Emblematik und Heraldik: | |
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Von vielen Fenstern glänzt es wohnlich hell,
mit vielen Wappenschildern ist's bemalt
und weisen Sprüchen....
Gegenüber diesen Einzelhäusern stellt einen besonderen Typus das fränkische Gehöft in Mitteldeutschland dar. Es ist ein Komplex von Einzelbauten. Wohnhaus, Stall, Scheune werden gesondert rings um den Hof gebaut. Eine Mauer mit einem Tor nach der Strasse umzieht das Ganze. Material ist hölzernes Fachwerk mit Lehm- oder Backsteinfüllung. Darüber rote Ziegel- oder auch Schieferdächer. Eine grosse Anzahl Blätter aus verschiedenen Tafelwerken gab den Eindruck dieser Ensembles, die ihre ästhetische Wirkung wieder aus der sachlichen Gruppierung und der verständnisvollen Einpassung in das Gelände gewinnen. Die Aussenarchitekturen wurden ergänzt durch Möbel und Interieurs, freilich - abgesehen von einigen Stühlen mit Geflecht, bunter Bemalung und der bezeichnenden nach oben verbreiterten Rückenlehne - auch nur im Abbild.... In das Haus der Vierlande blickte man, dass in sauberster Holzarbeit ausgefüttert ist. Wände und Türen sind - was wir uns heute dringend wünschen - organisch durch das Rahmenwerk der Täfelung verbunden. In unseren Mietshäusern sind Türen und Fenster wandzerreissende Löcher und verlangen nach Vorhängen, die ihre Blössen bedecken. In solch sinnvollerer Gesamtausbildung werden die Türen wie die Fenster zu schmuckhaften Wandfüllungen. Eine Stubentüre ist in ihrer Einteilung, ihrem Schnitzwerk, ihrem Beschlag nicht minder liebevoll behandelt als die Vorderseite eines Schrankes: wie ein Schmuckstück sitzt sie im Rahmenwerk des Getäfels. Jene konstruktiv ästhetischen Neigungen, die heute bei den Geschmackvollen vorwiegen, jene Neigungen, die der äusseren Ausschmückung bei weitem die organisch zweckmässige Konstruktion, die Betonung des Gebrauchs, die Einheitstendenz der führenden Linien des Mobiliars wie des Raums, vorziehen, mochten an solchen | |
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Vergangenheitsproben - die Grossbauernstube, der Pesel, aus der Wilstermarsch liefert ein vollendetes Beispiel - bewundernde Freude haben. Die Hauptsache ist hier immer das von Grund aus richtig zu einander und ineinander Gefügte aller Einzelteile der Innenarchitektur. Wie z. B. Wandbretter für Zinn und Steinzeuggerät aus der Wandvertäfelung herauswachsen, wie sie in die Türumrahmung übergehen, das ist konstruktiv ausserordentlich reinlich und sicher gemacht. Es ist hier das wirksam, was uns auch heut viel mehr befriedigt als der kostbarste Zierat, jener Eindruck des Richtig-gewachsenen, Stimmenden, jene lebendige ‘Kraft der Linie’ und der echte und überzeugende Ausdruck für die Aufgaben des Lastens und des Tragens. Von den Möbeln gilt das vor allem, und die Stühle sind in ihrem Bau, mit ihren Streben und Verbindungsleisten, mit den Verhältnissen von Sitz und Lehne besonders klar. Diese Bauernmöbel stehen der Natur sehr nahe und lassen sich nicht durch die wechselnden Stile in ihrer Art antasten. Ein klares Beispiel dafür ist jener jetzt in Nachbildungen so häufig begegnende dreieckige Stuhl, der in seinem Umriss genau den sitzenden Menschen nachzeichnet, mit den vom Rückenbrett sich heruntersenkenden Lehnen den Armen die ruhende Haltung vorschreibt und mit seinem wuchtigen Pfostenunterbau das Sesshaft-Festbegründete beruhigend betont - und der dabei jenseits aller historischen Stile steht in zeitloser Dauer. Schmuck- und Farbenlust herrscht dabei. Gemusterte Einlagen, Kerbschnitzereien zieren die Truhen und die Laden der eingebauten Wandbetten, und die riesigen Ofengebäude mit ihren blauen Bilderkachelwänden bringen der Holzstimmung eine wechselnde Ergänzung. Die Verzierung wird immer organisch aus dem Material abgeleitet. Säge, Schnitzmesser, Drehbank dienen als schmückende Werkzeuge, und farbige Behandlung der gekerbten ausgeschnittenen Ornamente, die sich geometrisch, linear oder als naive Pflanzen- und Tierstilisierungen geben, kommt als belebendes Element | |
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hinzu. In einem Glasschrank der Ausstellung sieht man als Muster solcher Kunstfertigkeit allerlei Hausgerät ausgelegt. Als Wirtschaftsgeschenke, die der junge Bauer der Braut arbeitet, erklärt sie Jessen. Da gibt es Mangelbretter, die dazu dienen, die über Rollhölzer gewickelte Wäsche zu glätten. Es sind lange Flachleisten mit einem Handgriff, der oft in Tierform, delphinartig, sehr gelungen aus der Grundfläche entwickelt wird. Wächeklopfer, Ellen, Butterformen finden sich, sie alle reich verziert mit geometrischen Mustern, Verschlingungen, eckigen und Kreisgebilden. Von besonderem Reiz sind die Gehäuse für die Kohlenbecken: Viereckige, laternenähnliche Kästen, deren Wände leicht und frei mit ausgesägten Mustern durchbrochen sind. Oval-verschleifungen in Form einer Doppel-Acht erscheinen dabei oft und das Holzbandwerk ist dabei selbst noch gegerbt und farbig grün, blau und rot grundiert. Und schön stimmt zu dem Ganzen der grosse gewundene Messingbügel. Ein hervorragendes Stück dieser Sammlung verdient Erwähnung, ein gezahntes Webebrett mit einem Ansatz von so zierlichem und anmutigem Filigranwerk, dass man an kunstvoll geschnittene Horn- und Schildpattzierkämme denkt. Einen wichtigen Raum nahm die Tracht ein, die ausser den genauen und liebevollen Aquarellen Hermann Haases, des Hamburger Malers, und der reichen Kulturauslese der Lipperheideschen Tafeln durch manche Originalstücke vertreten war. Die Gewand-Zusammenstellung, die strengen Gesetzen unterlag und vor allem in der Festtagskleidung durchaus gleichmässig geregelt war, liess sich hier studieren. Bis in die Einzelheiten vorgeschrieben, wie es heute nur noch bei Hofe und in der militärischen Kleiderordnung ist, sind die Zusammenstellungen. Die Braut trägt am Hochzeitstage drei verschiedene Garnituren, das Trauungs-, das Abendmahls- und das Tanzkostüm, und auf das Genaueste ist das Einzelne, Jacke und Brustlatz, Rock und Schürze, Haarputz und Schmuck farbig eingestimmt. | |
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Die Festtagskleidung hat sinnbildliche Bedeutung, sie bezeichnet Würde, Rang und Stand und sie wird auch zum Gradmesser des Besitzes, der wirtschaftlichen Geltnng. Und diese Bedeutung ist wichtiger als die Bequemlichkeit. Das alte Sprichwort ‘Hoffahrt will Zwang leiden’ kommt daher, und man erinnert sich auch des Immermannschen Hofschulzen und seiner neun Jacken, die er sichtbar übereinander unter dem lichtblauen, offenhängenden Tuchrock trägt und von denen er dem vorwitzig Eragenden also Bescheid gibt: ‘Für Plaisir wird dergleichen überhaupt nicht angezogen, sondern weil ich neun Jacken bezahlen kann, so trage ich neun Jacken, und weil es so hergebracht ist seit hundert und mehreren Jahren und die gute Sitte es erfordert und mein Vater und mein Grossvater immer neun Jacken trugen auf allen Hochzeiten und Kindelbieren’. Zu solcher Würde- und Bürdetracht gehört auch die selbst im Sommer getragene hessische Pelzmütze und die elf Kirchenröcke der Bäuerin von Weizacker bei Pyritz, von denen Mielke berichtet. Diese Trachten, die noch vor fünfzig Jahren lebendige Geltung hatten, sind nun dahin oder verschwinden doch zusehends vor dem Eindringen der städtischen Modeersatzstücke. Merkwürdig und grotesk ist es, die Übergänge zu beobachten. In Holland fand ich Gelegenheit dazu. In Katwyk schritten Sonntags am Strand oder in der baumbestandenen, von Zweigen überlaubten Dorfstrasse, über den sonnenkringelbestreuten Weg die Mädchen in den steifstarren, braunen, grünen und blauen Wollröcken, auf den Köpfen die blanke Metallnetzhaube mit den Ohrspiralen. Aber viele trugen über der ererbten Haube, die die frischen Gesichter so lieblich umrahmt und die eng verwandt mit dem netzartigen, jetzt wieder in der modernen Frauentracht aufkommenden Haarschmuck guter Geschmackskulturen ist, billige ‘modische Hüte’ mit grellen künstlichen Blumen. Ausser dem Ensemble stand in der Ausstellung viel Detail zur Schau. Und gerade der Kopfputz wurde in mannigfachen Beispielen gezeigt. Hauben und Kappen aus verschiedenen Provinzen | |
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konnte man sehen. Besonders reich erschienen die süddeutschen mit Gold- und Silberstickerei, mit Flitterschmuck und blinkenden Steinen. Daneben sah man Hauben hannoverschen Ursprungs, den Rand aus lila Seide mit breiten Bindebändern, die Kopffüllung golden ausgestickt. Anregend und interessant zu studieren waren dann noch die ausgelegten und ausgehängten Zierate für das Kostüm, die phantasievollen und lieblichen Nadelarbeiten. Die Ärmel der Jacken erhalten Streifenaufsatz in Plattstich, rot und grün gemusterte Felder, auf denen wirkungsvoll die Reihe der grossen silbernen Kugelknöpfe sitzt. Bruststücke und Gürtel werden in Gold und Silber gestickt. Die Schürzen bekommen Webeborten, Blumen und Vögel geben die Motive und sehr beliebt ist, ähnlich wie auch beim Mobiliar, die ornamentale Verwendung der Jahreszahl. Grosse Liebe wird der Wäsche zugewendet. Die gibt die stolzeste Besitzesfreude und emsig und sinnig wird an ihrer Verzierung gearbeitet. Handtücher, Kissenbezüge, Decken erhalten Bordüren, Randleisten, farbig gestickt oder in Filetdurchbruch. Und die herzhaften Muster in ihrer charaktervollen rassigen Formensprache werden heute nach der Periode der konventionellen gefürchteten ‘weiblichen Handarbeit’ stärkende Erfrischung. Und ein Merkmal ist's, dass gerade moderne Handarbeitszeitschriften, wie z. B. ‘Kunstgewerbe fürs Haus’ solch alte Vorbilder neben der neuesten Formsprache vorlegen. Eine Fundgrube für Motive voll Einfachheit und derbfrischer Naivität, voll kräftig farbenfroher Wirkung und einer unzweifelhaften Treffsicherheit der Anordnung und Verteilung boten die alten Stickmustertücher aus vergilbter Leinewand mit den verblassten roten Initialen, mit Buchstaben und Ziffernzierat, wie ein Beispiel mit dem Namen der Jungfer Anne Bidekarken gezeichnet hier zeigt. In dieser bäuerlichen Zierschrift ist heraldische Anordnung oft angewendet und in Verbindung damit religiöse Symbolik. Doppelengel als Schildhalter erscheinen und das Lamm mit der Fahne; auf einem Filetzwischensatz halten über einem | |
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tanzenden Paar Wappenengel eine Krone, und Tauben und Pfauen in naiver Stilisierung umgeben das Muster. Schliesslich noch ein Wort über den Schmuck, der hier freilich nicht so vielseitig und stattlich vertreten war, wie in einer Ausstellung, die vor einigen Jahren in dem viel zu wenig besuchten Volkstrachtenmuseum in der Klosterstrasse stattfand. Der Schmuck wird in der Bauerntracht nicht nur als ein Ausputz, sondern vor allem als ein dienendes Glied verwendet, als Spange, um das Hemd zu schliessen, als Brustkette, die die offene Oberjacke zunestelt, als Schliessen und Hafteln. Richtiger wäre es überhaupt, nicht von Schmuck zu sprechen, sondern von schmuckhaft ausgebildeten Gebrauchsgegenständen: Knöpfe, Kämme, Schnürstifte, alles das bekommt eine künstlerische Behandlung, und damit wird etwas erreicht, was heute unser stärkster Wunsch ist. Ein bevorzugtes Motiv der Silberarbeit bildet das Filigran-gespinnst. Kugeln werden daraus gesponnen und als Kettenglieder verwendet, Knöpfe und Hefteln. Grosse Mannigfaltigkeit herrscht in der Kettenbildung, ihre reiche Erfindung kann auch für uns noch sehr anregend sein. Sehr reizvoll sind z. B. die Aneinanderreihungen zierlicher Oval-plättchen mit feiner Durchbruchmusterung. Die Knöpfe, meist in Kugelform, kommen ausser jener Filigrangestalt auch massiv vor, gekerbt und gebuckelt. In den Ländern, in denen die ländlichen Überlieferungen sich besonders lebendig erhielten, in England und in Skandinavien, findet sich deutlich erkennbar die Nachkommenschaft solcher Art. Ashbee mit seinen Ketten, den Schliessen aus gehämmerten Platten, Mogens Ballin mit seinen knolligen, narbigen Silberknöpfen haben die alte kräftige Volkssprache erneut. In Norwegen liebt man auch den originalen Bauernschmuck. Und charakteristisch ist die Hardanger Broschenform, die jedem nordischen Reisenden aufgefallen sein wird, jene Komposition aus kleinen, schüsselförmig ausgebuchteten Plättchen, die, leicht verbunden, locker pendeln wie ein goldenes Glockenspiel. Das Motiv freispielenden Behanges voll heiterer Beweglichkeit | |
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findet sich übrigens auch in Vierländer Hemdspangen. Gerade in Spangen und Schliessen begegnet uns die grösste Mannigfaltigkeit: Filigrangespinst in Gold und Silber, der Hauptverknüpfungspunkt des Maschennetzes mit Steinen, oft Granaten, erhöht und betont; rosetten-, kreuz- und herzförmig. Statt des Filigrans kommt auch verschlungenes Silberbandwerk vor, häufig in Form von Blumenranken, die sich aus einer Vase oder Schale herausverzweigen, auch figürlich als Tauben, heraldisch links und rechts von einem Herzen unter einer Krone geordnet, und als Doppeladler, dem Wahrzeichen des alten Reiches. Und eng verwandt sind diese Motive des Silberhandwerks mit den Darstellungen durchbrochener Stuhllehnen, die auch den Doppeladler, Kreis- und Ellipsenverschleifungen (an Chippendale-Lehnen erinnernd), ausgeschnittene Herzen und astartige Verzweigungen aufweisen.
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Solche Beschäftigung mit den Künsten der Vergangenheit und mit den älteren Stilen, die jetzt so nachdrücklich betont wird, ist keine Reaktion gegen die neuen Bestrebungen und sie geht nicht etwa auf ein geistesarmes Nachäffen aus, sondern sie will durch das Studium jener Zeiten sicherer, gefestigter Formanschauung und Zweckbewusstseins den Blick für das Wesentliche schärfen. Nicht Nachahmung gilt es, sondern Erwerbung jener sicheren Auffassung, um dann mit ihr an die neuen Aufgaben so klar erkennend heranzutreten, wie es in den besten Zeiten der Vergangenheit selbstverständlich war. Und aus der Bauernkunst gerade kommt für uns mehr als aus Königsstilen die Vorstellung des Einen, was not, des Lebenszusammenhangs und der wirklich angewandten Kunst. |
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